Arnold Hauser
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Arnold Hauser (* 8. Mai 1892 in Temesvar; † 28. Januar 1978 in Budapest) war ein namhafter ungarisch-deutscher, lange in Großbritannien lebender Kunsthistoriker, ein Grenzgänger zwischen verschiedenen Theorien und Disziplinen wie: Kunstgeschichte, Psychoanalyse, Kunsttheorie, Ästhetik, Sozialgeschichte, Kulturgeschichte und Kunstpsychologie.
Hauser schätzte die formalen Aspekte von Kunst, favorisierte aber als Kunstsoziologe eine sozialgeschichtliche Perspektive. Seine umfassende und intime Kunstkenntnis und seine jahrelange Tätigkeit im Filmgeschäft haben seinen Blick für Kunst als einerseits autonomes und andererseits gesellschaftliches Phänomen geschärft. Im Kunststreit zwischen West (formimmanente Interpretation) und Ost (gesellschaftliche Bedingtheit von Kunst) während des Kalten Krieges wollte und konnte Arnold Hauser vermitteln.
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[Bearbeiten] Theoretisches Grundkonzept
Hauser hielt Mitte des 20. Jahrhunderts „die Stunde der soziologischen Deutung“ von Kunst für gekommen, akzentuierte sozialgeschichtliche Aspekte der Kunstentstehung und -verbreitung, ohne formale, psychoanalytische bzw. psychologische u. a. Momente vernachlässigen zu wollen. Kunst analysierte er sowohl als autonomes bzw. autarkes Gebilde und als vielseitigen Kommunikationsprozess innerhalb zeitbestimmter Kunstverhältnisse, die sich teils nach „Bildungsschichten“ spezifizieren. Basierend auf Karl Mannheims Wissenssoziologie betrachtete Hauser Kunst als standortgebundenes „soziologisches Dokument“, das auch ideologiekritisch gedeutet werden muss. Weil Kunst traditionell wie antitraditionell, nonkonform agiert, bedeuten auch neue (Re)Produktionsmöglichkeiten nicht das Ende der Kunst. Neuere „Massenkunst“ (Filmkunst, Beat, Pop-Art) fand bei Hauser als einem der ersten Eingang in die Kunstgeschichte. Die eigentliche Kunstkrise sah Hauser im antihumanen Kampf der Gesellschaftssysteme nach 1945 begründet und in einer gewissen Sprachlosigkeit der Kunst. Aber selbst das neue „negativ Künstlerische ... bewegt sich noch ... in mehr oder weniger unverkennbar ästhetischen Kategorien...“ wie bei Samuel Beckett. Letztendlich findet Hausers Kunstbestimmung, ausgehend von der Widersprüchlichkeit im Manierismus, sein Zentrum im Begriff der Paradoxie als „Vereinigung unversöhnlicher Gegensätze“, „unvermeidliche Zweideutigkeit und ewiger Zwiespalt“ des künstlerischen Bildes. Paradox sei schließlich die gesamte „Dialektik des Ästhetischen“ (Wechselspiel von Form-Inhalt, Distanz-Bindung, Faktischem-Phantastischem, Geschichtlichkeit-Zeitlosigkeit, Bewusstem-Unbewusstem usw. usf.). Es bewährt sich bei Hauser als durchgängig gehandhabtes Erklärungsmuster, welches im „Paradoxen, der Verbindung von Unvereinbarem, eine Grundform der Kunst“ entdeckt.
Hausers konkrete kunstgeschichtlichen Arbeiten und seine kunstsoziologische Konzeption zeugen von Gedankenreichtum, Kunstkenntnis und großer Dialogbereitschaft. Hauser greift u. a. in der Kunstgeschichte auf Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Konrad Fiedler, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Georg Lukács, Alois Riegl und Heinrich Wölfflin, in der Psychoanalyse auf Sigmund Freud, in der Soziologie auf Emile Durkheim, Friedrich Engels, Karl Mannheim, Karl Marx, Georg Simmel und Max Weber zurück. Spricht er über den Film, beachtet er gleichermaßen westliche Regisseure wie Ingmar Bergman, Robert Bresson, Federico Fellini, Luchino Visconti und die Russen Sergei Michailowitsch Eisenstein und Wsewolod Pudowkin.
