Soziales Netzwerk
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Soziale Netzwerke sind Netzwerke, die
- in der Soziologie gegebene Interaktionsgeflechte (z. B. Bekanntschafts-Netzwerke) abbilden;
- in (zumeist) der Betriebswirtschaftslehre zielbezogene Organisationen (z. B. informelle Zusammenschlüsse, Verbände) von Menschen umschreiben, die durch das Netzwerk einen Vorteil erfahren oder sich erhoffen;
- in der Systemtheorie oft als Systeme aufgefasst werden.
(zu berücksichtigen sind noch die psychologischen und pädagogischen Anwendungen bzw. "Schulen", die sich ebenfalls etabliert haben.)
Der englische Begriff social network bezeichnet
- in der Soziologie Interaktionsgeflechte (s.o.);
- Webseiten, wie MySpace, StudiVZ oder Lokalisten, welche ein "Freundenetzwerk" als virtuelles Interaktionsgeflecht darstellen. Benutzer solcher Webseiten können in der Regel ein persönliches Profil von sich entwerfen, um so den öffentlichen Eindruck zu schärfen.
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[Bearbeiten] Unterschiedliche Verwendungen
[Bearbeiten] Beschreibung sozialer Interaktionen
Der Begriff "soziales Netzwerk" ist im ersten Fall eine Beschreibung sozialer Interaktionen beliebigen Typs und wurde zuerst in der englischen Social Anthropology (vgl. Ethnosoziologie) von J. Clyde Mitchell, A. L. Epstein, Bruce Kapferer u. a. (von der Manchester School) benutzt, um lose Selbstorganisationen von einzelnen Zuwanderern in kolonialen Industriestädten (z. B. in Sambia) zu ermitteln und zu erklären; der Begriff wurde dann nach Europa übertragen, um z. B. informellen Einflussgrößen für eheliche Arbeitsteilung auf die Spur zu kommen (Elizabeth Bott), und in Deutschland zumal von Franz Urban Pappi, Peter Kappelhoff u. a., um Willensbildungen in der Kommunalpolitik zu erschließen (vgl. Stadtsoziologie). Das Nützliche dieses Ansatzes war, dass "soziale Netzwerke" gerade keine 'Ziele' haben, sondern sehr disparate Ziele einzelner Akteure und Gruppen verknüpfen, und gerade hierfür fehlte vorher ein analytischer Begriff. Eine ebenfalls sehr wichtige frühe Anwendung zur Analyse sozialer Netzwerke bestand in der klassischen Moreno-Soziometrie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (benannt nach dem Arzt und Psychiater Jacob L. Moreno (1932, 1934). Seine Soziometrie ist besonders für grafische Abbildungen von Netzwerken und Beziehungen bekannt geworden.
[Bearbeiten] Gewollte lose Form zielgerichteter Organisationen
Sodann wurde, im zweiten Fall, der Begriff zur Beschreibung einer gewollten losen Form der Organisiertheit übernommen und abgewandelt. Er umfasste zunächst Cliquen und dergleichen. Nur in diesem Fall ist ein „Netzwerk“ teilweise mit dem Systemgedanken kompatibel, der in Natur und Technik eine große Rolle spielt, sowie im Bereich der gesellschaftlichen und sozialen Prozesse. Er wurde z. T. dann auch beschönigend benutzt (vgl. Ideologie), um (zumal flache) Hierarchien ohne Bezug auf „Herrschaft“ zu beschreiben, indem er - gar nicht unrealistisch - Formen der Kooperation betonte. Er verlor aber genau den Charakter, eine ungewollte Strukturierung aufzudecken.
Ein derartiges Netzwerk ist zum Beispiel die Summe von sozialen Kontakten zur Erlangung persönlicher Vorteile, zum Beispiel in der Politik oder im Berufsleben (Karrierenetzwerk). Der Begriff Netzwerk löst hier sprachlich die eher negativ besetzten Begriffe Seilschaft und Vitamin B ab, mit denen die Beziehungsgeflechte der Anderen, beispielsweise des politischen Gegners, abqualifiziert werden. Die eigenen Verbindungen zwecks Erlangung persönlicher Vorteile werden dagegen heute als Netzwerk schöngeredet.
