Neophyt
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Neophyten (griechisch: neo = neu; phyton = Pflanze; Einzahl: Neophyt, Mehrzahl: Neophyta eingedeutscht Neophyten) sind Pflanzen, die bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt vom Menschen nach 1492, dem Jahr der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus, in Gebiete eingeführt wurden, in denen sie natürlicherweise nicht vorkamen. Damit gehören sie zu den sog. hemerochoren Pflanzen. Bei eingeschleppten Tierarten spricht man entsprechend von Neozoen, bei Pilzen von Neomyceten. Pflanzen, die vor 1492 eingeführt wurden, werden als Archäophyten bezeichnet. Alle gebietsfremden Arten unabhängig von ihrem Einführungszeitpunkt werden als Neobiota bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Einbringung und Etablierung von Neophyten
vergl. auch den Hauptartikel Hemerochorie
Gebietsfremde Pflanzen werden oft beabsichtigt eingebracht, z.B. indem sie in Gärten oder Parks gepflanzt werden, weil sie durch Eigenschaften wie Schönheit oder Resistenz gegen bestimmte Umweltfaktoren besonders geeignet sind. Auch in der Land- und Forstwirtschaft werden gebietsfremde Arten bewusst verwendet. Etwa die Hälfte der Neophyten wurde dagegen unbeabsichtigt eingeschleppt, z.B. als Begleiter im Saatgut von Kulturpflanzen, als Waren oder Verkehrsmitteln anhaftende Samen oder in Sand und Erde, die als Ballast im Laderaum von Schiffen als Rückfracht transportiert wurde (sog. Ballastpflanzen).
Die meisten Neophyten können sich unter anderem aufgrund unterschiedlicher Klimaverhältnisse nicht vermehren oder sterben z.B. bei starkem Frost ab. Treten sie aber dennoch sporadisch in der freien Natur auf, werden sie als "unbeständige Neophyten" oder Adventivpflanzen bezeichnet. Wenn sie stabile Populationen bilden und sich über mehrere Generationen ohne direkte Mithilfe des Menschen vermehren, werden sie als "etablierte Neopyhten" bezeichnet. Gebietsfremde Pflanzenarten (also Archäophyten und Neophyten), die sich in natürlichen Ökosystemen wie Wäldern oder Auen - also auch nach dem Unterbleiben des menschlichen Einflusses - in einem Gebiet erhalten, werden als Agriophyten bezeichnet. Dabei kann in wenig isolierten Gebieten wie Mitteleuropa die so genannte "Zehnerregel" gelten: von 1.000 eingeführten Pflanzen treten 100 unbeständig auf, 10 entwickeln sich zu "eingebürgerten Neophyten", aber nur eine Art entwickelt sich zum Problemfall.
Zur Verdeutlichung hier ein Beispiel eingeführter Blütenpflanzen in Großbritannien:
Anzahl der "Neophyten" insgesamt: | 12.507 |
Wildlebend in der Natur vorkommend: | 1.642 |
Eingebürgerte "Neophyten": | 210 |
problematisch/invasiv: | 34 |
[Bearbeiten] Probleme durch invasive Neophyten
Die meisten Neophyten haben im Kampf gegen ihre Konkurrenten, z.B. aufgrund anderer Klimaansprüche, keine Chance. Sie können einige Biotoptypen umgestalten und heimische = indigene Arten verdrängen, aber sie sind auch im Stande, der Land- und Forstwirtschaft wirtschaftliche Schäden zuzufügen. Dies geschieht, wenn Neophyten im neuen Lebensraum keine natürlichen Feinde haben bzw. wenn sie einfach vorteilhaftere Eigenschaften als die heimischen Pflanzen besitzen, z.B. schnelleres Wachstum und somit den indigenen Arten überlegen sind. Dadurch können sie lokal bis z.T. überregional - wie z.B. Impatiens glandulifera an den Ufern von Flusssystemen - indigene Arten durch Verdrängung ausrotten. Allerdings sind auf mitteleuropäischer Ebene bisher noch keine einheimischen Pflanzen von Neophyten vollständig verdrängt worden.
Die bewusste Anpflanzung von Neophyten in der freien Natur z.B. zu Zwecken des Garten- und Landschaftsbaus oder zur Bereicherung der Flora (Ansalbung), ist in Deutschland genehmigungspflichtig (§ 41 des Bundesnaturschutzgesetzes), um eine Florenverfälschung zu verhindern. Angesichts der Tatsache, dass die "freie Natur" oft direkt hinter dem Gartenzaun beginnt, ist dieses Gesetz einerseits per se schwierig anzuwenden. Dabei mag es als widersinnig erscheinen, wenn andererseits auch problematische Neophyten zur land- und forstwirtschaftlichen Nutzung auf großen Flächen in der "freien Natur" ohne eine derartige Genehmigung angepflanzt werden dürfen.
