Sprachwissenschaft
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Sprachwissenschaft ist ein Sammelbegriff für alle Wissenschaften, die in irgendeiner Form Sprache untersuchen. Sie wird von manchen als ein Teilgebiet der Semiotik (der Lehre von den Zeichen) angesehen.
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[Bearbeiten] Teildisziplinen
Die Einteilung der Sprachwissenschaft in eindeutige Teildisziplinen ist nicht unumstritten. Da in der konkreten linguistischen Forschung jeder Einzelbereich eine wesentliche Rolle spielen kann, empfinden viele Forschende bereits die Abgrenzung der großen Blöcke Vergleichende Sprachwissenschaft, Allgemeine Sprachwissenschaft (Theoretische Sprachwissenschaft) und Angewandte Sprachwissenschaft als künstlich.
Ein Teil der Allgemeinen Sprachwissenschaft wird mitunter als Theoretische Sprachwissenschaft bezeichnet, da sie dann gemeinsam mit der Angewandten Sprachwissenschaft die Allgemeine Linguistik oder nur Linguistik bildet. In diesem Fall ist die (Allgemeine) Linguistik ein Teilgebiet der Sprachwissenschaft, entgegen dem prinzipiell synonymen Verhältnis von Linguistik und Sprachwissenschaft.
Besonders das Problem der Grenzfälle zwischen Allgemeiner/Theoretischer und Angewandter Sprachwissenschaft wird - ausgehend von einer Diskussion im englischsprachigen Wissenschaftsraum - als applied linguistics vs. linguistics applied bezeichnet.
Prinzipiell sind paradigmatische Unterschiede zu beachten; wie z.B. präskriptive vs. deskriptive Arbeit, diachrone oder synchrone Sichtweise sowie naturwissenschaftlicher oder sozialwissenschaftlicher Zugang.
Nicht als Teilbereich der Linguistik wird die Philologie gewertet, welche die Untersuchung einzelner Sprachen sowohl aus sprach- wie auch literatur- und kulturwissenschaftlicher Sicht ist. Vielmehr gilt sie wissenschaftsgeschichtlich als eigene Diszplin, was sich entsprechenderweise in vielen Universitätsstrukturen niederschlägt, auch wenn enge Verbindungen zwischen Philologien und Linguistik bestehen.
[Bearbeiten] Vergleichende Sprachwissenschaft
Zur Vergleichenden Sprachwissenschaft gehören:
- Sprachtypologie, die synchron-vergleichende Untersuchung von Sprachen mit dem Ziel, Sprachtypen zu erarbeiten
- Arealtypologie, die synchron-vergleichende Untersuchung von Sprachen eines geographischen Raumes mit dem Ziel, Sprachbünde zu erarbeiten
- Historische Linguistik, die diachron-vergleichende Untersuchung von Sprachen mit dem Ziel, Sprachfamilien herauszuarbeiten
- Kontrastive Linguistik, die synchron-vergleichende Untersuchung von Sprachen mit dem Ziel, die spezifischen Unterschiede zwischen meist nur zwei Sprachen herauszuarbeiten
- Etymologie, Lehre über die Herkunft von Wörtern und ihren Bedeutungen
[Bearbeiten] Allgemeine Sprachwissenschaft
Die Allgemeine Sprachwissenschaft wird auch theoretische Linguistik genannt und widmet sich der Untersuchung von Sprache als abstraktes System, aber auch der Aufstellung von allgemeinen Theorien über Sprache, wobei Letzteres auch von jüngeren Teildiszplinen der Angewandten Sprachwissenschaft, etwa der Soziolinguistik oder Diskursanalyse, versucht wird. Folgende Bereiche gehören zur Allgemeinen Sprachwissenschaft:
- Phonetik, die Lehre über die Sprachlaute
- Phonologie, die Lehre über die Sprachlautsysteme der einzelnen Sprachen
- Morphologie, die Lehre der "Wortbausteine" und wandelbaren Wortformen
- Syntax, die Lehre von Form und Struktur von Sprache
- Lexikologie, die Lehre von den Strukturierungen im Wortschatz
- Semantik, die Lehre von Sinn und Bedeutung von Sprache
- Pragmatik, die Untersuchung der (situationsabhängigen) Handlungen via Sprache
