Praxisgebühr
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Die Praxisgebühr ist eine Zuzahlung in Höhe von zehn Euro, die Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland bei Arzt-, Zahnarzt- und Psychotherapeutenbesuchen leisten müssen. Die Gebühr kommt - nach Verrechnung mit den Arzthonoraren - den Krankenkassen zu Gute.
[Bearbeiten] Gesetzliche Grundlage
Grundlage der Erhebung ist § 28 Abs. 4 des SGB V, geändert durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003. Die Höhe der Zuzahlung ergibt sich aus § 61 Satz 2 SGB V.
[Bearbeiten] Ziele
Ziele der Praxisgebühr sind:
- Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten für ihre Gesundheit: bei Bagatellfällen (Schramme, blauer Fleck) soll nicht gleich der Arzt aufgesucht werden.
- Reduzierung der „Selbstüberweisungen“: die Versicherten sollen Fachärzte (teurer) möglichst nur nach Überweisung durch den Hausarzt (Sachverständig um abzugrenzen) aufsuchen.
- Kurzfristige finanzielle Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): das Bundesgesundheitsministerium hofft auf zusätzliche Einnahmen von 2,6 Milliarden Euro jährlich.
[Bearbeiten] Zuzahlungspflicht
Zuzahlungspflichtig sind alle Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), die älter als 18 Jahre sind und sich in ambulante ärztliche, zahnärztliche oder psychotherapeutische Behandlung begeben.
Privatpatienten und Anspruchsberechtigte der freien Heilfürsorge (Beamte bei den Polizeibehörden einiger Bundesländer und des Bundes, in einigen Ländern auf Justizvollzugsbeamte und Beamte bei Berufsfeuerwehren sowie Zivildienstleistende und Soldaten, welche im Notfall einen niedergelassenen Arzt anstelle des Truppenarztes aufsuchen) sowie Mitglieder in besonderen Fürsorgeeinrichtungen (z.B. Postbeamtenkrankenkasse) müssen die Zuzahlung nicht leisten. Beihilfeberechtigten Privatpatienten werden bei vielen Dienstherren jedoch 40 Euro pro Jahr (entspricht 10 Euro pro Quartal) von den beihilfefähigen Aufwendungen abgezogen (sog. Kostendämpfungspauschale), auch dann, wenn sie nur in einem Quartal einen Arzt aufgesucht haben.
Ferner wird keine Praxisgebühr bei Arztbesuchen erhoben, bei welchen die gesetzliche Unfallversicherung Kostenträger ist (z.B. Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten).
Die Praxisgebühr fällt in der Regel einmal im Vierteljahr beim ersten Arztkontakt an. Sie ist vor Behandlungsbeginn zu zahlen. Für die weiteren notwendigen Arztkontakte in demselben Quartal beim selben Arzt wird keine weitere Gebühr fällig. Arztkontakte bei weiteren Ärzten in dem betreffenden Quartal sind gebührenfrei, wenn man eine Überweisung für diesen Arzt vorlegen kann und der Arzt zur selben „Behandlungsklasse“ gehört. Dabei gibt es folgende „Behandlungsklassen“:
Überweisungen von Ärzten zu Zahnärzten und umgekehrt von Zahnärzten zu Ärzten überkreuzen die „Behandlungsklassen“; also muss die Praxisgebühr erneut bezahlt werden.
Jegliche Formen gesetzlich geregelter Vorsorgeuntersuchungen sind von der Zuzahlung ausgeschlossen. Dies gilt auch für eine zahnärztliche Vorsorgeuntersuchung, zu der unter anderem auch die Zahnsteinentfernung gehört (siehe hierzu weiter unten).
Die Regelung, dass die Gebühr nur einmal pro Quartal anfällt, wurde erst am 1. Juli 2004 eingeführt.
