Katholizismus
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Der Begriff Katholizismus bezeichnet die Gesamtheit römisch-katholischer Glaubens- und Lebensanschauungen, Organisationsformen und Bräuche. Er wird in unterschiedlichen Zusammenhängen unterschiedlich verwendet. Innerhalb der Theologie wird er dann gebraucht, wenn die universale Natur der Kirche, oder eine besondere Betonung kirchlicher Tradition und Liturgie hervorgehoben werden soll. Soziologisch bezeichnet er jedoch weniger die offizielle Lehre, Liturgie und Hierarchie als vielmehr das tatsächliche Denken, Empfinden und Handeln katholischer Bevölkerungsteile besonders dort, wo sie die Mehrheit bilden und milieuprägend wirken. Dieser Artikel behandelt den Begriff in seinem soziologischen Sinn; für die theologischen Bedeutungen, siehe Katholizität.
In Europa prägt der Katholizismus die Zivilisation vor allem in Ländern, in denen die Reformation nicht stattfand. Dazu gehören Italien, Spanien, Portugal und Frankreich; aber auch Irland, Polen und Kroatien, wo die nationale Identität dem Katholizismus besonders nahe steht, da in diesen Ländern sich jeweils eine nationale Opposition auf den überlieferten Katholizismus stützte (gegen Großbritannien, gegen Russland, gegen die Osmanen bzw. Serben).
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[Bearbeiten] Überblick
[Bearbeiten] Verhältnis der Römischen Kirche zur Politik und zivilen Gesellschaft
Papst Pius IX. setzte 1870 die Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit in Lehrfragen durch. Diese Geburtsurkunde des römischen Anspruchs in moderner Zeit bewirkte, außerhalb des eigentlich theologischen Problems, eine eindeutige Zuordnung des Papsttums zum „geistlichen Bereich“, also eine Abkehr von päpstlich-kirchenstaatlicher Politik (wesentliche Ursache der „Intransigenz“ der Päpste Leo XII. bis Gregor XVI.). Der so begründete päpstliche Internationalismus brachte Papst Leo XIII., dem Begründer der katholischen Soziallehre († 1903), großes Ansehen ein. In der Konfrontation mit dem optimistischen Humanismus der Moderne kämpfte Papst Pius X. (1903-1914) um eine größere religiöse Wirksamkeit der Kirche in der Gesellschaft. Im Ersten Weltkrieg gelang es Papst Benedikt XV., den Katholizismus als überparteilich und supranational zu festigen. Seither hat die katholische Kirche die wesentlichen Forderungen der internationalen Friedensbewegung (Schiedsgerichtsbarkeit, Abrüstung) in ihr Programm integriert.
Der Sturz der meisten europäischen Monarchien 1918 und die Befreiung der nichtkatholischen Staatskirchen von politischer Bevormundung eröffnete auch neue Möglichkeiten des interkonfessionellen Dialogs, der aber erst nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges breite Akzeptanz auf katholischer Seite fand.
Die programmatische Selbstkorrektur durch das letzte Konzil, vorbereitet durch die Päpste Pius XI. und Pius XII., durchgeführt durch die Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI., hat aber gerade in den typisch katholischen Milieus interne Krisen heraufbeschworen. In jedem der katholisch geprägten Länder ist die Situation der Kirche noch nicht frei von Belastungen aus den politischen Konflikten. In Spanien fand die Kirche erst allmählich eine Distanz zum Franco-Regime. In Italien besteht auch heute noch Dissens, ob die civiltà cattolica eine eher christlich demokratische oder eine eher autoritätsbezogene politische Haltung begünstigt. Besonders gravierend ist die Situation in Frankreich, wo der traditionelle Katholizismus in Opposition zur Republik stand, so dass es (vor allem vor 1914 und nach 1945) auch zu Übertreibungen in der Gegenrichtung kam. Jüngere kirchliche Bewegungen in diesen Ländern werden seitens liberaler Theologie oft mit politischen Kategorien bewertet, ohne dass dies dem spirituellen Anliegen des Renouveau catholique entspräche.
Der Schwerpunkt des weltweiten Katholizismus hat sich in den letzten Jahrzehnten jedoch nach Lateinamerika, Afrika und (allmählich auch) Asien verlagert. Afrika südlich der Sahara wendet sich verstärkt dem Christentum zu. Die katholische Kirche in Lateinamerika steht aber, wegen ihrer langen Bindung an die europäisch-katholische Tradition, vor besonders gravierenden Herausforderungen. Hier wurde seit den 1960er Jahren der Versuch einer "Befreiungstheologie“ unternommen, die aus römischer Sicht jedoch als Rückfall in Konzepte, die eine politische Theologie begünstigen, jetzt aber unter marxistischer Perspektive, bekämpft wurde.
