Ghetto Litzmannstadt
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Das Ghetto Litzmannstadt (auch Ghetto Lodsch) in Łódź, nach dem General Karl Litzmann benannt, war eines der größten Judenghettos des gesamten "Dritten Reiches" (neben denen in Warschau und Krakau). Es diente, wie die anderen Ghettos auch, als Zwischenstation jüdischer Bürger vor der Deportation in die Vernichtungslager wie Auschwitz, Majdanek, Treblinka und Sobibor.
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[Bearbeiten] Anfänge
Im Februar 1940, 5 Monate nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurden durch den deutschen Polizeipräsidenten von Lodsch die im Norden der Stadt gelegenen Viertel Stare Miasto (Altstadt), Baluty und Marysin, alle drei besonders heruntergekommene Stadtteile, in denen neunzig Prozent der Häuser über keinen Wasseranschluss verfügten, per Dekret zum Ghetto erklärt. Alle nichtjüdischen Bewohner hatten den Bereich bis zum 30. April des Jahres zu verlassen, und gleichzeitig wurden zu den bereits ansässigen 60000 Juden weitere 100000 Lodscher Juden per Zwang einquartiert. Das neue Judenghetto wurde sogleich mit Stacheldraht und Mauerwerk umgeben, wozu teilweise auch ganze Straßenzüge abgerissen wurden. Von nun an war es den Juden bei Todesstrafe verboten, ohne Erlaubnis das Ghetto zu verlassen. Für die Kontrolle der Einhaltung dieses Verbotes sorgten an der Ghettogrenze in Wachtürmen postierte bewaffnete SS-Wacheinheiten.
Von Anfang an waren die Lebensbedingungen innerhalb der Ghettomauern extrem: Fast nie gab es auch nur annähernd ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln, Epidemien griffen um sich, die Menschen starben teilweise auf offener Straße, doch trotzdem wurden immer mehr Juden, vor allem westeuropäische, nach Lodsch deportiert. Leiter des Ghettos war seit Mai 1940 Hans Biebow.
[Bearbeiten] Ausbeutung
Für die Nationalsozialisten stellte die enorme Masse an "Menschenmaterial" ein großes Arbeitspotential dar: Zwangsarbeiter aus Litzmannstadt waren für die Auftraggeber billig, ja beinahe kostenlos, denn den 5 Reichsmark, die jeder der 70000 Zwangsarbeiter an Gewinn einbrachte, standen nur 30 Reichspfennig an Arbeitskosten gegenüber. Vor allem Soldatenuniformen, Stiefel, Waffenteile und Munition wurden in Lodsch gefertigt. Durch ihre "kriegswichtige" Tätigkeit hofften viele Juden, der Deportation entrinnen zu können.
[Bearbeiten] Selbstverwaltung
Die deutschen Besatzer delegierten fast die gesamte das Ghetto Litzmannstadt betreffende Organisationsarbeit an ihre eigenen Opfer weiter - von der Zusammenstellung der Transportlisten für die nächsten Deportationen in die Vernichtungslager bis hin zur Errichtung von Schulen, der Verteilung der (dürftigen und minderwertigen) Nahrungsmittelrationen an die Bürger. Zu diesem Zweck wurde - wie in anderen Ghettos auch - ein Judenrat eingerichtet, der mit den oben genannten Aufgaben betreut wurde. Chaim Rumkowski war als "Judenältester" von Litzmannstadt gleichzeitig dessen Leiter.
