Rio Reiser
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Ralph Christian Möbius alias Rio Reiser (* 9. Januar 1950 in Berlin; † 20. August 1996 in Fresenhagen, Nordfriesland) war ein politisch aktiver deutscher Rockmusiker, nach einem seiner Songs manchmal auch „König von Deutschland“ genannt.
Rio Reiser war von 1970 bis Mitte der 80er Frontmann der Band Ton Steine Scherben. Er war aktiv in der Berliner Hausbesetzer-Szene, für die er auch den Rauch-Haus-Song schrieb. Aufgrund des politischen Trubels kam er nach eigener Auffassung jedoch nicht mehr zu seiner Kunst, weshalb er seit Juni 1975 auf einem Bauernhof in Fresenhagen lebte. Rio Reiser sang hauptsächlich in seiner Muttersprache, es sind aber auch einige englisch- und italienischsprachige Stücke bekannt. Nach der Auflösung der Band setzte er seine musikalische Karriere solo fort.
Nach Meinung einiger Kritiker erschuf Rio Reiser ein neues Bild eines deutschen Volksmusiksängers. Er selber bezeichnete sich als Komponist von Schlagern, sogenannten „Gassenhauern“ (engl. Hits), d. h. Liedern, die beim Volk „einschlagen“. 1990 wurde er für seine Verdienste mit dem Fred-Jay-Preis von der GEMA ausgezeichnet, weil er sich in „seiner Laufbahn für den Bereich des populären deutschsprachigen Liedes entschieden hat, sich um die Schaffung und Förderung deutscher Texte verdient gemacht hat und Erfolge in den Medien verzeichnen konnte“. Für andere war er schlicht der Sänger in einer Rockband. Reiser akzeptierte es, als Volksmusiker bezeichnet zu werden, da er sich selbst als Musiker, der Musik für das Volk macht, verstand. Sein Ziel war es, die festen Denkweisen der Menschen aufzubrechen.
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[Bearbeiten] Biografie
[Bearbeiten] Herkunft
Sein Vater war Ingenieur bei der Siemens AG, so dass die Familie mehrmals wegen dessen Arbeit umzog. Sie lebte in Berlin, Oberbayern, Nürnberg, Mannheim, Stuttgart und Rodgau/Nieder-Roden. Reiser war nicht in der Lage, sich an irgendeinem dieser Orte zu Hause zu fühlen. Viele seiner Freunde sagten in einem Interview, das 1998 auf dem TV-Sender ARTE ausgestrahlt wurde, dass er anfing, Musik zu machen, um sich einen Platz zu schaffen, an dem er sich heimisch fühlen konnte.
[Bearbeiten] Jugendzeit
Reiser war seinen Freunden als Person mit einem eigenen Kopf bekannt. Beispielsweise überredete er seine Mutter Erika Möbius dazu, die Schule zu beenden und eine Ausbildung in einem Fotografiestudio in Offenbach-Bieber anfangen zu dürfen. Sie glaubte, er sei ein Autodidakt; er lernte niemals etwas, was ihm von anderen beigebracht wurde. Also brachte er sich selbst das Spielen auf dem Cello, der Gitarre, dem Klavier und anderen Instrumenten bei.
Seinen Namen, Ralph Christian Möbius, änderte er in Rio Reiser, angelehnt an die Hauptfigur des psychologischen Romans Anton Reiser von Karl Philipp Moritz. Während seiner Jugendjahre war Rio Reiser ein großer Fan der Beatles und später der Rolling Stones.
[Bearbeiten] Aktivitäten außerhalb der Musikkarriere
Rio Reiser war wie seine älteren Brüder Peter und Gert Möbius schauspielerisch tätig, so u. a. bei Hoffmanns Comic Teater und den Roten Steinen (einem Berliner Lehrlingstheaterkollektiv). 1977 bekam Rio Reiser für seine erste Filmrolle in dem Film Johnny West den Bundesfilmpreis in Gold. Ursprünglich war Herbert Grönemeyer für die Rolle vorgesehen, aber aufgrund amouröser Verwicklungen Grönemeyers mit der Hauptdarstellerin, der Freundin des Regisseurs, wurde die Rolle mit Rio Reiser besetzt.