Aus den zwei „Behandlungsklassen“, vier Quartalen pro Jahr und zehn Euro pro Behandlungsklasse, Quartal und Person sind also maximal 80 Euro pro Jahr und Person zu bezahlen, vorausgesetzt der Patient besucht nicht mehrere Ärzte pro Quartal ohne Überweisung.
Auch für Notfallbehandlungen in den Rettungsstellen der Krankenhäuser bzw. die Inanspruchnahme des kassenärztlichen Notdienstes (Behandlungsklasse „Ärztlicher Notdienst“) muss einmal pro Quartal die Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro bezahlt werden, so dass maximal 120 € pro Jahr anfallen.
[Bearbeiten] Nichterhebung
Als erste Krankenkasse hat die Barmer Ersatzkasse angekündigt, unter bestimmten Voraussetzungen (Einhaltung des Hausarztmodells) die Praxisgebühr nicht mehr zu erheben. Patienten, die immer zuerst zu demselben von der Kasse anerkannten und bei dieser in Verbindung mit dem Patienten registrierten Hausarzt gehen und die ihnen verschriebenen Medikamente immer über dieselbe „Hausapotheke“ beziehen, müssen die Zehn-Euro-Gebühr nur einmal jährlich bezahlen. Kritiker sehen hier eine weitere Einschränkung der freien Arztwahl. Auch bei der Teilnahme an Disease-Management-Programmen einiger Krankenkassen wird die Praxisgebühr erstattet.
Alle Vorsorgeuntersuchungen und einige Schutzimpfungen sind von der Praxisgebühr ausgenommen; so fällt bei Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft und zur Krebsfrüherkennung oder bei der halbjährlichen zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchung keine Praxisgebühr an. Im Zusammenhang mit der zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchung sind auch Vitalitätsprüfung, Röntgen, Erstellung eines parodontalen Screening-Indexes (PSI) und Zahnsteinentfernung von der Praxisgebühr befreit. Werden diese Leistungen jedoch erbracht, ohne dass die Vorsorgeuntersuchung am selben Tag abgerechnet wird, wird die Gebühr fällig, aber nur wenn der Arzt den Patienten nicht ausreichend informiert.
Für private (Zusatz-) Leistungen des Arztes fällt keine Praxisgebühr an. Nach einem Arbeits- oder Schulunfall muss bei einem notwendigen Arztbesuch auch von Versicherten der gesetzlichen KV keine Praxisgebühr gezahlt werden, da die Kosten für durch Arbeits- und Schulunfälle ausgelöste Behandlungsmaßnahmen nicht von der gesetzlichen Krankenkasse sondern durch die jeweilige Unfallversicherung übernommen werden.
[Bearbeiten] Quittungsbeleg
Wichtig ist die Dokumentation der gezahlten Praxisgebühr durch das Sammeln der Quittungen, insbesondere auch wegen der Zuzahlungs- und Belastungsobergrenzen.
Beim Zahnarztbesuch muss das sogenannte Bonusheft weiterhin abgestempelt werden, da die Quittungen über beim Zahnarzt bezahlte Praxisgebühren nicht als Nachweis für Prophylaxe und regelmäßige Vorsorge anerkannt werden.
[Bearbeiten] Besonderheiten und Erfahrungen
Der erste Arztkontakt im Quartal sollte also in der Regel bei dem Arzt stattfinden, bei dem man regelmäßig in Behandlung ist. Dieser Arzt kann dann Überweisungen für die notwendigen anderen Arztbesuche ausstellen. Für den Zahnarztbesuch ist eine separate Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal fällig, sofern es sich nicht um eine Vorsorgeuntersuchung handelt.
Beim Besuch eines Psychologischen Psychotherapeuten wird jedoch eine separate Praxisgebühr nicht erhoben, falls die Überweisung eines Arztes aus dem gleichen Quartal vorgelegt wird. Im Falle des Erstbesuches im Quartal beim Psychologischen Psychotherapeuten (PP) stellt dieser eine Quittung (da der PP keine Überweisung ausstellen kann) über die Bezahlung der Praxisgebühr aus, diese Quittung befreit von einer weiteren Zahlungspflicht bei einem anschließenden Arztbesuch im gleichen Quartal.