Trotz gewichtiger Unterschiede bestehen viele Berührungspunkte in den kunsttheoretischen Ansichten Adornos, Lukács´ und Hausers (und zum Teil in deren Biographien). Hauser will sich nicht nur hinsichtlich der gesellschaftlichen Prognosen und politischen Ambitionen zwischen Lukács und Adorno platziert wissen und versucht, sich im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Totatitätsideal und voranschreitendem Entfremdungsprozess zu behaupten. Gleichermaßen vermittelnde Positionen vertritt Hauser in Fragen des klassischen künstlerischen Erbes (von Lukács verabsolutiert), der Moderne, Avantgarde und des „offenen“ Kunstwerkes (von Adorno verabsolutiert) sowie in seiner Realismusauffassung.
Schon der wissenssoziologische Ansatz Hausers insistiert auf einen Spielraum sowohl für Kunstproduktion und Kunstrezeption. Dass die Kunst zweitens wesentlich paradox ist, eben widersprüchlich und bspw. nicht nur Form oder Inhalt, verteidigt Kunst gegen einseitige Vereinnahmungen. Und drittens stützt Hauser sein Suchen nach der rechten Mitte durch die Methode des „tertium datur“ (dritten Weges). Im Altersessay „Variationen über das tertium datur bei Georg Lukács“ heißt es: „Die Wahl des ´goldenen Mittelweges´ gehört zu den ältesten Lehren der Weisheit...“
[Bearbeiten] Wirkung
Arnold Hauser spielte für Kunsthistoriker in West und Ost eine große Rolle. Die Außenseiterposition seiner zweibändigen „Sozialgeschichte...“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist aber nicht zu übersehen. Georg Lukács resümierte in einem Radiogespräch (1969) mit Hauser: „Wenn ich nun von Ihrem Werk sprechen darf, so betrachte ich es als eines seiner ungewöhnlichen Verdienste, dass es inmitten dieser überwältigenden neopositivistischen (siehe Neopositivismus) Strömung in einer beträchtlichen Anzahl von Soziologen und Historiker den schwindenden Sinn für die wirklichen Zusammenhänge aufrechterhielt...“ Für viele Leser wirkte nach Christian Gneuss die Sozialgeschichte wie eine „Offenbarung... und öffnete wieder den Blick für historische Fragestellungen.“ Die Kritik reagierte auf Hausers Werk sehr widersprüchlich. Hinter den unterschiedlichen Wertungen verbergen sich unterschiedliche Auffassungen von einer Kunstsoziologie, nicht minder reflektieren sie die Schwierigkeiten bei der Analyse des realen Kunstprozesses als auch tatsächliche Widersprüche in Hausers Theorie selbst. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer lobten die Sozialgeschichte als ein verbindliches Zeugnis soziologischer Kunstanalyse und deren glückliche Gesamtdarstellung. Jürgen Scharfschwerdt begriff diese nur „schwer präzisierbare kunstsoziologische Konzeption“ als eine „letzte große Sinnsuche und Sinngebung der bürgerlichen Gesellschaft.“ Ekkehard May charakterisierte Hauser als den „unbestreitbar populärsten Mentor interdisziplinärer Arbeit.“ Alphons Silbermann wiederum polemisierte nachdrücklich gegen unkritische Adepten, „die sich soziologisch gebärend der ´Hauserschen Methode´ angeschlossen haben“ und wertet dessen Veröffentlichungen als ein „grenzenloses Germisch aus Sozialgeschichte, Philosophie, Psychologie, Ästhetik und marxistischer Ideologie“. Ungeachtet solcher Einwände spiegelt sich Hausers wissenschaftliche Bedeutung unter anderem in der Tatsache, dass er bereits ein Jahr nach seinem Tode – übrigens in einem von Silbermann (!) herausgegebenen Sammelband – als „Klassiker der Kunstsoziologie“ empfohlen wird.
