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Nördlicher Raubwürger

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Nördlicher Raubwürger
Nördlicher Raubwürger (Lanius excubitor) mit aufgespießter Beute
Nördlicher Raubwürger (Lanius excubitor) mit aufgespießter Beute
Systematik
Klasse: Vögel (Aves)
Ordnung: Sperlingsvögel (Passeriformes)
Unterordnung: Singvögel (Passeres)
Familie: Würger (Laniidae)
Gattung: Würger (Lanius)
Art: Nördlicher Raubwürger
Wissenschaftlicher Name
Lanius excubitor
Linnaeus, 1758
Unterarten
Meist 9-11 Unterarten in zwei Gruppen:
  • Westliche Gruppe:
    • L.e.excubitor
    • L.e.galliae
    • L.e.melanopterus
    • L.e.homeyeri
    • L.e.leucopterus
  • Östliche Gruppe:
    • L.e.borealis
    • L.e.invictus
    • L.e.sibiricus
    • L.e.mollis
    • L.e.funereus
    • L.e.bianchii
Nördlicher Raubwürger
Nördliche Raubwürger mit Jungem
Nördliche Raubwürger mit Jungem
L.e.melanopterus
L.e.melanopterus

Der Nördliche Raubwürger (Lanius excubitor), häufig auch Grauwürger genannt, ist eine etwa amselgroße Vogelart aus der Familie der Würger. Die Art besiedelt die gemäßigten, borealen und subarktischen Zonen der Holarktis; sie kommt außerdem in einigen Steppen- und Hochgebirgsgebieten Zentralasiens vor.

Die heute Südlicher Raubwürger (Lanius meridionalis) genannte Art galt lange als Unterart von Lanius excubitor. Vor allem der Umstand, dass die beiden sehr nahe verwandten Arten auch dort, wo sie sympatrisch vorkommen, deutlich verschiedene Habitatansprüche haben und offenbar nicht hybridisieren, untermauert neben Unterschieden in der Gefiederfärbung ihre systematische Trennung.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Merkmale

[Bearbeiten] Allgemein

Der Nördliche Raubwürger ist ein gut amselgroßer, überwiegend grau wirkender, langschwänziger Vogel mit deutlichen schwarzen und – von Unterart zu Unterart unterschiedlich ausgeprägten – weißen Gefiederpartien.

Charakteristisch ist der graue Rumpf, wobei die Oberseite immer erheblich dunkler gefärbt ist als der Brust- und Bauchbereich, der bei einigen Unterarten fast weiß sein kann. Von der Basis des kräftigen, dunklen Hakenschnabels ausgehend, zieht sich ein reinschwarzes schmales Band über die Augen bis zu den Ohrdecken, wo es sich leicht verbreitert. Die Stirn wird von dieser Maske jedoch nicht erreicht. Bei den meisten Unterarten ist diese Gesichtsmaske von einem schmalen weißen Brauenstreif begrenzt. Die relativ breiten und runden Flügel sind schwarz. Beim sitzenden Vogel erscheint immer ein kleines, reinweißes Flügelfeld, bei einigen Unterarten zwei. Scharf kontrastieren die schwarzen Flügel mit einem hellen, manchmal reinweißen Gefiedersaum im Schulterbereich. Die Armschwingen sind immer deutlich reinweiß gesäumt. Der lange Schwanz ist abgerundet oder gestuft; er ist kontrastreich schwarz-weiß gefärbt, wobei die inneren Steuerfedern schwarz, die äußeren weiß sind; von unten wirkt der Schwanz fast reinweiß.

Im Flug wirkt der Nördliche Raubwürger grau-schwarz-weiß. Charakteristisch in der Oberansicht sind das breite weiße Flügelfeld auf schwarzem Flügelgrund, die weiße Umsäumung der Armschwingen sowie der lange, meist abgerundete, weiß gesäumte, schwarze Schwanz.

Die Geschlechter unterscheiden sich in der Größe nicht und in ihrer Färbung nur unwesentlich. Weibchen sind meist geringfügig weniger kontrastreich gezeichnet, häufig ist eine leichte Sperberung im Brust-, Flanken- und Nackenbereich erkennbar. Die weißen Gefiederanteile der Flügel und des Schwanzes sind beim Weibchen kleiner als beim Männchen und weniger scharf von den schwarzen abgesetzt. Die bei den Männchen tiefschwarzen Gefiederbereiche können bei den Weibchen ein sehr dunkles Braun aufweisen.
Die Sperberung juveniler Individuen vor allem im Hals-, Brust-, Flanken- und Nackenbereich ist deutlich, aber nicht so markant wie bei einigen anderen Würgerarten; die Handschwingen der Jungvögel sind breiter weiß eingefasst, und der Schnabel ist nicht schwarz, sondern mittelbraun; am Unterschnabel weist er helle Ockertöne auf.

