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Räterepublik - Wikipedia

Räterepublik

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Barrikaden in Paris während der Pariser Commune.
Barrikaden in Paris während der Pariser Commune.

Eine Räterepublik ist ein politisches System, bei dem die Herrschaft vom Volk über direkt gewählte Räte ausgeübt wird.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Räterepublik

In einer Räterepublik sind die Wähler in Basiseinheiten organisiert, z.B. die Arbeiter eines Betriebes oder die Bewohner eines Bezirkes. Sie wählen direkt alle öffentlichen Funktionsträger. Diese Räte sind Gesetzgeber, Regierung und Gerichte in einem, es gibt also keine Gewaltenteilung - im Unterschied zu klassischen Demokratiemodellen nach Locke und Montesquieu. Es gibt auch keine Vielfalt von Parteien, weil die Räte den einheitlichen Volkswillen verkörpern sollen. Sie sind der Basis direkt verantwortlich, an ihre Weisungen gebunden und jederzeit abrufbar; vgl. imperatives Mandat.

Die Räte werden auf mehreren Ebenen gewählt. So werden auf Wohn- und Betriebsebene in Vollversammlungen Abgesandte in die örtlichen Räte entsandt. Diese delegieren wiederum Mitglieder in die nächsthöhere Ebene – in die Bezirksräte. Dieses System der Delegierung setzt sich bis zum Zentralrat auf staatlicher Ebene fort. Die Wahlvorgänge geschehen also von unten nach oben. Die Ebenen sind meist an Verwaltungsebenen gebunden. Sie haben meist ein imperatives Mandat, sie sind also an den Auftrag ihrer Wähler gebunden – im Gegensatz zum Freien Mandat, bei dem die gewählten Mandatsträger nur „ihrem Gewissen“ verantwortlich sind. Die Räte können von ihrem Posten jederzeit abgerufen (abgewählt) werden.

[Bearbeiten] Entwicklung

Der Rätegedanke beziehungsweise die Idee der Räterepublik entstand aus der Arbeiterbewegung und wurde unterschiedlich sowohl von Michail Bakunin (Anarchismus) als auch von Karl Marx (Sozialismus/Kommunismus) und Lenin weiterentwickelt.

[Bearbeiten] Russlands Revolution

[Bearbeiten] Erstes Rätesystem ab 1905

Ein Rätesystem wurde während der russischen Revolution ab 1905 erstmals umgesetzt. Dieses wurde jedoch nach dem Vorbild Pariser Kommune (1871) errichtet. Wie damals in Paris waren auch in den russischen Räten alle gewählten Mitglieder jederzeit rechenschaftspflichtig und abwählbar, außerdem durften sie nur einen durchschnittlichen Lohn verdienen und hatten keine Privilegien. Damals bildeten sich spontane Selbstverwaltungsorgane (Räte, russisch = Sowjets) die, von den Bolschewiki unterstützt, nach der Oktoberrevolution 1917 fest eingerichtet wurden und das Grundgerüst der Sowjetunion bildeten.

Nach Ansicht einiger Historiker diente das Attentat auf Lenin den Bolschewiki lediglich als Vorwand, um die Rechte der Räte und der Opposition einzuschränken. Der Hintergrund des Attentats habe nichts mit dem Rätesystem zu tun, mit dem die linken Sozialrevolutionäre vollauf zufrieden gewesen seien, sondern der Anlass war der Abschluss des Friedensvertrages von Brest-Litowsk mit Deutschland. Kurz nach Abschluss dieses Vertrages war der Bürgerkrieg ausgebrochen. Die Sozialrevolutionäre und Anarchisten kreideten Lenin den Abschluss dieses Vertrages (wie viele Bolschewiki vor Vertragsabsschluss ebenfalls, z.B. Trotzki) als Verrat an der Revolution an. Im Gegenzug nutzten demnach die Bolschewiki unter Lenin die Wirren des folgenden Bürgerkrieges aus, um die Räte nicht nur in ihren Rechten einzuschränken, sondern sie eben auch zu zerschlagen. Dies sei nicht etwa erst nach Lenins Ableben geschehen, sondern schon zu dessen Lebzeiten.

[Bearbeiten] Kronstädter Aufstand

Dies wird teils als einer der maßgeblichen Gründe betrachtet - neben der Niederschlagung des Arbeiteraufstands in Petrograd - warum der Kronstädter Matrosenaufstand ausgebrochen war - es sei den Sozialrevolutionären und Anarchisten dabei hauptsächlich um die Erhaltung des Rätesystems gegangen. Lenin und dessen Partei schränkten die Kompetenzen der Räte stark ein, um die Macht der Partei auch weiterhin sicherzustellen, der Aufstand war eine der Folgen.

Trotzki, der den Kronstädter Matrosenaufstand mit niederschlug und die Anarchisten entmachten wollte, warf den Kronstädtern nicht konterrevolutionäre Absichten vor. Für die Bolschewiki hingegen waren sie ein gewaltiger Störfaktor, weil die Forderung der Kronstädter Matrosen nach unabhängigen Räten der Absicht der Bolschewiki, die Macht ihrer Partei zu sichern, konträr gegenüber stand.

