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Verhaltenstherapie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Mit Verhaltenstherapie wird ein ganzes Spektrum von Formen der Psychotherapie bezeichnet. Allen Formen ist gemeinsam, dass die Hilfe zur Selbsthilfe für den Patienten im Mittelpunkt steht, ihm nach Einsicht in Ursachen und Entstehungsgeschichte seiner Probleme Methoden an die Hand gegeben werden, mit denen er zukünftig besser zurecht kommt.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Charakteristika und Prinzipien der Verhaltenstherapie

Nach der American Association of Behavior Therapy soll die Verhaltenstherapie (VT) vor allem menschliches Leiden lindern und die Handlungsfähigkeit erweitern. Sie beinhaltet Veränderungen der sozialen Umgebung und der sozialen Interaktion. Das Ziel ist hauptsächlich die Ausbildung und Förderung von Fähigkeiten. Die Techniken sollen dem Klienten eine bessere Selbstregulation ermöglichen. Die VT wendet experimental- und sozialpsychologische Prinzipien an und legt Wert auf eine systematische Evaluation der Effektivität bei der Anwendung solcher Prinzipien. Die Ziele und Vorgehensweisen werden vertraglich festgelegt. Zudem orientiert sich die VT an ethischen Prinzipien.

Charakteristisch für die VT ist die Konzentration auf gegenwärtige statt auf vergangene Handlungsdeterminanten. Somit liegt der Schwerpunkt auf beobachtbarem Verhalten und dessen Veränderung. Die VT unterscheidet sich von der Psychoanalyse durch zwei wesentliche Annahmen: Es wird angenommen, dass Verhaltensweisen erlernt werden und dass man sich empirischen Methoden verpflichtet fühlt.

Daraus folgt für die VT, dass abnormales Verhalten als Lebensprobleme gesehen werden und durch die Verwendung von Verhaltens- und Lernprinzipien verändert werden soll. Entscheidend ist hierfür eine genaue Verhaltensanalyse (horizontal und vertikal) zur Bestimmung der augenblicklichen Determinanten des Verhaltens. Die Behandlung erfordert Problemanalysen in Komponenten und Teilen. Die Verfahren zielen dann systematisch auf die spezifischen Komponenten. Die Behandlungsstrategien werden individuell auf die Probleme der Person angepasst. Um Veränderungen zu bewirken, ist es nicht notwendig die Ursprünge des psychologischen Problems zu verstehen. Umgekehrt gilt jedoch: Die Veränderung des problematischen Verhaltens liefert keinen Aufschluss über die Entstehung der Störung.

[Bearbeiten] Vorgehensweise

Eine Verhaltenstherapie beginnt gewöhnlich mit einer Verhaltensanalyse, in der die Probleme des Patienten in Abhängigkeit zu ihren aufrechterhaltenden Bedingungen und im Hinblick auf ihre Konsequenzen untersucht werden. Berühmt geworden ist die Verhaltensanalyse nach Frederick Kanfer: das SORKC-Modell.

  • S: Reize, Situationen
  • O: Organismus (Kognitionen und biologisch-somatische Bedingungen)
  • R: Reaktionen, Verhalten
  • K: Kontingenzen, (regelhafte Zusammenhänge zwischen Situationen, Verhalten und Konsequenzen)
  • C: Konsequenzen

Obwohl die Begriffe Reiz und Reaktion leicht vermuten lassen, dass in einer Verhaltensanalyse nur das beobachtbare Verhalten analysiert wird, bezieht eine Verhaltenanalyse in der modernen Verhaltenstherapie auch Gefühle, Gedanken und körperliche Prozesse mit ein. Zudem umfasst die erweiterte Verhaltensanalyse auch Einflüsse des erweiterten Umfelds des Patienten wie zum Beispiel das Verhalten von Familienangehörigen, Arbeitskollegen, Freunden und Bekannten. In der Zielanalyse werden die Therapieziele gemeinsam mit dem Patienten entwickelt, wobei darauf geachtet wird, ob die Ziele realistisch zu erreichen und nach der Therapie aufrechterhalten werden können. Die Therapie beruht schließlich auf einem Therapievertrag, in dem Patient und Therapeut sich gegenseitig zusichern, welche Aufgaben sie während der Therapie jeweils übernehmen.

In der Therapie können verschiedene verhaltenstherapeutische Verfahren eingesetzt werden (siehe unten). Übergeordnetes Prinzip ist dabei die Hilfe zur Selbsthilfe, das heißt der Patient soll in der Therapie lernen, wieder mit dem eigenen Leben selbst zurechtzukommen. Auch die aus der Gesprächspsychotherapie bekannten therapeutischen Basisvariablen wie Echtheit, Empathie und uneingeschränktes Akzeptieren des Patienten gehören mit in eine Verhaltenstherapie.

In Deutschland übernehmen gesetzliche Krankenkassen meist die Kosten für eine Verhaltenstherapie.

[Bearbeiten] Verfahren der Verhaltenstherapie (Auswahl)

Um die im Therapievertrag vereinbarten Therapieziele zu erreichen, können in der Verhaltenstherapie inzwischen mehr als 50 verhaltenstherapeutische Einzelverfahren eingesetzt werden. Einige von ihnen seien an dieser Stelle genannt:

[Bearbeiten] Anwendungsbereiche und Wirksamkeit

Verhaltenstherapeutische Methoden werden heutzutage bei vielen psychischen Störungen und psychosomatischen Erkrankungen eingesetzt. Nach dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie der deutschen Bundesregierung ist Verhaltenstherapie wirksam bei

Die Wirksamkeit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Verfahren ist bei vielen psychischen Störungen in Hunderten von Studien belegt. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie der deutschen Bundesregierung hat die Verhaltenstherapie daher als wissenschaftlich anerkanntes Verfahren eingestuft.

[Bearbeiten] Verhaltensmedizin

Aus der Verhaltenstherapie ist die Verhaltensmedizin hervorgegangen. Sie befasst sich mit der Anwendung verhaltenstherapeutischer Erkenntnisse auf allgemeine medizinische Sachverhalte; zum Beispiel mit der ergänzenden Behandlung von körperlichen Erkrankungen wie z. B. Bluthochdruck, Asthma, Diabetes oder Spannungskopfschmerz als auch Tinnitus mit psychologischen Mitteln. Dies geschieht etwa dadurch, dass der Patient lernt, angemessener mit seiner Erkrankung umzugehen. Die Verhaltensmedizin beschäftigt sich mit Gesundheitsverhalten.

[Bearbeiten] Geschichte der Verhaltenstherapie

Die Verhaltenstherapie hat ihren Ursprung in den psychologischen Lerntheorien. Erste Schritte, die als verhaltenstherapeutisch bezeichnet werden können, nahm bereits Mary Cover Jones 1924 vor, als sie einen ängstlichen Jungen namens Peter von einer Phobie durch Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt therapierte. Aber erst nach dem 2. Weltkrieg gelang es, lerntheoretisch fundierte Verfahren systematisch zur Behandlung psychischer Störungen, insbesondere Phobien, einzusetzen. Dazu trug die Enttäuschung vieler psychoanalytisch arbeitender Therapeuten über die mangelnde Wirksamkeit der tiefenpsychologischen Therapien bei: So entwickelte z.B. der Südafrikaner Joseph Wolpe die Systematische Desensibilisierung, ein graduiertes Konfrontationsverfahren, in Kombination mit der Progressiven Muskelentspannung von Edmund Jacobson. Auf der anderen Seite wurde die operante Konditionierung von behavioristisch orientierten Therapeuten wie z.B. Ayllon und Azrin für die therapeutische Verhaltensmodifikation nutzbar gemacht. Mit ihr konnte erstmals mit nennenswertem Erfolg Menschen mit schwersten psychischen Störungen wie der Schizophrenie psychotherapeutisch geholfen werden. Seit den 70ger Jahren des letzten Jahrhunderts ist sind die Prinzipien der Verhaltenstherapie auch auf pädagogische Felder (Vorschule, Schule, Hochschule, Famileie etc.) übertragen worden. Dieser Anwendungsbereich wird "Pädagogische Verhaltensmodifikation" bezeichnet.

Seit den 60er und 70er Jahren hat diese klassische Verhaltenstherapie zunehmend andere Gebiete der wissenschaftlichen Psychologie und Psychotherapie aufgegriffen und integriert. Der Begriff kognitive Verhaltenstherapie oder kognitive Therapie trägt der Tatsache Rechnung, dass die Verhaltenstherapie sich außer mit der äußeren Verhaltensänderung auch mit der Veränderung der kognitiven, gedanklichen Schemata des Menschen beschäftigt. Begründer und Vorreiter der kognitiven Verhaltenstherapie waren unter anderem Albert Ellis, Aaron T. Beck und Donald Meichenbaum. Nach dieser so genannten kognitiven Wende haben sich kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapien für die Mehrzahl der psychischen Störungen entwickelt. Zu den neuesten Therapieformen zählt beispielsweise die dialektisch-behaviourale Therapie (DBT) für emotional-instabile Persönlichkeitsstörungen.

Die Verhaltenstherapie oder kognitive Verhaltenstherapie ist für viele ihrer Vertreter (zum Beispiel Klaus Grawe) auf dem Weg zu einer allgemeinen wissenschaftlichen Psychotherapie, d. h. einer Psychotherapie, die wissenschaftlich überprüfte Methoden anwendet und umfassend eklektisch integriert. Dementsprechend legen Verhaltenstherapeuten großen Wert auf die empirische Überprüfung ihrer Theorien und Methoden.

[Bearbeiten] Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten

Verhaltenstherapeut (Psychlogischer bzw. ärztlicher Psychotherapeut mit Fachkundenachweis in der Verhaltenstherapie) wird man durch eine 3- bis 5-jährige Weiterbildung und die Erlangung einer staatlichen Approbation zur Ausübung eines Heilberufes. Voraussetzung für die Approbation ist, dass man einen Hochschulabschluss in Psychologie oder Medizin besitzt. Neben den Psychologen und Medizinern können Pädagogen oder Sozialpädagogen die Zulassung als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut erlangen. Verhaltenstherapeuten lassen sich meist während der gesamten Berufstätigkeit supervidieren und müssen sich ständig weiter bilden.

[Bearbeiten] Kritik an der Verhaltenstherapie

Der Behaviorismus ist aufgrund seiner reduktionistischen Herangehensweise kritisiert worden. Im Behaviourismus geht man davon aus, das innerpsychische Prozesse wie Denken, Fühlen usw. nicht wissenschaftlich erforscht werden können. Er geht bei seinen Forschungen des Verhaltens von einer Black Box aus. Des Weiteren ist es beinahe unmöglich, die Verursachung von psychischen Störungen durch Lernerfahrungen wissenschaftlich zu belegen. Auch zirkelhafte Schlüsse können in den Belegen für die Richtigkeit der Annahmen des Behaviorismus herangezogen werden [1].

Heute gilt der Kognitivismus als das Leitparadigma in der Psychologie. Damit kann er auch als Grundlage der Verhaltenstherapie verstanden werden, die sich stets als praktische Anwendung der Erkenntnisse der Psychologie versteht. Die Kognitive Wende war vor allem wegen der unzureichenden Erkärungsmöglichkeiten, für neuere Erkenntnisse, des Behaviorismus nötig. Der Kognitivismus wird vor allem wegen seines theoretischen Ansatzes Kritisiert. „Die Konzepte der Kognitiven Psychologie (z. B. Schemata) sind vage und nicht immer gut definiert[1]. Kritiker wenden ein, dass die Erklärungen der kognitiven Psychopathologie wenig hilfreich sind. So ist die Behauptung das bspw. Depressive negative Gedanken haben für die Erklärung der Entstehung dieser Störung kaum hilfreich, da dies bereits Teil der Diagnose ist. Der Rückschluss, dass negative Gedanken die Depression auslösen ist nicht schlüssig, da die postulierten negativen Denkschemata Ursache, aber auch Folge der Depression sein können. [1].

