Wahlpflicht
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Die allgemeine Wahlpflicht verpflichtet die Wahlberechtigten zur Stimmabgabe bei einer Wahl, beispielsweise zu einem Parlament oder zu einem Gremium an einer Universität. Ein Nichtbefolgen dieser gesetzlichen Vorschrift kann zu hohen Strafen führen. Im Allgemeinen werden bei solchen Gelegenheiten Wählerlisten geführt, die eine Kontrolle der Stimmabgabe ermöglichen.
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[Bearbeiten] Argumente für die Wahlpflicht
- Die Wahlpflicht soll verhindern, dass eine zu geringe Mehrheit aus der Bevölkerung zu viel Einfluss auf das Gesamtergebnis von Wahlen erhält. Bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent besteht die Hälfte der Stimmen (also die theoretische absolute Mehrheit aus der Wahl) aus nur 35 Prozent aller Wahlberechtigten.
- Zudem wird argumentiert, dass das Wählen eine demokratische Pflicht sei, vergleichbar mit der Entrichtung von Steuern, dem Wehrdienst und der Einbeziehung von Bürgern in die Rechtsprechung in einigen Staaten. Ferner ist von unterschiedlichen Seiten auch die Rede von einer moralischen Pflicht.
- Mit einer höheren Wahlbeteiligung soll der finanzielle Aufwand für Wahlkampf-Kampagnen reduziert werden und damit auch der Einfluss derjenigen, die den Parteien durch Spenden ihre Mittel zur Verfügung stellen.
- Das Abklingen der Wahlbeteiligung in großen Teilen der westlichen Welt hat zu verstärktem Zuspruch für die Einführung allgemeiner Wahlpflichten geführt. Die Motivation ist dabei, dem öffentlichen Desinteresse an Politik entgegenzuwirken. Die sogenannte Politikverdrossenheit stelle demnach eine potenzielle Bedrohung für die Demokratie dar und könne in einer Regierungsinstabilität resultieren. Manche sind der Ansicht, dass sich der Holocaust ohne das mangelnde Interesse am politischen Zeitgeschehen in den nationalen Gesellschaften nicht ereignet hätte. Dieser Vergleich mag extrem sein, zeigt allerdings auf, wie Passivität zu schlimmsten Gräueln führen kann.
- Bei einer Wahlpflicht machen sich vor den Wahlen auch viele Politikverdrossene Gedanken darüber, welche Parteien sie wählen wollen oder zumindest, welche nicht. Dadurch wird populistischen oder extremistischen Parteien entgegengewirkt, welche oft nur durch eine unzufriedene Minderheit gewählt werden. Ein Beispiel sind die französischen Präsidentschaftswahlen 2002, als sich der Politiker der extremen Rechten, Jean-Marie Le Pen (FN), mit 16,86 % und einer sehr geringen Wahlbeteiligung, überraschenderweise gegen den aussichtsreichsten Kandidaten, Lionel Jospin (PSF), für die Stichwahl qualifizierte. Daraufhin kam es zu landesweiten Protesten, die meisten linken Parteien unterstützten nun sogar Amtsinhaber Chirac und es kam zu einer der höchsten Wahlbeteiligungen in der französischen Geschichte. Im zweiten Wahlgang verlor Le Pen deutlich mit 17,94 % zu 82,06 % gegen Jacques Chirac (UMP), dessen Chancen nach Umfragen gegen den zuvor ausgeschiedenen Jospin schlecht standen.
- Protest gegen das bestehende Politikangebot kann in der Wahlkabine zum Ausdruck gebracht werden, indem der Stimmzettel ungültig gemacht wird. Das hätte Auswirkungen auf das politische System: Offenbar ist es bei der Bundestagswahl ein gutes Zeichen, wenn nur 22 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung nicht zur Wahl geht. Wenn aber 22 Prozent der Stimmen ungültig wären, hätte das sicher politische Konsequenzen.
- In Australien geht die Einführung der Wahlpflicht ursprünglich auf die enormen Verluste während des Ersten Weltkriegs zurück. Nachdem im Krieg 60.000 Australier gefallen waren (von allen Staaten am meisten pro Kopf), wurden Stimmen laut, dass die Australier eine Verpflichtung hätten die mit einem so hohen Preis erkämpfte Freiheit auch wahrzunehmen. Seit den Parlamentswahlen von 1955 mit ungefähr 88% wurde die Wahlbeteiligung von 94% nicht unterschritten.
[Bearbeiten] Argumente gegen die Wahlpflicht
- Einige Bürger lehnen es ab, sich den Urnengang vorschreiben zu lassen, da sie generell kein Interesse an Politik zeigen oder ihnen das Hintergrundwissen zu den Kandidaten fehlt. Andere sind zwar informiert, haben jedoch keine Präferenz für eine bestimmte kandidierende Partei. Diese teilnahmslosen Wähler wären dann gezwungen, nach dem Zufallsprinzip vorzugehen nur um ihre Verpflichtung zu erfüllen. Im englischen Sprachraum wird dieses Phänomen als "donkey vote" („Eselsstimme“) bezeichnet und kann Schätzungen zufolge in einem pflichtgebundenem Wahlsystem 1% der Wahlbeteiligung ausmachen.
