Belagerung von Candia
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Belagerung von Candia | |||||||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Bild von der Festung Candia aus dem Jahre 1595 |
|||||||||||||||||
Konflikt | 6. Venezianischer Türkenkrieg (1645 - 1669) | ||||||||||||||||
Datum | 1. Mai 1648–4. September 1669 | ||||||||||||||||
Ort | Candia (heute Iraklion), Kreta | ||||||||||||||||
Ergebnis | Venedig kapituliert und erhält freien Abzug | ||||||||||||||||
|
|||||||||||||||||
Die Belagerung von Candia (heute: Iraklion) war der letzte Kampf Venedigs um die Insel Kreta und die längste Belagerung der Menschheitsgeschichte. Sie dauerte von 1. Mai 1648 bis 4. September 1669 und somit über 21 Jahre.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Ausgangslage
Durch den florierenden Handel von Kreta mit Venedig nahmen die türkischen Piratenüberfälle zu und so veranlasste Venedig zum Schutz der Küstenorte den Bau von stärkeren Befestigungen. Nach Plänen des berühmten veronesischen Architekten und Baumeisters Michele Sanmicheli wurden ab 1523 die weitläufigen Festungsanlagen von Candia errichtet, sowie ab 1536 die Stadtmauer von Canea (Chania) mit mehreren Bastionen gebaut und schließlich 1540 die große Festung von Rethymno verstärkt.
Aufgrund der verheerenden Raubzüge des türkischen Piraten Chaireddin Barbarossa, der 1538 plündernd über die Insel herfiel, 1539 die Festung von Selino in Paleochora eroberte und zerstörte und bis 1571, als er in die Bucht von Souda eindrang, über 80 Häfen und Orte angegriffen, die Dörfer ausgeraubt und viele der Bewohner gefangen genommen hatte, beschlossen die Venezianer den Bau von weiteren Festungsanlagen. Auf der Insel Agios Nikolaos in der Bucht von Souda wurde 1573 die neue Festung fertiggestellt, auf der Insel Spinalonga in der Mirabello-Bucht 1579, auf der vorgelagerten Insel Gramvoussa ganz im Westen 1584 und auf Agii Theodri in der Bucht von Chania entstanden bis 1585 sogar zwei Festungen. [1]
Am Ende des Dreißigjährigen Krieges begann im Mittelmeerraum nach einer längeren friedlichen Zeit ein neuer Krieg. Im Jahr 1644 griffen die die Malteser Ritter einen türkischen Konvoi an, der von Alexandria auf dem Weg nach Konstantinopel war. Die Malteser brachten ihre Beute nach Kreta. Sie hatten auch etliche Mekka-Wallfahrer gefangen genommen. Daraufhin stach im Juni 1645 eine türkische Flotte mit 60.000 osmanische Soldaten unter Sultan Ibrahim I. in See, die das venezianische Kreta überfiel und kurz darauf ein türkisches Heer Dalmatien bedrohte.
Für diesen Krieg benötigte Venedig Truppen. Diese konnte das kleine Venedig nicht selbst aufbringen und so kauften sie Söldner aus ganz Europa vor allem 30.000 Söldner aus Hannover, Braunschweig und Celle. Arbeitslose Veteranen, teure und unnötige Truppenteile des Dreißigjährigen Krieges fanden sich schnell zusammen. Europa wollte die unkontrollierbaren militärischen Reste des Dreißigjährigen Krieges entsorgen und Städte wie Länder unterstützten diesen Kampf um ihren Soldatenmob los zu werden. Vor allem deutsche Fürsten waren anfangs dankbar, ihre überschüssigen Truppen gegen gute Bezahlung abzutreten. Drei Regimenter aus Lüneburg-Celle waren nach wenigen Monaten auf ein Viertel zusammengeschmolzen. Von dem kaiserlichen Regiment von Kielmannsegg blieben zwei Kompanien; von einem Bataillon Hannoveraner überlebten von 375 Mann ganze 87.
[Bearbeiten] Einfall der Türken auf Kreta
Der Angriff der Türken auf das venezianische Kreta begann im Juni 1645 mit der Einnahme der Festungen auf Agii Theodori vor der Nordküste Westkretas und nach wochenlanger Belagerung am 22. August 1645 mit der Eroberung der Stadt Canea (Chania) (nicht zu verwechseln mit Candia = Iraklion).