[Bearbeiten] Flug

Der Flug von Ansitz zu Ansitz verläuft bogenförmig und erinnert etwas an einen Spechtflug. Kurz vor dem Erreichen der neuen Ansitzwarte steilt der Vogel markant auf. Der kräftige und sehr schnelle Distanzflug dagegen ist geradlinig. Der Nördliche Raubwürger segelt kurze Strecken und rüttelt auch oft.

Im Flug sind die weißen Flügelabzeichen, der schmale weiße Schulterbereich sowie die schwarz-weiße Schwanzfärbung gute Identifizierungsmerkmale.

[Bearbeiten] Unterarten

Die Unterarten unterscheiden sich sowohl in ihrer Größe als auch in der Färbung des Gefieders, insbesondere in der Ausdehnung der Weißzeichnungen auf den Flügeln und am Schwanz sowie im Vorhandensein oder Fehlen einer Wellenzeichnung auf Brust und Bauch.

  • L.e. excubitor (mit den nicht allgemein anerkannten Unterarten L. e. galliae und der dunklen Form L.e. melanopterus, bei der es sich möglicherweise um eine Hybridform zwischen L. e. excubitor und L. e. sibiricus handelt): Das Vorkommen dieser Unterart erstreckt sich über West-, Mittel- und Nordeuropa bis in den nördlichen Teil Westsibiriens.
  • L. e. homeyeri: Südosteuropa, Transkaukasien bis zum mittleren Westsibirien. Sie ist heller als die Nominatform mit ausgedehnteren Weißzeichnungen im Flügel.
  • L. e. leucopterus: Südwestsibirien. Sehr hell, mit reinweißer Kehle und großem weißen Flügelfeld.

Die Vertreter dieser westlichen Unterartengruppe werden von Westen nach Osten hin heller, die Flügellänge nimmt etwas zu, und die weißen Flügelabzeichen werden größer. Brust- und Bauch weisen keine Wellenzeichnung auf und sind in der Regel schmutzigweiß. Auf der Oberseite sind diese Unterarten in unterschiedlicher Intensität grau gefärbt. Eine Ausnahme bildet die sehr dunkle hochnordische Unterart L. e. melanopterus. Sie erscheint im Winter ebenso wie L. e. homeyeri gelegentlich in Mitteleuropa.

Die Vertreter der östlichen Unterartengruppe sind zum Teil deutlich größer, zudem dunkler gefärbt als die Mitglieder der Westgruppe. Auf der Oberseite weisen sie Brauntöne auf, Brust und Bauch sind oft deutlich gesperbert. Beim sitzenden Vogel ist nur ein weißes Flügelfeld zu erkennen.

  • L. e. sibiricus: Diese Unterart kommt in Ostsibirien und der Nordmongolei vor. Ihr Gefieder weist auf der Oberseite deutliche Brauntöne auf, die Unterseite ist auf grauweißem Grund dunkelbraun gebändert. Diese Bänderung wird bei den beiden folgenden Unterarten dunkler und nimmt an Deutlichkeit zu.
  • L. e. mollis: Vertreter dieser Subspecies brüten in den Vorbergen des russischen Altais sowie in der Nordwestmongolei.
  • L. e. funereus ist die größte Unterart und weist ein wenig kontrastreich gezeichnetes dunkles Gefieder auf. Ihre Unterseite wirkt blaugrau, die Bänderung ist schwarz. Die Unterart ist vor allem ein Hochgebirgsbewohner im Tien Shan.
  • L. e. bianchii, eine Inselrasse, die auf einigen Inseln der südlichen Kurilen sowie auf Sachalin brütet, ist wieder deutlich kleiner als die zuvor genannten, deutlich heller und zeigt keine oder nur eine undeutliche Bänderung.
  • L. e. invictus: Westliches Nordamerika, von Nordalberta bis Nordalaska, möglicherweise auch im äußersten Nordosten Sibiriens. Sehr ähnlich der Unterart L. e. borealis, jedoch etwas größer und etwas heller.
  • L. e. borealis: Nordöstliches Nordamerika, vor allem Nordquébec und Nordontario. Diese Unterart ähnelt stark der Nominatform, die Unterseite ist jedoch hellgrau (nicht schmutzigweiß) und weist eine leicht wellenförmige Bänderung auf.

