Frühkindlicher Autismus
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Klassifikation nach ICD-10 | ||
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F84 | Tief greifende Entwicklungsstörungen | |
F84.0 | Frühkindlicher Autismus | |
ICD-10 online (WHO-Version 2006) |
Leo Kanner war der Erstbeschreiber des frühkindlichen Autismus. Bereits 1943 diagnostizierte er bei elf Kindern eine „Autistische Störung des affektiven Kontakts“, welche später unter dem Namen frühkindlicher Autismus bekannt wurde.
Der frühkindliche Autismus, auch Kanner-Syndrom, Kanner-Autismus oder infantiler Autismus genannt, wird in der ICD-10-Klassifikation unter die tiefgreifenden Entwicklungsstörungen gerechnet.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Symptome und Beschwerden
Der frühkindliche Autismus, führt zu einer vielfältigen Art von Störungen, besonders im Bereich des Sozialverhaltens (Abkapselung von der Umwelt und Wahrnehmungsstörungen) und der Kommunikation (siehe auch: Sprache, Sprachentwicklungsverzögerung, Stummheit und Echolalie).
Diagnostische Leitlinien oder Merkmale für den frühkindlichen Autismus lassen sich mithilfe der zwei international anerkannten Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV erkennen. Fasst man die beiden Klassifikationssysteme zusammen, stimmen folgende Kriterien überein:
- qualitative Beeinträchtigungen wechselseitiger sozialer Aktionen,
- qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation,
- eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster,
- Beginn der Erkrankung vor dem dritten Lebensjahr
Zudem wird bei ICD-10 als Merkmal noch „unspezifische Probleme wie Befürchtungen, Phobien, Schlaf- und Essstörungen, Wutausbrüche, Aggressionen, Selbstverletzungen“ aufgeführt.
Ein Symptom für den frühkindlichen Autismus kann u. a. Abkapselung von den Mitmenschen sein. Für manche Menschen mit Autismus ist es kaum möglich, eine Beziehung zu Personen aufzubauen. Oft zeigen sie mehr Freude bei der Beschäftigung mit Gegenständen als im persönlichen Kontakt zu anderen. Andere zeigen Interesse am Sozialkontakt, leiden dann aber oft darunter, dass sie aufgrund ihrer Probleme im Sozialverhalten bei anderen Menschen anecken und ausgegrenzt werden.
In manchen Fällen entwickeln sich die Kinder schon in den ersten Lebensmonaten auffällig. In anderen Fällen verläuft die frühkindliche Entwicklung anfangs (anscheinend?) normal, Auffälligkeiten werden erst im zweiten oder dritten Lebensjahr sichtbar. Weiterhin gibt es den Verlauf, dass es nach einer anfangs (anscheinend?) normalen Entwicklung im zweiten oder dritten Lebensjahr zu einer Regression kommt, d. h. die Kinder verlieren bereits erworbene soziale und kommunikative Fertigkeiten.
Ein häufiges Symptom, das jedoch nicht zu den Diagnosekriterien des Autismus zählt, ist die Veränderungsangst: Manche Menschen mit Autismus reagieren mit Angst- und Panikzuständen, wenn etwas nicht nach dem geregelten Tagesablauf auftritt oder andere Erwartungen (z. B. der Platz, an dem die Möbel stehen) nicht erfüllt werden.
Menschen mit frühkindlichem Autismus haben meist starke Sprachauffälligkeiten. Ungefähr die Hälfte der Menschen mit frühkindlichem Autismus kann sich nicht lautsprachlich äußern. Diejenigen, die sprechen können, haben oft Sprachauffälligkeiten (beispielsweise Echolalie; Pronomenumkehr; idiosynkratischer Gebrauch von Wörtern oder Sätzen; monotone Sprachmelodie; wortwörtliches Verständnis von Sprache). Im allgemeinen sind Artikulation und Grammatik weniger betroffen, etwas stärker die Semantik und ganz stark die Pragmatik, d. h. der sachgerechte Gebrauch der Sprache bereitet Schwierigkeiten.
Bei Menschen mit frühkindlichem Autismus können weitere Symptome wie z. B. Autoaggressionen und Aggressionen auftreten, dies sind jedoch nicht als primäre Symptome des Autismus zu betrachten, eher als Bewältigungsversuche der durch die Behinderung gegebenen Einschränkungen.
Im Alter von vier bis 15 Jahren haben von 10.000 Kindern ungefähr vier bis fünf das Kanner–Syndrom. Das Verhältnis von Jungen zu Mädchen beträgt ca. 3:1. Insgesamt dürften in der Bundesrepublik von rund 80 Millionen Einwohnern etwa 40.000 autistisch sein. Davon etwa 5.000 bis 6.000 in der Altersgruppe von vier bis 15 Jahren, etwa 3.000 bis 4.000 zwischen 14 und 21 Jahre und etwa 30.000 bis 35.000 über 21 Jahre.
[Bearbeiten] Ursachen
Es weist sehr vieles darauf hin, dass Autismus genetisch bedingt ist, wobei wahrscheinlich mehrere Gene beteiligt sind. Wie und mit welchen Zwischenschritten und unter welchen Bedingungen es von der veränderten genetischen Ausgangslage zu den oben beschriebenen Symptomen kommt, ist nicht genau bekannt. Konsens herrscht jedoch weitgehend darüber, dass Autismus nicht - wie es noch in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts angenommen wurde - durch mütterliches Fehlverhalten (siehe unter: Kühlschrankmutter) verursacht wird.
[Bearbeiten] Folgen und Komplikationen
Der frühkindliche Autismus beeinträchtigt das Leben des Betroffenen ganz erheblich und erschwert die Möglichkeiten der selbständigen Lebensführung. Für Menschen mit frühkindlichem Autismus ist es aufgrund der Sprach- und Kommunikationsschwierigkeiten und besonders aufgrund der Abkapselung von der Umwelt schwer, sich an die soziale Umgebung anzupassen, Freunde zu finden oder sich in den Rahmen einer Schule oder einer Familie zu fügen. Die Erziehung eines autistischen Kindes stellt die Eltern vor große Schwierigkeiten und ist häufig mit sehr viel Stress verbunden. Auch nur leicht autistische Menschen geraten in Gefahr, bei den Menschen in ihrer Umgebung anzuecken, weil sie etwa die sozialen Regeln nicht kennen oder sie nicht anwenden können. Viele Menschen mit frühkindlichem Autismus sind lebenslang auf intensive und lebenslange Betreuung angewiesen (siehe unter: Autismus).
[Bearbeiten] Literatur
- SCHOR, B.J./SCHWEIGGERT, A.: Autismus ein häufig verkanntes Problem, Donauwörth 1999
- DZIKOWSKI, S.: Ursachen des Autismus, 2. Auflage, Weinheim 1996
- REMSCHMIDT, H.: Autismus-Erscheinungsformen : Ursachen, Hilfen, München 2000
[Bearbeiten] Verwandte Themen
- Asperger-Syndrom (die mildere Form des Autismus)
- Tiefgreifende Entwicklungsstörung (worunter auch der Autismus gezählt wird)