Sarah Kane
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Sarah Kane (* 3. Februar 1971 in Essex; † 20. Februar 1999 in London) gilt als eine der radikalsten Vertreterinnen der modernen britischen Dramatiker und Regisseure.
Sie ist Verfasserin von fünf Stücken, die zwischen 1995 und 1999 entstanden. Kane führte sowohl bei eigenen als auch anderen Stücken am Paines Plough Theatre in London Regie.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Leben
Sarah Kanes Eltern waren beide Journalisten und sehr religiös. Kane absolvierte ein Studium der Theaterwissenschaft und des szenischen Schreibens an den Drama Departments der Universitäten Bristol und Birmingham. Im Januar 1995 fand die Uraufführung des ersten Stückes Zerbombt (Blasted) am Londoner Royal Court Theatre statt. Das Stück sorgte durch seine Thematik - zwischenmenschliche Beziehungen in Zeiten des Krieges - und die brutale Darstellungsweise für offene Kontroversen. Dem Skandal folgten jedoch europaweite Aufführungen des Stückes.
Im Mai 1996 inszenierte Kane ihr zweites Stück, Phaidras Liebe (Phaedra's Love), am Gate Theatre in London. 1997 führte sie Regie in Woyzeck von Georg Büchner ebenda. Daran anschließend verfasste sie 1997 Gesäubert (Cleansed). Ebenfalls 1997 schrieb sie das Drehbuch zum Kurzfilm "Skin", der im britischen Channel 4 ausgestrahlt wurde.
Seit 1996 war Kane Hausautorin am Paines Plough Theatre in London, einer freien Theatergruppe, die ausschließlich neue Stücke in Lesungen vorstellte und produzierte. In dieser Aufgabe schrieb sie 1998 Gier (Crave), das im selben Jahr im Rahmen des Edinburgh Festivals am Traverse Theatre uraufgeführt wurde. Im Herbst/Winter 1998/99 entstand Kanes letztes Stück 4.48 Psychose (4.48 Psychosis), dessen Manuskript sie im Februar 1999 kurz vor Ihrem Suizid dem Verleger übergab. Im Juni 2000 wurde es postum am Royal Court Jerwood Theatre Upstairs uraufgeführt. Es stellt den Höhepunkt in Kanes Schreiben dar, was Fragmentierung, Aufbrechen klarer Perspektiven und Rollen und Poesie betrifft.
Sarah Kane litt ihr Leben lang an einer manisch-depressiven Erkrankung. Diese Schübe wurden im Sommer 1998 immer stärker, was zur Folge hatte, dass die Autorin sich immer häufiger zur Behandlung in Kliniken begeben musste. Insbesondere die Phase früh morgens, in der sie täglich mit schlimmsten Wahnvorstellungen erwachte, machte ihr zu schaffen. Am 20. Februar 1999 beging Sarah Kane Suizid durch Erhängen, nachdem sie zwei Tage zuvor versucht hatte, sich mit einer Überdosis Medikamente selbst zu töten.
[Bearbeiten] Werke
Alle fünf Stücke von Sarah Kane beschäftigen sich mit dem Thema Liebe in Zeiten der Zerstörung, der gegenseitigen Manipulation und der Abhängigkeit.
