Hartmut Neßler
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Hartmut Neßler (* 16. März 1945) war vom 1. Januar 2000 bis zum 18. März 2005 Leiter des Hauptzollamts Frankfurt am Main-Flughafen. Das Hauptzollamt Frankfurt am Main-Flughafen ist als Behörde der Bundeszollverwaltung für die Durchführung der zollrechtlichen Personen- und Gepäckkontrollen am Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt am Main zuständig. Vorgesetzte Behörde ist die Oberfinanzdirektion Koblenz. Oberster Dienstherr ist das deutsche Bundesfinanzministerium.
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[Bearbeiten] Die Frankfurter "Flughafen-Affäre"
Neßler geriet wegen seiner Amtsführung seit Frühjahr 2004 bundesweit in die Schlagzeilen, weil er für unbesetzte Kontrollstellen und eine Reduzierung der Zollkontrollen am Frankfurter Flughafen verantwortlich war (1). Außerdem wurde am 5. April 2004 aufgedeckt, dass Neßler entgegen einer Weisung der Bundesregierung die Auslösung einer Alarmstufe für den Frankfurter Flughafen anlässlich des Irak-Krieges 2003 verhindert hatte (2). Für Aufsehen sorgte Neßler am 20. April 2004, als er auf einer Pressekonferenz in Bezug auf regelmäßig unbesetzte Einreisekontrollstellen am Frankfurter Flughafen den Ausspruch prägte: „Wenn keiner kontrolliert, ist das auch eine Form der Stichprobe“ (3).
Zu Auseinandersetzungen zwischen Neßler und seinen Zollbeamten kam es am 3. August 2004, wobei Neßler vorgeworfen wurde, ca. 150.000 Euro veruntreut zu haben. Neßler hatte Leistungsprämien (Gehaltszulagen für besondere Verdienste) vorzugsweise an befreundete leitende Beamte vergeben (4). Es wurde eine Untersuchung eingeleitet, deren Ergebnis nicht veröffentlicht wurde.
Am 3. September 2004 wurde bekannt, dass Frankfurter Zollbeamte Personenkontrollen auf Weisung Neßlers nur nach vorheriger schriftlicher Beantragung durchführen dürfen (5). In der Praxis war dies nicht möglich, so dass lediglich Gepäckkontrollen erfolgten.
Wenig später sorgte Neßler erneut für Schlagzeilen, als er am 16. September 2004 gemeinsam mit der Oberfinanzdirektion Koblenz einen Zollbeamten wegen angeblicher Kompetenzüberschreitung aus dem Dienst entließ, weil dieser einen Schmuggel von Atomwaffenteilen in den Iran verhindert hatte. Das Zollkriminalamt stellte sich gegen Neßler und würdigte öffentlich die Leistung des entlassenen Beamten. Es bescheinigte dabei auch, dass der betreffende Zollbeamte eine "erhebliche Gefahr für die Außenbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland" abgewehrt hatte (6). Die Entlassung wurde am 13. November 2006 vom Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. wieder aufgehoben (7).
[Bearbeiten] Öffentlicher Protest der Zollbeamten
Die Zollbeamten am Frankfurter Flughafen wandten sich mit zahlreichen Veröffentlichungen und Protesten in der Presse und im Internet an die Öffentlichkeit (8), (9). Im Gegenzug ließ Neßler im Mai 2004 eine Unterschriftenliste herumreichen, in der die Zollbeamten versichern sollten, von ihm nicht "gedrückt, gegängelt, diffamiert, bei der Amtsausübung behindert und überwacht" zu werden (10). Rund 75 % der Frankfurter Zollbeamten verweigerten jedoch die Unterschrift. In offenen Briefen an die Bundesregierung forderten sie am 2. Mai 2004 und am 17. August 2004 die Amtsenthebung Neßlers (11). Bei einer offiziellen Befragung des Bundesfinanzministeriums lag die Unzufriedenheit der Belegschaft bei bis zu 89,8 %. Außerdem gaben 51,92 % der Zollbeamten an, sich nicht noch einmal für diesen Beruf zu entscheiden. Die Folge: Zahlreiche Zollbeamte bewarben sich wegen des "Problems Neßler" um einen anderen Job (12).
Neßler ließ als Reaktion auf anhaltende negative Presseberichte im Sommer 2004 durch den Abteilungsleiter für Rauschgift- und Schmuggelbekämpfung, Horst Wollstein, eine Internet-Homepage einrichten. Auf dieser Homepage wurde kritischen Zollbeamten öffentlich gedroht, sie „nackt durch die Straßen zu treiben“ und an einen „Schandpfahl zu fesseln“, was zu einer weiteren Eskalation der Auseinandersetzung führte. Nachdem die Bundesregierung die umstrittene Homepage zunächst als "privatdienstliche Angelegenheit" von Neßler und seiner Amtsleitung tolerierte (13), ließ das Bundesfinanzministerium sie einige Wochen später nach mehreren Beschwerden von Abgeordneten des Deutschen Bundestages sperren.
Die Protestaktionen der Frankfurter Zollbeamten gelten aufgrund der strengen beamtenrechtlichen Reglementierungen (Beamte dürfen sich nicht öffentlich gegen ihre Vorgesetzten äußern, vgl. §§ 54, 55 Bundesbeamtengesetz) als bundesweit einzigartig.
[Bearbeiten] Politische Debatte
In die öffentliche Debatte um die Sicherheitsmängel am Frankfurter Flughafen schaltete sich am 12. Juli 2004 auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch ein. Koch wies Bundesfinanzminister Hans Eichel darauf hin, dass die Sicherheit am Frankfurter Flughafen "oberste Priorität" genieße und forderte ihn zur Überprüfung und Beseitigung der aufgedeckten Sicherheitslücken beim Zoll auf. Mehrere Abgeordnete des Deutschen Bundestages beteiligten sich ebenfalls an der politischen Diskussion. Die Angelegenheit wurde Gegenstand zahlreicher parlamentarischer Anfragen an die Bundesregierung.
Die Gewerkschaft der Polizei und die Gewerkschaft Ver.di forderten mehrfach die Beseitigung der Missstände beim Frankfurter Zoll sowie Änderungen bei Neßlers Amtsführung, die allgemein als "bürokratisch" umschrieben wurde (14).
Neßler erhielt trotz diverser Dienstpflichtverletzungen offizielle Unterstützung durch Bundesminister Hans Eichel, den Präsidenten der Oberfinanzdirektion Koblenz, Alfred Basenau sowie den Leiter der Zoll- und Verbrauchssteuerabteilung, Finanzpräsident Hans-Ulrich Siede.
Im Oktober 2006 thematisierte die Junge Union die Angelegenheit anlässlich des JU-Deutschlandtages in Wiesbaden als „Schwerpunkt Sicherheit - Keine Kontrolle ist auch eine Form der Kontrolle“. Nach Ansicht der CDU-Nachwuchsorganisation stellt die Frankfurter Flughafen-Affäre um Neßler einen interessanten Einblick in die deutsche Sicherheitsarchitektur und die Ministerialbürokratie dar.
[Bearbeiten] Konsequenzen
Neßler wurde schließlich nach langen Querelen am 18. März 2005 abgelöst und in den Ruhestand versetzt. Sein Nachfolger wurde Ronald Mattausch (15). Dieser distanzierte sich am 22. Juni 2005 öffentlich von dem Vorgehen Neßlers und bot den empörten Zollbeamten ein „Friedensangebot“ an, indem er ankündigte, „Animositäten seitens der Verwaltung“ zu beseitigen (16).
Dennoch gelang es nicht, die aufgedeckten Sicherheitsmängel aus der Amtszeit Neßlers zu beheben. Auch weiterhin bestehen Lücken in der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs am Frankfurter Flughafen (17). Der Bundesrechnungshof rügte am 14. November 2006 die Frankfurter "Stichproben-Praxis" und stellte fest: „An einigen deutschen Flughäfen sind Abfertigungsstellen des Zolls nicht oder nur unzureichend besetzt. Dadurch entstehen Lücken bei der Zollkontrolle. (...) Dies führte dazu, dass Abfertigungsstationen schichtweise oder in Einzelfällen sogar tageweise nicht besetzt waren. Der Zollverwaltung ist es bisher nicht gelungen, die Unterbesetzung dauerhaft abzustellen“ (18).
