Post-autistische Ökonomie
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Unter dem Namen post-autistische Ökonomie versteht sich eine soziale Bewegung von Ökonomen, die gemein haben, mit dem derzeitigen Zustand des Mainstreams der Ökonomie, insbesondere der Volkswirtschaftslehre aus dem Grund unzufrieden zu sein, weil diese zu selbstbezogen, praxisfern und wirklichkeitsfremd sei. Dies sei schlimm, aber schlimmer sei, dass die als nicht anwendbar angesehenen Theorien und Modelle der bestehenden Volkswirtschaftslehre sehr wohl zur Begründung ganz praktischer Maßnahmen herangezogen werden, was nach Ansicht von post-autistischen Ökonomen dazu führt, dass einerseits große Ineffizienzen und Ungerechtigkeiten entstehen, anderenseits dem bestehenden Volkswirtschaftslehre-Mainstream bedeutend mehr Beachtung (bis zur Unterstellung der Alternativlosigkeit) zuteil wird, als ihm unter Würdigung anhand der Realität maximal zustehen könnte.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Name
Der Name post-autistisch soll bedeuten, dass post-autistische Ökonomen aus der Selbstbezogenheit des derzeitigen Volkswirtschaftslehre-Mainstreams in gewisser Weise "aufgewacht" seien, der derzeitige Volkswirtschaftslehre-Mainstream autistisch sei im Sinne von selbstbezogen und kommunikationsarm (gegenüber der Außenwelt).
Der Name wird nicht unkritisch gesehen, könnte eine solche Verwendung des Begriffes autistisch doch eine indirekte Beleidigung von Leuten sein, die an einer Form des psychologischen Autismus' leiden, schließlich kann es gut sein, dass z.B. jemand, der an einem Asperger-Syndrom leidet, längst nicht so selbstbezogen oder jedenfalls anders selbstbezogen ist, als der derzeitige Volkswirtschaftslehre-Mainstream es ist.
[Bearbeiten] Geschichte
Als anfängliche Triebkraft der post-autistischen Bewegung wird Bernard Guerrien (Ökonom an der Sorbonne) gesehen. Sie wurde im Frühjahr des Jahres 2000 gestartet durch unzufriedene französische Ökonomie-Studenten. Die post-autistische Ökonomie wurde im Juni des Jahres 2000 nach einem Interview in der Zeitung Le Monde bekannt. Sie wurde unterstützt durch Cambridger Doktoranden-Studenten im Jahre 2001 mit der Publikation von "Opening Up Economics: A Proposal By Cambridge Students", welche von 797 Studenten unterzeichnet wurde.
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[Bearbeiten] Konzept
[Bearbeiten] Vorwurf
Der derzeitige Volkswirtschaftslehre-Mainstream beschäftige sich nur noch mit den eigenen Theorien und Modellen, entwickle diese zwar fort, habe aber kaum einen Bezug mehr zur Realität, sodass der Volkswirtschaftslehre-Mainstream sich letztendlich nur noch mit sich selbst beschäftige, die Realität ignoriere, insbesondere kaum Einsichten in die ökonomische Zusammenhänge der Realität liefere. Als Ursache für diese realitätsferne wird von post-autistischen Ökonomen insbesondere gesehen:
- das beharrliche Festhalten des Establishments, die Welt nur durch eine schmale, einschränkende "neoklassische Brille" zu sehen,
- die fehlende Kritik an der wirtschaftswissenschaftliche Mainstreamtheorie
- das Vertieftsein in oft irrelevanten und aussageschwachen Formalismen
[Bearbeiten] Schlussfolgerungen
Aus diesen Vorwürfen heraus wurde geschlussfolgert:
- Mathematische Modelle dürfen in der Ökonomie kein Selbstzweck sein.
- Hinterfragt kritisch euer Tun.
- Lasse eine Pluralität von Ansätzen zu, wobei jeder Ansatz der Komplexität der untersuchten Zusammenhänge und Objekte jeweils maßgeschneidert ist.
Insbesondere die letzte der obigen Schlussfolgerungen ist eine erkenntnistheoretische. Üblicherweise wird eine Theorie abgelehnt, wenn sie falsifiziert ist und eine neue Theorie wird bevorzugt. Die dominante Sichtweise in der Mainstream-Volkswirtschaftslehre ist sicher falsifiziert, aber andere, eventuell alternative Theorien auf dem selben Gebiet sind es auch. Daher wird es von den post-autistischen Ökonomen nicht als Lösung betrachtet eine neue dominante Theorie zu bauen, sondern angesichts der Unvollständigkeit aller Theorien-Kandidaten wird ein Pluralismus von Theorien bevorzugt, die sich durchaus widersprechen dürfen, aber je einen anderen Teilaspekt des Themas Ökonomie beleuchten. So entstehe letztendlich eine viel bessere Ausleuchtung der gesamten Ökonomie, als wenn nur eine kleine Klasse in sich sehr verwandter Theorien zugelassen, alle anderen abgelehnt werden und diese Theorien nur einen kleinen Teil der Ökonomie abdecken.
