Geschichte des Tourismus
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[Bearbeiten] Antike
Bereits bei den Griechen in der Antike wurde zwischen Arbeit und Freizeit unterschieden, wobei Freizeit mit „schole“ und die Arbeit mit der Negation von Muße „a-scholia“ bezeichnet wurde. Die höheren Schichten der griechischen Gesellschaft mussten keine körperliche Arbeit verrichten (Sklavenhaltergesellschaft) und konnten daher durch Lernen, Nachdenken und Gespräche (Rhetorik) Wissen und Weisheit erlangen: "Nicht der einzelne Mensch muss arbeiten um anschließend Muße zu haben, sondern die große Anzahl der Unfreien muss arbeiten, damit die "Muße-Klasse" die "Schole" genießen kann".
Aber auch die Sklaven und die Unterschicht verfügten über freie Zeit, die sie an ca. 60 Tagen im Jahr bei Olympischen Spielen oder anderen Festen verbrachten. Für alle Griechen galt, dass Freizeit nicht individuell genutzt werden konnte, sondern im öffentlichen Interesse zum Wohl des Staates lag. Ähnliche Ansichten vertraten die Römer: auch hier wurde der Begriff für Arbeit „ne-gotium“ aus dem Begriff für Muße „otium“ abgeleitet. Die herrschende „Otium-Schicht“ hatte die Aufgabe, den Staat zu lenken und konnte auch individuellen Annehmlichkeiten nachgehen. Auch die Plebejer verfügten aufgrund der wirtschaftlichen Weiterentwicklung und der Sklavenhalterei über individuelle Freizeit, wobei die "Sprengkraft dieser freien ungebundenen Zeit von den Herrschenden bald erkannt wurde". Aus diesem Grund organisierten sie "Brot und Spiele" oder Wagenrennen im Circus maximus, öffentliche Bäder sowie Parks und Sportarenen entstanden und veränderten auch architektonisch sichtbar das Stadtbild von Rom.
[Bearbeiten] Neuzeit: Die Grand Tour des Adels
Hauptartikel: Grand Tour
Im 16. Jahrhundert kam in britischen Adelskreisen die sog. Grand Tour (Kavaliersreise) in Mode. Man schickte den Nachwuchs auf eine meist mehrjährige Reise nach Europa und insbesondere Italien, wo er seine Bildung und Sprachkenntnisse erweitern, Kontakte knüpfen sowie Prestige und Weltläufigkeit erwerben sollte. Später wurde diese Institution auch vom Adel anderer europäischer Staaten und schließlich von bürgerlichen Schichten aufgegriffen.
Schon bald blühten Herbergen und Gasthöfe entlang der Reisestrecken. Adelige Führungsschichten schufen so die Voraussetzungen dafür, dass Wegstrecken und die innere Sicherheit verbessert, Sommerresidenzen ausgebaut, Stadtzentren und Heilbäder gebildet werden konnten.
Die Briten wurden zu „Pionieren des Massentourismus“, denn je mehr sie zu einer mächtigen Kolonialmacht wurden, reisten sie in immer größerer Zahl in die großen Städte Italiens.
[Bearbeiten] Französische Revolution: Bürgerliches Reisen
Es gab zwar schon zu allen Zeiten Menschen, die aus Lust reisten, jedoch war dies nur ein Privileg der Adligen und wohlhabenden Bürger. Die restliche Gesellschaft konnte dies allerdings nicht ernsthaft respektieren. Man bezeichnete sie als Abenteurer und Narren. Möglicherweise sprach hieraus der Neid, denn der Großteil der Gesellschaft konnte sich den Luxus Reisen bis in das 20. Jahrhundert hinein nicht leisten.
Im Zeitalter der Romantik (1795-1840) vergrößerte sich die Zahl der Reisenden erheblich, da solche hinzukamen, die eine „Sehnsucht nach dem Unendlichen“ verspürten, sich vergnügen und selbst finden wollten. Diese Denkweise war typisch für dieses Zeitalter.
Da man in dieser Zeit sehr naturverbunden war, entdeckte man die Alpen als Reiseziel . Darauf folgend entstand 1857 der erste Alpenverein in England. Auch nahe liegende Reiseziele lockten die Reisenden bald an, so entstanden Wandervereine, für die die Erkenntnis Goethes galt: „man reist ja nicht um anzukommen, sondern um zu reisen“.
Die Geschäftswelt entdeckte nun auch, dass mit der steigenden Reiselust große Gewinne erzielt werden konnten. In diesem Aufschwung wurde 1827 der erste deutsche Verlag für Reisehandbücher von K. Baedeker gegründet. Da die Infrastruktur nicht genügend ausgeweitet war, erlangten die Reisehandbücher eine hohe Bedeutung, denn sie enthielten wichtige Tipps und Informationen für die Reisevorbereitung. 1841 folgte die erste touristische Gruppenreise, die von Thomas Cook organisiert wurde. Seine Angebote waren auch für die breitere Masse erschwinglich. Im Jahr 1845 gründete Thomas Cook das erste Reisebüro in Leicester. 1863 wurde das erste Reisebüro in Deutschland von Karl Stangen in Breslau eröffnet. Dieses bot 1873 Reisen nach Ägypten an und 1878 sogar Weltreisen.