[Bearbeiten] Zerbombt
Zerbombt behandelt die Abgründe der Beziehung zwischen den Protagonisten Ian und Cate, die sich in einem Hotelzimmer befinden. Ian vergewaltigt dort Cate, löst damit eine Kette der Gewalt aus. Er bekommt kurze Zeit später, sozusagen als Strafe, die Auswirkungen des Krieges, der zwischen den beiden Charakteren vorherrscht und der oberflächlich betrachtet von Ian ausgelöst wird, am eigenen Körper zu spüren; und zwar durch einen Soldaten, der plötzlich aus dem Nichts auftaucht, ihn zuerst vergewaltigt und ihm anschließend die Augen aussaugt. Schließlich ist die Welt im Hotelzimmer ebenso zerstört wie die auf der Straße. Cate, die vor Ian flüchtete, kehrt am Ende des Stücks zu ihm zurück. Sie hat nicht vergessen, was er ihr angetan hat - sie sieht in ihm jedoch ein menschliches Wesen, das ihren Beistand benötigt. Wobei unbedingt angemerkt werden muss, dass Cate ja aufgrund ihrer psychischen Prädisposition nichts anderes zu tun vermag, als ihr eigenes Leben an das von Ian zu ketten; sie ist eine (klinische) Masochistin und er ihr Pendent, ein (klinischer) Sadist. Das Stück endet damit, dass Cate Ian zu Essen gibt, und er sich bedankt, was durchaus eine Pointe darstellt, da es wohl die einzige "gelungene" Kommunikation des Paares in dem Stück ist. Beim Erscheinen wurde das Stück auch wegen seiner Brutalität zum Teil heftig kritisiert (so z.B. in den Zeitungen The Daily Mail, the Sunday Telegraph, the Spectator). Heute gilt das Stück sowohl in seiner Radikalität, als auch in seiner minimalistischen Sprache, sowie in der gelungenen Verknüpfung der psychologischen Dimension (die Paarbeziehung) mit der politischen Dimension (der Krieg) als wegweisend für die englische Theaterszene der 90er Jahre. Den zweiten Teil des Stückes, den Einbruch des großen Krieges in den kleinen privaten Krieg, war in einer früheren Version des Stückes, die sie 1993 mit Studenten aufführte, kein Teil des Stückes und wurde von Sarah Kane unter dem Eindruck der Bilder des Bosnienkrieges im ehemaligen Jugoslawien geschrieben.
[Bearbeiten] Phaidras Liebe
Phaidras Liebe thematisiert den antiken Phaidra-Mythos und zeigt die hoffnungslose Liebe einer Königin zu ihrem sex- und esssüchtigen lethargischen Stiefsohn. Phaidra liebt Hippolytos, der wiederum nur an sein eigenes Vergnügen denkt, das aus Sex, Essen und Fernsehen besteht. Phaidra begeht schließlich Selbstmord und beschert Hippolytos die von ihm so geforderte Abwechslung, indem sie einen Brief verfasst, in dem sie ihn der Vergewaltigung beschuldigt. Hippolytos wird gelyncht und empfindet dadurch endlich die Spannung, die er sein Leben lang vermisst hat.
[Bearbeiten] Gesäubert
Gesäubert zeigt die Insassen einer Institution, die von Tinker, einem Psychiater bzw. Folterer kontrolliert werden. Kane lässt offen, ob es sich tatsächlich um eine psychiatrische Klinik handelt. Jeder Insasse ist in einen anderen verliebt, und Tinker treibt mit Mitteln der Manipulation jeden an die Grenzen der Liebe. Das Stück thematisiert die Frage, was das Höchste ist, das ein Liebender dem anderen ehrlicherweise versprechen kann. Tinker fügt in Experimenten den anderen Schmerzen bis hin zur Verstümmelung zu, um herauszufinden, welche Macht die Liebe über sie hat. Schließlich sind die Insassen verstümmelt und tragen jeweils Gliedmaßen, Haut oder Kleidung des jeweils anderen am Körper - es kommt also zu einer Aufgabe des Selbst, zur Transzendierung.
[Bearbeiten] Gier
Gier ist das erste Stück Sarah Kanes, das den Bruch der Identitäten und Rollen wagt. Es treten vier Stimmen auf - A, B, C und M - die ohne erkennbaren Zusammenhang sprechen und diese Fragmente doch aneinander adressieren. Kanes Sprache erlebt eine sehr dichte Bildhaftigkeit und Poesie. Auch sind autobiographische Züge zu erkennen - die sehr detaillierte Liebeserklärung von A an eine nicht benannte Person ist voller Einzelheiten und Begebenheiten, die den Eindruck von Wahrhaftigkeit erwecken. Alle Stimmen artikulieren ihre jeweiligen starken Begierden nach Lösung und Rettung - dabei bleibt offen, ob diese durch Liebe oder durch den Tod erfolgen können.
[Bearbeiten] 4.48 Psychose
4.48 Psychose benennt im Titel den Moment der größten Klarheit; während ihrer depressiven Schübe wachte Kane jeden Morgen um 4:48 Uhr auf und war, von Medikamenten unbeeinflusst, fähig zu klarem Denken. Gleichzeitig ist dieser Moment der mit dem größten psychotischen Anteil; in der Klarheit liegt also Wahn. Die Festlegung auf den genauen Zeitpunkt 4:48 mag hier ein künstlerisches Mittel sein, allerdings ist das "morgendliche Früherwachen" gegen vier oder fünf Uhr ein bekanntes Symptom einer klinischen Depression.
