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Neozoen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als Neozoen (Einzahl: Neozoon, Mehrzahl: Neozoa, eingedeutscht Neozoen, aus dem Griechischen mit der Bedeutung „Neutiere“), auch: Allochthon (griech. für "Ortsfremder"), bezeichnet man Tierarten, die vom Menschen in andere Gebiete verbracht worden sind und sich dort fest etabliert haben. Dabei kann es sich um bewusste Aussetzung der jeweiligen Tiere handeln, um Gefangenschaftsflüchtlinge oder um unwissentlich verschleppte Tiere. Bei Pflanzen spricht man entsprechend von Neophyten, die hemerochor verschleppt wurden, bei Organismen allgemein von Neobiota.

Das Wildkaninchen ist das international wohl bekannteste Beispiel eines Neozoons.
Das Wildkaninchen ist das international wohl bekannteste Beispiel eines Neozoons.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Die Definition eines Neozoons

Drei Kriterien müssen erfüllt sein, um von einem Neozoon zu sprechen:

  • direkte oder indirekte Einführung durch Menschen
  • nach 1492 bzw. 1500 eingeführt
  • sich selbst reproduzierende Populationen über mindestens drei Generationen, die ohne menschliche Hilfe auskommen.

Das Jahr der Neu-Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, 1492, symbolisiert den Beginn des Zeitalters der Kolonialisierung und damit der intensiven Vernetzung der Länder der Welt. Damit waren dem ungehinderten Austausch von Tier- und Pflanzenarten zwischen den Kontinenten Tür und Tor geöffnet. Der Handhabbarkeit halber werden hier drei Generationen oder 25 Jahre als Kriterium für die Einbürgerung in der neuen Umwelt verwendet. Tierarten, die vor 1492 eingeführt wurden, die so genannten Archäozoen (beispielsweise die Hausmaus und das Heimchen), werden gesondert betrachtet. Die Wissenschaft, die sich mit Neozoa beschäftigt, heißt Invasionsbiologie.

Als Faustregel gilt die 'Zehnerregel'. Von 1000 eingeschleppten Arten können nur rund 10 Prozent in dem neuen Lebensraum überleben. Von diesen 100 Arten können sich aber wiederum nur 10 Prozent, also 10 Arten, auf Dauer fortpflanzen und sich etablieren. Von diesen besitzt nur eine Art ein Gefährdungspotential für die Umwelt, das entspricht 1 Promille. Trotzdem darf diese Gefahr nicht unterschätzt werden, da die Schäden für das Ökosystem enorm sein können.

Allein in Deutschland sind mittlerweile fast 700 Neozoen aus den unterschiedlichsten Tiergruppen heimisch geworden. Hierbei sind die marinen Neuansiedler noch nicht berücksichtigt.

[Bearbeiten] Einfluss auf die Natur

Vor allem auf isolierten Inseln, in Neuseeland, Neukaledonien, Papua Neuguinea und Australien und in geringerem Maße auf dem gesamten amerikanischen Doppelkontinent haben Neozoen zu einer irreversiblen Umgestaltung der Natur geführt, wobei sie zum Teil erheblichen Anteil am Aussterben der einheimischen Tierarten hatten. In Europa, Asien und Afrika kam es bisher zu Veränderungen, die zwar geringere Ausmaße einnahmen als in Australien, aber dennoch zu beachten sind.

Bei der Identifizierung von Neozoen als Ursache für Schäden an heimischer Flora und Fauna ist zu beachten, dass das Einschleppen oder Einführen von Neozoen oft mit umfangreichen Habitatveränderungen einhergeht und die Sicht auf die Schäden oft wirtschaftlichen Erwägungen folgt. In Australien werden zwar zahlreiche Neozoen verfolgt, aber wichtige Nutztiere wie Schafe, deren Produktion umfangreiche Eingriffe in die Natur erfordert (zum Beispiel Anlage von Wasserstellen) beziehungsweise hervorrufen, fallen nicht darunter. Inwieweit ein Neozoon als problematisch einzuordnen ist, wird von Wissenschaftlern, Naturschützern, Jägern, Fischern und Landwirten teilweise kontrovers diskutiert. Nach der Sichtweise der Invasionsbiologie sind Ökosysteme in der Regel ungesättigt, das heißt, sie sind in der Lage, weitere Arten aufzunehmen. Neozoa werden in der Regel als problematisch eingeordnet, wenn sie eines oder gar mehrere der folgenden Kriterien erfüllen:

