Toggenburgerkrieg
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Toggenburgerkrieg / Zweiter Villmergerkrieg | |||||||||||||||||
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Beginn | 12. April 1712 | ||||||||||||||||
Ende | 17. August 1712 | ||||||||||||||||
Ergebnis | Sieg der reformierten Kantone Bern und Zürich; Ende der katholischen Hegemonie | ||||||||||||||||
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Der Toggenburgerkrieg, Zweiter Villmergerkrieg oder «Zwölferkrieg» zwischen den katholischen «Inneren Orten» der Eidgenossenschaft und dem Fürstabt von St. Gallen auf der einen bzw. den reformierten Kantonen Bern und Zürich und den äbtischen Untertanen im Toggenburg auf der anderen Seite, dauerte vom 12. April bis 17. August 1712.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Vorgeschichte
Ausgelöst wurde der Krieg durch einen Konflikt zwischen dem Fürstabt von St. Gallen, Leodegar Bürgisser, und seinen reformierten Untertanen in der Grafschaft Toggenburg, die seit 1469 zur Fürstabtei gehörte. Seit der Reformation war nur noch ein kleinerer Teil der Toggenburger katholisch. Nach dem Übergang der Landeshoheit an die Fürstabtei war den reformierten Bewohnern des Toggenburgs von ihren eidgenössischen Verbündeten Zürich und Bern und auch vom Fürstabt die Respektierung des Prinzips der Parität, der Gleichberechtigung beider Konfessionen, versprochen worden. Trotzdem unternahmen die Fürstäbte im Rahmen der Gegenreformation Versuche, das Toggenburg wieder dem katholischen Glauben zuzuführen. In allen Gemeinden, auch in den fast ganz reformierten, wurde die Stellung der Katholiken gestärkt und in einigen Orten neue katholische Kirchen gebaut, damit die gemeinsame Nutzung der bisherigen Pfarrkirchen nicht mehr nötig wurde.
Immer wieder kam es auch zu Konflikten wegen Übergriffen der äbtischen Behörden auf reformierte Geistliche. 1663 versuchte etwa der fürstäbtische Landvogt des Toggenburgs in Lichtensteig, Wolfgang Friedrich Schorno, den dortigen reformierten Pfarrer Jeremias Braun wegen einer angeblichen Gotteslästerung während einer reformierten Predigt zum Tode zu verurteilen. Nur dank einer Intervention des reformierten Halbkantons Appenzell Ausserrhoden konnte Braun gerettet werden – er musste jedoch eine Verbannung akzeptieren. Vier Jahre später erreichten die Toggenburger die Absetzung Schornos durch Abt Gallus Alt (1654–1687).
Im Rahmen der Gegenreformation verbündeten sich 1695 die sieben katholischen Kantone der Eidgenossenschaft und der Fürstabt von St. Gallen zur Rettung des Katholizismus vor der «unkatholischen Religion». Um die Verbindungen zwischen der Fürstabtei und der katholischen Innerschweiz zu stärken, schlug der Kanton Schwyz dem Fürstabt Leodegar Bürgisser (1696–1717) vor, eine neue Strasse über den Rickenpass zwischen Uznach und Wattwil anzulegen. So sollte im Kriegsfall eine schnelle Verlegung katholischer Truppen ins Toggenburg und ins Fürstenland ermöglicht werden.
Nach der Beilegung des Kreuzkrieges mit der ebenfalls reformierten Stadt St. Gallen 1697 befahl Fürstabt Bürgisser der Gemeinde Wattwil, die Anlage der Strasse über den Rickenpass auf toggenburgischer Seite. Aus der Weigerung der Wattwiler am Bau dieser Strasse mitzuwirken, die sie als Bedrohung für ihre Glaubensfreiheit wie auch als finanzielle Unterdrückung wahrnahmen, ergab sich ein ernsthafter Konflikt mit dem Fürstabt, aber auch zwischen den reformierten und den katholischen Kantonen der Eidgenossenschaft. Der Konflikt drohte gar eine europäische Dimension anzunehmen, da Fürstabt Bürgisser 1702 mit dem römisch-deutschen Kaiser Leopold I. von Habsburg einen Defensionalvertrag abgeschlossen hatte.
[Bearbeiten] Eskalation und Kriegsverlauf
Die Einwohner Wattwils und des übrigen Toggenburgs begründeten am 23. März 1707 in Wattwil eine Landsgemeinde des Toggenburg. Diese Landsgemeinde verabschiedete einen Verfassungsentwurf, der unter der Wahrung der Hoheitsrechte der Fürstabtei St. Gallen eine autonome Landesverwaltung einsetzte. Unterstützt wurden sie dabei von den reformierten Kantonen Bern und Zürich. Der Streit spitzte sich in der Folge derart zu, dass die Toggenburger 1710 die fürstäbtischen Schlösser Lütisburg, Iberg und Schwarzenbach besetzten. Am 12. April 1712 veröffentlichten sie ein Manifest gegen den Fürstabt und plünderten die Klöster Magdenau und Neu St. Johann. Die mit den Toggenburgern verbündeten Berner und Zürcher rückten daraufhin mit Truppen gegen die fürstäbtische Stadt Wil SG im Fürstenland vor und gegen Mellingen AG im Freiamt. Beide Städte wurden am 22. Mai erobert. Die Truppen der katholischen Innerschweizer Kantone wurden in der «Staudenschlacht» bei Fischbach-Göslikon durch die Berner besiegt. Danach musste am 1. Juli auch die Stadt Baden kapitulieren.