[Bearbeiten] Ähnliche Arten

In seinem großen Verbreitungsgebiet kann der Nördliche Raubwürger leicht mit einigen nah verwandten Grauwürgern verwechselt werden. Für Verwechslungen kommen in Südwest- und Südeuropa vor allem die Nominatform des Südlichen Raubwürgers (Lanius meridionalis meridionalis) sowie der Schwarzstirnwürger (Lanius minor) in Frage; in Mittelasien überlappen sich die Brutgebiete des Wüstenraubwürgers (Lanius meridionalis pallidirostris) mit den Überwinterungsgebieten einiger Unterarten des Nördlichen Raubwürgers, und in Ostasien grenzen die Brutgebiete der sehr großen Rasse L. e. mollis an die des Keilschwanzwürgers (Lanius sphenocercus). In der Nearktis besteht während der Wintermonate eine nicht unbeträchtliche Verwechslungsgefahr vor allem der Unterart L. e. borealis mit dem Louisianawürger (Lanius ludovicianus), der dem Schwarzstirnwürger sehr ähnlich ist.

Vom Südlichen Raubwürger unterscheiden sich die Unterarten des Nördlichen Raubwürgers vor allem durch den etwas kürzeren und weniger robust wirkenden Schnabel, die längeren Flügel und die etwas kürzeren Beine. Die Nominatformen sind auch auf Grund ihrer unterschiedlichen Gefiederfärbung gut zu unterscheiden: Der Südliche Raubwürger ist auf der Oberseite bleigrau (nicht schiefergrau wie L. e. excubitor), weist nur ein kleines weißes Flügelfeld auf (L. e. excubitor zwei), und seine Unterseite ist im Gegensatz zum Nördlichen Raubwürger deutlich rosa überhaucht.

Vom Schwarzstirnwürger und Louisianawürger unterscheidet sich der Nördliche Raubwürger vor allem deutlich in der Größe. Die beiden genannten Arten sind um 15 - 20 % kleiner. Beim Schwarzstirnwürger ist die Gesichtsmaske wesentlich breiter und bedeckt auch markant den unteren Stirnbereich. Beim Louisianawürger ähnelt die Breite der Gesichtsmaske jener der Unterart L. e. borealis, doch ist auch bei diesem Würger ein schmaler Bereich über dem Schnabelansatz schwarz eingefasst. Zudem fehlt die weiße obere Begrenzung der Gesichtsmaske beim Louisianawürger völlig.

Der Keilschwanzwürger, der in Ostasien für Verwechslungen in Frage kommt, kann in der Gefiederfärbung der Rasse L. e. sibiricus sehr ähneln, doch ist er wesentlich größer und auffallend langschwänziger.

[Bearbeiten] Stimme

Der Gesang des Nördlichen Raubwürgers, bei dem beide Geschlechter singen, besteht aus kurzen, wohltönend-flötend klingenden Strophen, die sehr variabel sind und in die häufig Elemente anderer Vogelgesänge und Rufe eingebettet werden. Meist beginnt der Gesang mit trrr- oder prrrr-Lautreihen, die später in relativ leise, auf der zweiten Silbe betonte tü-lick - prü-ii-Elemente übergehen, die als eigentliche Kontaktrufe gedeutet werden. Dieser Gesang wird von exponierten Warten aus vorgetragen und ist von auffälligen Körperposen begleitet.

Auch die Rufe sind sehr vielfältig. Der bekannteste ist der Wächterpfiff, ein scharfer Triller, der vor allem bei der Sichtung eines Flugfeindes zu hören ist. Daneben verfügt der Raubwürger über eine Vielfalt oft rau und heiser klingender Lautäußerungen. Häufig sind auch Instrumentallaute, wie Schnabelknappen, zu hören.

Stimmbeispiele: Kontaktrufe, Alarmrufe.

[Bearbeiten] Lebensraum

Allen Bruthabitaten des Nördlichen Raubwürgers gemeinsam sind eine sehr gute Rundumsicht, ein lockerer Baum- und Buschbestand, ein weitgehend niedriger Bodenbewuchs und oft dichterstehende Baumgruppen im Nestbereich. Die Artverteilung der Baum- und Buschbestände scheint keine besondere Rolle zu spielen.

Solche Habitatstrukturen findet der Nördliche Raubwürger in halboffenen Landschaften mit locker stehenden Bäumen und Büschen, ebenso in Streuobstwiesen, Randgebieten von Mooren, Waldrändern, die an geeignete Habitate grenzen, zuweilen auch in ausgedehnten Windbruch- oder brandgeschädigten Nadelwaldgebieten sowie in großen Wiederaufforstungsbereichen. Sekundärlebensräume, wie Truppenübungsplätze oder aufgelassene Tagbaugebiete, spielen vor allem in Zentraleuropa eine Rolle. Der Bodenbewuchs in den Bruthabitaten muss zumindest in großen Bereichen dünn und niedrig sein, um energiesparende und erfolgreiche Jagden zu ermöglichen. Häufig liegen Reviere des Nördlichen Raubwürgers landschaftlich etwas exponiert auf Kuppen und Kämmen, wobei der Sichtkontakt zu Nachbarrevieren eine Rolle spielen könnte.