[Bearbeiten] Kassierung
Die Praxisgebühr wird zunächst durch die Kassenärzte eingezogen; zahlt der Patient nicht, wird die Praxisgebühr zunächst in voller Höhe mit dem ärztlichen Honoraranspruch verrechnet, bei Nichtzahlung auch im Folgequartal dem Arzt jedoch von der Kassenärztlichen Vereinigung schließlich doch gutgeschrieben. Voraussetzung ist eine korrekte Dokumentation / Einschlüsselung durch den Arzt. Da die Praxisgebühr für die Kassenärzte nicht nur als eine zusätzliche bürokratische Belastung gesehen wird, sondern auch noch Patienten von der Behandlung abschreckt, wird sie von manchen Ärzten abgelehnt. Andere Ärzte sagen aber, daß durch etwa 8% weniger Patienten der Punktwert der ärztlichen Leistungen, die nach EBM vergütet werden steigen kann und begrüßen deshalb die Praxisgebühr in der GKV.
[Bearbeiten] Zuzahlungsgrenze und Belastungsobergrenzen
Von der Praxisgebühr kann unter besonderen finanziellen Bedingungen befreit werden, wenn dies bei der Krankenkasse beantragt wird, denn es gibt für alle Zuzahlungen eine Obergrenze: Die jährliche Selbstbeteiligung der Versicherten (dazu zählen neben der Praxisgebühr auch Zuzahlungen bei Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie die Zuzahlungen bei Krankenhausaufenthalten) darf zwei Prozent des Bruttoeinkommens nicht überschreiten. Für chronisch Kranke liegt die Obergrenze bei einem Prozent. Auf Familien wird besondere Rücksicht genommen: Freibeträge für Kinder und nicht berufstätige Ehepartner vermindern das zugrunde gelegte Bruttoeinkommen.
[Bearbeiten] Mahnung und Inkasso
Ein Arzt kann die Behandlung verweigern, wenn die Praxisgebühr nicht bezahlt wird, es sei denn, es liegt ein lebensbedrohlicher Notfall vor.
Zahlt ein Patient nach dem Arztbesuch die Praxisgebühr nicht, muss der Arzt ihm ein Mahnschreiben schicken. Mahngebühren bis zu vier Euro drohen dem säumigen Zahler. Bleibt die Mahnung unbeantwortet, übernimmt die Kassenärztliche Vereinigung das weitere Mahnverfahren, schickt eine zweite Mahnung. Bewegt auch diese den Patienten nicht zur Zahlung, muss die Kassenärztliche Vereinigung versuchen, das Geld gerichtlich einzutreiben. Juristische Besonderheit: Die KV hat kein Rechtsverhältnis mit dem Patienten, die Mahnungen bleiben möglicherweise unwirksam. Zahlt der Patient auch danach nicht, übernimmt die Krankenkasse den Einzug der Gebühr, notfalls durch ein Inkassounternehmen. Ob die Mahnkosten oder nur die reine Gebühr vom Versicherten gezahlt werden müssen ist derzeit rechtlich noch ungeklärt.
[Bearbeiten] Akzeptanz
Die Akzeptanz der im Zuge der Gesundheitsreform eingeführten Praxisgebühr erhöhte sich im Laufe der Zeit. Zwar hielt auch nach knapp einem Jahr die große Mehrheit der Deutschen die seit Anfang Januar 2004 kassierte Gebühr von 10 Euro pro Quartal für keine sinnvolle Maßnahme, aber der Anteil der Gegner sank kontinuierlich um insgesamt 7 Prozentpunkte (nach Zahlen von tns-Emnid).
