Gemeinschaft
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Unter Gemeinschaft (herrührend von dem Wort "gemein", vgl. "gemeinsam") versteht man die zu einer Einheit zusammengefassten Individuen (Gruppe), wenn die Gruppe emotionale Bindekräfte aufweist und ein Zusammengehörigkeitsgefühl (Wir-Gefühl) vorhanden ist (Beziehung).
Umgangssprachlich spielt es eine besondere Rolle im Sport, in Schulklassen und in politisch engagierten Gruppierungen. Häufig wird das Wort auch benutzt, wenn die emotionalen Bindekräfte erst entstehen sollen, z.B. Europäische Gemeinschaften. Gelegentlich wird eine programmatische Aussage mit der Benutzung des Wortes getroffen.
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[Bearbeiten] Allgemeines
Gemeinschaften werden von ihren Mitgliedern gegen Außenstehende abgegrenzt, ohne dass diese das notwendig erkennen müssten. Bei kleinen Gemeinschaften (Kernfamilien, Freundesgruppen) wird deutlich, dass Gemeinschaften eher freiwillige und eher unfreiwillige Mitglieder haben können. Beispiel: Ein Ehepaar heiratet formell freiwillig, aber ihre Kinder werden unfreiwillige Mitglieder.
Neben den Extremen der freien Willensentscheidung und des hinein genötigt Werdens gibt es in der Praxis viele Gemeinschaften, bei denen die freie Willensentscheidung so eingeschränkt ist, dass sie kaum wahrnehmbar ist, ohne dass man hineingeboren wird. Ein Beispiel hierfür ist die Klassengemeinschaft in der Schule. Auch Schicksalsgemeinschaften zählen zu den Gemeinschaften, etwa zunächst wildfremde Menschen, die einander auf Grund eines Unfalls z.B. im Rettungsboot über längere Zeit gegenseitig helfen.
[Bearbeiten] Eigeninteresse der Gemeinschaften
Eine Gemeinschaft entwickelt ein Eigeninteresse, welches sich an den alltäglichen Zielsetzungen der Lebensführung der Mitglieder bemisst und entsprechend auf vielerlei Weise miteinander verflochten ist. Bestärkt wird dies durch eine deutliche Trennungslinie zwischen uns und den Anderen. Nicht selten fällt deshalb der Austritt aus der Gemeinschaft nicht leicht, wird auch behindert oder moralisch diskreditiert ("Untreue"), denn einen argumentativ vorbringbaren Einzelzweck haben sie gerade nicht. Politische Zwangsverbände werden oft als "Gemeinschaften" deklariert, um ihre Mitglieder moralisch an sie zu binden, am nachhaltigsten in totalitären Diktaturen.
[Bearbeiten] Grenzen der Vergemeinschaftung
Menschliche Individuen (soziale Akteure) können "Gemeinschaften" nur begrenzt bilden. Es ist ihnen praktisch nicht möglich, zu jedem Zeitpunkt in allen ihren sozialen Beziehungen gemeinsame Ziele zu verfolgen oder jegliche Handlungen gemeinschaftlich durchzuführen. Im theoretisch strengen Sinne ist es ihnen sogar nie zur Gänze möglich, obwohl sie es anders empfinden können. Der Begriff "Gemeinschaft" ist daher oft eine missbrauchte Fiktion. Der Begriff dient dann zumeist dem, Menschen zu einem von Zweckorganisationen oder von einzelnen charismatischen Personen gewünschten Handlungen zu drängen, indem der Eindruck erweckt wird, dieses Handeln geschehe für ihm teure oder lebenswichtige Gemeinschaften (vgl. Ideologie, Derivation). So propagierten die Nationalsozialisten den Begriff der "Volksgemeinschaft", um die von ihnen beherrschten Menschen für ihre nationalistischen, kriegerischen und rassistischen Ziele zu gewinnen.
[Bearbeiten] Soziologische Theorie i. e. S.
Eine besondere Untersuchung über den grundsätzlichen Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft stammt von dem deutschen Soziologen Ferdinand Tönnies (1855-1936) in "Gemeinschaft und Gesellschaft" von 1887 (viele Auflagen). Tönnies entwickelte darin den Ansatz, dass "Gemeinschaft" und "Gesellschaft" beide den Gegenstand der (von ihm damit in Deutschland begründeten) "Soziologie" ausmachten. Beide sind ihm Formen sozialer Bejahung, wobei der Wille, sich als einen Teil eines Kollektivs zu sehen (sich selbst notfalls als Mittel, das Kollektiv als Zweck – der Wesenwille), "Gemeinschaften" ausmache – indes der Wille, sich eines Kollektivs als eines Mittels zum eigenen Nutzen zu bedienen (der Kürwille), "Gesellschaften" konstituiere. In der Reinen Soziologie der Begriffe schlössen also die Begriffe "Gemeinschaft" und "Gesellschaft" einander aus (er nennt solche Begriffe Normaltypen); in der empirischen Welt, dem Feld der Angewandten Soziologie, erscheinen sie hingegen nach Tönnies immer gemischt. Als Sonderformen unterscheidet Tönnies dann zwischen den "Gemeinschaften des Blutes" ("Verwandtschaft"), "des Ortes" ("Nachbarschaft") und "des Geistes" ("Freundschaft").
In seinem Spätwerk Geist der Neuzeit wandte Tönnies diese Begriffe an und folgerte, dass im (europäischen) Mittelalter die "Gemeinschaft" die vorwiegende Anschauungsweise gewesen sei, in der man Kollektive verstanden habe, dass sich dies aber mit der Neuzeit zu Gunsten der Anschauung gewandelt habe, alle Kollektive eher als "Gesellschaft" zu verstehen.