Brut- und Winterhabitate des Nördlichen Raubwürgers sind nicht identisch. Nach der Brutzeit verlassen auch die Standvögel unter den Nördlichen Raubwürgern ihre Brutreviere und siedeln kleinräumig in offenere, stärker durch Strauch- als durch Baumstrukturen geprägte Landschaften um. Auch stärker landwirtschaftlich genutzte Gebiete können von der Art im Winter genutzt werden.

Geschlossene Waldgebiete, enge Täler, intensiv genutzte Agrargebiete sowie Landschaften mit zu geringem Bestand an Bäumen, Hecken und Büschen sind als Bruthabitat nicht geeignet.

Die Reviergrößen hängen stark mit dem Nahrungsangebot zusammen. In Mitteleuropa wurden durchschnittliche Brutreviergrößen von etwa 40 Hektar ermittelt, in manchen Teilen Weißrusslands, wo der Raubwürger vor allem am Rande von Nadelwäldern brütet, wurden bis zu 10 Reviere innerhalb eines Quadratkilometers festgestellt.

[Bearbeiten] Verbreitung

Verbreitung des Nördlichen Raubwürgers (Lanius excubitor)   grün: Mehrheitlich Jahresvögel, mehr Männchen als Weibchen  orange: Meist Langstreckenzieher im Norden, im Süden Kurzstreckenmigrant  blau: Winterverbreitung
Verbreitung des Nördlichen Raubwürgers (Lanius excubitor)
grün: Mehrheitlich Jahresvögel, mehr Männchen als Weibchen
orange: Meist Langstreckenzieher im Norden, im Süden Kurzstreckenmigrant
blau: Winterverbreitung

Das sehr große Brutgebiet des Nördlichen Raubwürgers liegt in seinen Kernbereichen im holarktischen Taigagürtel und in den Übergangsbereichen von Taiga zur Tundra. In Europa brütet die Art in West- und Mittelfrankreich, in geringer Zahl in den Beneluxstaaten, Dänemark, Litauen und Lettland sowie in wenigen Brutpaaren in Österreich. In Deutschland brüten etwa 2000 Paare, die sich bis auf Schleswig-Holstein auf alle Bundesländer verteilen. Die Bestandszahlen sind stark rückläufig; die individuenreichsten Vorkommen liegen in Niedersachsen sowie in Sachsen. Zahlreicher kommt der Nördliche Raubwürger in Nordskandinavien, Estland, Polen und Weißrussland sowie in der Tschechischen Republik und in der Slowakei vor. Nach Süden und Südosten erreicht die Art Rumänien, Bulgarien, Moldawien und die Ukraine. Auch in der Osttürkei sowie in Transkaukasien kommt der Nördliche Raubwürger vor. Die Schwerpunktverbreitungsgebiete liegen im europäischen und asiatischen Teil Russlands, wo sie sich in einem relativ breiten Gürtel ostwärts bis in das Anadyr-Gebiet am Pazifischen Ozean hinziehen. Die Nordgrenze der geschlossenen Verbreitung liegt zwischen 65 und 70° nördlicher Breite. Die Südgrenze ist uneinheitlicher: Abgesehen von einigen Verbreitungsinseln in Europa liegen die südlichsten Vorkommen in Kasachstan, in Nordwestchina (Tien Shan), in der nördlichen Mongolei, im äußersten Osten auf Sachalin sowie auf einigen Inseln der südlichen Kurilen.

In Nordamerika brütet die Art von Labrador westwärts über Mittelkanada bis nach Alaska. Die Nordgrenze stimmt mit jener der eurasischen Verbreitung überein, die südlichsten Brutgebiete liegen in der Provinz Québec bei etwa 60° nördlicher Breite.

Die Winterverbreitung überlappt sich mit den Brutgebieten, dehnt sich jedoch generell viel stärker nach Süden, in Europa auch nach Nordwesten, aus. So erscheint der Nördliche Raubwürger während des Winters zum Beispiel auch in Großbritannien.

Sofern geeignete Bruthabitate vorhanden sind, brütet der Nördliche Raubwürger sowohl im Tiefland als auch in Höhenlagen über 2.000 m, so beispielsweise im Altai oder Tien Shan. Auch im Kaukasusgebiet sind Brutplätze jenseits der Baumgrenze bekannt.