Auf dem Landwege zogen die türkischen Truppen weiter östlich und auch die osmanische Flotte griff nun zeitgleich im September 1646 die Festung Rethymno an, die nach mehrwöchiger Belagerung am 13. November fiel. [1]
[Bearbeiten] Kleinkrieg 1648 bis 1666
Sehr bald war die Insel von den Türken besetzt und nur noch die stark befestigte Festung Candia hielt den Türken stand. Die Türken begannen mit der Belagerung am 1. Mai 1648. Venedig konnte mit seiner Flotte den türkischen Nachschub abfangen, blockierten die Dardanellen, gewannen gegen die osmanische Flotte 1651 bei Naxos und 1656 vor den Dardanellen mehrere Seeschlachten und konnten die Stadt selbst gut versorgen. Die nächsten Jahrzehnte waren bestimmt von einem ewigen Kleinkrieg zu Land und auf See. Hatte in einem Jahr Venedig die Nase vorne und versenkte bzw. kaperte viele türkische Schiffe so konnte Venedig Gelände auf Kreta gut machen und die Türken zurückgedrängt werden. Zur Winterzeit, wenn der Kampf ruhte und das Mittelmeer durch seine unberechenbare Winterstürme unbefahrbar war, blieb für Candia der Nachschub aus. Wenn die Türken mit ihren Schiffen durchkamen, so ging die Belagerung auf Kreta weiter. Immer wieder zog die Pest über Candia und so hatten beide Seiten einen zermürbenden Kleinkrieg, der viele Menschen und Material kostete.
[Bearbeiten] Angriff auf Candia
Im Frühjahr 1666 begannen die Türken mit dem Großangriff auf Candia. Candia war inzwischen zu einer riesigen Festung ausgebaut und wurde von sieben Forts und dazugehörenden Gräben, Kontereskarpen, einem Labyrinth an gedeckten Wegen, unterirdischen Tunneln und zahllosen Schanzen, Bastionen, Wällen, Kasematten, Kaponnieren, Hornwerken und Ravelins geschützt. Die meisten Anlagen waren unterirdisch miteinander verbunden. Die Werke waren mit Verwendung von Hohlbauten aus Luftziegeln, Holz und Erde errichtet. Das war den aus Mitteleuropa angereisten Ingenieuren ganz neu. Sie waren an Erdwälle oder an Mauern mit dahintergeschütteter Erde, nicht aber an Hohlbau gewöhnt und lernten hier die Widerstandsfähigkeit solcher Deckungen erst kennen. [2] Die Türken begannen die Festung zu bestürmen, verloren aber bis Herbst fast 20.000 Mann. Ein riesiges Heeres von Sklaven und Schanzarbeitern gruben Approchen (Laufgräben) und Minenstollen. Der Kampf verlagerte sich unter die Erde.
[Bearbeiten] Der Minenkrieg
Ein Minenkrieg diesen Ausmaßes hatte in der Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gegeben und war bis zum Ersten Weltkrieg einzigartig. Tausende Einwohner Candias und Galeerensklaven gruben sich immer tiefer in die Erde ein. In der Stadt grub man Tunnel für Horchposten, Kontraminen und Gänge zu abgeschnittenen Vorposten. Die Mineure mussten eine Menge Probleme bewältigen. Die Belüftung der arbeitenden und kämpfenden Truppe musste sichergestellt werden sonst drohten sie am Grubengas oder an einer CO2-Übersättigung zu ersticken und man verwendete dafür überdimensionale Schmiedeblasbälge, die über ein Rohrsystem in den Stollen verteilt wurde. Mit Rohren und Pumpen wurde eindringendes Grundwasser herausgeholt. Die Orientierung erfolgte mittels Kompass.
Die Minenarbeiter starben massenweise. Die Angreifer sprengten sich mit 50-170 Tonnen Pulver durch ganze Mauerabschnitte und Bastionen. Mit Kontraminen versuchte man die Minen anzugraben, zu sprengen oder unter Wasser zu setzen. Wenn möglich versuchte man vor der Sprengung das gegnerische Pulver auszuräumen oder den Explosionsdruck durch einen nahegelegenen Gegenstollen abzuleiten. In den am stärksten belagerten Abschnitten gab es ein mehrstöckiges System an Gänge, Kasematten, Galerien, Tunnel und Minen. Wenn zwei gegnerische Stollen aneinandergerieten kam es zu erbitterten Gefechten. Die Mineure erstickten in abgesprengten Stollen, wurden verschüttet, zerquetscht, verbrannten oder ertranken.