Reiser unterstützte 1978 den Wahlkampf der SPD musikalisch und trat 1983/1984, noch zu seiner Zeit als Sänger von Ton Steine Scherben, für Die Grünen im Rahmen der Wahlkampf-Grünen-Raupe auf. Einer Partei trat er erst 1990 nach der Wende in der DDR bei: der PDS. Daraufhin weigerten sich manche Radiostationen, wie auch der Musiksender VIVA, seine Musik zu spielen bzw. seine Videos zu zeigen.
1995 spielte Reiser in einem Tatort des Bayerischen Rundfunks mit (Im Herzen Eiszeit, zusammen mit Rudolph Moshammer), in welchem er einen ehemaligen Hausbesetzer spielt, der nach elf Jahren aus der Haft entlassen wird und sich in einer für ihn fremd gewordenen Welt zurechtfinden muss. Für den Film komponierte er auch den Titelsong (Träume). Bereits 1988 hatte er eine Gastrolle im Schimanski-Tatort Der Pott mit Götz George.
[Bearbeiten] Tod
Rio Reiser starb im Alter von 46 Jahren nach einem Herz-Kreislauf-Kollaps in Verbindung mit inneren Blutungen. Die Bemühungen der Familie um eine Sondergenehmigung, Reiser auf seinem Privatgrundstück begraben zu dürfen, wurden nicht nur vom Kreis Nordfriesland, sondern auch von der damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis unbürokratisch unterstützt. So konnte Rio Reiser auf seinem Grundstück in Fresenhagen 11 beigesetzt werden.
Das Grab in Fresenhagen ist seitdem eine Art Pilgerstätte. Sein Haus heißt heute Rio-Reiser-Haus und dient als Tagungsort und Studio für Kulturschaffende.
Mit einem Gedenkkonzert im Berliner Tempodrom nahmen 1996 u. a. seine alte Band Ton Steine Scherben, die Einstürzenden Neubauten, Engerling, Pe Werner, Ulla Meinecke, Marianne Rosenberg, Lutz Kerschowski, Herbert Grönemeyer, Norbert Leisegang, Haindling, Tim Fischer und John Banse von Rio Reiser Abschied.
Heute kümmern sich Reisers Brüder Peter Möbius als Vorsitzender des Rio-Reiser-Haus-Vereins und Gert Möbius mit dem Rio-Reiser-Archiv/Möbius Rekords um das Gedenken Rio Reisers.
[Bearbeiten] Musikkarriere
[Bearbeiten] Anfänge
Nachdem er die Schule verlassen hatte, wurde Reiser Sänger der Rockband The Beat Kings, wo er seinen guten Freund R.P.S. Lanrue, den späteren Gitarristen von Ton Steine Scherben, traf. Später brach er seine Ausbildung im Fotostudio ab und verließ die Beat Kings, um nach Berlin gehen zu können. In Berlin komponierte er die erste Beat-Oper, die jedoch nicht erfolgreich war.
[Bearbeiten] Ton Steine Scherben
Im Jahr 1970 nahm Reiser die erste Platte mit seiner Band Ton Steine Scherben auf. Deren Name leitete sich angeblich aus dem Zitat „Was ich fand, waren Ton, Steine, Scherben“ des Troja-Entdeckers Heinrich Schliemann ab. Das war zumindest die Version, die der fantasiereiche Rio Reiser gerne Journalisten erzählte. Im Buch Keine Macht für Niemand erzählt der Bassist Kai Sichtermann, dass sich der Name bei einem Brainstorming aus dem Namen VEB Ton Steine Scherben entwickelte. Das war an die Industriegewerkschaft Bau Steine Erden angelehnt, aber auch eine Hommage an die Rolling Stones („Steine“). Zudem weist der Name Ähnlichkeiten mit den Roten Steinen auf, einer politisch motivierten Straßentheatergruppe aus Berlin. Im selben Jahr gab die Gruppe den ersten Liveauftritt auf dem von Beate Uhse gesponserten Love-and-Peace Festival. Ton Steine Scherben waren musikalisch erfolgreich, allerdings nicht im kommerziellen Sinne.
