Alexander Rüstow
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Alexander Rüstow (* 8. April 1885 in Wiesbaden; † 30. Juni 1963 in Heidelberg) war ein deutscher Sozialwissenschaftler und Ökonom. Er ist ein Großneffe von Wilhelm Rüstow.
Als Sohn einer alten preußischen Offiziersfamilie legte er 1903 vorzeitig seine Reifeprüfung am Bismarck-Gymnasium (heute Goethe-Gymnasium) zu Deutsch-Wilmersdorf bei Berlin ab. Er studierte von 1903 bis 1908 in Göttingen, München und Berlin Mathematik, Physik, Philosophie, Altphilologie, Jurisprudenz und Nationalökonomie. In Göttingen studierte er bei dem Neukantianer Leonhard Nelson, der gleichzeitig leidenschaftlich für die soziale Gerechtigkeit und für einen Elitebegriff eintrat, der sich schwer mit der Demokratie vereinbaren ließ. Rüstow promovierte 1908 bei Paul Hensel an der Universität Erlangen mit seiner Arbeit "Der Lügner. Theorie, Geschichte und Auflösung des Russellschen Paradoxons". Die Problemstellung wurde später als Russellsche Antinomie bekannt.
In den Jahren 1908-1911 war Rüstow verantwortlicher wissenschaftlicher Abteilungsleiter im Verlag B. G. Teubner in Leipzig tätig. Er arbeitete von 1911-1914 an einer Habilitationsschrift über die Erkenntnistheorie des Parmenides. Diese Arbeit wurde wegen des Ausbruchs des 1. Weltkrieges abgebrochen. Rüstow meldete sich als Freiwilliger zur Armee wo er mit dem EK 1. und 2. Klasse und dem Hausorden der Hohenzollern ausgezeichnet wurde. Rüstow war schon seit der Vorkriegszeit mit Avantgarde-Trends in Kunst und Psychologie vertraut. Seine erste Frau war die Malerin Mathilde Herberger. Bei Kriegsende teilte er die Ansichten der Sozialisten, begrüßte die deutsche Revolution vom November 1918 und soll sich sogar daran beteiligt haben.
Der neuen Reichsregierung fehlten ausgebildete Akademiker. 1918 übernahm Rüstow einen Posten im Reichswirtschaftsministerium als Referent für die Nationalisierung der Kohleindustrie des Ruhrgebiets. Rüstow war schnell von der sozialistischen Planungsweise desillusioniert. Statt einer dynamischen Reform der Gesellschaft begegnete er bei seiner Tätigkeit den Verteidigern etablierter Interessen und einer zähen Bürokratie.
1924 verließ Rüstow das Reichsministerium für Wirtschaft und übernahm eine Stelle als Syndikus und Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung beim Verein deutscher Maschinenbau-Anstalten (VdMA).
1933 musste Rüstow, da er unter anderem von Kurt von Schleicher, in einem zur Verhinderung der Machtergreifung aufgestellten Schattenkabinetts als Wirtschaftsminister vorgesehen war, emigrieren. 1933 wurde Rüstow auf einen Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Wirtschaftsgeschichte an die Universität Istanbul berufen. In der Ruhe des türkischen Exils entstand unter anderem Rüstows Opus Magnum Ortsbestimmung der Gegenwart, eine universalgeschichtliche Kulturkritik. In Ankara hielt Rüstow sowohl Verbindung mit dem deutschen Botschafter als auch mit nachrichtendienstlichen Kreisen von amerikanischer Seite. Botschafter in Ankara war Franz von Papen, der ehemalige deutsche Reichskanzler. Rüstow machte die Amerikaner auf Helmuth James von Moltke aufmerksam, der zum deutschen Widerstand („Kreisauer Kreis“) gehörte und im Juli 1943 Ankara besuchte.
1949 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde 1950 in der Nachfolge von Alfred Weber als Ordinarius auf den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an die Universität Heidelberg berufen. Bis zu seiner Emeritierung (Wintersemester 1955/56) war er gleichzeitig Direktor des Alfred-Weber-Instituts, war von 1951 bis 1956 der erste Vorsitzende und später Ehrenvorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, hatte die Funktion als Gesellschafter und Kurator der FAZIT-Stiftung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung inne und war Vorsitzender bis 1962 und später Ehrenvorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft (ASM).
In Heidelberg wohnte er seit den 1950er Jahren in einer Etage im Haus Mönchhofstraße 26. Er war in dritter Ehe mit Lorena (* 1902), geb. Gräfin Vitzthum, verheiratet. Seinen Ehen entsprangen insgesamt sieben Kinder. Am 30. Juni 1963 starb Alexander Rüstow in Heidelberg im Alter von 78 Jahren.
Alexander Rüstow gehört zusammen mit Walter Eucken und Franz Böhm zu den Mitbegründern des Ordoliberalismus und es war Rüstow, der auf der internationalen Konferenz "Colloque Walter Lippmann" den Begriff Neoliberalismus prägte. Er kämpfte für eine soziale Marktwirtschaft (in seinem Munde erhielt das Adjektiv "sozial" eine stärkere Betonung). Ferner trug er dazu bei, die "Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik" wieder ins Leben zu rufen. Auch geht das im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerte Konstruktive Misstrauensvotum teilweise auf Rüstows Kritik der Weimarer Verfassung zurück.
Rüstows umfangreicher Nachlass befindet sich im Bundesarchiv in Koblenz. Vom Walter-Eucken-Archiv, Frankfurt am Main, wird eine Werkausgabe der Schriften von Alexander Rüstow vorbereitet.
[Bearbeiten] Werke
- Der Lügner. Theorie, Geschichte und Auflösung des Russellschen Paradoxons, Diss. phil. Erlangen, 1910
- Schutzzoll oder Freihandel?, 1925
- Das Für und Wider der Schutzzollpolitik,1925
- Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus, 1945, Neuauflage 2001 ISBN 3-895183-490
- Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, 1949
- Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus, 2. Auflage 1950
- Ortsbestimmung der Gegenwart. Eine universalgeschichtliche Kulturkritik, 3 Bände, 1950 - 1957
- Band 1: Ursprung der Herrschaft
- Band 2: Weg der Freiheit
- Band 3: Herrschaft oder Freiheit?
- Wirtschaft und Kultursystem, 1955
- Die Kehrseite des Wirtschaftswunders, 1961
- Rede und Antwort. 21 Reden und viele Diskussionsbeiträge aus den Jahren 1932 bis 1963, Hrsg. von Walter Horch, 1963
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Alexander Rüstow im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Moltkes Denkschrift an Wilbrandt und Rüstow über die Zustände in Deutschland sowie den Warschauer Ghettoaufstand (9. Juli 1943)
Personendaten | |
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NAME | Rüstow, Alexander |
KURZBESCHREIBUNG | Deutscher Philosoph, Sozialwissenschaftler und Volkswirt |
GEBURTSDATUM | 8. April 1885 |
GEBURTSORT | Wiesbaden |
STERBEDATUM | 30. Juni 1963 |
STERBEORT | Heidelberg |