Es wird von Landwirten, Naturschützern, Wissenschaftlern und Fischern umstritten, inwiefern ein Neophyt als invasiv zu beurteilen ist. Nach der Sichtweise der Invasionsbiologie sind Ökosysteme in der Regel ungesättigt, das heißt, sie sind in der Lage, weitere Arten aufzunehmen. Neophyten gelten als problematisch, wenn sie in der Lage sind folgende Kriterien zu erfüllen:
- sie gefährden oder verdrängen einheimische Arten
- sie verändern heimische Ökosysteme
- sie verursachen wirtschaftliche Schäden
- sie gefährden die Gesundheit des Menschen
Aber auch inwieweit ein Neophyt eines dieser Kriterien erfüllt, kann umstritten sein und hängt von der jeweiligen Situation vor Ort ab. Die Gewöhnliche Robinie beispielsweise verändert heimische Ökosysteme, weil sie anders als die meisten einheimischen Baumarten in der Lage ist, Stickstoff im Boden zu binden. An bestimmten Standorten wie Magerrasen gefährdet und verdrängt sie dadurch einheimische Arten. Dagegen ist sie als robuster Straßenbaum in Städten ein unproblematischer Neophyt.
[Bearbeiten] Bekämpfung von invasiven Neophyten
Um die heimische Flora zu erhalten oder um Schäden z.B. für die Landwirtschaft zu verringern, werden manche Neophyten bekämpft. Das kann durch Beseitigung der Pflanzen geschehen oder durch das Einführen von Schädlingen, welche die entsprechende Pflanzenart auch in ihrer Heimat befallen. Letztere können aber als Neozoen wiederum für neue Probleme sorgen. Außerdem sollen Bekämpfungsmaßnahmen sich auf problematische/invasive Neophyten beschränken, da die Veränderung der Natur (z.B. durch die Zuwanderung neuer Arten) Teil von deren stetigen Wandel ist und es keinen festen "Urzustand" gibt, den man pauschal erhalten sollte. Hinsichtlich der Maßnahmen gegen ausgewählte Arten gibt es ebenfalls z.T. verschiedene Ansichten. So halten die meisten Experten eine flächendeckende Bekämpfung wegen der geringen Erfolgsaussichten bei vielen Arten wie beim Riesen-Bärenklau für sinnlos. Erfolgsversprechender sind gut durchdachte, längerfristig angelegte und die spezifische Biologie der Art und die Situation vor Ort berücksichtigende Maßnahmen.
[Bearbeiten] Beispiele
[Bearbeiten] nicht oder wenig problematische Neophyten
in Mitteleuropa nicht etabliert (Kulturpflanzen, die gelegentlich verwildern):
- Kartoffel (Solanum tuberosum); Heimat: Südamerika
- Tomate (Solanum lycopersicum); Heimat: Mittel- oder Südamerika
etabliert:
- Schmalblättriges Greiskraut oder Schmalblättriges Kreuzkraut (Senecio inaequidens); Heimat: Südafrika
- Nachtkerzen (Oenothera spec.); Heimat: Nordamerika
- Gewöhnliche Rosskastanie (Aesculus hippocastanum); Heimat: Balkan
- Mauer-Zimbelkraut (Cymbalaria muralis)
- Persischer Ehrenpreis (Veronica persica); Heimat: Kaukasus
- Duftveilchen oder Wohlriechendes Veilchen (Viola odorata)
- Kleines Springkraut (Impatiens parviflora); Heimat: Tadschikistan,Kaschmir
- Gewöhnliche Mahonie ("Mahonia aquifolium"); Heimat: Nordamerika, Kanada
[Bearbeiten] Problematische (= invasive) Neophyten
in Mitteleuropa
- Riesen-Bärenklau oder auch Herkulesstaude (Heracleum mantegazzianum); Heimat: Kaukasus, gesundheitliches Risiko, Berührungen der Pflanze können zu schmerzhaften, verbrennungsähnlichen Hautreaktionen führen
- Japanischer Staudenknöterich (Fallopia japonica); Heimat: China, Korea, Japan
- Sachalin-Staudenknöterich (Fallopia sachalinensis); Heimat: Sachalin, Kurilen, Nord-Japan
- Bastard-Knöterich (Fallopia x bohemica); Bastard zw. dem japanischen und dem Sachalin-Staudenknöterich
- Drüsiges Springkraut oder auch Indisches Springkraut (Impatiens glandulifera); Heimat: Himalaja
- Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) und Späte Goldrute (Solidago gigantea), Heimat: Nordamerika
- Kermesbeere (Phytolacca); die Amerikanische Kermesbeere (Phytolacca americana) ist in ganz Europa verwildert und verbreitet örtlich Probleme, da durch ihre dichten Bestände heimische Arten verdrängt werden (z. B. im Tessin)
- Kleinblütiges Knopfkraut (Galinsoga parviflora); Südamerika, als Franzosenkraut ein Gartenunkraut
- Späte Traubenkirsche oder Spätblühende Traubenkirsche (Prunus serotina); Heimat: Nordamerika
- Gewöhnliche Robinie oder Falsche Akazie (Robinia pseudoacacia); Heimat: Nordamerika
- Douglasie (Pseudotsuga menziesii); Heimat Nordamerika
- Essigbaum (Rhus typhina); Heimat: Nordamerika
- Topinambur (Helianthus tuberosus); Heimat: zentrales und östliches Nordamerika
- Kultur-Heidelbeere (Vaccinium angustifolium x V. corymbosum); aus nordamerikanischen Eltern gezüchtete Kulturpflanze ohne natürliche Heimat
- Amerikanischer Stinktierkohl (Lysichiton americanus); Heimat: Nordöstliches Nordamerika
- Götterbaum (Ailanthus altissima)
- Kanadische und Schmalblättrige Wasserpest (Elodea canadensis und Elodea nuttallii), Heimat: Nordamerika
- Beifußblättriges Traubenkraut oder Ambrosia (Ambrosia artemisiifolia); Heimat: Nordamerika, gesundheitsgefährdend durch hohes allergenes Potential der Pollen
- Ölweide in Österreich
- Samtpappel (Abutilon theophrasti ); Heimat: vermutlich Zentralasien (genaue Herkunft nicht bekannt), problematisch vor allem im Rüben- und Maisanbau, da die dort zugelassenen Herbizide nicht zuverlässig wirken
Beispiele für andere Regionen der Erde findet man etwa auch in den Artikel über die Galapagos-Inseln oder Neuseeland, die zeigen, dass in Europa harmlose Pflanzen zum Problem werden können.