Der französische Soziologe Émile Durkheim traf die in Fachkreisen verbreitete Unterscheidung zwischen mechanischer und organischer Solidarität. Mechanische Solidarität beruht auf der Gleichheit der Kompetenzen der Mitglieder, "organische Solidarität" auf ihrer Unterschiedlichkeit. Mit "mechanischer Solidarität" wird die Unterscheidung nach außen deutlicher ("Wir Arbeiter", "Wir Deutschen", "Wir Frauen"), während in der organischen Solidarität die gegenseitige Ergänzung (Arbeitsteilung) zu einer Einheit deutlich wird (Mann und Frau in der Familie, verschiedene Spezialisten in der arbeitsteiligen Volkswirtschaft). Dauerhafte Gemeinschaften haben sowohl mechanische als auch organische Elemente.
Der deutsche Soziologe Max Weber erörtert, an Tönnies angelehnt, "Vergemeinschaftung" in Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Kommunitarismus-Diskussion, ausgehend von den USA, benutzt vergleichbare Auffassungen von Community, ohne die "Gemeinschafts"-Diskussion in der europäischen Soziologie nennenswert rezipiert zu haben.
[Bearbeiten] Besondere Gemeinschaftsformen
Ferdinand Tönnies nennt als typisch Verwandtschaft, Nachbarschaft (der Begriff ist bei ihm vom Dorf bis hin zur griechischen Polis anwendbar) und Freundschaft.
Religionsgemeinschaften, vor allem Ordensgemeinschaften sind im tönnesianischen Sinn in ihrem Selbstbild stark "gemeinschaftlich"; der Einzelne opfert sich dem Kollektiv bis hin zum Martyrium. Doch über kurz oder lang 'vergesellschaften' sie sich (vgl. auch Max Webers "Vergesellschaftung").
Lebensgemeinschaften aller Art sind auf die gesamte Dauer des Lebens angelegt. Neben der Ehe und der Lebenspartnerschaft zählen dazu beispielsweise religiöse Orden, auch "Lebensbünde" (vgl. - auch generell - den "Bund"), von Burschenschaften, Corps, Sängerschaften, Turnerschaften u.a. Verbindungsstudenten. Hier sind auch faktische Zwangsgemeinschaften auf Lebenszeit auffindbar, z.B. Geheimdienste.
Die Volksgemeinschaft wurde zu Beginn des ersten Weltkriegs als Schlagwort für den Zusammenhalt der Nation beschworen. In der Weimarer Republik stritten sich die Parteien um den Begriff. Noch 1933 sprach Otto Wels in seiner berühmten Rede gegen das Ermächtigungsgesetz davon, dass die SPD die wirkliche Volksgemeinschaft wolle. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Idee der Volksgemeinschaft Teil einer politischen Beschwörungsformel, mit der Hitler Deutschland in den 2. Weltkrieg führte und den Holocaust rechtfertigte.
Wirtschaftliche Gemeinschaften wie z.B. die Gemeinschaft Dämmstoff Industrie haben meistens nur das Wort im Namen und sind meistens reine Interessenvertretungen. Zumindest bei der Gründung war aber i.a. der Gedanke dabei, dass man ein Gemeinschaftsgefühl aus gleichartiger Tätigkeit und eine Solidarität der Mitglieder schaffen könne.
Versicherungs-Gemeinschaften: Die Versicherten-Gemeinschaft der juristischen "Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit" empfindet im allgemeinen wenig Solidarität, aber dennoch handelt es sich um eine Solidargemeinschaft. Allerdings ist der Gedanke meist verlorengegangen, dass z.B. eine Brandversicherung nichts anderes bedeutet, als dass die Masse der Nicht-Brandgeschädigten (durch ihre Beiträge) den Brandgeschädigten unterstützt.
Bei Sportgemeinschaften wird das füreinander Eintreten im Mannschaftssport besonders wahrnehmbar. Bei Extremsportarten wie Bergsteigen wird die Verlässlichkeit der Gemeinschaftsmitglieder zu einem wesentlichen Element.
Zu ganzheitlich ökologischen Gemeinschaftsformen, siehe: Ökosiedlung und Global Ecovillage Network.
Wissensgemeinschaften, Communities sind soziale Gruppen von Erfahrungsträgern und Interessierten an einem Wissensgebiet. Sie werden auch im Deutschen oft mit dem Anglizismus "Community" bezeichnet. Näheres siehe unter Community.
Gefahrengemeinschaften bilden sich spontan, wenn ihre Mitglieder gemeinsam einer Gefahr ausgesetzt sind. (Vgl. auch EMON.)
[Bearbeiten] Literatur
- Ferdinand Tönnies. Gemeinschaft und Gesellschaft, (Erstauflage 1887, Neudruck der 8. Auflage von 1935:) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005
- Lars Clausen: Gemeinschaft, in: Günter Endruweit/Gisela Trommsdorf, Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart: Lucius & Lucius ²2002, S. 183-185, ISBN 3-8282-0172-5
- Bernd Henningsen, Claudia Beindorf (Hrsg.): Gemeinschaft: eine zivile Imagination, Baden-Baden: Nomos-Verlags-Gesellschaft, 1999, 3-7890-6127-1
- Michael Opielka: Gemeinschaft in Gesellschaft. Soziologie nach Hegel und Parsons, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004
[Bearbeiten] Siehe auch
- Gemeinwesen, Ökosiedlung
- Neue Gemeinschaft, Korpsgeist, Gemeinschaftsgefühl
- Zwischenmenschliche Beziehung, Partnerschaft (Beziehung), Asymmetrische Beziehung, Fernbeziehung, Community
[Bearbeiten] Weblinks
Wiktionary: Gemeinschaft – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen |