Psychische Störung
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Psychische Störungen sind erhebliche Abweichungen vom Erleben oder Verhalten psychisch (seelisch) gesunder Menschen; des Denkens, Fühlens und Handelns. Als weiteres Kriterium für eine Diagnose psychischer Störungen wird heute neben der Abweichung von der Norm häufig auch psychisches Leid auf Seiten der Betroffenen unterstellt. Die Wissenschaften, die sich primär mit Störungen der Psyche beschäftigen, sind die Klinische Psychologie und die Psychiatrie.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Begriffsabgrenzung
Zu den psychischen Störungen zählen alle körperlich nicht begründbaren psychischen Erkrankungen; auch solche als Folge von körperlichen Erkrankungen (z. B. Hirnhautentzündungen oder Hirnverletzungen) - die eine Bedeutung mit Eigenwert haben (organische psychotische Störung). Heute nimmt man den Begriff lieber als „psychische Krankheit“, um eine Stigmatisierung zu erschweren: Störung ist neutraler und entzieht sich mehr einer – in diesen Fällen regelhaft negativen – Bewertung, als "...Krankheit". Kostenträger (Krankenkassen, Rentenversicherungen), die in ihrem Leistungskatalog den Krankheitsbegriff als elementare Voraussetzung eines Leistungsanspruches haben, führen die Bezeichnung „Krankheit“ durch die Hintertüre allerdings wieder ein. Indem sie von Störung mit Krankheitswert sprechen. Gerade bei psychischen Störungen als vorübergehenden Beeinträchtigungen mag diese Unterscheidung sinnvoll sein, um übermäßige und ungerechtfertigte Leistungsforderungen abzuwehren. Letztlich dient die Verwendung des Begriffs „Störung“ somit dem Zweck, den Paradigmenwechsel in der Beurteilung psychischer Probleme aus ärztlicher/therapeutischer Sicht auch im Sprachgebrauch zu dokumentieren.
[Bearbeiten] Klassifikation
Die Klassifikation psychischer Störungen ist länderspezifisch unterschiedlich und hängt oft auch psychologischen oder medizinischen Schulen ab. Es gibt zwei gängige Diagnose- und Klassifikationsschemata:
- das weit verbreitete ICD-10 der WHO
- das besonders in der psychologischen Forschung gebräuchliche DSM IV.
Traditionell ist eine Einteilung in neurotische und psychotische Störungen üblich.
[Bearbeiten] ICD-10 Notation der F(00-99) Klasse: Psychische und Verhaltensstörungen
Klassifikation nach ICD-10 | ||
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F00-F09 | Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen | |
F10-F19 | Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen | |
F20-F29 | Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen | |
F30-F39 | Affektive Störungen | |
F40-F48 | Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen | |
F50-F59 | Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren | |
F60-F69 | Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen | |
F70-F79 | Intelligenzminderung | |
F80-F89 | Entwicklungsstörungen | |
F90-F98 | Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend | |
F99 | Nicht näher bezeichnete psychische Störungen | |
ICD-10 online (WHO-Version 2006) |
Jeder ICD-Klasse wird ein bis zu fünfstelliger Schlüssel zugeordnet. Die ersten drei Stellen ergeben eine grobe Bezeichnung der Diagnose ("Dreisteller"). Psychische und Verhaltensstörungen werden nach ICD-10 in der F(00-99)-Klasse zusammengefasst.
[Bearbeiten] Verbreitung
Psychische Störungen sind weit verbreitet. Nach einer Studie der WHO leidet weltweit jeder vierte Arztbesucher daran. Deutsche Studien sprechen von ca. 8 Millionen Deutschen mit behandlungsbedürftigen psychischen Störungen. Die meisten würden jedoch nach einiger Zeit abklingen.
Psychische Störungen sind nun die vierthäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Rahmen der GKV. Seit 1991 stieg die Zahl der Krankheitstage durch psychische Störungen um etwa 33 Prozent. Dieser ansteigende Trend zu zunehmenden psychischen Erkrankungen ist in der Arbeitsunfähigkeitsstatistik seit deren Einführung im Jahre 1976 zu beobachten (Stand: 2006). Das spiegelt sich auch im stationären Bereich (Krankenhaus) wieder: Seit 1986 stieg die Zahl der Krankenhausfälle um das 2,5-fache von 3,8 Fällen je 1000 GKV-Versicherte auf 9,3 Fälle im Jahr 2005. [1]
[Bearbeiten] Behandlung
Der Begriff psychische Erkrankung und eine (positive) Diagnose sind oft angstbesetzt. Deshalb ist ein vorsichtiger Umgang mit dem Begriff notwendig.
Andererseits: ohne das Erkennen von psychischen Erkrankungen – ohne dass damit eine Stigmatisierung Erkrankter verbunden ist – heilen sie auch schwerer. Bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen muss man beachten, dass sie teilweise eine wichtige Schutz- und Signalfunktion haben, d. h., nicht verschwinden können, ohne dass „sich etwas ändert“. Außerdem ergeben sich einige psychische Erkrankungen aus einem Wechselspiel zwischen dem Kranken und seiner Umwelt, so dass bei einer Behandlung die Umwelt des Kranken mit einbezogen werden sollte (Diathese-Stress-Modell der Ätiologie)
Viele psychische Erkrankungen sind heutzutage gut behandelbar. Abgesehen von den Spontanheilungen können sich Psychotherapie und Psychopharmaka ergänzen.
Mit der Ätiologie und den spezifischen Krankheitsbildern beschäftigen sich vor allem die Psychiatrie, die Klinische Psychologie, die Psychoanalyse und die Tiefenpsychologie, auch ganzheitlich und systemisch orientierte Ansätze wie etwa die Gestalttheorie. Körperliche Ursachen werden auch in der Neurologie erforscht.
[Bearbeiten] Zwangsbehandlung
Menschen mit psychischen Störungen und einer fehlenden Einsicht über die eigene Behandlungsnotwendigkeit können gegen ihren Willen - in der Regel wegen Selbst- oder Fremdgefährdung - in einer geschlossenen Anstalt untergebracht und ärztlich behandelt werden.
Eine zwangsweise Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung soll nur unter folgenden Bedingungen stattfinden:
- Nach einer Straftat als Maßregel der Besserung und Sicherung (Maßregelvollzug).
- Als Unterbringung nach dem jeweiligen Unterbringungsgesetz, das je nach Bundesland unterschiedlich gestaltet ist.
- Nach Beschluss eines Vormundschaftsgerichts, in der Regel in Verbindung mit der Einrichtung einer Betreuung. Anmerkung: Auf der Grundlage einer Betreuung ist gemäß Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 10. August 2005 nur noch die Zwangseinweisung (Unterbringung) zulässig, eine damit verbundene Zwangsbehandlung jedoch nicht mehr. Fraglich ist, ob dieser in Niedersachsen ergangene Gerichtsbeschluss auch außerhalb Niedersachsens befolgt werden wird.
[Bearbeiten] Psychische Behinderung
Eine psychische Krankheit ist nicht immer eine psychische Behinderung, da es gelegentlich vorkommt, dass die Krankheit einmalig auftritt und - mit oder ohne Behandlung - wieder verschwindet.
- Wenn eine psychische Krankheit immer wieder einsetzt, zum Beispiel in Schüben wie bei der Schizophrenie, oder in Phasen, wie bei der bipolaren Störung, so kann man sagen, dass eine Behinderung vorliegt. Dasselbe gilt, wenn die Krankheit chronisch ist.