[Bearbeiten] Globale Beispiele
- Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes)
- Indisches Nussgras (Cyperus rotundus)
[Bearbeiten] Forschungsgeschichte
Mit neu eingeführten Pflanzen beschäftigt sich seit dem 19. Jahrhundert die so genannte Adventivfloristik, die sich in ihrer ersten Phase vor allem mit der gezielten Informationssammlung über bislang unbekannte Arten beschäftigte. In einer zweiten Phase versuchte man, diese Arten zu systematisieren. Diese Phase war wesentlich durch den Schweizer Botaniker Augustin Pyramus de Candolle geprägt. Bereits Charles Darwin hatte jedoch erkannt, dass der Artenrückgang auf ozeanischen Inseln auf biologische Invasoren zurückzuführen sei. Ähnliches befürchteten deutsche Botaniker und Naturschützer wie Hermann Löns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Kanadische Wasserpest sich in Mitteleuropa stark verbreitete und man darin eine Gefährdung heimischer (= indigener) Wasserorganismen sah. Mit den ökologischen Folgen und ihrer Ursachen beschäftigt man sich jedoch insbesondere seit den 1950er Jahren, wobei die Anzahl der veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten seit 1985 stark zugenommen hat. Neben der Habitatvernichtung sieht man heute in invasiven Arten weltweit die stärkste Bedrohung der Biodiversität, vornehmlich auf lange isolierten Inseln mit ihrer sehr eigenständigen Flora und Fauna. Hauptsächlich in Mitteileuropa mit seiner langen Landnutzungsgeschichte ist das Gefährdungspotential geringer zu bewerten.
[Bearbeiten] Literatur
- E. Hartmann, H. Schuldes, R. Kübler, W. Konold (Hrsg.): Neophyten – Biologie, Verbreitung und Kontrolle ausgewählter Arten. Landsberg (ecomed), 1995
- R. Böcker, H. Gebhardt, W. Konold, S. Schmidt-Fischer (Hrsg.): Gebietsfremde Pflanzenarten. Landsberg (ecomed), 1995
- Kampf dem Neophytismus. Mittelweg Nr. 36, 3/1994. S. 3-4
Deutschland:
- Bekämpfung von Neophyten in Niedersachsen: Ursachen, Umfang, Erfolg. Ökosystemkunde/Pflanzenökologie. Institut für Ökologie. TU Berlin. (pdf-Dokument)
Schweiz:
- Andreas Gigon, Ewald Weber: Invasive Neophyten in der Schweiz: Lagebericht und Handlungsbedarf. Geobotanisches Institut ETH Zürich. 2005. (pdf-Dokument)
weitere Literatur:
- siehe Literatur in Invasionsbiologie
- DNL-online – Die Literaturdatenbank des Bundesamtes für Naturschutz
[Bearbeiten] Weblinks
- Internethandbuch NeoFlora des deutschen Bundesamtes für Naturschutz zu invasiven Neophyten
- Neophyten ein Problem?, giftpflanzen.com
- Martin Wolfangel: Invasive gebietsfremde Pflanzen – eine Gefahr für die biologische Vielfalt
- Österreichischer Aktionsplan zum Neobiota-Problem. Umweltbundesamt. (PDF)
- Dossier Neophyten (PDF, mit Betonung auf der Situation in der Schweiz)
- Merkblatt Pflege von naturnahen Flächen: Problempflanzen allgemein. Problempflanzen. Fachstelle Naturschuz Kanton Zürich (download – PDF; 0,3 MB)