[Bearbeiten] Beispiel
Ein in der neoklassischen Theorie fast immer vorausgesetztes Axiom ist, dass die Gesamtnachfrage (auf einem Markt) die Summe der Einzel-Nachfragen der jeweiligen nachfragenden Individuen ist. (Ähnlich: Wertadditivität.) Dies bedeutet insbesondere, dass die Nachfrage eines Einzel-Individuums unabhängig ist von der Nachfrage eines anderen Einzel-Individuums. Dies ist in der Realität nicht der Fall. So kann es durchaus vorkommen, dass ein Produkt deswegen gekauft wird, weil es andere kaufen, also "hip" oder "trendy" ist. (Beispiel: Mode, Tamagotchi). In diesem Fall ist die Nachfrage durch einen Marktteilnehmer also abhängig von der Nachfrage mindestens eines anderen Marktteilnehmers. Hierbei handelt es sich nicht um die aus der Mikroökonomie bekannten einfachen Netzwerkeffekte, in der sich die Nachfragen und Kaufentscheidungen Einzelner gegenseitig bedingen (etwa: jemand kauft ein Mobiltelefon, weil die Freundin eines hat; je mehr Mobiltelefone es gibt, desto mehr Mobiltelefone wird es geben), sondern viel mehr um rein psychologische Effekte. Ein Großteil des Ökonomie basiert inzwischen auf künstlichen Bedürfnissen, die mit gewaltigem Marketingaufwand und ausgetüftelten Methoden der Manipulation im Rahmen langfristiger Strategien erst geschaffen werden (etwa Produkte ohne realen Mehrwert: Mobiltelefone mit modischen Sonderfunktionen, Klingeltöne etc.). Da dies per Definition in der jeweils relevanten neoklassischen Theorie nicht vorkommt, ist eine solche Theorie auch in sehr vielen Fällen unfähig, einen Markt zu erklären, der trotzdem so funktioniert. Die Akteure der Wirtschaft sind menschliche Individuen, deren Entscheidungen selten rein rational gesteuert werden (Peer-Pressure, Laune, Mode, Gier - selbst das Wetter beeinflusst Kaufentscheidungen). Mithin ist einer der Grundpfeiler des Wirtschaftssystems psychologischer Natur. Psychologie allerdings kommt in der neoklassischen Volkswirtschaft nicht vor.
[Bearbeiten] Einwände
Vertreter der Volkswirtschaftslehre stimmen durchaus zu, dass psychologische Erklärung nicht zu ihren Aufgaben gehöre. Dies ist Sache von Psychologen. Dennoch wird der psychologische Moment erfasst. Denn die Nachfrage eines individuums ist ahängig vom Nutzen, den der Kauf dieses Produkt dem Individuum gibt. Nutzen ist nicht direkt messbar und immer individuell subjektiv. Dieser Umstand wird aber sehr wohl berücksichtig, und zwar in den Präferenzen. Wenn meine persönlichen Präferenzen die sind, ein Handy zu kaufen (sei es, weil mein Frend auch eines hat oder weil ich es "hip" finde - dies ist völlig mir überlassen und irrelevant), dann steigert das anscheinend meinen persönlichen Nutzen. Folglich frage ich das Produkt nach. Die Präferenzen sind in der Volkswirtschaftslehre exogen gegeben und werden nicht im Modell erklärt. Deshalb ist die Theorie nicht falsch. Sie sieht lediglich die Ergenisse des Nachfrageprozesses, der eine aggregiert Funktion des subjektiven Nutzens einzelner Induviduen ist. Dieser subjektive Nutzen wird durch persönliche Vorlieben determiniert, der freilich mit Gruppendynamik wie etwa "Mode" zu tun haben kann. Dieser Einwand erschüttert die Theorie der Neoklassik jedoch in keinster Weise.
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[Bearbeiten] Alternativen
Die post-autistische Ökonomik will mit einer Pluralität von interdisziplinären Ansätzen und allen relevanten Schulen der Wirtschaftswissenschaft wirtschaftliche Phänomene untersuchen. Zu diesen Ansätzen gehören ua.:
- Evolutorische Ökonomik
- Ökologische Ökonomik
- Komplexitätsökonomik
- Kritischer Realismus
- Wirtschaftssoziologie
- Feministische Ökonomik
- Post-Keynesisanische Ökonomik
- Postmoderne Ökonomik
- Radikale Ökonomik
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[Bearbeiten] Weblinks
- Homepage des Netzwerkes post-autistischer Ökonomen
- Homepage des bundesdeutschen Arbeitskreises post-autistischer Ökonomik
- Beschreibung der Geschichte der post-autistischer Ökonomie aus Sicht eines post-autistischen Ökonomen
- Beschreibung des Anliegens der post-autistischer Ökonomie durch Edward Fullbrook (University of West of England)
[...weiter Übersetzen aus http://en.wikipedia.org/wiki/Post-Autistic_Economics ...]