Polysynthetischer Sprachbau
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Ein polysynthetischer Sprachbau, auch inkorporierender oder einverleibender Sprachbau genannt, ist in der Sprachtypologie von Wilhelm von Humboldt und Schlegel das zentrale Merkmal sogenannter polysynthetischer Sprachen.
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[Bearbeiten] Definition
In polysynthetischen Sprachen wird ein Satz oder Satzteil gebildet, indem in das zentrale Wort (z.B. das Verb) alle oder viele andere Wörter hineingesteckt (=inkorporiert) werden. Dabei kann es vorkommen, dass das Wort regelrecht in der Hälfte geteilt wird, so dass die zwei Hälften die anderen Wörter umschließen.
Mehrere lexikalische und grammatische Elemente werden also zu einem komplexen Wort kombiniert, das im Extremfall einem ganzen Satz entsprechen kann. Eine polysynthetische Sprache führt das Konzept der synthetischen Sprachen auf eine ausgeprägtere Stufe weiter. Häufig werden Nomen und Verb in ein gemeinsames Wort verschmolzen.
[Bearbeiten] Etymologie
Der Begriff 'polysynthetisch' wurde 1819 von Peter S. Duponceau zur Beschreibung amerikanischer Sprachen geprägt, die eine Vielzahl von "Ideen" in wenigen Wörtern vereinigen. In die breitere linguistische Diskussion eingeführt wurde er 1836 von Wilhelm von Humboldt. Die Ausdrücke synthetisch und polysynthetisch in diesem Sinne wurden erstmals von Edward Sapir 1920 verwendet.
[Bearbeiten] Französisch
So zeigt das Französische nach der Meinung einiger Sprachforscher mit seiner starken lautlichen Verschmelzung der einzelnen Wörter polysynthetische Tendenzen, vor allem in der gesprochenen Form. Eine Phrase wie „je ne le sais pas“ (dt: „ich weiß es nicht“, wörtlich: „ich nicht es weiß einen Schritt“ – „pas“ ist ein alter Akkusativ des Ausmaßes zur Betonung, etwa nicht auch nur einen Schritt) wird wie ein einziges Wort gebraucht, auch wenn die einzelnen Komponenten in der geschriebenen Sprache getrennt geschrieben werden. Hier wird angenommen, dass je sais (dt: ich weiß) eine einzige Form, nämlich die des konjugierten Verbs 1. Person Singular darstellt, und „je“ kein eigenes Pronomen ist (das wäre nämlich „moi“). In dieser Sichtweise würde das Verb gespalten (in „je“ und „sais“), die Partikeln „ne“ und „le“ in das Verb inkorporiert und das „pas“ am Schluss angefügt. Ebenso erinnert etwa ein gesprochener 'Ein-Wort-Satz' [salyifraplesir] <- "ça lui fera plaisir" (dies wird ihm Vergnügen machen/bereiten) an manche Indianersprachen Nordamerikas vom polysynthetischen Typus (siehe unten!).
Auf diese Weise würden diese Partikeln zu unselbstständigen Flexionsmorphemen. Demnach könnte man Französisch als die polysynthetischste aller indoeuropäischen Sprachen bezeichnen.
[Bearbeiten] Deutsch
Polysynthetische Züge finden sich auch in deutschen Dialekten durch agluttinierende Formen, wie z.B. Bairisch mia ham-ma-n gseng, "wir haben-wir-ihn gesehen".
[Bearbeiten] Ägyptisches Arabisch
Das Ägyptische Arabisch hat (analog zum Französischen) teilweise polysynthetische Tendenzen im Vergleich zum Standardarabischen entwickelt:
matgībulhahumš "Bringt sie ihr nicht!"
- ma...š "nicht" (zusammen miš als nominale Verneinung) von Hocharabisch mā "was, nicht, kein" und šayʾ "etwas, eine Sache"
- t(i)...u Marker für 2.Person Plural Imperfekt (unmakiert --> Jussiv)
- l(ī)ha "ihr" 3. Person Singular femininum Dat.
- hum "sie" 3.Person Plural Akk.
- gīb Imperfektstamm von gāb bringen (Interessanterweise aus einer Verschmelzung von ga "kommen, zu einem kommen" und bi "mit" entstanden)
Wörtlich also:
"keine-ihr sollt geben-ihr-sie-sache" (wobei š im Ägyptischen als unabhängiges Wort im Gegensatz zu pas im Französischen nicht mehr existiert: "etwas, eine Sache" = ḥāga)
[Bearbeiten] Andere Sprachen
Insbesondere bei den Indianersprachen wie Nahuatl, Irokesisch oder Inuktitut lässt sich dieser Sprachbau sehr deutlich erkennen. Ein einzelnes Wort in jenen Sprachen kann in den meisten anderen Sprachen häufig als vollständiger Satz übersetzt werden. Ein Mohawkwort, welches oftmals als Beispiel herhalten muss, ist Washakotya'tawitsherahetkvhta'se. Übersetzt: „Er hat ihr das Ding, das man sich auf seinen Körper legt, schmutzig gemacht“, d.h. „Er hat ihr Kleid ruiniert“. Ebenso der Nootka Ein-Wort-Satz "inikwihl'minik'isit" der in etwa mit "Einige kleine Feuer brannten in dem Haus" übersetzt werden kann. (Mit der überaus flexiblen Kunstsprache Lojban wären dagegen beide syntaktischen Varianten möglich: "so'i cmalu fagri puca'o jelca ne'i le zdani" oder - wie im Nootka - "fagykemyzdanerso'icmapru" (fire-type-house-inside-many-small-past-event).)
Die Bedeutung der einzelnen Segmente des „Wortsatzes“ hängt auch von deren jeweiliger Position ab, so dass die Wortstellung ziemlich starr ist.
Zu den polysynthetischen Sprachen werden unter anderem Grönländisch, viele sibirische Sprachen und verschiedene Indianersprachen gezählt. Die Sprache der Diné wurde durch ihren Gebrauch während des 2. Weltkrieges als Geheimcode bekannt. Im geringen Maße kann man auch Baskisch und die Bantusprachen dazuzählen.
Auch hier gibt es wieder verschiedene Arten, die Morpheme zu verbinden. Bei der Agglutination werden die Morpheme ohne gegenseitige Veränderung einzeln aneinander geklebt, während sie bei fusionalem Aufbau miteinander verschmolzen werden.