[Bearbeiten] Quellen
- "Der Spiegel" vom 13. April 2004: "Zoll schlampt bei Sicherheitskontrollen"
- ARD-Tagesthemen vom 5. April 2004: "Sicherheitsdefizite sind gravierend"
- ZDF-Frontal21 vom 20. April 2004: "Schlampige Zollkontrollen", Hamburger Abendblatt vom 21. April 2004: "Frankfurt: Zoll tagelang unbesetzt"
- Radio FFH am 3. August 2004, Nachrichtenmeldungen ab 18:30 Uhr, Rhein-Zeitung (Koblenz) vom 12. August 2004: "Neue Unruhe unter den Beamten am Frankfurter Flughafen - Streit um Leistungszulagen für besondere Verdienste"
- Frankfurter Neue Presse vom 3. September 2004: "Kontrollen per Erlass verhindert", Frankfurter Rundschau vom 4. September 2004: "Ende der Behinderung durch Vorgesetzte gefordert" sowie Spiegel-TV vom 31. Oktober 2004: Kontrolle "mangelhaft": Zoll-Versagen am Flughafen Frankfurt
- ZDF-Frontal21 vom 28. September 2004: "Der Zoll und die Sicherheit", Frankfurter Rundschau vom 9. Oktober 2004: "Kritik an Zöllner-Entlassung"
- ZDF-Frontal21 vom 14. November 2006: "Pflichtbewusster Flughafen-Zöllner", Frankfurter Neue Presse vom 14. November 2006 "Zöllner verklagt Zoll"
- Frankfurter Rundschau vom 25. März 2004: "Terroristen hätten ein leichtes Spiel"
- "Die Zeit" vom 1. Juli 2004: "Das Prinzip Stichprobe"
- Jürgen Roth: "Ermitteln verboten!" (ISBN-3-8218-5588-6) sowie Frankfurter Rundschau vom 12. Mai 2004: "Solidarität auf Befehl"
- Hessischer Rundfunk vom 26. Mai 2004: "Massive Sicherheitslücken am Flughafen Frankfurt"
- Stuttgarter Zeitung vom 12. August 2004: "Zu wenig Zollkontrollen am Flughafen - Frankfurter Zöllner kritisieren die eigene Behörde".
- Frankfurter Rundschau vom 7. August 2004: "Leiter des Flughafenzolls weiterhin in der Kritik", BILD-Zeitung vom 4. September 2004: "Zoll-Skandal: Schlammschlacht total im Internet"
- Allgemeine Zeitung (Mainz) vom 14. Mai 2004: "Weiter Streit um Zoll am Flughafen"
- Frankfurter Rundschau vom 22. März 2005: "Umstrittener Zollchef Neßler geht in Ruhestand",
- Frankfurter Neue Presse vom 22. Juni 2005: "Schwachstellen sind erkannt - Neuer Chef der 900 Flughafen-Zöllner will die negativen Schlagzeilen beenden"
- Hessischer Rundfunk, Landesjournal "defacto" vom 12. November 2006: "Von Handgranaten und Atomzündern - Weiterhin Sicherheitslücken beim Zoll am Frankfurter Flughafen"
- Bundesrechnungshof: "Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes 2006: Kontrolldefizite bei der Zollabfertigung von Reisegepäck im Flugverkehr" (Kurzfassung des Berichts, Seite 12, lfd. Nr. 10)
Personendaten | |
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NAME | Neßler, Hartmut |
KURZBESCHREIBUNG | Ehemaliger Leiter des Hauptzollamts Frankfurt am Main-Flughafen |
GEBURTSDATUM | 16. März 1945 |
Kategorien: Beamter | Zoll | Mann | Deutscher | Geboren 1945