- Insbesondere Libertäre sind teilweise der Ansicht, dass die Wahlpflicht einen Eingriff in den persönlichen Freiheitsbereich und damit eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstelle. Demnach sollten freie Individuen die Entscheidung wählen zu gehen für sich selbst treffen.
- Einige Gruppen verweisen darauf, dass eine niedrige Wahlbeteiligung von einem weit verbreiteten generellen Unmut über die politische Führungselite eines Staates zeuge – eine Botschaft, die bei einem erzwungenen Urnengang nicht in dieser Deutlichkeit vermittelt werden kann.
- Politikexperten geben zudem zu bedenken, dass sich der Wahlkampf im Falle einer Wahlpflicht noch stärker auf das Anwerben der unentschlossenen, wankelmütigen Wähler konzentriert als auf das Mobilisieren der Stammwählerschaft.
[Bearbeiten] Wahlpflicht in Österreich
In Österreich gab es zwischen 1929 und 1982 eine Wahlpflicht bei der Bundespräsidentenwahl (vgl. Art. 60/1 B-VG). Seither besteht sie nur in denjenigen Bundesländern, die dies durch Landesgesetze eingeführt haben. Eingeführt wurde eine entsprechende Wahlpflicht in Kärnten, der Steiermark, Tirol und Vorarlberg. In Kärnten und der Steiermark wurden diese Gesetze 1993 aufgehoben und der Vorarlberger Landtag hat in seiner Sitzung vom 28. Januar 2004 die Wahlpflicht bei Bundespräsidentenwahlen und bei Landtagswahlen aufgehoben. Der Tiroler Landtag folgte im Juni 2004 der vorarlbergerischen Entscheidung. Somit wird die Bundespräsidentenwahl 2010 zum ersten Mal ohne Wahlpflicht ausgetragen. Von 1949 bis 1992 bestand Wahlpflicht auch bei den Nationalratswahlen in der Steiermark, Tirol und Vorarlberg. 1986 verordnete diese auch Kärnten.
Historisch gesehen resultiert die Wahlpflicht aus der Angst der Christlichsozialen Partei vor dem 1918 eingeführten Frauenwahlrecht. Sie wollte dadurch vermeiden, dass konservative Frauen ihr Recht nicht ausüben und die für das Frauenwahlrecht eintretenden sozialdemokratischen Frauen dadurch die Mehrheitsverhältnisse verändern würden.
[Bearbeiten] Staaten mit Wahlpflicht
In Deutschland besteht keine Wahlpflicht, sie besteht aber zu Parlamentswahlen unter anderem in folgenden Staaten:
Land | Strafe für Nichtwählen |
---|---|
Ägypten | Geldstrafe, Gefängnis möglich |
Argentinien | Geldstrafe von $500 |
Australien | $250 beim ersten Mal, bei wiederholten Fernbleiben von der Wahl bis zu Gefängnisstrafen |
Belgien | Geldstrafen von 50 Euro, Nichtwähler werden aber von der Staatsanwaltschaft nicht verfolgt |
Bolivien | Geldstrafe von 150 Bolivianos (etwa ein halber Monatslohn eines Arbeiters), auch sofortigen Einzug der Personalausweise bis zur Sperrung der Bankkonten sind möglich |
Brasilien | geringe Geldstrafe, jedoch muss zur Bezahlung lange angestanden werden |
Chile | Geldstrafe, Gefängnis möglich |
Costa Rica | keine |
Dominikanische Republik | keine |
Ecuador | Geldstrafe |
El Salvador | |
Fidschi | Geldstrafe, Gefängnis möglich |
Griechenland | Geldstrafe; regelmäßiges Wählen (nachgewiesen durch ein Wählerbuch) ist Voraussetzung für das Erteilen eines Reisepasses |
Honduras | keine |
Guatemala | keine |
Republik Kongo | |
Kuba | vor der kubanischen Revolution von 1959 durch Armee und Polizei überwacht, nach 1959 stehen Kinder symbolisch vor den Wahllokalen Wache |
Libanon | (für Männer) |
Libyen | (für Männer) |
Liechtenstein | Geldstrafe |
Luxemburg | Geld- und Freiheitsstrafe vorgesehen, wird aber nicht angewandt |
Madagaskar | |
Mexiko | keine |
Nauru | Geldstrafe |
Neuseeland | (Eintragung in die Wählerlisten ist verpflichtend, die Wahl selber nicht) |
Österreich | Geldstrafe bis zu 72 Euro, Nichtwähler wurden als erste Amtshandlung vom Bundespräsidenten begnadigt |
Panama | |
Paraguay | Geldstrafe |
Peru | Geldstrafe umgerechnet ca. 40 Euro |
Philippinen | |
Schweiz, Kanton Schaffhausen | Geldbuße von drei Franken |
Singapur | Nichtwähler werden aus den Wählerlisten entfernt, bis sie einen Grund angeben, warum sie wieder wählen wollen |
Thailand | keine |
Türkei | Geldstrafe von ca. 13 Euro |
Uruguay | Geldstrafe |
Venezuela | |
Zypern | keine Strafen |
[Bearbeiten] Weblinks
- mitstimmen.de (Auswertung einer Befragung zum Thema Wahlmotivation)
- Pro und Contra Wahlpflicht – Tobias Kaufmann bzw. Günter Otten im Kölner Stadt-Anzeiger, 28. März 2006