Unter Führung des Hugenotten St. André lernten Festungsbauer und Ingenieure aus vielen Ländern ihr Handwerk. Der deutsche Ingenieur Georg Rimpler wird im Jahre 1683 bei der Zweiten Wiener Türkenbelagerung mit diesem Wissen um die Organisation, Technologie und Logistik beim Bau einer Festung wesentlich am Durchhalten der Stadt Wien beitragen. Er und Johann Bernhard Scheither schrieben in den nächsten Jahren ihre Erfahrungen zu bedeutenden Werken über die Belagerungskunst nieder. Nach seinem Abzug übt er scharf Kritik: „Die Venezianer hätten mehr auf das Ruder als auf die Schaufel gesetzt.“[3]
[Bearbeiten] Kämpfe
Auch über der Erde werden zahlreiche neue Tötungsgeräte ausprobiert und eingesetzt. Verschiedene Wurfbomben, Handgranaten, Geländeminen, Sprengkästen, Brand- und Sprengfässer wurden entwickelt oder verbessert. Oft waren die türkischen Approchen bis auf Pistolenschussweite an die zerschossenen und gesprengten Stellungen herangerückt. Geschützexplosionen wechselten sich mit dem Lärm der Flatterminen, Mörser- und Handgranaten, unterbrochen von den gewaltigen Detonationen einer Mine, ab. Scharfschützen lauerten auf Ziele und überraschende Sturmangriffe wechselten sich ab mit Ausfällen, mit denen die Belagerten versuchten einzelne Batterien und Stolleneingänge zu zerstören. Sandsäcke kosteten einen halber Taler und die Kämpfenden versuchten sich die erbeuteten Sandsäcke wieder wegzunehmen.
Die Söldner vegetierten in Erdlöchern und zerschossenen Ruinen. Problematisch war der Hunger in den Zeiten schlechterer Versorgung durch Venedig. Der Sold wurde durch Inflation auf den Bruchteil seines Wertes reduziert und die Nahrung war damit nicht leistbar. Es brachen bald Skorbut, die Pest und andere Seuchen aus. Wer krank oder verletzt war, hatte kaum eine Überlebenschancen. Überläufer waren an der Tagesordnung, aber bei den Türken war die Versorgungslage nicht besser. Der Schweizer Michael Cramer, Sohn eines Lindauer Bürgers, als Söldner angeworben und später samt seiner Truppe an Venedig verkauft, schildert grauenhafte Einzelheiten. Am Kampfplatz wurde ihnen die Waffe überreicht. Jetzt hatten sie die Wahl, zu kämpfen oder zu den Osmanen überzulaufen, wobei es ihnen dort nicht besser ging. Das heiße und schwüle Klima machte ihnen zu schaffen. Starke Ausfälle bei leichten Verletzungen durch Blutvergiftung oder Wundstarrkrampf. Der Nachschub an Essen war unzureichend und teuer, man half sich mit der Zubereitung von Ratten und Mäusen und aß offensichtlich auch Menschenfleisch, da dies bei Todesstrafe verboten werden musste. Das ausgelassene Fett der Gefallenen fand als „Türkenschmalz“ zum Einreiben der Füße Verwendung. Aus der Haut konnte man Riemen schneiden und zur Erinnerung mit nach Hause nehmen.[4] Deutsche, Franzosen, Italiener, Savoyarden, Schweizer und Malteser wurden in die Festung gebracht und verschwanden in ihren Ruinen. Wenn ein Oberst begraben wurde, marschierten hinter den zehn Kompaniefahnen oft nur noch ein Dutzend Söldner; es kam sogar vor, dass ein einzelner mehrere Fahnen tragen musste.