- http://www.ibrp-online.de unterscheidet, angelehnt an das Konzept der Weltgesundheitsorganisation, grob zusammengefasst, 3 Wirkfaktoren:
1. Störung von psychischen Funktionen, wie Antrieb, Emotionale Stabilität, Denken, Wahrnehmung
2. Störung der Aktivität wie Selbstversorgung, Kommunikation, Bewältigung von Ausbildungs- oder Arbeitsanforderungen
3. Folgen der Störung von Beziehungen mit der Umwelt, Unterversorgungslagen, wie z.B. Verlust der Arbeit
- Durch die verordneten Medikamente (meist Antidepressiva und Neuroleptika) werden zwar die Symptome der psychischen Störung weitgehend unterdrückt, aber der Patient kann durch die Nebenwirkungen, dies vor allem bei Neuroleptika zusätzlich behindert werden:
- Es kann auftreten: Übergewicht, Einschränkung der Fähigkeit zu geistiger Arbeit, Behinderung der Motorik, Behinderung der Fähigkeit, sexuelle Befriedigung zu erlangen (dies zusätzlich etwa zu einer depressiven Phase, wo das ohnehin eingeschränkt ist)
- Darüber hinaus liegt auch bei Autismus eine Behinderung vor, die nicht körperlich ist, und - bei High Functioning Autism sowie Asperger-Syndrom auch nicht geistig - es ist demzufolge eine Psychische Behinderung. Der Autist funktioniert nämlich in den Emotionen und im Sozialverhalten nicht normal, wodurch es unter Umständen unmöglich sein kann, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen und aus dem Elternhaus auszuziehen.
Um Psychisch Behinderten zu helfen, wird in manchen Landkreisen ein Hilfeplan gemacht. Zur Hilfe bei psychischer Behinderung siehe auch Sozial- und Gemeindepsychiatrie.
[Bearbeiten] Literatur
- Gregory Bateson et.al. (Hg.): Schizophrenie und Familie. Suhrkamp: Frankfurt am Main. 1984.
- Gaetano Benedetti: Todeslandschaften der Seele. Psychopathologie, Psychodynamik und Psychotherapie der Schizophrenie. Vandenhoeck und Ruprecht: Göttingen. 1991. (Anm.: als Einstieg empfehlenswert)
- Klaus Dörner, Ursula Plog, Christine Teller und Frank Wendt: Irren ist menschlich, Lehrbuch der Psychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrie-Verlag (ISBN 3884144006).
- Umfassend zum psychoanalytischen Standpunkt: die Werke von Sigmund Freud und Jacques Lacan
- Gerhard Stemberger (Hg.): Psychische Störungen im Ich-Welt-Verhältnis. Gestalttheorie und psychotherapeutische Krankheitslehre. Krammer: Wien. 2002. (Anm.: Psychopathologie aus Sicht der Gestalttheorie)
- Arno Gruen: Der Verrat am Selbst. Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau.dtv. München. 1986
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Zitiert nach "Mehr Fehltage durch psychische Leiden", Süddeuscthe Zeitung, 3. Januar 2007, S. 20
[Bearbeiten] Weblinks
- Überblick über die wichtigsten psychischen Störungen
- Internationale WHO-Klassifikation psychischer Störungen und Verhaltensstörungen (ICD-10, Kapitel V)
- Eine allgemeinverständliche, vereinfachende Aufstellung psychischer Krankheiten
- Psychiatriekritik unter dem Motto: "Was heisst irresein"
- Psychiatrie verständlich erklärt
- Kommentierte Links zu Diagnosesystemen, Übersichten und einzelnen Störungen
- Webkatalog zur Psychiatrie mit Erfahrungsberichten Betroffener
- Gregory Bateson: Auf dem Wege zu einer Schizophrenie-Theorie
- Angehörige Psychisch Kranker (Bundesverband)
- Psychiatriegespräch – Basisinformationen zu einzelnen psychischen Störungsbildern und Krankheiten
- Psychische Behinderung
- http://www.dgppn.de/aktuell/olg_celle.htm, sowie http://www.die-bpe.de/urteil_zwangsspritze.htm, Urteil über Zwangsbehandlung auf der Grundlage einer Betreuung
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