Die Eskalation des Krieges war von Zürich und Bern vorangetrieben worden, um eine Einmischung der europäischen Grossmächte zu verhindern, die noch im Spanischen Erbfolgekrieg gebunden waren. Der Vorfriede, der zwischen den reformierten und den katholischen Kantonen am 18. Juli geschlossen wurde, fand bei den Landsgemeinden der Kantone Schwyz, Unterwalden und Zug keinen Anklang, weshalb es am 25. Juli 1712 vor Villmergen zu der blutigsten Schlacht dieses Krieges kam, bei der das katholische Heer unter Conrad von Sonnenberg von den reformierten Truppen dank deren überlegenen Artillerie vernichtend geschlagen wurde. Es waren ca. 3000 Tote auf beiden Seiten zu beklagen.
[Bearbeiten] Die Friedensschlüsse in Aarau und Baden
Im Friede von Aarau, dem Vierten Landfrieden in der Geschichte der Eidgenossenschaft, sicherten sich die reformierten Kantone die Vorherrschaft in den Gemeinen Herrschaften. Damit wurde die seit 1531 bestehende Hegemonie der katholischen Kantone in den Gemeinen Herrschaften beendet. Sie wurden aus der Grafschaft Baden und den unteren Freien Ämtern und Rapperswil SG ausgeschlossen. Bern wurde in die Mitregierung der oberen Freien Ämter sowie des Thurgaus, des Rheintals und der Grafschaft Sargans aufgenommen. Die konfessionelle Parität in den Gemeinen Herrschaften wurde erneut bekräftigt.
Der Fürstabt von St. Gallen, Leodegar Bürgisser, floh mit seinem Konvent am 29. Mai ins Exil auf Schloss Neuravensburg, dem Verwaltungssitz einer St. Galler Herrschaft nördlich von Lindau. Zürich und Bern besetzten das Fürstenland und verwalteten es gemeinsam. Einen grossen Teil der in St. Gallen zurückgelassenen mobilen Klostergüter, darunter Teile des Archivs und der Bibliothek, führten sie nach Zürich und Bern weg. Wegen der in seinen Augen zu weitgehenden Beschneidung der Rechte der Fürstabtei und der Gefährdung der katholischen Religion im Toggenburg verwarf Abt Bürgisser den am 28. März 1714 mit Zürich und Bern ausgehandelten Friede von Rorschach. Erst nach dem Tod von Fürstabt Bürgisser wurde mit seinem Nachfolger Fürstabt Joseph von Rudolphi (1717–1740) am 16. Juni 1718 der Friede von Baden AG geschlossen. Die Fürstabtei St. Gallen wurde wiederhergestellt, einschliesslich der Herrschaft über das Toggenburg, wobei dessen Autonomie gesichert wurde.
Zürich und Bern ratifizierte den Frieden am 11. August 1718 - dass Papst Klemens XI. den Frieden wenig später in einem Breve verwarf, hatte keinen Einfluss mehr auf die Lösung des Konfliktes. Abt von Rudolphi kehrte am 7. September 1718 nach sechsjährigem Exil ins Kloster St. Gallen zurück. Am 23. März 1719 konnte er einen grossen Teil der zu Beginn des Krieges nach Zürich gebrachten Bibliothek in Empfang nehmen. Weitere Gegenstände aus der Beute der Berner trafen 1721 in St. Gallen ein. Der Konflikt zwischen der Fürstabtei und dem Toggenburg schwelte allerdings weiter bis zur Auflösung des Klosterstaates 1798, nachdem 1735 zwei äbtische Beamte ermordet worden waren und 1739 eine Konferenz in Frauenfeld zwischen den Parteien ebenfalls ergebnislos verlaufen war.
[Bearbeiten] Der Kulturgüterstreit zwischen den Kantonen Zürich und St. Gallen 1996–2006
Aus der Tatsache, dass der Kanton Zürich 1718 nicht alle in St. Gallen geraubten Gegenstände wie vertraglich zugesichert zurückerstattet hatte, ergab sich 1996 der sog. «Kulturgüterstreit» zwischen den Kantonen Zürich und St. Gallen. Bei den Kulturgütern in Zürich handelt es sich um rund 100 Handschriften, gedruckte Werke, Gemälde, astronomische Geräte sowie Erd- und Himmelsgloben. Zum Teil sind sie im Schweizerischen Landesmuseum ausgestellt. Der Kanton St. Gallen verlangte von Zürich die Rückgabe der Gegenstände, willigte jedoch 2002 in ein Vermittlungsverfahren durch den schweizerischen Bundesrat ein. Am 27. August 2004 wurde eine Verfahren zur Lösung des Konfliktes festgelegt.
Am 27. April 2006 legten die Vertreter der beiden Kantone unter Vermittlung des Bundesrates den Streit in Bern bei. Der Zürcher Rechtanspruch wurde bestätigt, St. Gallen wird aber Leihnehmerin der Akten. Der berühmte Globus von Jost Bürgi bleibt in Zürich, St. Gallen erhält aber eine auf Kosten von Zürich erstellte Kopie. Der erfolgreiche Abschluss wurde mit einer Neuzelebration der symbolischen Kappeler Milchsuppe offiziell in Bern unter Anwesenheit von Bundesrat Pascal Couchepin gefeiert.
Siehe auch: Villmergerkriege, Geschichte der Schweiz, Liste von Schweizer Schlachten