[Bearbeiten] Netzwerke in der Systemtheorie
Die Wahrnehmung der Lebenswelt als eines Netzwerks, das Denken in Netzwerken, ist ein Element (nicht nur) des Systemdenkens, das sich in den letzten Jahrzehnten in allen Bereichen als ein vorrangiges Paradigma modernen Denkens hervorgearbeitet hat. Stand hier zunächst die Komposition des Systems aus seinen Teilen, und die Feststellung der Eigenschaften der Systemteile und des Gesamtsystems im Vordergrund des Interesses, so traten doch bald die Beziehungen der Systemteile zueinander als eigenständige Dimension hervor. Es stellte sich schnell heraus, dass die Summe der Eigenschaften der Teile nicht die Eigenschaften des Ganzen ergibt. Die systemischen Eigenschaften sind nicht bei einem einzelnen Systemteil vorhanden, sondern ergeben sich durch die prozesshaften Beziehungen der Teile. Bei näherer Betrachtung lösen sich diese Teile sogar wiederum in kleinere netzwerkartig organisierte Systeme auf, so dass schließlich die Zusammenhänge, Beziehungen und Prozesse als eigenständige Ebene primär in den Blick geraten.
In der Technik vermag dies sogar eine neuartige Klasse von "Fehlern" (von der Ingenieurwissenschaft her gesehen: von "systemischen Fehlern") vor Augen rücken, die im Extremfall sogar das System (z. B. eine Fabrikanlage) katastrophal gefährden können (Systemzerstörung).
Konkretisiert auf den (zumeist) wirtschaftlichen Bereich bedeutet der systemtheoretische Ansatz eine Abkehr von herkömmlichen, hierarchisch-dirigistisch gesetzten Organisationsstrukturen und eine Hinwendung zu Kooperation und Koordination in Netzwerken in Wirtschaft und Gesellschaft. Die in diesen Netzwerken handelnden Akteure agieren im Rahmen von Organisationen, Unternehmen oder als Einzelpersonen in unterschiedlichen Netzwerken. Unternehmen und Organisationen bilden selber eigene Netzwerke und werden in größere Netzwerkstrukturen eingebunden. Von den damit verbunden diskursiven Prozessen wird (meist in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre) viel erwartet, werden synergetische Effekte postuliert und Innovationen in Aussicht gestellt. Auch wenn gleichzeitig die Schwierigkeiten dieser Entwicklung deutlich werden, so ist (2003) der Trend doch ungebrochen und ein Umdenken in Gang gesetzt, der seine Anfänge in Formen von Netzwerk-Marketing findet.
Nach Weyer (2000) können (systemische) soziale Netzwerke entsprechend den Handlungsbereichen in vier Kategorien eingeteilt werden:
- Strategische Netzwerke - Unternehmensnetzwerke
- Regionale Netzwerke
- Policy-Netzwerke
- Innovationsnetzwerke
[Bearbeiten] Untersuchung sozialer Netzwerke
Soziale Netzwerke werden unter anderem in der Ethnologie, Soziologie, Sozialpsychologie, Kommunikationswissenschaft, Computerphysik und Spieltheorie erforscht. Dafür existiert eine entfaltete Terminologie ("Multiplexität", "Netzwerkdichte" u.v.a.m.). Die dort entwickelten Verfahren können auch zur webometrischen Untersuchung des Internets eingesetzt werden. Es zeigt sich, dass Soziale Netzwerke von ihrer Struktur oft Kleine-Welt-Netzwerke bilden, in denen die maximale Distanz zwischen einzelnen Einheiten überraschend gering ist.
Popularität erlangte das Small-World-Experiment des US-amerikanischen Psychologen Stanley Milgram von 1967. Dabei sollten 300 Versuchsteilnehmer aus dem mittleren Westen der USA ein Päckchen an eine Zielperson in der Umgebung von Boston schicken. Sie durften das Päckchen aber nur an ihnen bekannte Personen weiterschicken. Falls sie ihre Aufgabe nicht direkt erledigen konnten, sollten sie die Sendung an einen Bekannten weiterreichen, der die Zielperson ihrer Meinung nach kennen könnte. Dabei hatte Milgram entdeckt, dass in der Regel sechs Zwischenstationen ausreichen, um die Päckchen vom Absender zum Empfänger zu liefern. Daraus entwickelte er die Theorie, dass die Mitglieder eines sozialen Netzwerks maximal über sechs Knotenpunkte miteinander in Verbindung stehen ("six degrees of separation").