Im Jahr 1985 löste sich die Band aus finanziellen Gründen auf.
[Bearbeiten] Solokarriere
Die Band und Rio Reiser hatten hohe Schulden (ca. 200.000 DM), aber Rios Solo-Karriere verlief so erfolgreich, dass er binnen kurzer Zeit schuldenfrei war. Annette Humpe, die gemeinsam mit Udo Arndt Reisers erstes Soloalbum Rio I. produzierte, stellte Kontakt zu George Glueck her. Seine erste Single ist Dr. Sommer, die Rio gemeinsam mit R.P.S. Lanrue von Ton Steine Scherben schrieb. Viele Fans aus den Tagen von Ton Steine Scherben mochten es nicht, dass Reiser plötzlich ein kommerziell erfolgreicher Musiker wurde.
Reisers sechste und letzte Soloplatte heißt Himmel und Hölle. Reiser schrieb und spielte die meisten seiner Lieder allein, auch wenn er manchmal von seinem alten Freund R.P.S. Lanrue unterstützt wurde.
Seine bekanntesten Werke als Einzelinterpret sind König von Deutschland und Junimond, die allerdings beide noch zu Zeiten von Ton Steine Scherben komponiert wurden.
Parallel zu Ton Steine Scherben arbeitete Rio Reiser auch als Produzent und Co-Produzent: u. a. für Brühwarm, Wolfgang Michels, Die Stricher, Misha Schöneberg, Desert Hearts. Als Auftrags-Texter wirkte Rio Reiser für Marianne Rosenberg, Wolfgang Michels, Klaus Lage u. v. a. m.
Rio Reiser schrieb Musik für zahlreiche Bühnenstücke: z. B. 1981 mit seinen Brüdern Peter und Gert Möbius in der Produktion über den Kapp-Putsch im Ruhrgebiet: Märzstürme 1920.
[Bearbeiten] Politische und künstlerische Bedeutung
Im Oktober 1988 gab Reiser zwei Konzerte in Ost-Berlin, zu denen die FDJ eingeladen hatte. Die Liedzeile: „Gibt es ein Land auf der Erde, wo der Traum Wirklichkeit ist? … Dieses Land ist es nicht!“ wurde von tosendem Applaus begleitet und zeigte ein Jahr vor der Wende überdeutlich, wie wenig sich die anwesenden Ostberliner mit ihrem Staat identifizieren konnten.
Lieder wie Halt dich an deiner Liebe fest, Der Traum ist aus, Keine Macht für Niemand und Macht kaputt, was euch kaputt macht hatten politischen Einfluss auf die deutsche Linke nach 1968, insbesondere auf die Hausbesetzerszene und den Bezirk Berlin-Kreuzberg. Später wurden auch Die Grünen in ihren Anfangsjahren von Ton Steine Scherben und ihrem Sänger und Texter Rio Reiser maßgeblich beeinflusst. Die deutschsprachige Rock- und Punkmusik hat in Ton Steine Scherben mit ihren Ursprung.
In den vergangenen zwanzig Jahren haben viele verschiedene Künstler und Musikgruppen Coverversionen von Reisers Kompositionen produziert, darunter einige der wichtigsten deutschsprachigen Gruppen der letzten Zeit, wie z.B. Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg, Freundeskreis und Jan Delay.
[Bearbeiten] Diskografie und Chartplatzierungen
Chartplatzierungen |
Alben (Staatenlegende)
- Rio I.
- D: 26 (xx.xx.1986) x Wo.