Kritisiert wurde ebenfalls die Verwendung von Aversionsverfahren. Bei Aversionsverfahren werden dem Klienten in Kombination mit dem problematischen Situationen oder Gegenständen (bspw. Suchtmittel) unangenehme Reize (bspw. Medikamente, die in Kombination mit Alkohol Übelkeit hervorrufen; siehe: Disulfiram) vermittelt, was teilweise als unethisch angesehen wird. Auch bei der Konfrontationstherapie wird der Klient durch die Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt (Exposition) zunächst absichtlich in Angst versetzt [1]. Diese Vorgehensweise dient jedoch dazu, es dem Klienten zu ermöglichen mit seiner Angst umzugehen zu lernen.

Bei einer Verhaltenstherapie besitzt der Therapeut sehr viel Macht. Beispielsweise erklärt er dem Klienten bei einer Rational Emotive Therapie soziale Zusammenhänge. Er berichtigt ihn, wenn er widerspricht, und versucht, ihn eines besseren zu belehren. Woher der Therapeut allerdings seine Sicherheit über die wahren Zusammenhänge nimmt, ist unklar.

In der Psychotherapieforschung gilt als gesichert, dass die Beziehung zwischen dem Psychtherapeuten und dem Klienten für die Wirksamkeit der Psychotherapie sehr wichtig ist[2]. Hierfür fehlen der Verhaltenstherapie in ihrem heute meist kognitivistischen aber auch dem behavioristischen Vorgehen, eigene theoretische Ansätze.

Auch die Kognitive Therapie nach Beck ist kritisiert worden. Siehe hierzu: Kognitive Therapie.

Psychoanalytische Kritiker knüpfen häufig an der Reduzierung der Psychologie auf eine „Laborwissenschaft“ an. Die Psychoanalyse behauptet, dass es unmöglich sei, die komplexen Zusammenhänge der Psyche in einer Laborsituation nachzustellen. Psychoanalytiker kritisieren, dass verhaltenstherapeutische Therapien vor allem die Reduzierung der Symptome zum Ziel habe, wie dies in der Verhaltenstherapie üblich ist. Durch deren Reduzierung solle nämlich keineswegs die Ursache für eine psychische Störung bekämpft, sondern lediglich ein leidiges Symptom für kurze Zeit verbessert werden. Dadurch können sich Symptome anderer Art bilden. Diesen Vorgang nennt man Symptomverschiebung. Hierdurch bezweifeln sie die Nachhaltigkeit der Verbesserungen. Die in der Verhaltenstherapie vorherrschende Neigung zur Effizienz wird ebenso kritisiert. Mit möglichst kurzen Therapien werde dem Individuum wenig Raum gegeben und lediglich die Krankheit in den Mittelpunkt des Kontakts zwischen Therapeuten und Klienten gestellt. Dies könne eine nachhaltige Heilung verhindern.

Kritiker aus humanistischen Therapieformen, wie der Gesprächspsychotherapie oder der Gestalttherapie sind der Meinung, dass die Verhaltenstherapie den Menschen von außen determiniert (bestimmt) sieht und das innere Wachstum, die persönliche Verantwortung, die Willensfreiheit geleugnet oder nicht beachtet werde. Somit sei eine nachhaltige Entwicklung generell ausgeschlossen.

[Bearbeiten] Literatur

  • J. Margraf (Hrsg.)(2000). Lehrbuch der Verhaltenstherapie. 2. Auflage. Berlin: Springer (2 Bände), 2000.
  • Reinecker, H. (1999). Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Tübingen: DGVT.
  • Dutschmann, A. (2000). Verhaltenssteuerung bei aggressiven Kindern und Jugendlichen. Manual zum Typ A des ABPro. Tübingen: DGVT.
  • Rost, D. H., Grunow, P. & Oechsle, D. (Hrsg.)(1975). Pädagogische Vehaltensmodifikation. Weinheim: Beltz.


[Bearbeiten] Weblinks

[Bearbeiten] Quellen

  1. a b c d Hautzinger (Hrsg.): Davison und Neale (2002): Klinische Psychologie. Weinheim: Belz PVU
  2. Smith, B.;Sechrest, L.: Treatment of Aptitude x Treatment interactions. In: J. Consul. Clin. Psychol., 59. Jg. (1991), S. 233–244.
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