Nach Lenins Tod 1924 und der Machtübernahme Stalins nahm die Bedeutung der Räte in Russland weiter ab.

[Bearbeiten] Schauplatz Ukraine

Der für die Ukraine ungünstige Friedensvertrag von Brest-Litowsk - die Ukraine ging an das Deutsche Reich verloren - trug mit dazu bei, dass dort zwischen 1918 und 1922 unter Nestor Machno und seinen Machnotschina eine anarchistische Revolution herrschte. Er installierte ein am Anarchismus orientiertes Rätesystem, das nach dem Rotationsprinzip funktionierte, wie oben geschildert; die Räte waren jederzeit abrufbar.

Der Anarchismus in der Ukraine fand aber 1922 ein jähes Ende, weil die ehemaligen Verbündeten, die Bolschewiki, kaum hatte man über die Konterrevolutionäre im eigenen Land gesiegt, die Machnotschina angriffen und besiegten.

[Bearbeiten] Stalin

Unter Stalin wurde der Demokratische Zentralismus in einen „bürokratischen Absolutismus“ umgewandelt, um die Linke Opposition (unter Trotzki) und später die sogenannte "Rechte Opposition" (unter Bucharin) aus der Partei drängen zu können. Stalin stärkte außerdem die Macht seines Amtes (Generalsekretär der KPdSU) und festigte sie mit der Schaffung eines Personenkults um ihn. Eine kritische Bezeichnung für diese Politik ist „proletarischer Bonapartismus“. Außenpolitisch wurde die Idee der Weltrevolution zugunsten der „These des Sozialismus in einem Lande“ aufgegeben.

[Bearbeiten] Deutschland ab 1918

In der Umbruchzeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bildeten sich im November 1918 nach dem Vorbild der Entwicklung in Russland auch in Österreich, Ungarn, Deutschland (Novemberrevolution) und anderswo spontan so genannte Arbeiter- und Soldatenräte (zuerst am 4. November 1918 in Kiel). Nach dem Spartakusaufstand unter Führung der KPD im Januar 1919 stieg deren Zahl noch weiter an, nun gab es unter anderem in Berlin, München, Hamburg, Bremen und dem Ruhrgebiet Arbeiter- und Soldatenräte. Verbunden war mit der Idee der Räterepublik das Ziel der Sozialisierung der Schlüsselindustrien (Kohle, Eisen und Stahl, Banken) im Sinne von Marx und teilweise nach dem sowjetrussischen Modell.

Im Dezember beschlossen die Räte aus ganz Deutschland im von Friedrich Ebert geführten „Rat der Volksbeauftragten“ die Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung. Damit trafen sie die Wahl für eine parlamentarische Demokratie und gegen ein Rätesystem.

Trotzdem wurden im Frühjahr 1919 nach dem Vorbild der Sowjetunion in Bremen, Mannheim, Braunschweig, Würzburg und in München wenige Wochen nach dem tödlichen Attentat auf Kurt Eisner 1919 offiziell Räterepubliken proklamiert. Aber schon im März beschloss die Reichsregierung, gegen die Räte vorzugehen. Die Reichswehr und Freikorps-Soldaten (sog. „Weiße Truppen“) erhielten den Auftrag, gegen die sozialistischen und kommunistischen Rätemilizen (sog. „Rote Truppen“) vorzugehen und lösten diese Räterepubliken gewaltsam auf. Am 11. August 1919 trat die Weimarer Verfassung in Kraft.

[Bearbeiten] Ungarns und andere Räterepubliken

Auch in Ungarn wurde im März 1919 eine Räterepublik proklamiert, die aber auch nur bis August 1919 Bestand hatte. Weitere Räterepubliken gab es im Sommer 1919 in der Slowakei um die Stadt Košice und 1920-1921 für 16 Monate in der iranischen Provinz Gilan. Die Räte tauchten auch im Ungarischen Aufstand von 1956 wieder auf.

[Bearbeiten] Referenzen

Hannah Arendt sprach sich in mehreren Schriften, insbesondere in ihrem 1963 erschienenen Werk: On Revolution (deutsch: Über die Revolution), für eine Räterepublik aus und zwar in dem Sinne, dass der „Geist der Amerikanischen Revolution“ aufgegriffen und dem Volk eine direkte Beteiligung an politischen Institutionen ermöglicht werden solle. Ansätze zur Verwirklichung des Rätegedankens sah sie im Ungarischen Volksaufstand.

Obwohl dann nicht mehr so genannt, hatten 1989 im Endstadium der VR Polen und der Deutschen Demokratischen Republik die „Runden Tische“ räterepublikanische Züge.

[Bearbeiten] Literatur

Beispiele für moderne Rätedemokratien:

  • Ralf Burnicki: Anarchismus und Konsens. Gegen Repräsentation und Mehrheitsprinzip: Strukturen einer nichthierarchischen Demokratie. Verlag Edition AV, Frankfurt 2002, ISBN 3-936049-08-4
  • Takis Fotopoulos: Umfassende Demokratie. Die Antwort auf die Krise der Wachstums- und Marktwirtschaft. Trotzdem Verlagsgenossenschaft, Grafenau 2003, ISBN 3-931786-23-4

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Weblinks

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