Das Stück ist eine Aneinanderreihung von Monologen, Wort- und Zahlenketten und vermeintlichen Dialogen, allerdings ohne handelnde Personen (dramatis personae). In den Texten wird jedoch deutlich, dass Kane ihre eigenen Erfahrungen während der Depression und der Klinikaufenthalte beschreibt. Dennoch darf 4.48 Psychose nicht nur als autobiographisches Werk bewertet werden. Vielmehr bildet es einen weiteren Schritt in der Konstruktion von Kanes Werken: vom Bürgerkrieg zum Krieg einer Familie, eines Paares, eines Individuums und schließlich des Bewusstseins.
[Bearbeiten] Skin
Skin, ein 11minütiger Kurzfilm, war das einzige Werk, das Sarah Kane für das Fernsehen produzierte. Dieses Medium blieb ihr zeitlebens suspekt, da sie der Meinung war, dass die Bilder, die sie durch ihre Stücke erzeugen wollte, dort nicht zu ihrer vollen Wirkung kommen könnten. Ein weiterer Versuch eines Films über eine an Anorexie leidende Frau scheiterte an Kanes Wunsch, dass die Bilder nur aus der Sichtweise der Protagonistin gezeigt werden sollten. Kein TV-Sender wollte sich darauf einlassen, lediglich Fragmente der handelnden Figur zu zeigen.
[Bearbeiten] Form
Sarah Kanes Stücke weisen eine große Entwicklung auf. Während Zerbombt und Phaidras Liebe als naturalistisch gelten und dies durch ihre klaren, realitätsbezogenen Regieanweisungen auch sind, entfernt sich Kane danach immer mehr von einer definierten und spielbaren Form. Regieanweisungen treten an die Grenze des machbaren - so lautet in Gesäubert eine, dass Ratten die Füße eines der Protagonisten wegtragen. Kane stellte ihren Werken allerdings immer die Bemerkung voran, dass Regieanweisungen denselben Stellenwert wie gesprochener Text haben sollen. Dass Regisseure bei der Inszenierung der Stücke dennoch immer wieder an Grenzen der Umsetzung gelangen, liegt bei der fragmentierten und gleichzeitig extremen Beschreibung auf der Hand. Kane stellt somit durch die Themen wie auch die Form ihrer Stücke Forderungen, ohne Lösungen bereitzuhalten.
[Bearbeiten] Kritik
Ihre Stücke lösten heftige Kontroversen aus und sorgten gleichzeitig für die Verleihung mehrerer Preise. So bekam sie in Deutschland zweimal, 1999 und 2000, den Preis der besten ausländischen Theaterautorin. Sie wurde von Kritikern zum Flaggschiff einer Bewegung gemacht, die es ihr zufolge nicht gab. Trotz gewisser Gemeinsamkeiten mit anderen Dramatikern ihrer Zeit, wie etwa Mark Ravenhill, Joe Penhall oder Jez Butterworth, die man mit Begriffen wie In-yer-face Theatre, new brutalism oder theatre of urban ennui zu beschreiben versuchte, unterscheidet sich ihr Werk in vielen Punkten von dem ihrer Zeitgenossen. Es sind vielmehr Rückbezüge zu William Shakespeare, Georg Büchner, Beckett, Howard Brenton und Edward Bond feststellbar.
[Bearbeiten] Literatur
- Brocher, Corinna u. Tabert, Nils: Sarah Kane. Sämtliche Stücke. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Hamburg, 2002. ISBN 3499231387
- Sarah Kane: Complete Plays. London 2001 ISBN 0413742601
- Graham Saunders: ‘Love Me or Kill Me’. Sarah Kane and the Theatre of Extremes. Manchester 2002 ISBN 0719059569
- Aleks Sierz: In-Yer-Face Theatre. British Drama Today. 2001 ISBN 0571200494
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Sarah Kane im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Seite von Ian Fisher - englisch
- In-yer-face Theatre
- Nachruf von Marius von Mayenburg
Dieser Artikel wurde in die Liste der Lesenswerten Artikel aufgenommen. |
Personendaten | |
---|---|
NAME | Kane, Sarah |
KURZBESCHREIBUNG | britische Regisseurin |
GEBURTSDATUM | 3. Februar 1971 |
GEBURTSORT | Essex |
STERBEDATUM | 20. Februar 1999 |
STERBEORT | London |