[Bearbeiten] Nahrung und Nahrungserwerb

Die Nahrung des Nördlichen Raubwürgers besteht fast ausschließlich aus Tieren, nur im Herbst werden in sehr geringen Mengen auch Früchte aufgenommen. Wühlmäuse, vor allem Arten der Gattung Microtus, Echte Mäuse sowie Spitzmäuse (Sorex sp.) überwiegen. Ihr Anteil an der Gesamtnahrungsmasse kann bis zu 90 % betragen. Daneben bilden verschiedene Kleinvogelarten einen weiteren wichtigen Nahrungsanteil. Bei hoher Schneelage können Kleinvögel sogar zur Hauptbeute werden. Während der Jungenaufzucht, vor allem während der ersten Tage, werden verstärkt verschiedene Insektenarten, besonders Laufkäfer, Blatthornkäfer und Rüsselkäfer, aufgenommen, auch Ohrwürmer spielen in dieser Zeit eine Rolle. Selten erbeutet der Nördliche Raubwürger auch Fledermäuse, Amphibien, Reptilien oder Fische und gelegentlich wurde die Art auch an Aas größerer Säugetiere beobachtet. Der Nördliche Raubwürger ist in der Lage, Vögel bis zur Größe einer Wacholderdrossel und Säugetiere bis zur Größe eines Lemmings zu überwältigen und Beutetiere bis zum eigenen Gewicht im Fluge wegzutragen.

Nördlicher Raubwürger mit aufgespießter Beute
Nördlicher Raubwürger mit aufgespießter Beute

Der Nördliche Raubwürger ist vor allem ein Wartenjäger, der von meist exponierten, mehrheitlich in Höhen zwischen drei und acht Metern liegenden Ansitzen aus insbesondere den Boden seiner Umgebung nach Nahrung absucht. Wird ein Beutetier entdeckt, gleitet er steil abwärts und versucht, es nach einem bodennahen Gleitflug zu schlagen. Die Warten werden häufig gewechselt. Neben dieser Hauptjagdmethode werden Beutetiere auch aus einem langsamen Suchflug aus entdeckt, der häufig von kurzen, relativ bodennahen Rüttelphasen unterbrochen wird. Die Beute wird hauptsächlich am Boden geschlagen, doch werden auch erfolgreiche Flugjagden auf Kleinvögel und Insekten beobachtet. Auch im Geäst sitzende Vögel werden in einem überraschenden, sperberartigen Angriffsflug erbeutet. Bei sehr schlechter Sicht sucht der Nördliche Raubwürger auch am Boden hüpfend oder schreitend nach Nahrung.

Das Beutetier wird durch kräftige Schnabelhiebe oder durch einen Nackenbiss getötet und häufig auf Dornen aufgespießt oder in einer Astgabel eingeklemmt, was sowohl der Aufbewahrung und Vorratshaltung als auch der Fixierung der Beute dient, um bei ihrer stückweisen Zerlegung die ganze Kraft einsetzen zu können. Gefüllte Vorratskammern könnten auch bei der Partnerwahl eine Rolle spielen. Im Experiment konnte nachgewiesen werden, dass Raubwürger, deren Spießplätze geleert wurden, bei der Partnersuche erfolglos blieben.

Inwieweit den Gesangsimitationen eine Funktion beim Beuteerwerb zukommt, ist nicht erschöpfend erforscht. Möglicherweise könnten dadurch verschiedene Kleinvogelarten angelockt werden und so leichter zu erbeuten sein.

[Bearbeiten] Verhalten

[Bearbeiten] Allgemein

Der Nördliche Raubwürger ist tagaktiv, auch in den nördlichsten Brutgebieten hält er einen scheinbaren Tag-Nacht-Rhythmus ein. Gelegentlich werden die Aktivitätsphasen in die Dämmerungsstunden verlegt, besonders bei der Jagd auf Fledermäuse oder wenn bestimmte Insektenarten schwärmen.

Den Tag verbringt er vor allem mit Ansitzjagd, wobei seine Körperhaltung meist etwas waagerechter ist als die anderer Würger. Während der Ruheperioden sucht er dichte Büsche oder junge Nadelbäume auf, oft deuten größere Gewölleansammlungen auf regelmäßig benutzte Schlafplätze hin. Wenn vorhanden, werden Wacholderbüsche (Juniperus communis) als Schlafgehölze bevorzugt.

Nördliche Raubwürger baden oft, wobei sie den Körper ganz unter Wasser tauchen. Anschließend wird das Gefieder mit leicht ausgebreiteten Schwingen getrocknet. Nach den Mahlzeiten reinigt er den Schnabel durch seitliches Reiben an einem Ast.