Im anglo-amerikanischen Kulturraum hat die katholische Kirche seit dem 19. Jahrhundert nach und nach an Akzeptanz gewinnen können, ist aber noch immer als Konfession der Minderheit zu werten.
Insgesamt steht der Katholizismus erst am Anfang der ihm vom II. Vatikanischen Konzil gestellten Aufgabe, gleichermaßen die religiöse Tradition fortzuführen, aber doch inmitten des jeweiligen kulturellen Umfeldes „auf der Höhe der Zeit“ mitzuwirken. Das Pontifikat des Papstes Johannes Paul II. markiert jedenfalls den bisherigen Höhepunkt der abendländischen Geschichte des Katholizismus. Dieser Papst hat den Selbstvollzug der Kirche als Weltkirche in einem universalen, sogar interreligiösen Horizont persönlich unternommen und zum Erfolg gebracht (Reisen, Lehrschreiben, Weltjugendtage, Heiligsprechungen). Unmittelbare Sonderrechte innerhalb der Staatsordnungen strebt der Katholizismus ausdrücklich nicht mehr an (schließlich vereinbarten Italien und der Vatikan 1984 den Verzicht auf die katholische Staatsreligion).
[Bearbeiten] Katholizismus in Deutschland
Die Situation des Katholizismus in Deutschland ist dadurch geprägt, dass er lange eine mindere Stellung gegenüber dem preußischen Protestantismus im Bismarck-Reich einnahm. In der Bundesrepublik 1949-1989 hatte das katholische Milieu bis in die 1970er Jahre einen großen gesellschaftspolitischen Einfluss (Ära Adenauer, Kardinal Frings, Kardinal Döpfner, Kardinal Höffner). Die von Papst Benedikt XVI. anlässlich des Weltjugendtages in Köln 2005 geforderte Hinwendung der Kirche in Deutschland dazu, „missionarisch“ zu werden, könnte eine neue, zum kulturellen Umfeld eher kontrastierende Tendenz begünstigen. Die starke ökumenische Orientierung der kath. Kirche in Deutschland wird jedoch vermutlich fortgesetzt. Diese ökumenische Ausrichtung wird von manchen kath. Theologen kritisiert, da die kath. Kirche durch die Hinwendung zum Protestantismus ihre eigene Identität aufzugeben scheine.
[Bearbeiten] Katholizismus in Österreich
In Folge des Josephinismus wies der österreichische Katholizismus während der Habsburger-Monarchie eine ausgeprägte Nähe zum Staat auf. Während des Austrofaschismus 1933-1938 galt Österreich für manche konservative Katholiken geradezu als "Musterstaat". Österreichische Bischöfe haben den Anschluss 1938 an das Großdeutsche Reich viel wohlwollender begrüßt als deutsche Bischöfe. Aus dieser historischen Situation heraus belastet, hat der Episkopat das II. Vatikanum zum Anlass genommen, sich weitgehend liberal zu profilieren. Eine große Nähe zur ÖVP (Österreichische Volkspartei) ist kaum zu leugnen. Katholiken in Österreich distanzieren sich mitunter noch deutlicher vom Papsttum als in Deutschland. Es sind aber auch vehemente Befürworter des Traditionalismus anzutreffen. Das generelle Problem, welche Nähe oder Distanz der katholischen Konfession zum Staat angemessen ist, tritt in Österreich also noch deutlicher hervor als in Deutschland.
[Bearbeiten] Wissenschaft
Der Begriff Katholizismus wird wissenschaftlich von der Konfessionskunde, der Phänomenologie und Soziologie benutzt, um die Praxis des katholischen Glaubens durch den einzelnen Gläubigen, aber auch die gesellschaftliche Relevanz des katholischen Glaubens zu beschreiben. Entsprechendes gilt das für das Wort Protestantismus, das dies bei den protestantischen Christen beschreibt.
Der Katholizismus gilt traditionell sowohl in Bezug auf die Ehemoral, als auch politisch als konservativ, aber auch volkstümlich (Volksfrömmigkeit). Eine große Rolle spielen weiterhin das Gemeinschaftsbewusstsein, das höher als die Individualität steht, sowie die religiös-kulturelle Tradition. Im römischen Katholizismus liegt die höchste kirchliche Autorität beim Papst. Innerhalb des Katholizismus bestehen auch diverse Strömungen, die häufig mit der Politik entlehnten Begriffen zusammengefasst werden (insb. Linkskatholizismus) bzw. als „Progressisten“ und „Traditionalisten“ bezeichnet werden.
