Louis Althusser
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Louis Althusser (* 19. Oktober 1918 in Birmandreis bei Algier, Algerien; † 23. Oktober 1990 in Paris) war ein französischer Philosoph. Er gilt als einer der einflussreichsten europäischen marxistischen Philosophen der 1960er und 1970er Jahre. Althusser war Lehrer von Michel Foucault, Jacques Derrida, Nicos Poulantzas und Bernard-Henri Lévy.
1980 erdrosselte Althusser seine Ehefrau Hélène Rytman und wurde daraufhin bis 1983 in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt untergebracht. Er hatte seit den 1940er Jahren (NS-Kriegsgefangenschaft) an manisch-depressiven Störungen gelitten.
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[Bearbeiten] Theorie
Althusser, der unter anderem von der Psychoanalyse Jacques Lacans, von der politischen Theorie Antonio Gramscis, von der Philosophie Spinozas sowie von der Epistemologie Gaston Bachelards beeinflusst war, unterzog das Werk von Karl Marx einer strukturalen Lesart.
Althusser spielte in den marxistischen Diskussionen Frankreichs, Italiens und Lateinamerikas eine wichtige Rolle, doch in DDR und BRD blieb Althusser die Anerkennung weitgehend verwehrt. Auch wenn er zwischendurch immer wieder in Vergessenheit zu geraten scheint, beeinflusst Althussers Denken wichtige Debatten. In den vergangenen Jahren integrierten zum Beispiel Judith Butler und Slavoj Žižek Althussers Begriff "Anrufung" ("Interpellation") in ihre Subjekt-, Ideologie- und Gesellschaftstheorie. Die postmarxistischen TheoretikerInnen Ernesto Laclau und Chantal Mouffe greifen außerdem seine Verwendung des psychoanalytischen Begriffs der Überdeterminierung auf. Elemente sind dann überdeterminiert, wenn sie nicht auf eine einfache Ursache zurückzuführen sind oder eine eindeutige Bedeutung haben, sondern sich aus mehreren Quellen speisen und sich gegenseitig beeinflussen.
Für Althusser gründen dialektischer wie historischer Materialismus auf dem Prinzip des Vorrangs der Arten von Praxis. Alle Ebenen der sozialen Existenz sind verschiedene Praxen. Praxis bedeutet die Transformation eines (politischen, symbolischen, ökonomischen, 'natürlichen') Ausgangsmaterials durch bestimmte Akteure, welche in einem spezifischen Kontext bestimmte (politische, symbolische, ökonomische, ...) Produkte herstellen. Sie ist immer das determinierende Moment im Produktionsprozess. Althusser unterscheidet mehrere Arten von Praxis: theoretisch-wissenschaftliche, politische, ideologische und ökonomische. Die Konfiguration aller Praxisformen bildet die jeweilige Gesellschaftsformation. Die Akteure sind die in Klassen situierten und organisierten Menschen, die im Kontext historisch spezifischer Produktionsverhältnisse sowie politischer und ideologischer Verhältnisse agieren, so Althusser in Lire le Capital. - Wissenschaften versuchen, theoretische Ideologien in (wissenschaftliches) Wissen zu transformieren.
[Bearbeiten] Ideologische Staatsapparate (ISA)
Althusser entwickelt in seinem Text Ideologie und ideologische Staatsapparate die These, dass im Kapitalismus die Wiederherstellung der Arbeitskraft auch ideologisch geleistet werden müsse. Diese geschehe jedoch nicht nur durch das vom Überbau vermittelte falsche Klassenbewusstsein, sondern habe dort auch eine eigene materielle Existenz in Form der ideologischen Staatsapparate (z. B. Familie, Schule, Kirche). Die Macht der ideologischen Staatsapparate wirke durch aufgezwungene Rituale und durch die Anrufung (Jacques Lacan) "großer Subjekte" wie beispielsweise Partei, Nation und Gott. Sie sei nicht einfach nur repressiv, sondern gebe den Individuen die Möglichkeit, sich in der Gesellschaft verkennend wiederzuerkennen. Ideologie sei nach Althusser nicht nur 'Manipulation', sondern konstituiere überhaupt erst Subjekte - und diese verstünden sich trotz bzw. wegen ihrer Unterwerfungen als frei.