[Bearbeiten] Sozialverhalten

Der Nördliche Raubwürger ist während des gesamten Jahres territorial. Während der Brutzeit behauptet ein Brutpaar ein Territorium, außerhalb der Brutzeit besetzt jedes Individuum ein Revier für sich. Die Winterterritorien sind meist etwas größer als die der Brutsaison. Häufig bilden einige Brutpaare sogenannte Revierklumpen, die relativ weiträumig von Nachbarrevieren getrennt sind. Auch in den Wintergebieten besteht ein loser sozialer Zusammenhang zwischen einzelnen Revieren. Die Bedeutung dieser sozialen Affinität zeigt sich darin, dass Einzelbrutplätze in optimalen Habitaten eher aufgegeben werden als Revierklumpen selbst in suboptimalen Lebensräumen. Die Reviergrenzen werden von den Revierinhabern regelmäßig inspiziert, häufig führen diese Markierungsflüge zu Gruppentreffen mit anderen Mitgliedern des Revierverbandes außerhalb der jeweiligen Reviergrenzen. Obwohl vorhanden, ist das Rivalitäts-und Aggressionsverhalten gegenüber Mitgliedern des Revierverbandes gemäßigter als das gegenüber fremden Artgenossen.

[Bearbeiten] Feind- und Aggressionsverhalten

Sowohl gemeinsame Brutterritorien als auch Individualterritorien werden gegenüber Artgenossen energisch verteidigt, wobei es aber fast immer bei Drohgebärden bleibt. Dabei wird abhängig vom Aggressionsgrad der Schwanz gefächert, die Flügel zucken, und der Schnabel ist bei fast waagrechter Körperhaltung vorgestreckt. Bei höchster Erregung ist das Nacken- und Kopfgefieder gesträubt. Begleitet werden diese Körperposen von rauen, kreischenden Rufen.

Auf Flugfeinde reagiert die Art sehr unterschiedlich. Naht ein Habicht oder Sperber oder eine bevorzugt Vögel jagende Vogelart (verschiedene Falkenarten, Eulen, Raubmöwen), warnt der Nördliche Raubwürger intensiv und flieht in dichtes Gestrüpp. Mäusebussarde, Milane, Turmfalken, Raben, Krähen, Elstern und Häher werden während der Brut energisch attackiert und über die Reviergrenzen hinaus verfolgt. Außerhalb der Brutzeit warnt der Würger zwar, greift die Eindringlinge aber nur an, wenn sie einem Spießplatz zu nahe kommen. Vor nahenden Menschen wird während der Brut- und Nestlingszeit schon in Entfernungen von über 200 Metern gewarnt, im Winter kann die Fluchtdistanz unter 50 Meter sinken. Selten wurden auch direkte Angriffe auf Menschen beobachtet, die dem Brut- oder Spießplatz zu nahe kamen.

Gegenüber anderen Würgerarten besteht kein Rivalitätsverhältnis; Neuntöter brüten sogar regelmäßig in Raubwürgerrevieren, ohne dass Aggressionsbegegnungen beobachtet worden wären. Wacholderdrosseln suchen nicht selten die Nähe zu Raubwürgerrevieren und geben gelegentlich eigene Kolonien auf, wenn die Raubwürger abziehen. Sie profitieren wahrscheinlich von der Luftraumüberwachung durch diese Würgerart. Welchen Nutzen der Raubwürger aus dieser Nähe zieht, ist nicht bekannt, doch ist auffällig, dass die im Revier brütenden Wacholderdrosseln von der Würgerart nicht angegriffen beziehungsweise bekotet werden.

[Bearbeiten] Wanderungen

Der Nördliche Raubwürger ist sowohl Jahresvogel, fakultativer Kurzstreckenzieher als auch Langstreckenzieher, wobei sowohl die Anteile jener Vögel, die das Brutgebiet im Winter verlassen, als auch die Zugdistanzen von Süden nach Norden zunehmen. Die Winterquartiere der nordischen Vögel liegen meist in den Brutgebieten der etwas südlicher brütenden Populationen, während diese wiederum im weiteren Umkreis des Brutgebietes verharren oder in klimatisch und nahrungsmäßig günstigere Gebiete ausweichen. Die Zugrichtungen sowohl der Unterarten als auch einzelner Populationen sind uneinheitlich: sie liegen im Sektor West-Südwest-Süd-Südost. Die Hochgebirgsrassen wandern vor allem altitudinal.

Zugbewegungen der in gemäßigten Breiten brütenden Vögel werden meist durch Nahrungsengpässe ausgelöst, wobei die Weibchen eher das Brutgebiet verlassen als die Männchen. Skandinavische Vögel scheinen vor allem in Großbritannien zu überwintern, während mitteleuropäische hauptsächlich nach Süd- und Westfrankreich verstreichen. Von den in Zentraleuropa brütenden Vögeln verlassen etwa 50 % das Brutrevier, die am äußersten Nordrand ihres Verbreitungsgebietes lebenden Populationen räumen zu 100 % ihre Brutgebiete.

