Karolingische Renaissance
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Als karolingische Renaissance bezeichnet man den kulturellen Aufschwung (Bildung, Dichtung, Buchkunst, Baukunst) zur Zeit der frühen Karolinger, ausgehend vom kaiserlichen Hof Karls des Großen.
Der Begriff der Renaissance ist dabei umstritten, weil er das Gewicht zu stark auf das Wiederaufleben der Antike und die Säkularisierung des Denkens legt. Man spricht daher auch treffender von der Bildungsreform Karls des Großen oder der karolingischen Erneuerung (lat. renovatio).
In der merowingischen Zeit war es zu einem allgemeinen Verfall der kirchlichen Organisation, der Liturgie, der Schriftkultur und der Baukunst gekommen. Man berichtete von Priestern, die nicht das nötige Latein beherrschten, um ein korrektes Vaterunser zu beten.
Karl versammelte an seinem Hof spätestens seit 777 viele Gelehrte aus ganz Europa (Alkuin, Paulus Diaconus, Theodulf von Orléans). Damit war gewährleistet, dass die Hofschule noch jahrzehntelang ein Zentrum der lateinischen Gelehrsamkeit (Theologie, Geschichtsschreibung, Dichtung) blieb, von dem aus Anregungen ins ganze Frankenreich ausgingen.
Zu den Bestrebungen und Leistungen des Hofes um die Sammlung, Pflege und Ausbreitung der Bildung, die durchaus ein Reformprogramm genannt werden dürfen, gehörten:
- Die Einrichtung einer Hofbibliothek, die alle erreichbaren Werke der „sacrae“ und der „saeculares litterae“, also der Kirchenväter und der antiken Autoren, umfasste
- die Entwicklung einer neuen Buchschrift, der sogenannten karolingischen Minuskel
- das Sammeln und Kopieren von Literatur, sowohl in schlichten Texthandschriften z. B. lateinischer Klassiker als auch in illuminierten Prachtausstattungen liturgischer Bücher, oft in Anlehnung an spätantike römische und byzantinische Traditionen (Utrechter Psalter, Godescalc-Evangelistar, Dagulf-Psalter)
- die Erarbeitung und Verbreitung einer gesicherten Textfassung der Bibel (sog. Alkuin-Bibel)
- Erlässe und Kapitularien, in denen den Kirchen und Klöstern des Reichs die Pflege der litterae ans Herz gelegt wurde (z.B. Admonitio generalis 789)
- das Augenmerk auf die Baukunst, auch hier im Rückgriff auf die Formensprache der römischen Architektur.
Die Aachener Pfalzkapelle ist ein eigenständiger Entwurf unter bewusster Anlehnung an S. Vitale in Ravenna (nach 526–547), damals für die Herrscherkirche Theoderichs gehalten, und an die Kirche Sergios und Bacchos in Konstantinopel (536 vollendet), die mit dem oströmischen Kaiserpalast verbunden war. Sowohl die herrscherliche Repräsentationsarchitektur als auch die Idee einer monastischen Idealarchitektur im 9. Jahrhundert (St. Galler Klosterplan) zeigen die enorme Bedeutung, die man der Baukunst nun wieder zuzumessen begann.
Insgesamt kann die Bedeutung der karolingischen Erneuerung für die Geschichte Westeuropas gar nicht hoch genug angesetzt werden. Insofern das 6. und 7. Jahrhundert tatsächliche „dunkle“ Jahrhunderte waren, kam dem Anstoß Karls des Großen und der Energie Alkuins die Rolle zu, das verstreute Erbe der Antike einzusammeln. Was an antiker Literatur verloren gegangen ist, ging vor dem 9. Jahrhundert verloren. Allerdings brachte die fest auf dem Boden der christlich-patristischen Lehre stehende Bildungsreform kaum Interesse für die profane Kunst der Antike auf. Bis etwa die antike Skulptur „wiederentdeckt“ wurde, mussten noch 600 Jahre – bis zur eigentlichen Renaissance – vergehen. Wobei diese "Renaissance" der italienischen Frühhumanisten eine Umwertung zuerst römischer, dann auch antiker Kultur, vornehmlich Literatur, war und keine Wiedergeburt. So wurde beispielsweise im 12. Jahrhundert äußerst viel Ovid rezepiert, alles aber stets unter klerikalen Gesichtspunkten und Bedingungen.
Siehe auch: Karolinger, Frühmittelalter, Liste karolingischer Bauwerke