Mit Beginn der Industrialisierung versuchte das neue Bürgertum (Kapitalbürgertum) das adelige Freizeitverhalten zu kopieren (Theaterbesuche, Wohnungsverhältnisse), andererseits war es aber auch den neuen Zwängen der Leistungsgesellschaft und des Kapitalismus unterworfen.
Durch dieses Verhalten der neuen städtischen Bürgerschicht wandte sich der klassische Adel neuen Tourismusräumen zu: dem Meer und dem Hochgebirge als neues Sommerfrischeziel. Meeresaufenthalte hatten bis dorthin lediglich medizinische Gründe, der Adel entdeckte allerdings abgelegene Fischerdörfer bzw. einzelne Küstenabschnitte als Segregationsziele. Der sportlich und wissenschaftlich motivierte Alpintourismus wurde durch Rousseaus „Zurück zur Natur“ sowie durch die Gründung diverser Alpenvereine (1862: Österreichischer Alpenverein und 1869: Deutscher Alpenverein, 1873 Zusammenschluss der beiden Vereine zum Deutschen und Österreichischen Alpenverein DOeAV) gefördert.
Als 1870 der Schilauf in der Schweiz erfunden wurde, weitete sich der Alpentourismus auch auf den Winter aus, wobei klassische "Wintertourismuszentren" entstanden. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit ist durch die klassische Sommerfrische geprägt: die Arbeiter erhalten Urlaubsregelungen und Urlaubsgeld in der Absicht, durch ihr Freizeitverhalten die Tourismusbranche zu finanzieren. Die geographische Richtung dieses Freizeitverhaltens konzentriert sich auf das "Landleben", wobei die Erreichbarkeit mit dem individuellen Automobil Bedeutung erlangt. Am Land selbst spielt die "Urlaubstreue" zur Gastfamilie/Gasthaus eine wichtige Rolle.
[Bearbeiten] 20. Jahrhundert
Im 19. und 20. Jahrhundert war das Reisen zwar nicht mehr das Privileg der Wohlhabenden, dennoch waren die einfachen Arbeiter weitestgehend davon ausgeschlossen. Dies ist auf die industrielle Revolution und die damit einhergehenden Bedingungen der Arbeiter zurückzuführen. Die Löhne waren sehr niedrig, die Arbeitszeit betrug oft 15 Stunden und mehr, selbst am Sonntag musste gearbeitet werden und Urlaub gab es selten. Trotz dieser schlechten Verhältnisse für Arbeiter erkannten die Politiker nicht das große Bedürfnis nach Urlaub. Sie waren der Ansicht, dass körperliche Tätigkeit der Gesundheit nicht schaden würde und die Arbeiter daher auch keine Erholung benötigten. Beamte hingegen leisteten nur geistige Arbeit und seien somit nicht körperlich ausgelastet. Für sie sei demzufolge ein Erholungsurlaub gerechtfertigt. 1895 gründete sich die Gruppe der Naturfreunde, die sich dafür einsetzten, dass die Arbeiter sich wenigstens an den Sonn- und Feiertagen erholen konnten. Außerdem organisierten die Naturfreunde Tagesausflüge in nahegelegene Gebiete, nachdem die Arbeiter den Erfolg hatten, sich für einen kurzen Jahresurlaub durchgesetzt zu haben. Trotzdem blieben sie bis in die 1930er Jahre hinein weit davon entfernt, ihre Träume von einer etwas länger andauernden Reise zu verwirklichen. Dies wussten die Nationalsozialisten auszunutzen, indem sie einen sechs- bis zwölftägigen Jahresurlaub gewährten. Dadurch konnten sie eine Vielzahl an Arbeitern als Wähler gewinnen. Es wurde behauptet, dass dieser Jahresurlaub rechtsverbindlich sei, jedoch traf dies erst ab 1963 zu.
Diese neue Richtung des Tourismus war durch die Industrielle Revolution und den technischen Fortschritt (Eisenbahn und Dampfschiff) möglich geworden: Hohe Kapazitäten konnten bei hoher Geschwindigkeit und geringen Kosten befördert werden. So konnten auch untere soziale Schichten innerhalb eines Tages größere Distanzen überwinden (Ausflugstourismus, Badetourismus, Kurtourismus).
Die Nazis bildeten zudem die Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF). Durch diese wurden zu sehr günstigen Preisen attraktive Reisen angeboten, die sich auch die Arbeiter mit ihrem niedrigen Lohn leisten konnten. Mit dem gewährleisteten Jahresurlaub und der Organisation „KdF“ gewannen die Nationalsozialisten nicht nur eine Menge von Wählern, sondern schufen auch eine riesige Reisewelle.