Siehe auch: Graphentheorie, Netzwerktheorie, Figuration (Soziologie), Netzwerkarmut
[Bearbeiten] Soziale Software
Social Networking Software -also Software die die Möglichkeit bietet, seine Beziehungen zielgerichteten im Internet zu verwalten - wird zur Kategorie Soziale Software gezählt.
Mit Social Networking Software hat der User die Möglichkeit ein eigenes Profil zu erstellen, in das er u.a. seinen Lebenslauf, seine Interessens- oder Fachgebiete, aber auch seine (persönlichen) Kontaktdaten und ein Foto für andere Nutzer zugänglich machen kann und so online präsent ist. Zusätzlich gibt ein Benutzer dann noch an, mit welchen anderen Benutzern er vernetzt (bekannt) ist – entweder direkt zur Angabe von Kontakten oder indirekt durch Angabe geeigneter Metainformation. Er allein entscheidet darüber, wem er welche Daten zur Verfügung stellen will. Vorteilhaft ist auch, dass jeder User nur seine eigenen Daten aktuell halten muss, die Daten der anderen User werden von diesen selbst aktualisiert und bei Bedarf von anderen Nutzern abgerufen.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Albert-Laszlo Barabasi: Linked: How Everything Is Connected to Everything Else and What It Means for Business, Science, and Everyday Life, ISBN 0452284392
- Hermann Bullinger / Jürgen Nowak: Soziale Netzwerkarbeit. Eine Einführung. Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag 1998
- Burt, R. 1992: Structural Holes, Cambridge, MA.: Harvard University Press,
- Granovetter, M. 1973: „The strength of weak ties“, in: American Journal of Sociology, Vol. 78, 6, 1360-1380.
- Torsten Kleinz: Netzbekanntschaften. Neue Internet-Dienste helfen, soziale Netzwerke zu flechten, in: c't 18/2004 S. 84, ISSN 0724-8679
- Michael Kunze: Verflochtenes Leben. Web 2.0 - der nächste Schritt, in: c't 1/2006 S. 174, ISSN 0724-8679
- Niklas Luhmann: Soziale Systeme, Suhrkamp
- Harvey Mackay: "Networking" - Das Buch über die Kunst, Beziehungen aufzubauen und zu nutzen, ISBN 3-430-16257-2, ECON - Verlag
- J. Clyde Mitchell: Social networks in urban situations
- Wouter de Nooy, Andrej Mrvar, Vladimir Batagelj: Exploratory Social Network Analysis with Pajek, Cambridge University Press, 2005
- Alexander Richter und Michael Koch: Social Software – Status quo und Zukunft, Technischer Bericht Nr. 2007-01, Fakultät für Informatik, Universität der Bundeswehr München, 2007.
- Christian Stegbauer / Alexander Rausch, Strukturalistische Internetforschung. Netzwerkanalysen internetbasierter Kommunikationsforen. Wiesbaden: VS-Verlag.
- Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der frühen Neuzeit, Berlin: Duncker & Humblot 2005
- Martin J. Waibel, (2004): Konzepte des Sozialen Netzwerks, des sozialen Rückhalts sowie des sozioemotionalen Rückhaltes für die Praxis der Integrativen Supervision In: SUPERVISION: Theorie – Praxis – Forschung. Eine interdisziplinäre Internet-Zeitschrift - 11/2004.
- Stanley Wassermann, Katherine Faust: Social Network Analysis: Methods and Applications, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 1994
- Johannes Weyer: Soziale Netzwerke, München: Oldenbourg 2000, ISBN 3-486-25257-7
- Cai Ziegler: Schöne kleine Welt. Vom Wesen natürlicher Vernetzung, in: c't 24/2005 S. 188, ISSN 0724-8679
- Penny Power, Thomas Power with Andy Coote (2005): A Friend in Every City. One Global Family - A Networking Vision for the Twenty First Century, ISBN 0-9545093-7-4, Ecademy Press
[Bearbeiten] Weblinks
- Soziale Netzwerke: Worthülse oder wissenschaftliche Kategorie? Beitrag im online-Magazin sciencegarden
- Referenzliste von Software zur Analyse und Visualisierung sozialer Netzwerke
- Social Networking Awards - The Top Social Networks of 2006 (engl.)