- Grammatiktheorie (vgl. z.B. Generative Grammatik)
- Textlinguistik, die Untersuchung der Struktur, Funktion und Wirkung von Texten und ihren Bestandteilen
- Quantitative Linguistik, die Entwicklung von Sprachgesetzen auf der Grundlage statistischer Erhebungen mit dem Ziel, darauf aufbauend eine Sprachtheorie zu konzipieren
- Graphemik, die Untersuchung von Schrift als Sprachsystem
[Bearbeiten] Angewandte Sprachwissenschaft
Die Angewandte Sprachwissenschaft ist keineswegs als homogener Teilbereich zu verstehen, vielmehr subsummiert er die Teildisziplinen, die sich nicht nur mit Sprache als abstraktes System befassen, sondern auch Sprache in Zusammenhang mit ihrer "realen" Umwelt sehen, sei es jetzt in der Psycholinguistik oder Soziolinguistik. Diesem Verständnis von "angewandt", also applied linguistics, steht die Idee der linguistics applied gegenüber, wie z.B. bei der "Computerlinguistik" (wo Erkenntnisse der allgemeinen Linguistik in der Informatik eingesetzt werden können), der "Klinischen Linguistik" (Forschungsergebnisse beeinflussen Therapieformen), der "Sprachlehrforschung" (Entwicklung von Lehrmaterial) oder der "Schreibforschung und - didaktik".
Des Weiteren wird mitunter die Psycholinguistik oder die Computerlinguistik der allgemeinen Sprachwissenschaft zugerechnet, weil sie sich der Deskription von Sprache als Teil des Individuums widmet, im Gegensatz zu jenen Disziplinen, die einen Bezug zur Gesellschaft herstellen und dadurch die Verwendung von Sprache erforschen.
Da die Soziolinguistik sowohl Sprache und Gesellschaft, als auch die Mehrsprachigkeit der Gesellschaft untersucht, kann sie auch als Überbegriff für jene Teildiszplinen verwendet werden, die normalerweise als gleichwertig etablierte Bereiche der Angewandten Sprachwissenschaft gelten, z.B. die Sprachlehrforschung oder die Diskursanalyse.
Vor allem aber entscheiden die Strukturen von Universitäten und Instituten darüber, wie die Diszplinen wahrgenommen werden.
Der Angewandten Sprachwissenschaft werden (zumeist) angerechnet:
- Psycholinguistik
- Kognitive Linguistik, die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Denken
- Patholinguistik, die Untersuchung von Problemen bei Sprachperzeption, -verarbeitung und -produktion
- Neurolinguistik, die Untersuchung der Verarbeitung von Sprache im Gehirn
- Klinische Linguistik
- Spracherwerbsforschung, die Untersuchung von Erst- und/oder Zweitspracherwerb
- Computerlinguistik
- Soziolinguistik beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Sprache und Gesellschaft, als auch mit der Mehrsprachigkeit von Gesellschaft
- Varietätenlinguistik
- Standardologie
- Sprachlehr- und -lernforschung, Untersuchung von Sprachunterricht und Lernverhalten von Sprachenlernenden
- Sprach- und Sprachenpolitik, Untersuchung von politischen Rahmenbedingungen für Sprachstandardisierung oder Mehrsprachigkeit
- Spracheinstellungsforschung, Untersuchung von Einstellungen (Meinungen) zu Sprachen und/oder Dialekten
- Interlinguistik, die Untersuchung der internationalen Kommunikation und der Plansprachen
- Medienlinguistik, in erster Linie zur Untersuchung von Mehrsprachigkeit in den Medien, aber auch zur Erfassung medialer Diskurse
- linguistische Gesprächsanalyse, Untersuchung authentischer Kommunikation mittels linguistischer Transkriptionsmethoden
- linguistische Diskursanalyse
- kritische Diskursanalyse
- feministische Linguistik
- Genderlinguistik
- Forschung zur linguistischen Relativität: Zusammenhang von Sprache und Weltbild
- Korpuslinguistik
- Ethnolinguistik
- Forensische Linguistik
[Bearbeiten] Uneindeutige Zuordnungen
