Johann Gottlieb Fichte
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Johann Gottlieb Fichte (* 19. Mai 1762 in Rammenau bei Bischofswerda; † 29. Januar 1814 in Berlin) war ein deutscher Erzieher und Philosoph. Er gilt neben Schelling, Kant und Hegel als Begründer und wichtigster Vertreter des deutschen Idealismus.
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[Bearbeiten] Leben
[Bearbeiten] Jugendzeit
Fichtes Vater war ein armer Bandweber in Rammenau bei Bischofswerda. Durch eine kuriose Geschichte gelangt Fichte an eine schulische Ausbildung: Eines Tages kommt der Gutsherr Freiherr Haubold von Miltitz, der die Predigt des Sonntags verpasst hat, nach Rammenau. Fichte bemerkt diesen Gutsherrn und versichert ihm die Predigt wiederholen zu können. Daraufhin imitiert Fichte den Pfarrer so perfekt, dass der Gutsherr in seiner Entzückung dem Kind eine Ausbildung an der Fürstenschule Schulpforta bei Naumburg (Saale) finanziert.
Nach seiner Schulzeit zieht Fichte nach Jena, wo er an der Universität studiert, was ihm seine finanzielle Lage aber erschwert. So wird ihm, als der gütige Gutsherr stirbt, ein weiteres Stipendium verweigert, weswegen er seine Studien abbrechen muss. Er schlägt sich fortan mühsam mit Privatunterricht durch.
Ein rettendes Angebot aus Zürich kommt, wo Fichte Hauslehrer werden soll. Nach nicht langer Zeit wird der Pädagoge jedoch des Hauses verwiesen, da Fichte die Auffassung hatte, dass man, bevor man Kinder erzieht, zu allererst die Eltern erziehen müsse. In Zürich verliebt und verlobt Fichte sich. Nach längerer Überlegung, ob eine Heirat ihm nicht die "Flügel abschneidet", kommt es zur Eheschließung mit Johanna, geborene Rahn, Tochter eines Wagenbauers.
Nach Ende der Hauslehrertätigkeit treibt es Fichte nach Leipzig. Fichtes Plan, Prinzenlehrer zu werden, scheitert. Seine zweite Idee, eine "Zeitschrift für weibliche Bildung", ist jedem Verleger zu heikel. Trauerspiele und Novellen bringen ihm ebenfalls kein Geld.
[Bearbeiten] Übergang zur Philosophie
Anno 1790 lernt Fichte die Philosophie Kants kennen, die sofort einen großen Einfluss auf ihn auszuüben beginnt. Kant inspirierte ihn zu seiner am Begriff des Ich ausgerichteten Wissenschaftslehre. Fichte sah eine rigorose und systematische Einteilung zwischen den „Dingen wie sie sind“ und „wie die Dinge erscheinen“ (Phänomene) als eine Einladung zum Skeptizismus.
1791 besucht Fichte Königsberg, wo Kant ihm einen Verleger für seine Schrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) verschafft, die anonym veröffentlicht wird. Das Buch gilt zunächst als ein lange erwartetes religionsphilosophisches Werk von Kant selbst. Als Kant den Irrtum klarstellt, ist Fichte berühmt, und erhält einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität von Jena, den er 1794 antritt.
Während seiner Jenaer Professur (1794-1799) wurde er zur Zielscheibe im so genannten "Atheismusstreit". 1799 hatte eine zunächst anonyme Streitschrift Fichtes den Streit ausgelöst: Fichte wird wegen Verbreitung atheistischer Ideen und Gottlosigkeit verklagt und zum Rücktritt gezwungen. 1805 bekommt Fichte den Lehrstuhl für Philosophie in Erlangen, 1807 wirkt er als Zensor der "Hartungschen Zeitung" in Königsberg, wird aber auf Befehl des preußischen Generals Ernst von Rüchel entlassen, 1810 wird Fichte Dekan der philosophischen Fakultät und für kurze Zeit der erste gewählte Rektor der Berliner Universität.
Fichte war spätestens seit 1794 Mitglied einer Freimaurerloge in Rudolstadt, trat allerdings nach einigen Jahren wieder aus. Auch bei der Entstehung der Gesellschaft der freien Männer hatte er einen bedeutenden Anteil. In Berlin wurde er Mitglied der deutschen Tischgesellschaft, ab Sommer 1811 deren "Sprecher" (Vorsitzender). Der sich früher als Anhänger der Französischen Revolution bezeichnende Fichte profilierte sich nun insbesondere durch die flammend patriotischen Reden an die deutsche Nation (als Text veröffentlicht bis 1808) als Gegner Napoleons.
Ein utopisches Gesellschaftsmodell - eine Art sozialistische Gesellschaft auf nationalstaatlicher Grundlage - findet sich in dem Werk Der geschlossene Handelsstaat (1800).
