Großfamilie
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Eine Großfamilie besteht aus einer größeren Gruppe von über mehrere Generationen hinweg verwandten Personen.
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[Bearbeiten] Formen der Großfamilie
Bereits zwei Generationen können eine Großfamilie bilden, wenn z.B. Eltern eine größere Anzahl Kinder erziehen. Schon bei (z. B.) drei verschwägerten Paaren können so 20 bis 30 Nichten und Neffen einen großen Familienverbund darstellen, der bei nahe benachbarten Wohnungen bereits vielfältige gruppendynamische Beziehungen innerhalb der Familie ermöglicht.
Dies können die Eltern mit ihren Kindern und Kindeskindern sein, sowie Onkel, Tanten oder andere Verwandte. Früher wurde vielfach auch das Gesinde dazu gerechnet. Die Familien-Mitglieder lebten meist gemeinsam in einem Haus oder einer Siedlung und bildeten eine wirtschaftliche Einheit, die z.B. in gemeinsamer Landwirtschaft oder einem Handwerk besteht.
Zum „Verschwinden“ der großen Familien trug in den Industrieländern vor allem die Familienplanung durch die Anti-Baby-Pille seit den 1970er Jahren bei. Dies ist dort in der Bevölkerungsstatistik klar durch den Pillenknick genannten Einschnitt in der Geburtenkurve sichtbar. In weniger entwickelten Gesellschaften sind Großfamilien zum Überleben der meisten Mitglieder unerlässlich, wenn Frauen/Mütter bei der Geburt eines Kindes sterben können (Prozentsatz der Müttersterblichkeit in der Demographie/Geburtshilfe).
In den Industrieländern spielen Großfamilien durchaus noch eine Rolle in allen Schichten, obgleich eine deutliche Anhäufung in der prozentual gering vertretenen Oberschicht festzustellen ist. Dieses vermutete Phänomen ist einer soziologischen Analyse nicht leicht zugänglich, so dass Großfamilien als „verschwunden“ erscheinen. Hingegen sind sie in armen Ländern stärker verbreitet. Das hat vor allem mit der dortigen Art der Familienplanung, der vorwiegend agrarischen Wirtschaftsstruktur und einem weitgehend fehlenden Sozialsystem zu tun, so dass Kinder die „Pensionsvorsorge“ der Eltern sind (vgl. dazu Familie (Soziologie)).
In Gesellschaften, welche die Polygamie zulassen, könnten die Familienverbände theoretisch nochmals deutlich größer ausfallen.
Nach dem Mikrozenus 2005 leben in Deutschland noch ein Prozent nach dem klassischen Familienbild zusammen: Ein Haus mit Eltern, Kindern, Opa und Oma sowie in seltenen Fällen auch Urgroßeltern.
[Bearbeiten] Häufigkeit in Deutschland nach Kinderanzahl
Statistische Anzahl Haushalte nach Kinderanzahl in Deutschland:
[Bearbeiten] Zeitzeuge Großfamilie
Ein Erfahrungsbericht aus erster Quelle (Originalton ZDF Beitrag vom 8.4.2004):
- Kinderreiche Familien sind selten geworden in Deutschland. Ganze 3,3 Prozent der Eltern haben vier oder mehr Kinder. Das sind immerhin 370.000 Paare, die eine kleine Mannschaft managen müssen. Immer wieder kommt die Frage hoch, ob man so vielen Kindern überhaupt gerecht werden kann. Ja, meint Psychologin Birgit S. Die Familientherapeutin und siebenfache Mutter spricht aus eigener Erfahrung.
- Entscheidend sind zum einen die persönlichen Fähigkeiten der Eltern und die Qualität ihrer Beziehung. Natürlich spielen auch Ressourcen wie Geld und Wohnraum eine Rolle. Nicht jedes Kind muss ein eigenes Zimmer haben. Aber es funktioniert auch nicht, einen Vier- und einen 14-Jährigen in ein Zimmer zu stecken. Wichtig sind Hilfen im Haushalt und bei der Kinderbetreuung, um sich ab und an ein wenig Freiraum zu schaffen. Entweder kann man auf ein gutes soziales Netzwerk zurückgreifen, bestehend aus Großeltern, Nachbarn oder Freunden, oder aber man kann sich einen bezahlten Babysitter und eine Haushaltshilfe leisten.
- Soziale Kompetenz gefragt Ein Vorteil kinderreicher Familien ist das soziale Miteinander. Anders als Einzelkinder haben sie nicht nur Kontakt zu Gleichaltrigen und Erwachsenen, sondern auch zu Kindern in verschiedenen Altersstufen. Die großen Geschwister dienen häufig als Vorbild, die kleinen brauchen Hilfe. Dadurch lernen Kinder soziale Kompetenz und haben immer Spielkameraden. Die Beziehung zu den Eltern ist anders, da der Begriff der Familie weiter gefasst ist. Nestwärme vermitteln nicht nur Mama und Papa, sondern auch die Geschwister. Das hat Vorteile: Einem fünfjährigen Einzelkind fällt es schwerer, bei der Nachbarin zu bleiben, wenn die Mutter einkaufen geht, als einem Kind mit vielen Geschwistern, die dann solange aufpassen.