[Bearbeiten] Kreuzfahrer
Während die einfachen Soldaten verreckten, genossen die hohen Offiziere in der Stadt das Leben. Venedig organisierte und zahlte vollen Luxus. Die hochnäsigen Generäle und Admirale waren mit ihren verletzten Eitelkeiten und Intrigen beschäftigt. Es fehlte ihnen an nichts. Die Galeeren brachten alle Waren aus Venedig, und die hungernden Bürger der Stadt waren froh, wenn sie ihre Frauen und Töchter an einen Offizier verkaufen konnten. Ein Krieg wie er für das barocke Zeitalter üblich war und Venedig unterstützte ihn. Es herrschte Kreuzfahrerstimmung.
600 kreuzzugsbegeisterte Adlige, jeder mit Gefolge, aus Frankreich (genannt die „sechshundert Narren“) trafen in Candia ein. Das waren die falschen Krieger zur falschen Zeit am falschen Ort. Diese Möchtegernkreuzritter wollten die Türken alleine besiegen. Der Angriff wurde zu einem Fiasko. Im Labyrinth der gegnerischen Gräben verliefen sich die meisten und wurden von den Türken erschlagen, erschossen oder gefangen und verkauft. Nur die Hälfte von ihnen kam wieder zurück, das Gefolge wurde vollständig aufgerieben. Die Kreuzfahrer fuhren daraufhin wieder völlig frustriert zurück nach Frankreich. In Candia brauchte man stahlharte Männer, die trotz jegliche Entbehrung zäh jeden Festungsrest und Steinehaufen verteidigte.
Venedig besserte sich die Kriegskasse mit Spielhöllen und Freudenhäusern auf, und solange der Nachschub zur See aufrecht erhalten wurde, ging der Kampf um die rauchenden Trümmer weiter und Verluste schienen keine Rolle zu spielen. Der Ingenieur Georg Rimpler klagte später in seinem Buch: „Wie schwer es doch die Generalität lerne, mit ihrem kostbarsten Material, nämlich dem Soldatenblut umzugehen. Es ist unverantwortlich, daß man das unschuldige und redliche Volk so auf die Schlachtbank führt. Die Infanterie als die Seele und das Leben der Festung so vorsätzlich in den Tod zu schicken, ist ein großes Versehen.“
[Bearbeiten] Ende der Belagerung
Im August 1669 ging es zu Ende. Die Türken hatten ihre Flotte wieder aufgebaut und störten damit die Versorgung von Candia. Zuerst zogen die Franzosen ab, wenig später folgten ihnen die Malteser. Bald kam es zu einer Meuterei unter den Mineuren und Söldnern in den Gräben und Wällen. Sie drohten ihre Offiziere zu erschlagen, wenn nicht sofort kapituliert würde. Am 25. August (julianischer Kalender)/4. September 1669 (gregorianischer Kalender) wurde der Waffenstillstand mit den Türken geschlossen. Es durfte alles an Menschen und Material mitgenommen werden. Am Rückweg der Christen kam es zu einer Pestepidemie, einige Schiffe sanken und Piratenangriffe kosteten noch viele weitere Tote.
In den letzten drei Jahren der Belagerung gab es über 60 Sturmangriffe, 90 Ausfälle, 5000 Minensprengungen und 45 größere unterirdische Gefechte; 30.000 Christen und 120.000 Türken waren gefallen.
Die Festung auf der Insel Gramvoussa im Nordwesten konnte sich noch bis 1692 halten, die Festungen der Insel Spinalonga in der Mirabello-Bucht im Osten Kretas und Sitia in der Souda-Bucht im Westen sogar noch bis zu ihrer Kapitulation im Jahre 1715. [5]
[Bearbeiten] Ausgang
Venedig verlor Kreta, viele ägäische Inseln und Stützpunkte in Dalmatien an die Türken. Die alte Handelsrepublik hatte damit die Vormachtstellung im Mittelmeer verloren.
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ a b Griechische Geschichte von Chania auf Kreta
- ↑ Aus der Lebensgeschichte von Georg Rimpler S171
- ↑ Das Kreuz und der Halbmond. Die Geschichte der Türkenkriege von Klaus-Peter Matschke S368.
- ↑ Aus der Lebensgeschichte von Georg Rimpler S170
- ↑ Historische Informationen über Kreta und Touristeninformationen über Inseln von Kreta
[Bearbeiten] Bilder über die Belagerungswerke von heute
Kategorien: Türkenkriege (Schlacht) | Geschichte Venedigs | 1645 | 1648 | 1666 | 1669 | Rekord