1813 erkrankte Johanna, Fichtes Frau, am sog. Lazarettfieber, welches sie sich bei der Pflege von Kriegsverwundeten zugezogen hatte. Auch Fichte sollte daran erkranken und konnte sich im Gegensatz zu seiner Frau von diesem Fieber nicht erholen. Er starb am 29. Januar 1814 in Berlin.
Fichtes Grabstein trägt einen alttestamentlichen Vers aus dem Buch Daniel (12,3): "Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich."
[Bearbeiten] Lehre
Obwohl Fichte die kritische Philosophie Kants akzeptiert und bewundert, verwirft er die Theorie des Dinges an sich sowie die Trennung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft. Methodischer Ausgangspunkt und Grundgedanke der Wissenschaftslehre ist das Ich, welches sich durch eine ursprüngliche Tat selbst setzt und damit gleichzeitig die Objektwelt als seinen Gegenstand und sein Produkt erzeugt. Existenz und Handeln sind damit identisch, das Erkennen ist ein abgeleiteter Aspekt in diesem Prozess. Dem Ich entgegengesetzt ist das Nicht-Ich. Die Beziehung Subjekt und Objekt fasst Fichte als dialektische Einheit von Gegensätzen auf. Diese Beziehung stellt eine Tätigkeit dar. Fichtes Wissenschaftslehre lässt sich zur Rechts- bzw. Staatsphilosophie und zur Geschichtsphilosophie erweitern. Denn er sieht das Ich durch ein anderes Ich begrenzt; die Freiheit des einen bedeute die Einschränkung der Freiheit des anderen. Fichte lokalisiert hier also ein Rechtsverhältnis, das bereits aufgrund der Existenz eines Nicht-Ich entstehe. Den Staat fasst Fichte als allgemeinen Willen, dessen Zweck es sei, die Freiheit und die Rechte seiner Bürger zu schützen. Ergänzt wird das staatliche Agieren durch das sittliche Handeln des einzelnen. Die Freiheit des Ich äußert sich in sittlichem Handeln; Vernunft und Pflicht sind Fichte eins. Freiheit in der Geschichte sei die mehr oder weniger sittliche Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse der verschiedenen Völker. Fichtes Philosophie lässt sich als ethischer Idealismus bezeichnen, wenn man davon ausgeht, dass erst der Staat Rechtsverhältnisse zwischen sich und den Bürgern bzw. unter den Bürgern schafft und dabei Beschränkungen seiner Bürger zugunsten eigener materieller Zwecke vornimmt.
Von wesentlicher Bedeutung ist auch, wie Fichte seine Gedanken darstellte und an wen er sich wandte, weil sich auch darin seine philosophischen Grundannahmen ausdrücken. Seiner Ansicht nach ist Philosophie kein bloßes Gedankenspiel, sondern sie zielt in erster Linie auf praktischer Umsetzung ab. Deswegen ist die Errichtung eines lückenlosen Systems minderwichtig, die Verständlichkeit hingegen von großer Bedeutung. Fichte hatte sich beständig darum bemüht, seine Lehre auf eine Weise darzustellen, dass sie auch vom Laien verstanden werden konnte. Sein positives Menschenbild ging davon aus, dass in jedem Menschen – und nicht nur im Fachgelehrten – der Grund echter Selbst- und Gotteserkenntnis bereits gelegt ist und lediglich auf diesen verwiesen werden muss.
In seiner populären und z. T. polemischen Darstellungsweise schuf sich Fichte unter den Fachgelehrten viele Freunde wie aber auch viele Feinde. In erbitterter Feindschaft stand er mit Friedrich Nicolai, auch wurde er von Goethe sehr skeptisch beurteilt ("Daß doch einem sonst so vorzüglichen Menschen immer etwas fratzenhaftes in seinem Betragen ankleben muß"). Trotz späterer Ablehnung übte Fichte großen Einfluss auf Schelling und Hegel aus.
[Bearbeiten] Werke (Auswahl)
- Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794)
- Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/1795)
- Grundlage des Naturrechts (1796)
- System der Sittenlehre (1798)
- Appellation an das Publikum über die durch Churf. Sächs. Confiscationsrescript ihm beigemessenen atheistischen Aeußerungen. Eine Schrift, die man zu lesen bittet, ehe man sie confsicirt (1799)
- Der geschlossne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik (1800)
- Die Bestimmung des Menschen (1800)
- Friedrich Nicolai's Leben und sonderbare Meinungen (1801)
- Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806)
- Die Anweisung zum seeligen Leben oder auch die Religionslehre (1806)
- Reden an die deutsche Nation (1807/1808)
- Das System der Rechtslehre (1812)
[Bearbeiten] Beitrag zur Französische Revolution (1793)
Sein Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution, 1793, strotzt von Antisemitismus. Das Judentum sei ein Staat im Staate, die Juden körperlich schlaff, sie hätten einen egoistischen Handelsgeist. Sie würden die (übrigen) Bürger ökonomisch ausplündern, deshalb dürften ihnen keine Bürgerrechte zustehen. Um sich davor „zu schützen“ sei es besser, sie in „ihr gelobtes Land“ zu deportieren:
„Zwinge keinen Juden wider seinen Willen, und leide nicht, daß es geschehe, wo du der Nächste bist, der es hindern kann; das bist du ihm schlechterdings schuldig. Wenn du gestern gegessen hast, und hungerst wieder, und hast nur auf heute Brot, so gib's dem Juden, der neben dir hungert, wenn er gestern nicht gegessen hat, und du tust sehr wohl daran. – Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern, und sie alle dahin zu schicken.“
– Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution: siehe Weblinks
Im Kontext des Ersten Weltkrieges gewannen sowohl die Grundzüge als auch die Reden Fichtes erneut an Bedeutung, indem sie in den Dienst des nationalen Pathos und der Judenhetze gestellt wurden.