Auf Grund der unterschiedlichen Zugstrategien können die Bestände des Nördlichen Raubwürgers in Mittel- und Westeuropa im Winterhalbjahr größer sein als während der Brutsaison.

[Bearbeiten] Brutbiologie

Nördliche Raubwürger werden gegen Ende des ersten Lebensjahres geschlechtsreif, viele der Vögel brüten aber erst im zweiten Lebensjahr. Sie führen eine monogame Brutsaisonehe; bei in einem Revierverband brütenden Paaren wurden jedoch gelegentliche Kopulationen verpaarter Weibchen mit Männchen aus Nachbarrevieren beobachtet.

Die Paarbildung der Standvögel beginnt schon Ende Februar, die der Zugvögel – abhängig von der geografischen Breite des Brutgebietes – wesentlich später. Sie dauert fast einen Monat und ist gekennzeichnet durch einen langsamen Abbau der innerartlichen Aggression. Während dieser Anpaarungszeit verliert das Weibchen mehr und mehr seine Selbstständigkeit, bis es zum Zeitpunkt der Eiablage vollständig vom Männchen mit Nahrung versorgt wird. Auch in der Auswahl der Wartenplätze wird diese Dominanzverschiebung deutlich: Bei verpaarten Raubwürgern sitzt das Männchen immer höher und weiter außen als das Weibchen, ein Verhalten, das Bauchzeigen genannt wird. Bei der Nahrungsübergabe zeigt das Weibchen Nestlings- und Beschwichtigungsverhalten: In geduckter Körperhaltung zittert es mit den Flügeln und stößt Bettelrufe aus.

In der Zeit der Hochbalz, in der auch die ersten Nestbauhandlungen beginnen, vollführt das Männchen auffällige Hochflüge, aus denen es, langsam abwärts gleitend, zum Neststandort zurückkehrt. Den häufigen Kopulationen gehen meist solche Hochflüge sowie Futterübergaben voraus.

[Bearbeiten] Neststandort und Nest

Der Neststandort wird vom Männchen ausgewählt. Meist liegt er in Bäumen oder in höheren, bevorzugt mit Dornen bewehrten Büschen. Die Art des Nistgehölzes ist sehr unterschiedlich, ebenso die Höhen, in denen das Nest errichtet wird. Nester können relativ bodennah (unter zwei Meter), aber auch in relativ großen Höhen von 20 Metern und mehr errichtet werden. Baumnester liegen meist in einer besonders dichten Stelle in der Krone, in der Regel sind sie sowohl von oben als auch von unten gegen Sicht gedeckt. Oft werden sie in Hexenbesen oder in Mistelbüsche gebaut. Der Nistplatz wird häufig von höheren Bäumen überragt, von denen aus das Männchen das Nest bewachen kann. Sonnenexponierte Lagen auf Hügelkuppen oder kleinen Erhebungen zeichnen viele Neststandorte aus.

Das Nest wird vom Paar gemeinsam gebaut, das Männchen schafft jedoch das meiste Material herbei. Das ziemlich voluminöse Nest wirkt von außen unregelmäßig und etwas schlampig, ist jedoch ein stabiler und festgefügter Bau. Verbaut werden Stängel, Zweige, Grashalme und andere Materialien. In die Außenverkleidung werden häufig dornige Zweige eingearbeitet. Für die Nestmulde verwendet diese Würgerart vor allem Federn, Tierhaare oder weiche Pflanzenteile (zum Beispiel Wollgras). Gelegentlich werden Nester mehrmals ausgebessert und über mehrere Jahre hinweg benutzt.

[Bearbeiten] Gelege, Brut und Nestlingszeit

Das Gelege besteht aus vier bis sieben, in Ausnahmefällen bis zu neun Eiern, die in ihrer Färbung recht variabel, meist aber grünlich- oder bläulichweiß sind und vermehrt am stumpfen Pol eine bräunliche oder purpurne Fleckung aufweisen. Ihre Größe beträgt im Mittel 26,5 × 19,5 Millimeter. Der Nördliche Raubwürger brütet nur ein Mal im Jahr, nur bei Gelegeverlust zeitigt er ein Zweitgelege, meist mit geringerer Eianzahl. Die Eiablage der westeuropäischen Standvögel beginnt frühestens Ende März. Zugvögel, insbesondere die der nordischen Populationen, beginnen wesentlich später zu brüten. Vollgelege können bis in den Juni hinein gefunden werden. Die Eier werden im Abstand von 24 Stunden in den Vormittagsstunden gelegt, das Weibchen beginnt erst mit der Ablage des vorletzten Eies zu brüten. Die Brutdauer liegt abhängig von der Witterung zwischen 15 und 17 Tagen. Die Jungen schlüpfen im Abstand von zwei Tagen nackt und blind. In den ersten Tagen versorgt das Männchen Weibchen und Brut mit Nahrung, nach etwa einer Woche beteiligt sich auch das Weibchen an der Nahrungsbeschaffung, verbringt jedoch die meiste Zeit noch immer am Nest. Die Jungen sind nach durchschnittlich 19 Tagen flügge; sie werden jedoch noch mindestens weitere vier Wochen von den Eltern betreut, bevor sich der Familienverband nach und nach auflöst und die Jungen dismigrieren. Auch die Paarbindung erlischt bald darauf, und die Eltern wechseln in die getrennten Winterreviere oder verlassen gänzlich das Brutgebiet.