[Bearbeiten] Deportationslisten
Eine der grausamsten Aufgaben des Judenrates war die Zusammenstellung der Listen für die kommenden Transporte, denn diese betraf unmittelbar die Ermordung der eigenen Glaubensgenossen. Zwar gaukelten die Nationalsozialisten den Juden immer noch vor, ihre Glaubensbrüder würde man im Osten zu Arbeitseinsätzen benötigen, doch keiner der Mitglieder des Judenrates glaubte diesen Lügen. Um das Aufkommen von Unruhen zu vermeiden, behaupteten die Mitglieder dieses Rates sowie die Angehörigen der jüdischen "Sicherheitspolizei", welche von dem Ratsmitglied Leon Rozenblatt geleitet wurde, nach wie vor, man würde die Abtransportierten zum Arbeitseinsatz im Osten gebrauchen. Dem Judenrat wurden von den Besatzern bestimmte, meist wöchentliche, Quoten auferlegt, die es strikt einzuhalten galt. Bei Nichterfüllung der Quoten wurde das ohnehin schon überhaupt nicht ausreichende Essen für die Ghettobewohner noch mehr gekürzt oder andere Strafmaßnahmen verhängt. In Hochzeiten betrug die Quote der auszuliefernden Juden wöchentlich 20000 Mann.
[Bearbeiten] Schulen
Um wenigstens ein Minimum an Bildung zu gewährleisten, wurden vom Judenrat - auch wenn dies von den Besatzern nicht verlangt worden war - Ghettoschulen eingerichtet, um die Kinder - die ja alle aus völlig verschiedenen Ländern stammten und völlig unterschiedliche Sprachen sprachen - zu unterrichten. Erst, als das Ghetto sich langsam leerte, wurde der Schulbetrieb eingestellt.
[Bearbeiten] Das Ende des Ghettos von Litzmannstadt
1944 wurde den Besatzern nach und nach klar, dass die Arbeit im Ghetto für das Reich „unwirtschaftlich“ war. Deswegen und unter dem Eindruck der vorrückenden Sowjetarmee sowie der Gewissheit, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei, begann man mit der schrittweisen Auflösung des Ghettos Lodsch. Ursprünglich hatte Himmler nämlich geplant, das Ghetto nach und nach in ein Konzentrationslager umzuwandeln. Stattdessen wurden die Quoten für den Judenrat nun nach und nach erhöht, angeblich für Aufräumarbeiten im Reich. In Wirklichkeit wurden sie alle in Auschwitz vergast.
Am 28. August 1944 wurde Chaim Rumkowski mit seiner Familie in Auschwitz ermordet. Die Liquidation des Ghettos Lodsch ging schnell voran, so dass am 19. Januar 1945 nur noch 600 Mitglieder eines Aufräumkommandos und 270 Menschen, die sich vor den Deportationen hatten verstecken können, von der einmarschierenden sowjetischen Armee befreit wurden.
[Bearbeiten] Literatur
- Andrea Löw: Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten. Wallstein Verlag, Göttingen. 2006. 584 S. ISBN 978-3-8353-0050-7. Rezension von von Klaus A. Lankheit in Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 23, Seite 8 vom 27. Januar 2007. (Das Buch geht insbesondere auf die Schwierigkeiten der jüd. Verwaltungseinrichtungen ein.)
- Lucjan Dobroszycki (Hrsg.): The chronicle of the Łódź ghetto, New Haven 1984; ISBN 0-300-03208-0
- Die letzten Tage des Gettos von Łódź. Aus: Analyse & kritik Nr. 493 vom 18. März 2005
- Guido Knopp: Holokaust. C. Bertelsmann 2000, ISBN 3-570-00351-5
- Jurek Becker: Jakob der Lügner Suhrkamp Taschenbuch 774
[Bearbeiten] Ausstellung
- "Give me Your Children". Die Kinder im Ghetto von Lodz. Dokumente und Spuren New York, YIVO Institute for Jewish Research [1] bis 3. Sept. 2007
[Bearbeiten] Weblinks
Commons: Łódź Ghetto – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |
- Das deutsche "Ghetto Litzmannstadt" im polnischen Lódz - Artikel bei Shoa.de
- Chronologie zur Geschichte des Gettos Łódź/Litzmannstadt
- doew.at - Deportationen in das Ghetto Łódź/Litzmannstadt im Oktober/November 1941
- Ghetto Łódź (englisch)
- [2] Sonderausstellung im Haus der Wannseekonferenz Berlin, viele Dokumente, Fotos