  • sie gefährden oder verdrängen einheimische Arten
  • sie verändern heimische Ökosysteme
  • sie richten wirtschaftlichen Schaden an
  • sie gefährden die Gesundheit des Menschen
  • sie schleppen Krankheiten und gebietsfremde Parasiten ein
  • sie führen zu Beeinträchtigungen bei Jagd und Fischerei

[Bearbeiten] Beispiele

Die Weißkopfruderente ist einer der seltensten Brutvögel Europas und wird durch die aus Nordamerika stammende Neozooe Schwarzkopfruderente stark bedroht (siehe Text)
Die Weißkopfruderente ist einer der seltensten Brutvögel Europas und wird durch die aus Nordamerika stammende Neozooe Schwarzkopfruderente stark bedroht (siehe Text)
  • Die bekanntesten Neozoen sind wohl die 1859 erstmalig in Australien ausgesetzten Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus). Für ihre Schädlichkeit auf Flora und Fauna liegen allerdings keine wissenschaftlichen Belege. Schäden sind vor allem für die australische Schafzucht nachgewiesen, weswegen sie bedingungslos verfolgt werden. Kaninchen stellen eine leicht verfügbare Nahrungsgrundlage für Beutegreifer dar und halten deren Bestand hoch. Wildkaninchen sind auch in Mitteleuropa und Großbritannien nicht ursprünglich, sondern mit erheblichem Aufwand etabliert worden.
  • Die aus Süd- und Mittelamerika stammende Aga-Kröte (Bufo marinus) wurde 1935 in Australien ausgesetzt, um die Zuckerrohrernte vor einer Zuckerrohrkäferplage zu schützen. Das misslang gründlich: Die Kröte ernährt sich nicht von diesen Käfern, sondern von zahlreichen zum Teil gefährdeten Arten Australiens. Gleichzeitig gefährdet sie auch größere Beutegreifer, weil diese, wenn sie die Aga-Kröte, aber auch ihre Eier oder Kaulquappen fressen, an deren Hautgiften zugrunde gehen. Australien hat teure Programme zur Bekämpfung von Bufo marinus aufgelegt.
  • Die 1905 aus Nordamerika eingeführte Bisamratte (Ondrata zibethicus) ist ein Neozoon, der sich ausgehend von Böhmen (heute: Tschechien) und später Frankreich über fast ganz Europa und Asien ausgebreitet hat. Durch seine Wühl- und Fraßtätigkeit richtet sie vor allem wirtschaftliche Schäden an Ufer- und Deichbauten an.
  • Der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) ist ein Neozoon, der ein Landwirtschaftsschädling ist. Allerdings schadet er nur der Kartoffel.
  • Die Verschleppung der Braunen Nachtbaumnatter (Boiga irregularis) auf die zu den USA gehörende Pazifikinsel Guam war Ursache für das Verschwinden fast der gesamten einheimischen Vogelwelt. Als Nebenwirkung kam es zu einer massenhaften Vermehrung von Spinnen, die zuvor den Vögeln als Nahrung gedient hatten.
  • Die Auswilderung der Kanadagans (Branta canadensis) in Nordeuropa.
  • Die Etablierung von Halsbandsittichvorkommen (Psittacula krameri) aus entflogenen Käfigvögeln an vielen Stellen in West- und Südeuropa.
  • Nandus (Rhea americana) in Mecklenburg-Vorpommern sind aus einer Straußenfarm in Schleswig-Holstein geflüchtet und haben sich in freier Landschaft angesiedelt.
  • Die unfreiwillige Ansiedlung der Wanderratte (Rattus norwegicus) im 18. Jahrhundert überall auf der Welt. Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Wanderratte ist in der Mongolei und Nordchina zu suchen.
  • Seit den 1950er Jahren wurde die Schwarzkopfruderente vermehrt als Wassergeflügel gehalten. Gefangenschaftsflüchtlinge etablierten Populationen in ganz Europa, die sich zunehmend auch mit der Weißkopfruderente (vgl. Foto) hybridisierten, deren Populationszahl die Schwarzkopfruderente bereits seit längerem übersteigt. Es besteht daher die Gefahr, dass die Weißkopfruderente vollständig durch die Schwarzkopfruderente verdrängt wird. Zu den Schutzmaßnahmen zur Arterhaltung der Weißkopfruderente gehört in Großbritannien daher auch der gezielte Abschuss von Schwarzkopfruderenten. Diese Maßnahme führte 2003 in Großbritannien zu einer breiten öffentlichen Diskussion über Tier- und Naturschutz.
  • Die Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) hat sich nach unbeabsichtigter Einschleppung durch den Menschen im 20. Jahrhundert in mehreren großen europäischen Flüssen als Neubürger etabliert, beispielsweise in der Elbe.
  • Das nordamerikanische Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) wurde zwischen 1876 und 1929 unter anderem in England, Irland und Schottland ausgesetzt. Da es robuster und weniger scheu ist als das einheimische Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) und zudem gegen einen für die andere Art tödlichen Virus immun ist, verdrängt das Grauhörnchen auf den Britischen Inseln das Eichhörnchen vielerorts aus seinen Lebensräumen.
  • Die Ansiedelung der Königskrabbe durch russische Forscher in der Barentssee hatte aufgrund fehlender Fressfeinde ein rapides Wachsen und Ausbreiten der Population bis nach Norwegen zur Folge.