Althussers Schüler Michel Foucault konnte hieran anknüpfend seine Philosophie der Dispositive der Macht entwickeln, in der Ideologie ebenfalls als materiell, als durch den Körper gehend, betrachtet wird.
[Bearbeiten] Zitate über Althusser
Slavoj Zizek nannte ihn einmal einen "verschwindenden Vermittler" zwischen marxistischer Tradition und den neuen, um "Entunterwerfung" kämpfenden sozialen Bewegungen und ihrem theoretischen Pendant, für das die Bezeichnung "Poststrukturalismus" gebräuchlich ist. Althusser stritt dafür, dass "der Marxismus endlich beginnt, sich zu erkennen, wie er ist, und sich verändern wird". In der in künftigen Klassenkämpfen anstehenden Transformation des Marxismus wird Althusser selbst vermutlich so etwas wie eine "abwesende Ursache" sein, anwesend in den Wirkungen der Herausbildung einer neuen revolutionären Theorie und Praxis, die das Erbe von Marx und Lenin aus der episteme des neunzehnten Jahrhunderts löst, um es in einen Bezugsrahmen einzubinden, der die Gesamtheit der Unterwerfungen, Einsperrungen und Disziplinierungen, die die Arbeitskraft als Ware konstituierten, an den Wurzeln packt.
Althussers bleibende Leistung als marxistischer Philosoph, der den revolutionären Marxismus immer als eine Art "Gegen-Marxismus" begriff, ist die, dass er, wohl ohne es selbst zu wissen, als Erster systematisch innerhalb des Marxismus jenen Paradigmenwechsel vollzogen hat, den als linguistic turn zu bezeichnen sich eingebürgert hat, indem er das aus der klassischen Philosophie überkommene Subjekt-Objekt-Paradigma durch ein diskursanalytisches ersetzte. (Henning Böke)
[Bearbeiten] Werke
- Pour Marx. 1965
- Für Marx. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1968.
- Mit Etienne Balibar: Das Kapital lesen. Hamburg: Rowohlt 1972. (Warnung: eine sehr schlechte und oft missverständliche Übersetzung!)
- Elemente der Selbstkritik, Westberlin 1975.
- Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie. Hamburg und Westberlin: VSA 1977. Der ISA-Aufsatz ist in einer etwas schlechteren Übersetzung auch online: http://www.bbooks.de/texte/althusser/
- Die Krise des Marxismus, Hamburg und Westberlin: 1978.
- Der unterirdische Strom des Materialismus der Begegnung - später Text von Althusser]
- Philosophie und spontane Philosophie der Wissenschaftler (Schriften Band 4), Hamburg: Argument-Verlag 1985.
- Machiavelli. Montesquieu. Rousseau (Schriften Band 2) Hamburg: Argument-Verlag 1987.
- Écrits philosophiques et politiques. Tome I et II. Paris 1994 und 1995.
- L´avenir dure longtemps, geschrieben 1985, veröffentlicht 1992; auf Deutsch: Die Zukunft hat Zeit, S. Fischer Verlag.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Bevc, Tobias: Louis Althusser. In: Gisela Riescher (Hrsg.): Politische Theorie der Gegenwart in Einzeldarstellungen von Adorno bis Young. Stuttgart 2004. S. 8 - 11.
- Böke, Henning/ Jens Christian Müller/ Sebastian Reinfeldt (Hrsg.): Denk-Prozesse nach Althusser. Hamburg: Argument-Verlag 1994.
- Böke, Henning: Wie funktioniert Althusser - eine Einführung von Henning Böke
- Charim, Isolde: Der Althusser-Effekt. Entwurf einer Ideologietheorie. Wien: Passagen Verlag 2002.
- Lemke, Thomas: Konturen einer "Nicht-Philosophie" - Zur Neuaneignung des marxistischen Philosophen Louis Althusser aus: Das Argument, Nr. 223, 1997
- Negri, Antonio: Anmerkungen über die Entwicklung des Denkens beim späten Althusser
- Pfaller, Robert: Althusser. Das Schweigen im Text. München: Wilhelm Fink Verlag, 1997
[Bearbeiten] Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Althusser, Louis |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Philosoph |
GEBURTSDATUM | 19. Oktober 1918 |
GEBURTSORT | Birmandreis, Algerien |
STERBEDATUM | 23. Oktober 1990 |
STERBEORT | Paris |