- Kinder in vielköpfigen Familien übernehmen mehr Aufgaben, das fördert die Selbstständigkeit und gibt ihnen aber auch das Gefühl, gebraucht zu werden. Notgedrungen sind die Eltern konsequenter und vermeiden so bestimmte Erziehungsfehler. Eine Mutter mit fünf Kindern kann beim Aufräumen der Kinderzimmer nicht immer selbst Hand anlegen - dazu ist einfach keine Zeit. Die Kinder müssen selbst für Ordnung sorgen.
- Keine Zeit für den Partner Meist arbeitet ein Elternteil sehr viel, um die große Familie zu finanzieren. Der andere Teil muss das Ruder zuhause mehr oder weniger allein in der Hand halten. Das ist mit vielen Kindern eine riesige Aufgabe. Füreinander bleibt wenig Zeit. Das kann die Paarbeziehung belasten.
- Außerdem besteht die Gefahr, dass man für Probleme der Kinder einfach keinen Kopf hat. Schwierigkeiten tauchen jedoch immer mal wieder auf. Wichtig ist, dass man hinschaut, inne hält und sich überlegt, was nicht stimmt. Wenn sich beispielsweise zwei Geschwister ständig streiten, sollte man aufmerksam werden, möglichst bevor das Problem richtig handfest wird.
- Prinzipien sind wichtig Es gibt bestimmte Erziehungsprinzipien, die es zu beachten gilt und die eigentlich allen Kindern zugute kommen, in einer großen Familie aber besonders wichtig sind.
- Die ersten drei Jahre im Leben eines Kindes sind besonders prägend für das Bindungsverhalten. Es ist wichtig, dass Kinder eine feste Bezugsperson haben. Auch wenn man sehr viele Kinder hat, sollte man darauf achten, dass die Kleinen oft mit Mutter oder Vater zusammen sind.
- Was Einzelkindern nicht schadet, ist in Großfamilien unumgänglich: Jedes Kind übernimmt bestimmte Aufgaben im Haushalt. Die Aufgaben sollten altersgerecht vergeben werden - der Kleinste wischt den Tisch ab, der Größte mäht den Rasen. Alle Beteiligten sollten ihre Aufgaben zu einem bestimmten Termin erledigen. Kinder lernen so Zuverlässigkeit und sich in einer Gemeinschaft einzubringen.
- Kinder brauchen feste Regeln - wie ein Geländer, an dem sie sich entlanghangeln können. Wichtig ist das für alle, in Großfamilien aber bräche ohne feste Regeln ein heilloses Chaos aus. Also: Regeln klar kommunizieren, beispielsweise wird erst gegessen, wenn alle etwas vor sich stehen haben.
- Gerade wenn sich im Alltag alles um die Kinder dreht, sollte man sich bewusst Freiräume schaffen. Sich beispielsweise mit dem Ehemann im Café oder zum Spaziergang verabreden oder einfach mal die Zimmertür hinter sich zu machen und ganz klar sagen, dass man eine halbe Stunde nicht gestört werden will.
- Knappe Finanzen Das Leben als Großfamilie ist einfach teuer. Der Staat unterstützt die ersten zwei Kinder mit monatlich 154 Euro und jedes weitere mit 179 Euro. Dazu gibt es - bis höchstens zum zweiten Lebensjahr des Kindes - Erziehungsgeld in Höhe von 307 Euro, wenn die Einkommensgrenze von 51.130 Euro nicht überschritten wird.
- Familienermäßigungen in Museen, Zoo oder Schwimmbädern gelten oft nur bis drei Kinder. Geld ist in den allermeisten Fällen knapp, selbst wenn der Erwerbstätige der Familie ganz gut verdient. Da heißt es: Prioritäten setzen und erfindungsreich sein. Beim Einkaufen muss schon gerechnet werden. Allen Widrigkeiten zum Trotz hat dies aber auch den günstigen Begleiteffekt, dass Kinder lernen, materielle Güter wertzuschätzen.
- Kinderreich gleich asozial Auf die ersten Kinder reagiert das Umfeld üblicherweise positiv. Ab dem vierten Kind aber stößt man nicht selten auf Befremden. Viele können sich nicht vorstellen, dass sich jemand freiwillig für ein Leben mit so vielen Kindern entscheidet. Schnell wird man als asozial abgestempelt. Das übt einen gewissen Druck aus, sowohl auf die Eltern als auch auf die Kinder. Um damit umgehen zu können, sollten die Kinder wissen, dass die Familie in der Größe erwünscht ist und vieles zwar anders, aber nicht schlechter ist.
[Bearbeiten] Der Mythos von der Großfamilie
In Mitteleuropa wird vielfach die Zahl und Größe der früheren Großfamilien überschätzt. Dazu tragen folgende Aspekte bei:
- Bis zur Jahrhundertwende war die Mütter- und Kindersterblichkeit sehr hoch. Beispielsweise starben 1832-1835 in Bayern von 1.000 Lebendgeborenen 302 Kinder noch im ersten Lebensjahr, und in den Jahren 1901-1905 immerhin noch 240 Kinder.