Siehe auch: Neufichteanismus.
[Bearbeiten] Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806)
In den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters entwickelt Fichte Ansichten zu einer Geschichtsphilosophie. Im Vordergrund steht ein Entwicklungsmodell, das die Geschichte in fünf Epochen unterteilt, wobei Fichte seine eigene Epoche als das "Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit" verstand, während die Grundzüge die künftigen Epochen einleiten sollten. Diese Epochenentwicklung vollziehe sich in folgenden Stufen: 1. Instinktive Vernunft; 2. Äußerlich erzwungene, jedoch nicht überzeugende Autorität; 3. Emanzipation von jeder äußeren Autorität ("vollendete Sündhaftigkeit"); 4. Rückkehr der freien, innerlichen Vernunft und 5. Verwirklichung der freien, innerlichen Vernunft in allen äußeren Lebensbereichen.
[Bearbeiten] Reden an die deutsche Nation (1808)
Die Reden an die deutsche Nation verstehen sich als Fortsetzung der Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. In den Reden ruft Fichte im Bereich der Bildung zu einer Nationalerziehung nach Pestalozzischem Vorbild auf, die das menschliche Verhältnis zur Freiheit in der Vernunft- und Werterziehung verankern soll.
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Ausgaben
- Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 40 Bände. Hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs und Hans Gliwitzky, Stuttgart- Bad Cannstatt 1962 ff. ISBN 3 7728 0138 2.
- Fichte im Kontext. Werke auf CD-ROM. Berlin ³2002, ISBN 3-932094-25-5.
- Werke in 2 Bänden. Hrsg. Wilhelm G. Jacobs, Peter L. Oesterreich, Frankfurt a. M. 1997. ISBN 3618630735
[Bearbeiten] Sekundärliteratur
- Fichte, 1) Johann Gottlieb. Artikel in: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl. 1888 ff., Bd. 6, S. 234 f.
- Wolfgang Janke: Fichte, Johann Gottlieb. In: Theologische Realenzyklopädie 11 (1983), S. 157-171
- Hans Michael Baumgartner, Wilhelm G. Jacobs: J.-G.-Fichte-Bibliographie. Frommann, Stuttgart 1968
- Erich Fuchs (Hrsg.): J. G. Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen. 6 Bände. Fromann-Holzboog, Stuttgart 1978-1991, ISBN 3-7728-0707-0
- Wilhelm G. Jacobs: Johann Gottlieb Fichte, Reinbek ³1998, ISBN 3-499-50336-0
- Hans Schulz: Fichte und Biester, hrsg. anlässlich der 200-Jahr-Feier der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer, Leipzig 1927.
- Helmut Seidel: Johann Gottlieb Fichte zur Einführung. Junius, Hamburg 1997, ISBN 3885069571
- Hans-Joachim Becker: Fichtes Idee der Nation und das Judentum, Rodopi, Amsterdam 2000, ISBN 9042015020.
- Peter L. Oesterreich / H. Traub: Der ganze Fichte. Die populäre, wissenschaftliche und metaphilosophische Erschließung der Welt, Stuttgart 2006.
- Armin G. Wildfeuer: Praktische Vernunft und System. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zur ursprünglichen Kantrezeption Johann Gottlieb Fichtes, Frommann-Holzboog: Stuttgart 1999.
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Johann Gottlieb Fichte im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von Johann Gottlieb Fichte als Online-Texte im Projekt Gutenberg-DE (mit Einführung)
- Eintrag (englisch) in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (inkl. Literaturangaben)
- Internationale Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft e. V.
- Zwischen Kosmopolitismus und Nationalismus - J.G.Fichte (wiss. Betrachtung)
- Fichte: Beitrag (...) über die franz. Revolution, 1793
- Zeitgeschichte + Hintergründe: Johann Gottlieb Fichte (1762 - 1814)
- Johann Gottlieb Fichte im Philosophen-Lexikon von Rudolf Eisler
Personendaten | |
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NAME | Fichte, Johann Gottlieb |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Philosoph |
GEBURTSDATUM | 19. Mai 1762 |
GEBURTSORT | Rammenau bei Bischofswerda |
STERBEDATUM | 29. Januar 1814 |
STERBEORT | Berlin |