Aber der aufkommende Tourismus wird auch als politisches Mittel eingesetzt: Am 1. Mai 1933 verhängte die nationalsozialistische deutsche Regierung eine Tausend-Mark-Sperre gegen Österreich, um das Nachbarland, das zuvor die NSDAP verboten hatte, wirtschaftlich zu schwächen. Die Freizeit im Nationalsozialismus wurde durch den Staat organisiert und reglementiert: Freizeitorganisationen "Kraft durch Freude", die "Hitler-Jugend", der "Bund Deutscher Mädel" gewährleisteten, daß alle Teile der Bevölkerung freizeitmäßig organisiert waren. Der angebliche ideologische Nutzen für die Nazis war es, den Arbeitern die „Gleichheit aller Volksgenossen“ vor Augen zu führen, indem auch die Arbeiter sich an teuren Urlaubsorten erholen konnten. In Wirklichkeit beschrieb Hans Magnus Enzensberger die Lage wie folgt: „Unversehens verwandelt sich die auftrumpfende KdF-Reisen in die geduckte Verschickung und hinter den Ferienlagern stehen unsichtbar die Wachtürme jener anderen Lager, für die unsere Epoche einzustehen hat... Die vorgebliche Ungebundenheit der HJ-Fahrten stand schon unter dem Gesetz jener Fahrten, die ihre Teilnehmer später nach Stalingrad und Sibirien führen wollten.“
Anfang der 1950er Jahre erhielt die Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg einen riesigen Aufschwung. Der Glaube an „Wohlstand für alle“ wuchs von Jahr zu Jahr. Die Versandhändler Neckermann und Quelle sowie der ADAC, die zunächst gar nicht zu der Branche des Tourismus gehörten, brachten plötzlich sehr günstige Reiseangebote auf den Markt. Dies schafften sie, indem sie ihre Kosten durch billige Hotelhochbauten im Ausland sehr niedrig hielten. Dadurch wurden andere Unternehmen ebenfalls gezwungen, ihre Angebotspreise zu senken; so wurde die allgemein angesprochene Masse immer größer.
Nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges gab es während der Wiederaufbauzeit bzw. der Besatzungszeiten keine Möglichkeit der Freizeitorganisation. Erst in der wirtschaftlichen Aufschwungphase der 60er Jahre entstanden "Boom-Faktoren" und Voraussetzungen für die heutige Tourismuswirtschaft:
- Erhöhung des Realeinkommens: Urlaub als neues gesellschaftliches Prestige für alle Gesellschaftsschichten und Wertewandel durch sinkende Arbeitszeit
- Urbanisierung: fördert ein Ausbrechen aus belastenden Stressfaktoren (Urlaub=Ventil) und Wandel der Berufsstruktur durch Anstieg des Dienstleistungssektors
- Mobilisierung: als Ansatz zum Massentourismus. Ausgleichsfunktion aus der Anonymität der Großstadt "Die Attraktivität der Ferne hat etwas mit der Deklassierung der Nähe zu tun" bzw. "Lohnt es sich noch anzukommen?"
- demographische Gründe: hoher Anteil älterer gebildeter Reicher
Durch diese Boomfaktoren war ein Prototyp der modernen Urlaubsreise entstanden. Industrielle Serienfertigung, Standardisierung, arbeitsteilige Produktion und hohe Stückzahl pro Einheit waren auch Bedingung und Notwendigkeit für den modernen Pauschaltourismus. In diesem Prozess haben Reiseveranstalter Funktionen übernommen, die über jene eines normalen Produzenten hinausgehen: sie bieten den weltweiten Transport, die Lösung auftretender Urlaubsprobleme sowie die Organisation der Urlaubssituationen (Cluburlaub, Incentive).
Heutzutage gibt es in Deutschland im Allgemeinen ca. 30 Urlaubstage im Jahr. Daher ist es nicht mehr nötig, diese Tage als reine Erholungsphase zu nutzen. Der Trend der Bildungsreise, den es ursprünglich auch im 18. Jahrhundert zur Zeit der „Grand Tour“ der Adligen gab, ist wieder im Aufschwung.
Siehe auch: Tourismus
[Bearbeiten] Literatur
- Horst Callies: Geschichte und Touristik, in: H. P. Burmeister (Hrsg.), Wohin die Reise geht, Loccumer Protokolle 2, 1994, S. 143ff.
- Franziska Lobenhofer-Hirschbold, Fremdenverkehr (Von den Anfängen bis 1945), in: Historisches Lexikon Bayerns
- Hasso Spode: Wie die Deutschen Reiseweltmeister wurden. Eine Einführung in die Tourismusgeschichte, Erfurt 2003.