- Dadurch waren diese Familien höchstens doppelt so groß wie heute. Die durchschnittliche Haushaltsgröße im Bayern der Jahre 1818 bis 1871 betrug 4,6 Personen, stieg 1900 kurzfristig auf 4,7 Personen an und sank bis 1925 auf 4,3 Personen.
- Zu diesem Faktum trug auch bei, dass auf dem Land das männliche Heiratsalter bei über 28 Jahren lag und jenes der Frauen bei 27 Jahren (nach zwischenzeitlichem Sinken liegt es nun wieder ähnlich wie vor 100 Jahren). Durch die niedrige Lebenserwartung und die frühere Menopause standen daher nur etwa 15 Jahre für die Zeugung von Kindern zur Verfügung.
- Insgesamt machten daher die Familien mit mehreren Generationen weniger aus, als gemeinhin angenommen wird.
Ein weiterer Aspekt ist der Bevölkerungsanteil, dem eine Heirat kaum möglich war. So lebten und arbeiteten in vielen der früheren Haushalte familienfremde Personen, was die Struktur der „Großfamilien“ schwer überschaubar macht. 1910 wohnte Gesinde in 20 % der Haushalte Bayerns, wozu noch 11 % Untermieter beziehungsweise Bettgeher kamen. Im Deutschen Reich lebten 1882 1,282 Millionen Dienstboten im Haus des Arbeitgebers; 1925 waren es 1,016 Millionen und 1939 immerhin noch 995.000 Personen. Soziologisch herrschten auch in unserer Vergangenheit Kleinfamilien und komplexere „gemischte“ bzw. „binukleare“ bzw. Stieffamilien vor. Der angebliche Übergang von der Groß- zur Kleinfamilie ist daher unzutreffend, bzw. betrifft er nur die Zahl der Kinder und kaum jene der Generationen[1]. Abweichend zu den heutigen Kleinfamilien, in denen vorwiegend das Matriarchat vorherrscht, gibt in Großfamilien bis heute das klassische Patriarchat (Soziologie) den Ton an. Siehe auch patriarchale Hegemonie.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Familienformen
- Kernfamilie
- Kleinfamilie
- Alleinerziehende (auch „Einelternfamilie“)
- Stieffamilie
- Regenbogenfamilie
- Single
[Bearbeiten] Film
- Susanne Brand: Abenteuer Großfamilie. ZDF 2006, in der Reihe 37 Grad. Sendung 23. Mai 2006, 22.15 Uhr, Wh - 3sat: 1. Juni 2006, 18.00 Uhr. Reportage, 30 Min.
- Susanne Brand: Eins + Eins = ? Ein Reich ist leicht zu regieren, eine Familie schwer. ZDF 2006, in der Reihe 37 Grad. (Anne und Jürgen Katzmarek aus Salzgitter haben zwölf Kinder. Jedes Kind war ein Wunschkind, sagen sie.)
[Bearbeiten] Literatur
- Cordula Nussbaum: Familien-Alltag sicher im Griff. So meistern Sie das tägliche Chaos gelassen und souverän. Gräfe und Unzer, 5. Auflage - 2004. 128 Seiten. ISBN 3-7742-6676-X
- Hartmut Kasten: Geschwister. Vorbilder, Rivalen, Vertraute. Reinhardt, München 2003 - 5. Aufl. 192 Seiten. ISBN 349701656X .
- Cornelia Nitsch, Cornelia von Schelling: Kindern Grenzen setzten - wann und wie? Mit Liebe konsequent sein. Mosaik. 2004. 127 Seiten. ISBN 3-442-16585-7 (Ratgeber für gestresste Eltern)
- Susanne Reinhardt, Dieter Voss: Der Familien-Manager. Den Haushalt effektiv organisieren und planen. Eichborn Verlag. 80 Seiten. ISBN 3-8218-3955-4 (Vor allem Checklisten und Pläne)
- Julia Rogge: Den Alltag in den Griff bekommen. Familien-Management. Deutscher Taschenbuch Verlag - 3. Auflage 2000. 270 Seiten. ISBN 3-423-36199-9 (Vorlagen für Essens- und Stundenpläne, Checklisten; weitere Literaturempfehlungen)
- Karl-Theo Göhring: 85 Luftballons und eine Giraffe. Geschichten einer Großfamilie. 1999. Verlag der Rheinhessischen Druckwerkstätte Alzey. ISBN 3-87854-139-2 . 126 Seiten.
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Elternschaft/s_257.html familienhandbuch.de
[Bearbeiten] Weblink
- Statistisches Bundesamt: Immer weniger Haushalte mit Eltern und Kindern - Pressemitteilung vom 6. Juni 2006 (Dort Links zur Pressebroschüre und methodischen Kurzbeschreibung)
- Kurt Bierschock: Kinderreiche Familien. Ein Überblick. In: Martin Textor (Red.): Das Online-Familienhandbuch. 2004, auch unter Kurt Bierschock, Das Familienhandbuch, Bamberg 2004