Gelegentlich wurden sowohl unverpaarte Männchen als auch Weibchen als Bruthelfer beobachtet. Nicht selten wird der Nördliche Raubwürger vom Kuckuck (Cuculus canorus) parasitiert, auch intraspezifischer Brutparasitismus kommt vor.

[Bearbeiten] Bestand und Bedrohung

Die Bestandsentwicklung dieser Art ist uneinheitlicher und komplexer als die anderer Würgerarten. Bestandsrückgängen in West-und Zentraleuropa stehen stabile Vorkommen oder sogar Zunahmen in Nord- und Nordosteuropa gegenüber. Für die Bestandseinbußen werden sowohl stärker atlantisch beeinflusste Großwetterlagen, die Kältewinter am Anfang der 1960er und gegen Ende der 1970er Jahre, auf Pestizideintrag zurückzuführender Mangel an Beutetieren sowie Habitatverluste verantwortlich gemacht. Die europäische Gesamteinschätzung mit D (= depleting) ist insofern irreführend, als in ihr auch die relativ stark abnehmenden spanischen Bestände von Lanius meridionalis enthalten sind. In der Schweiz ist der Nördliche Raubwürger seit 1987 ausgestorben, schon etwas früher erloschen sind die Vorkommen in Vorarlberg und im Bodenseegebiet. Die ehemals guten Bestände des Nördlichen Raubwürgers in Baden-Württemberg sind bis auf wenige Paare, die im südlichen Schwarzwald bzw. auf der Schwäbischen Alb brüten, erloschen.

Die amerikanischen Bestände scheinen im Westen weitgehend stabil zu sein, im Osten wird eine Abnahme der Brutvorkommen vermutet. Doch fehlt, ebenso wie für die asiatische Bestandssituation, verlässliches Zahlenmaterial.

[Bearbeiten] Namensherleitung

Der Gattungsname Lanius ist lateinisch und bedeutet Fleischer. Im Englischen werden die Würger auch Butcher-birds genannt. Die deutsche Übersetzung des ebenfalls lateinischen excubitor ist Wächter und reflektiert die Eigenschaft des Nördlichen Raubwürgers, seine Umgebung sehr sorgfältig zu beobachten und vor herannahenden, als Bedrohung empfundenen Eindringlingen zu warnen.

[Bearbeiten] Literatur

  • Tom J. Cade, Eric C. Atkinson: Northern Shrike (Lanius excubitor). In: The Birds of North America. Bd. 17. Hrsg. v. A. Poole u. F. Gill. The Birds of North America, Philadelphia PA 17.2002,671. ISSN 1061-5466
  • Tony Harris, Kim Franklin: Shrikes & Bush-Shrikes. Including wood-shrikes, helmet-shrikes, flycather-shrikes, philentomas, batises and wattle-eyes. Christopher Helm, London 2000, S.58-61, 150-155. ISBN 0-7136-3861-3
  • Evgenij N. Panov: Die Würger der Paläarktis. Westarp-Wissenschaften, Magdeburg 1996, S.187-198. ISBN 3-89432-495-3
  • Jürgen Haffer: Passeriformes. Sittidae, Laniidae. Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Bd 13,2. Hrsg. von Kurt M. Bauer und Urs N. Glutz von Blotzheim. Aula, Wiesbaden 1993 (2.Aufl.), S.1262-1328. ISBN 3-89104-535-2
  • Jochen Hölzinger (Hrsg.): Die Vögel Baden-Württembergs. Band 3.2 Singvögel 2. Eugen Ulmer, Stuttgart 1997, S.289-321. ISBN 3-8001-3483-7
  • Viktor Wember: Die Namen der Vögel Europas. Bedeutung der deutschen und wissenschaftlichen Namen. AULA, Wiebelsheim 2005, S.145. ISBN 3-89104-678-2

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