[Bearbeiten] Beispiele aus Deutschland

Hier eine Auswahl von weiteren in Deutschland vorkommenden Neozoen, die oben noch nicht aufgeführt wurden:

Die Brautente zählt zu den Neozoen, die sich als Gefangenschaftsflüchtlinge etablierten.
Die Brautente zählt zu den Neozoen, die sich als Gefangenschaftsflüchtlinge etablierten.

Die oben aufgeführten Arten sind nicht exklusiv in Deutschland, sondern größtenteils auch in anderen eurasischen Ländern vertreten.

[Bearbeiten] Unterschiedliche Sichtweisen

Da viele der besonders betroffenen Gebiete heute englischsprachig sind, ist die negative Einstellung gegenüber Neozoen im englischen Sprachraum besonders ausgeprägt, was sich in Bezeichnungen wie "pest animals" und "invader species" ausdrückt. In Kontinentaleuropa sieht man das Phänomen meist wesentlich gelassener, einige sehen in der Neuansiedlung von Neozoen sogar eine positive Bereicherung der Fauna, wobei dann allerdings die verursachten oder potentiellen Schäden großzügig übersehen werden.

[Bearbeiten] Synonyme

Aliens (umgangssprachlich), Allochthone beziehungsweise nicht-autochthone Arten, Exoten, Eingeschleppte, Eindringlinge, Einwanderer, Fremdlinge und Invasoren, weiterhin aus dem Englischen intruder und invader. Manche dieser Begriffe werden wegen ihres aggressiv-abwehrenden Beiklangs nicht mehr verwendet.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Bernhard Kegel: Die Ameise als Tramp. Heyne 2001, ISBN 3-453-18439-4
  • Mario Ludwig, Harald Gebhard, Herbert W. Ludwig, Susanne Schmidt-Fischer: Neue Tiere & Pflanzen in der heimischen Natur - Einwandernde Arten erkennen und bestimmen. BLV Verlagsgesellschaft München, ISBN 3-405-15776-5
  • Ingo Kowarik: Biologische Invasoren: Neophyten und Neozoen in Mitteleuropa. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2003, ISBN 3-8001-3924-3
  • Essl, Franz; Rabitsch, Wolfgang: Neobiota in Österreich. Umweltbundesamt Wien, 2002. - 432 S. - ISBN 3-85457-658-7
  • BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Hrsg.): Aliens. Neobiota in Österreich. Böhlau Verlag Wien, 2005. 283 S. - ISBN 3-205-77346-2
  • DNL-online Die Literaturdatenbank des Bundesamtes für Naturschutz.

[Bearbeiten] Weblinks

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