Vor dem Hintergrund globaler gesellschaftlicher Veränderungen befindet sich der Katholizismus, jedenfalls sofern er selbst einen traditionellen Kulturkreis prägte, zwar in einem grundlegenden Umgestaltungsprozess. Unter der Jugend in Europa ist der überlieferte Katholizismus auch weiterhin ein Minderheitenphänomen. Die Auflösung der typisch katholischen Milieus bewirkt bei progressiven wie konservativen Kräften aber entgegengesetzte Reaktionen. Die Gegenwehr des Integralismus vermag nur eine sehr geringe Minderheit der Katholiken anzuziehen (z. B. Schisma der Lefebvre-Bewegung vom 30. Juni 1988; mit dieser Bewegungen sympathisieren höchstens 0,015 % der 1,1 Mrd. Katholiken), da die traditionelle Volksfrömmigkeit stark nachlässt. Die extremen Traditionalisten behaupten überdies, die „Konzilskirche“ habe die katholische Identität aufgegeben und sei insgesamt dem Modernismus verfallen.
Aus sozialwissenschaftlicher Sicht wirken die konfessionellen Milieus jedoch auch dann noch auf die persönlichen Verhaltensmuster, wenn die eigentlich kirchliche Bindung bereits nicht mehr bewusst empfunden wird.
[Bearbeiten] Anspruch des Papsttums
Über den Katholizismus kann nicht ohne Blick auf das theologische Selbstverständnis des Papsttums diskutiert werden. Die als „petrinisches Prinzip“ bezeichnete Funktion des Bischofs von Rom unterscheidet die größte christliche Kirche sichtbar von allen anderen Konfessionen. Als Nachfolger des Apostels Petrus gilt der Papst in der römisch-katholischen Kirche als oberster Herr der Gesamtkirche und Statthalter Christi auf Erden.
In kritischer Betrachtungsweise wird dem Papsttum oft vorgeworfen, dass es sich in die Politik einmische. Religion sei Privatsache. Aus Sicht der römischen Kirche reicht der Anspruch des Christentums jedoch über die politischen und gesellschaftlichen Sphären hinaus. Das petrinische Prinzip etabliert somit einen religiösen Internationalismus, einen weltweiten Anspruch. Das ist auch die ursprünglich Wortbedeutung von katholischer d. h. „allgemeiner“ Kirche.
Wird dieser geistliche Anspruch, die Religion der Politik und der Gesellschaft überzuordnen, ernsthaft verfolgt, so muss sich die religiöse Institution „Heiliger Stuhl“ mit dem jeweiligen Gegenüber im staatlichen Bereich auseinandersetzen. Jahrhundertelange Diplomatie gibt den päpstlichen Institutionen einen nicht zu unterschätzenden Erfahrungsschatz. Heute wird die Institution des Papsttums (nicht nur der Vatikanstaat) von fast allen Staaten der Welt völkerrechtlich anerkannt.
Während sich die Orthodoxie in ein orientalisches Staatskirchentum einfügte, traten die Bischöfe von Rom in einen vielhundertjährigen Konflikt mit den Staatsgewalten ein. Im Bereich der lateinischen Kirche trat der Anspruch des päpstlich formulierten Primat mit besonderer Deutlichkeit im 11. Jahrhundert in Erscheinung (Gregor VII., dictatus papae, 1075). Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 fast vom „diplomatischen Parkett“ verschwunden, schien das Papsttum vor 1789 den absoluten Monarchien unterlegen zu sein. In nachnapoleonischer Zeit gelang jedoch ein schrittweiser Wiederaufstieg.
[Bearbeiten] Literatur
- Henri de Lubac, Catholicisme. Les aspects sociaux du dogme, 1938.
- Jean Guitton, Le Catholicisme hier, aujourd'hui et demain, 1972.
- Émile Poulat, L'église c'est un monde, 1986.
- Joseph Ratzinger, Kirche, Ökumene und Politik, Einsiedeln 1987.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- http://www.vatican.va Internetpräsenz des Vatikans
- http://www.katholisch.de Katholische Kirche Deutschland
- http://www.katholisch.at Katholische Kirche Österreich
- Informationen zum Katholischen Traditionalismus