- Blinder Passagier
- D: 42 (xx.xx.1987) x Wo.
- Über Alles
- D: 81 (06.09.1993) 4 Wo.
- Das Beste Von Rio Reiser
- D: 77 (16.05.1994) 6 Wo.
- Junimond - Die Balladen
- D: 57 (24.07.2000) 4 Wo.
- Familienalbum
- D: 45 (10.11.2003) 3 Wo.
[Bearbeiten] Alben
- 1986 Rio I. (November 1986)
- 1987 Blinder Passagier (15.09.1987)
- 1990 Rio *** (02.04.1990)
- 1991 Durch Die Wand (Juli 1991)
- 1993 Über Alles (20.08.1993)
- 1994 König Von Deutschland - Das Beste Von Rio Reiser (15.04.1994) (Compilation)
- 1995 Himmel und Hölle ( März 1995 Wieder-VÖ 28.1.2002)
- 1996 Balladen (08.07.1996) (Compilation)
- 1997 Unter Geiern (Januar 1997) (Compilation)
- 1998 Am Piano 1 (30.10.1998)
- 1999 Am Piano 2 (30.03.1999)
- 1999 Live in der Seelenbinder-Halle, Ostberlin 1988 (08.11.1999)
- 2000 Junimond - Die Balladen (26.06.2000) (Compilation)
- 2003 Zwischen Null Und Zero (01.09.2003) (Compilation)
- 2003 Familienalbum - Ltd. Edition (27.10.2003) (Compilation)
[Bearbeiten] Literatur
- Nishen, Dirk [Hrsg.]: Ton Steine Scherben: Geschichten, Noten, Texte und Fotos aus 15 Jahren. Berlin 1985, ISBN 3-88940-106-6
- Reiser, Rio u. Eyber, Hannes: König von Deutschland. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997, Neuauflage Möbius Rekords, Berlin 2001, ISBN 3-00-007733-2
- El Kurdi, Hartmut: Schwarzrote Pop-Perlen. Wehrhahn Verlag, Hannover 2001, ISBN 3-932324-82-X
- El Kurdi, Hartmut: Unter Geiern in Mein Leben als Teilzeit-Flaneur. Edition Tiamat, Berlin 2001, ISBN 3-89320-047-9
- Sichtermann, Kai u. Johler, Jens u. Stahl, Christian: Keine Macht für Niemand., Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2003, ISBN 3-89602-468-X
- Wolfgang Seidel: Scherben. Musik, Politik und Wirkung der Ton Steine Scherben Ventil Verlag, Mainz 2005. ISBN 3-931555-94-1
- Hollow Skai: Das alles und noch viel mehr - Rio Reiser: die inoffizielle Biografie des Königs von Deutschland. Heyne, München 2006, ISBN 3-453-12038-8
[Bearbeiten] Filme
- Rio Reiser - König von Deutschland. Deutschland 2005, Regie: Stefan Paul (Musikrevue/Theateradaption von Heiner Kondschak (Landestheater Tübingen - LTT) nach biographischen Daten zu Rio Reiser (Darsteller: Sören Wunderlich) - mit zahlreichen musikalischen Interpretationen (Coverversionen) von Ton Steine Scherben- und Rio Reiser-Titeln.
[Bearbeiten] Weblinks
- Offizielle Webseite
- Biographie und Diskographie auf laut.de
- Rio Reiser Haus in Fresenhagen
- Literatur von und über Rio Reiser im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Personendaten | |
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NAME | Möbius, Ralph Christian |
ALTERNATIVNAMEN | Rio Reiser |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Rockmusiker (Ton Steine Scherben) |
GEBURTSDATUM | 9. Januar 1950 |
GEBURTSORT | Berlin |
STERBEDATUM | 20. August 1996 |
STERBEORT | Fresenhagen, Nordfriesland |
Kategorien: Mann | Deutscher | Musiker | Liedermacher | PDS-Mitglied | Geboren 1950 | Gestorben 1996 | Pseudonym