Des Weiteren gibt es Fachbereiche, deren Bezeichnungen je nach Universität, Teildiszplin oder paradigmatischer Ausrichtung unterschiedliches Verständnis hervorruft und die nur bedingt zugeordnet werden können:
- Sprachstatistik,
- als Statistik der Sprachen Teil der Sozio-, Varietäten- oder Interlinguistik
- als Erhebung statistischer Daten zu beliebigen sprachlichen Aspekten, meist im Bereich der allgemeinen Sprachwissenschaft, der Sprachtypologie und der historischen Linguistik
- Dialektologie
- deskriptive Untersuchungen von Dialekten in der allgemeinen wie auch vergleichenden Sprachwissenschaft
- Verwendung von Dialekten, also aus soziolinguistischer Perspektive
- Verhältnis von Sprache und Dialekt, also in der Varietätenlinguistik
- Ökolinguistik, mäßig etablierter Zweig soziolinguistischer Grundlage, der sich im Wesentlichen mit der Ökologie von Sprache und der Sprache von Ökologie widmet
- Paläolinguistik, die Untersuchung der Entstehung menschlicher Sprache, Überschneidungen mit Psycholgie und Anthropologie
- Kontaktlinguistik als Schnittstelle allgemeiner, angewandter und vergleichender Sprachwissenschaft
- Schreibforschung und Schreibdidaktik, an der Schnittstelle Textlinguistik - soziolinguistische Institutionenforschung - Sprachlehrforschung
[Bearbeiten] Verwandte Wissenschaften
- Bildwissenschaft
- Kommunikationswissenschaft
- Medienwissenschaft
- Semiotik
- Sprachphilosophie
- Sprachsoziologie
- Textwissenschaft
- Typographie
[Bearbeiten] Bekannte Sprachwissenschaftler (Auswahl)
- Ivar Aasen begründete die neunorwegische Schriftsprache Landsmål (heute Nynorsk)
- Karl Brugmann Mitbegründer der Indogermanistik
- Franz Bopp Mitbegründer der Indogermanistik
- Karl Bühler
- Noam Chomsky begründete die Generative Grammatik
- Joseph Greenberg (führte umfangreiche Untersuchungen zu Universalien von Sprache aus, begründete die heutige Grobklassifikation der afrikanischen Sprachen und entwickelte die Makro-Sprachfamilien Amerind und Eurasiatisch)
- Jacob Grimm und Wilhelm Grimm sind die Begründer der Deutschen Philologie
- Wilhelm von Humboldt begründete die Vergleichende Sprachwissenschaft
- George Lakoff ist ein wichtiger Vertreter der Kognitiven Linguistik
- Roman Jakobson
- Bertil Malmberg
- Antoine Meillet beschäftigte sich mit den indogermanischen Sprachen
- Hermann Osthoff Mitbegründer der Indogermanistik
- Hermann Paul war ein wichtiger Sprachtheoretiker
- Luise F. Pusch bekannte Vertreterin der Feministischen Linguistik
- Ferdinand de Saussure gilt als Begründer der modernen Linguistik und prägte den zweiseitigen Zeichenbegriff
- August Schleicher gilt als Begründer der Stammbaumtheorie in der vergleichenden Sprachforschung
- Johannes Schmidt gilt als Begründer der Wellentheorie
[Bearbeiten] Fachliteratur
- Haig A. Bosmajian: The language of oppression, University Press of America, ISBN 0-8191-3186-5
- Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. Aufl. Kröner, Stuttgart 2002, ISBN 3-520-45203-0
- David Crystal: Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache, Frankfurt/ New York 1993, ISBN 3-593-34824-1
- Csaba Földes: Interkulturelle Linguistik. Vorüberlegungen zu Konzepten, Problemen und Desiderata. Veszprém: Universitätsverlag/Wien: Ed. Praesens 2003 (Studia Germanica Universitatis Vesprimiensis, Supplement; 1). ISBN 3-7069-0230-3 und ISBN 963-9495-20-4; siehe: http://www.vein.hu/german/Suppl.Volltext.pdf
- Manfred Geier: Orientierung Linguistik. Was sie kann, was sie will. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1998. ISBN 3-499-55602-2
- William O'Grady et al.: Contemporary Linguistics. An Introduction. Addison-Wesley Longman. Amsterdam.
