Quodlibet
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Ein Quodlibet (lateinisch: „wie es beliebt“) ist ein Musikstück, in dem Melodien kombiniert werden, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben. Im Gegensatz zu Potpourri und Medley liegt dabei der Schwerpunkt ursprünglich auf dem gleichzeitigen Erklingen; aus diesem Grunde sind Aspekte der Polyphonie und des Kontrapunkts betroffen. In der Alt-Wiener Volkskomödie ist das Quodlibet eine szenische Liedform, bei der klassische Musikelemente mit einfachen, oft banalen Melodien vermischt werden.
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[Bearbeiten] Das Quodlibet in der klassischen Musik
Die ersten mehrstimmigen Vokalkompositionen, die mit absichtlich unzusammenhängender Aneinanderreihung von Text- und Melodiebruchstücken spaßhafte Wirkung hervorbringen wollten, datieren aus dem Jahr 1544 („Guter, selzamer, und künstlicher teutscher Gesang, sonderlich ettliche künstliche Quodlibet“). Die Satztechnik des Quodlibet ist jedoch älter, wie das Codex Montpellier (14. Jahrhundert) mit diversen quodlibet-artigen Werken belegt. Auch manche Motetten im 13. Jahrhundert weisen quodlibetartige Elemente auf, da in ihnen verschiedene präexistente Melodien kombiniert werden (siehe Pesce, Dolores, „Beyond Glossing: The Old Made New in Mout me fu grief/Robin m'aime/Portare“, in Pesce, Dolores (Hrsg.), Hearing the Motet: Essays on the Motet of the Middle Ages and Renaissance, Stanford 1997, S. 28-51).
Im Glogauer Liederbuch sind drei Quodlibets über „O rosa bella“ von John Dunstable (1390–1453) überliefert, wobei der originale Cantus beibehalten und im Tenor mit Anfängen verschiedener deutscher Volkslieder kontrapunktiert wird. Im ersten Quodlibet werden nicht weniger als 22 Liebeslieder zitiert.
[Bearbeiten] Renaissance
Als unterhaltsame Singform war das Quodlibet in Renaissance und Barock sehr beliebt. Erstmals wurde sie von Wolfgang Schmeltzl (ca. 1505–1564) als Quodlibet bezeichnet („Da trunken sie“).
In Frankreich und Spanien entwickelten sich in der Renaissance eigenständige Formen des Quodlibets: Fricassée und Ensalada.
[Bearbeiten] Barock und Klassik
Auch Johann Sebastian Bach komponierte einige Quodlibets, z. B. BWV 524 zur Hochzeitsfeier von Johann Friedrich oder den Schlusssatz der Goldberg-Variationen. In der Familie Bach sollen bei Zusammenkünften Quodlibets auch improvisiert worden sein.
Mozart schrieb 1766 ein „Galimathias Musicum“ (franz.: Galimathias, „sinnloses Geschwätz, Unsinn“) betiteltes Quodlibet mit 18 Nummern für Orchester (KV 32), worin er bekannte Lieder seiner Zeit nach Art der damals verbreiteten Suitenpraxis zusammenstellte und zudem mit Fugentechniken experimentierte. Er verwendet in der Schlussfuge des Stückes die Melodie des niederländischen Liedes „Willem van Nassau“ als Thema. Anlass war die Installation des Prinzen Wilhelm V. von Oranien im März in Den Haag, bei der die Familie Mozart anwesend war.
[Bearbeiten] Romantik und Moderne
Carl Maria von Weber schrieb ein Quodlibet für 2 Singstimmen und Klavier (op. 54 Nr. 2, 1817) „So geht es in Schnützelputz-Häusel“ und ein ihm zugeschriebenes Quodlibet als Schauspielmusik für „Das österreichische Feldlager“ von Heinrich Schmidt (nach Friedrich Schiller) zur Feier des Sieges in der Schlacht bei Leipzig 1813.
Albert Lortzing schrieb Quodlibets zu Breitensteins „Der Kapellmeister von Venedig“, Karl Haffners Zauberposse „Der verkaufte Schlaf“ (1844) sowie Nestroys „Einen Jux will er sich machen“ („Freunde, kommt zu Tische“, 1842)
Von Richard Wagners Oper „Rienzi“ gibt es ein Quodlibet im Arrangement von J. Schantl.
Von Kurt Weill gibt es ein Quodlibet op. 9, eine Suite für Orchester aus der Pantomime „Zaubernacht“ op. 4 (1923).
Von John Cage gibt es ein Quodlibet aus dem Jahr 1949, ein minimalistisch schillernder Satz aus dem 5. Streichquartett von Philip Glass.