Die „Sozialgeschichte...“ als seine zweifellos bekannteste Arbeit lag 1990 in etwa 20 Sprachen vor. In der BRD belief sich ihre Gesamtausgabe mit der neunten Auflage 1983 auf 62.000 Exemplare. Neuauflagen seiner Bücher sind im Buchhandel verfügbar. Solche Auflagenziffern signalisieren zumindest den potenziellen Einfluss Hausers. Zu berücksichtigen sind ferner seine jahrelange Lehrtätigkeit und die Übernahme von Gastprofessuren an den Universitäten Leeds (Großbritannien), Brandeis und Ohio (USA) sowie am Londoner Hornsey College of Art. Darauf anspielend meinte Zoltán Halász im positiven Sinne, er habe eine eigene „Schule“ begründet. (siehe Sekundärliteratur)
[Bearbeiten] Biografie
- 8. Mai 1892 A. H. wird in Temesvar geboren
- Besuch des Gymnasiums
- Studium der Germanistik und Romanistik sowie Philosophie an der Universität Budapest
- Studienaufenthalt in Paris
- 1916 führt ihn sein bester Freund Karl Mannheim in den Budapester „Sonntagskreis“ um Georg Lukács mit Béla Balázs, Edith Hajós, Béla Fogarasi, Frederick Antal, Emma Ritoók, Juliska Lang und Anna Schlamadinger ein
- 1917 gründeten Mitglieder des Sonntagskreises die „Freie Schule der Geisteswissenschaften“ (Beteiligung von Lajos Fülep, Zoltán Kodály, Béla Bartók, Ervin Szabó), Hauser hält Vorlesungen zur nachkantschen Ästhetik
- 1919 Beteiligung Arnold Hausers an der Kulturpolitik der ungarischen Räterepublik (Dominanz Georg Lukács´, der seine Freunde in Hochschule und Bildungspolitik einbindet)
- 1919 nach Zusammenbruch der Räterepublik Flucht Hausers nach Italien
- 1919–1938 Exil-, Studien- und Wanderjahre (Aufenthalte in Italien, Deutschland, Österreich, Arbeit im Filmgeschäft, Arbeitslosigkeit)
- 1938–1977 Schaffensperiode in Großbritannien, Beschäftigung im Filmgeschäft, 1940 fordert ihn sein Freund Karl Mannheim auf, ein Vorwort zu einer Anthologie kunstsoziologischer Werke zu schreiben. Statt eines Vorwortes entsteht in zehnjähriger Arbeit die berühmte Sozialgeschichte...:
- 1951–1957 Arbeit als Lektor an der Universität Leeds
- 1957/59 Gastprofessur an der Universität Brandeis/USA
- 1959/62 Lehre am Hornsey College of art/London
- 1963/65 Gastprofessur an der Staatsuniversität Ohio/USA
- 1965 Rückkehr nach London
- 1977 Übersiedlung in die ungarische Heimat, Ehrenmitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften
- 28. Januar 1978 Arnold Hauser stirbt in Budapest
[Bearbeiten] Werke
- 1951 „Sozialgeschichte der Kunst und Literatur“ (The social history of art)
- 1958 „Philosophie der Kunstgeschichte“ (The Philosophy of Art History)
- 1964 „Der Manierismus. Die Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst“ (Mannerism: The Crisis of the Renaissance and the Origin of Modern Art)
- 1974 „Soziologie der Kunst“ (Sociology of Art)
- 1978 „Im Gespräch mit Georg Lukács“ kleiner Sammelband mit drei Interviews und dem Essay „Variationen über das tertium datur bei Georg Lukács“
[Bearbeiten] Sekundärliteratur
- Alberto Tenenti: Hauser, Arnold: Art, histoire sociale et méthode sociologique. In: Annales. Economies, Societes, civilisations. Paris: 12(1957)3, p. 474–481
- Zoltán Halász: In Arnold Hauser´s workshop. In: The new Hungarian quarterly. Budapest: 16(1975)58, S.90–96
- Ekkehard Mai: Kunst, Kunstwissenschaft und Soziologie. Zur Theorie und Methodendiskussion in Arnold Hausers Soziologie der Kunst". In: Das Kunstwerk, 1/1976, S. 3–10
- Jürgen Scharfschwerdt: Arnold Hauser. In: Klassiker der Kunstsoziologie, hrsg. von Alphons Silbermann. München: Beck, 1979. S. 200–222
- K.-J. Lebus: Eine sozialhistorische Sicht auf Kunst und Gesellschaft. (Annotation zur Herausgabe der Sozialgeschichte... im Verlag der Kunst, Dresden, 1987). In: Bildende Kunst. Berlin: 35(1988)12, S. 572
- K.-J. Lebus: Zum Kunstkonzept Arnold Hausers. In: Weimarer Beiträge. Berlin 36(1990) 6, S. 210–228 [1]
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Arnold Hauser im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biografie von A. Hauser (Lebus, Greifswald)
- Authors´ Calendar : A. Hauser (1892-1978)
- Internetbeitrag der Uni Essen zu A. Hauser (Literaturwissenschaft)
Personendaten | |
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NAME | Hauser, Arnold |
KURZBESCHREIBUNG | Ungarisch-deutscher Kunsthistoriker und Kunstsoziologe |
GEBURTSDATUM | 8. Mai 1892 |
GEBURTSORT | Temesvar |
STERBEDATUM | 28. Januar 1978 |
STERBEORT | Budapest |