- Ludger Hoffmann: Sprachwissenschaft: Ein Reader. de Gruyter, 2000. ISBN 3-11-016896-0
- Tore Janson: Eine kurze Geschichte der Sprachen. Elsevier Spektrum Akademischer Verlag. 2006. ISBN 3-8274-1778-3.
- Peter Koch: Wozu Linguistik? In: Florian Keisinger u. a. (Hrsg.): Wozu Geisteswissenschaften? Kontroverse Argumente für eine überfällige Debatte, Frankfurt a. M./New York 2003
- Angelika Linke / Markus Nussbaumer / Paul R. Portmann: Studienbuch Linguistik. 5. Aufl. Niemeyer, Tübingen 2004. ISBN 3-484-31121-5.
- Jürgen Schiewe: Die Macht der Sprache - eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart, München 1998, ISBN 3-406-42695-6
- Peter Schmitter (Hrsg.): Geschichte der Sprachtheorie. Narr, Tübingen 1987 ff. (bisher 6 Bände erschienen)
- George Yule: The study of language. Cambridge University Press, 1996. ISBN 0-521-56851-X
[Bearbeiten] Sachbücher über Sprache oder Sprachwissenschaft
Einer Publikation von sprachwissenschaftlichen Überlegungen und Erkenntnissen für ein breites Publikum haben sich in Deutschland unter anderem die Linguisten Christoph Gutknecht[1] und Joachim Grzega[2] sowie der Publizist Dieter E. Zimmer[3] verschrieben; der Journalist Bastian Sick[4] hat sich in den vergangenen Jahren als Sprachkritiker und Sprachpfleger in ganz Deutschland bekannt gemacht.
[Bearbeiten] Siehe auch
Wiktionary: Sprachwissenschaft – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen |
Portal:Sprache, Kommunikationswissenschaft, Relator, Sprachphilosophie
[Bearbeiten] Weblinks
- Fritz Mauthner – Zur Sprachwissenschaft Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. 2, 1912
- Es werde Wort – und zwar schnell! Ein Bericht über die „rasante Entwicklung von Sprache"
- Mathe ist sprachlos – Zum Erfassen mathematischer Prinzipien ist Sprache nicht notwendig. Bericht in www.wissenschaft.de über eine Publikation im PNAS
- Bibliographie Linguistique Online
- Forum on Linguistics
- AppliedLinguistics.Org
- The Linguist
[Bearbeiten] Anmerkungen
- ↑ Vgl. z.B. Christoph Gutknecht, Lauter böhmische Dörfer, 5. Aufl., München: Beck 2000.
- ↑ Vgl. z.B. Joachim Grzega, EuroLinguistischer Parcours: Kernwissen zur europäischen Sprachkultur, Frankfurt: IKO 2006, ISBN 3-88939-796-4, oder Sprachwissenschaft ohne Fachchinesisch: 7 aktuelle Studien für alle Sprachinteressierten, Aachen: Shaker 2005.
- ↑ Vgl. z.B. Dieter E. Zimmer, Sprache in Zeiten ihrer Unverbesserlichkeit, Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag, 2005, ISBN 3-455-09495-3
- ↑ Vgl. z.B. Bastian Sick, Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache, Köln: Kiepenheuer und Witsch 2004.