[Bearbeiten] Das Quodlibet im Alt-Wiener Volkstheater
In der Alt-Wiener Volkskomödie des 18. und 19. Jahrhunderts ist das Quodlibet (populär: „Durcheinander, Mischmasch“) eine Liedform. Sie verwendet verschiedenste Formen der klassischen Musik (Arie, Duett, Terzett, Ensemble, Rezitativ) und kombiniert sie mit einfachen, oft banalen Volksliedern, Schnaderhüpfeln, G’strampften und Märschen zu einem eigenständigen, kleinen Kunstwerk.
[Bearbeiten] Dramaturgie
Ein Quodlibet findet immer zwischen mehreren Figuren statt und erzielt seinen Reiz durch den Kontrast der scheinbar unvereinbaren musikalischen Elemente. Die handelnden Personen bleiben ihrem Charakter und ihrem Milieu treu und erzielen einen komischen Effekt, indem sie sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit in den schwierigsten Formen der Musik ausdrücken, mit der sie es in ihrer Umgangssprache tun.
Das Quodlibet ist organisch in die Handlung eingebettet und ist deren Fortsetzung auf einer musikalischen Ebene. Anders als im Couplet treten die Figuren nicht aus der Handlung heraus, um zu kommentieren, sondern im Qudlibet wird die Handlung vorangetrieben. Es ereignen sich entscheidende Handlungsmomente, die für den Fortgang des Stückes und dessen Verständnis von unverzichtbarer Bedeutung sind, mitunter kommt es sogar zu dramatischen Situationen. Oft ist das Quodlibet auch die Fortführung einer Liebes- oder Eifersuchtsgeschichte.
Das Erkennen einer bekannten Melodie im Quodlibet ist ein zusätzlicher Reiz, nicht aber Vorbedingung für den komischen oder musikalischen Effekt. In der Regel gibt es pro Stück immer nur ein Qudlibet, meist in der zweiten Stückhälfte.
[Bearbeiten] Johann Nestroy
Vor allem im Werk Johann Nestroys (1801-1862) gehört das Quodlibet zu den festen Bestandteilen der Wiener Lokalposse. Nestroy war selbst Opernsänger, seine Partnerin Marie Weiler kam vom Singspiel, meist sind die Quodlibets in Nestroys Stücken daher speziell auf diese beiden Darsteller zugeschnitten. Eine von Nestroys bekanntesten Partien auf der Opernbühne war die Rolle des Sarastro in Mozarts Zauberflöte, seine starke Affinität zu Mozart zeigt sich in musikalischen Zitaten in den Quodlibets von „Der Talisman“ („Titus“), „Höllenangst“ (Arie „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ aus der „Zauberflöte“) und „Das Gewürzkrämerkleeblatt“ (Terzett der drei Knaben aus der „Zauberflöte“, bei Nestroy gesungen von drei Gewürzhändlern).
Quodlibets mit dramatischem Handlungsverlauf gibt es bei Nestroy in „Das Gewürzkrämerkleeblatt“ (1845), wo drei betrogene Ehemänner zu ihrer Beruhigung jeweils die Frau des anderen entdecken oder in „Umsonst“ (1857). Liebesverwicklungen stehen im Zentrum der Quodlibets in „Lumpazivagabundus“ (1833), „Das Haus der Temperamente“ (1837), „Höllenangst“ (1849) und in „Der Talisman“ (1840), wo in Nestroys berühmtestem Quodlibet der Held Titus Feuerfuchs zwischen der Gänsehirtin Salome Pockerl und der Gärtnerin Flora Baumscher hin- und hergerissen ist.
Von Nestroy gibt es ausserdem "Das Quodlibet verschiedener Jahrhunderte", ein "Scenen- und Personen-Durcheinander aus mehreren Stücken". (Uraufführung am 12. Mai 1843 im Theater an der Wien).
[Bearbeiten] Interpretation
Fälschlicherweise wird das Quodlibet oft als „Opernparodie“ klassifiziert und aufgeführt. Jedoch verlassen im Quodlibet die handelnden Personen nie ihre Identität, sie werden innerhalb ihrer Darbietung auch nicht zu „Walküren“ oder „Heldentenören“, dies umsomehr als Nestroy sehr wohl auch als Autor von Opern-Parodien hervorgetreten ist („Tannhäuser“ nach Richard Wagner, „Robert der Teuxel“ nach Meyerbeers „Robert der Teufel“ oder „Judith und Holofernes“ – eine Satire auf Friedrich Hebbels Drama „Judith“.