[Bearbeiten] Folgen der Praxisgebühr
Die Einführung der Praxisgebühr hat eine doppelte Steuerungswirkung entfaltet. Zum einen scheint sie zu einem nachhaltigen Rückgang der Patientenzahlen beigetragen zu haben. So gingen die Fallzahlen im Jahr 2004 um insgesamt 8,7% zurück. Insbesondere Augenärzte (–10,9%), Chirurgen (–11,6%), Gynäkologen (–15,1%), Hals-Nasen-Ohren-Ärzte (–11,1%), Hautärzte (–17,5%) und Orthopäden (–11,3%) wurden weniger besucht. Die Studie lässt allerdings offen, ob der Rückgang der Patientenzahlen vor allem auf den Verzicht von Arztbesuchen bei Bagatellfällen, oder auf das Ausbleiben von sozial schwachen Patienten zurück zu führen ist. Die Zahl der ambulanten Arztkontakte von Kassenpatienten in Deutschland liegt allerdings im internationalen Vergleich immer noch an der Spitze, denn bei der Anzahl der Arztbesuche liegen die Menschen in Deutschland mit 16,3 pro Jahr laut einer Studie weltweit vorne[1]. Hausärzte werden in Deutschland mit jährlich knapp sieben Kontakten am häufigsten aufgesucht[2]. Ähnlich hohe Arztkontaktraten gibt es sonst nur in Japan oder Tschechien[3].
Grundlage für folgende Auswertungen waren Daten von 1,4 Millionen GEK-Versicherten in 8,3 Millionen Behandlungsfällen und mit 27 Millionen ICD-Diagnoseschlüsseln aus dem Jahr 2004. 91 % der Bevölkerung hatten mindestens einen Arztkontakt. Durchschnittlich gab es je Bürger 16,3 Arztkontakte. 2/3 der deutschen Bevölkerung gehen mindestens einmal jährlich zum Hausarzt, im Schnitt jeder Einwohner 6,6-mal pro Jahr. 10 % der Versicherten weisen eine hohe Kontaktrate bei ambulanten Leistungen auf. Auf sie entfallen gut 1/3 aller Arztkontakte und 43% der Behandlungskosten. 1% der Versicherten verursacht ca. 13% der Kosten. International ist die Zahl der ambulanten Arztkontakte mit im Schnitt 16 in Deutschland hoch. Nur in Japan, der Slowakei, Tschechien und Ungarn sind sie auf vergleichbarem Niveau.[4]
Sozial schwache Patienten können sich jederzeit von der Praxisgebühr befreien lassen, sobald sie ihre persönliche Belastungsgrenze erreicht haben, welche bei ALG-II Beziehern einem Betrag von ca. 80 € jährlich entspricht. Ist diese Summe erreicht, kann man sich von jeglichen Zuzahlungen befreien lassen.
Außerdem stieg seit Einführung der Praxisgebühr die Zahl der Überweisungen um über 40% an. Patienten gehen aufgrund der Praxisgebühr tendenziell vermehrt zuerst zum Hausarzt, anstatt direkt den Facharzt aufzusuchen (Quelle des Abschnitts). Was dem Ziel der Steuerungsfunktion erst den kostengünstigeren Hausarzt aufzusuchen und sich dann im begründetem Falle überweisen zu lassen, eine Basis verschafft. Fachärzte werden in der Regel höher vergütet. Ein Hausarzt ist so gut ausgebildet um einschätzen zu können, ob es der Behandlung eines Facharztes bedarf oder er selbst die Behandlung durchführen kann.
Der durch die Praxisgebühr verursachte Verwaltungsaufwand bei den Ärzten soll nach Angaben der Ärzte im Jahr 2004 8,3 Millionen Arbeitsstunden betragen haben ([1]). Eine Gegenüberstellung mit der freiwerdenden Zeit, die durch die geringeren Patientenzahlen entsteht, wird in der Diskussion zumeist nicht vorgenommen, da sich hierdurch diese Zahl relativieren würde. Allerdings geht es hierbei nicht allein um die Arbeitszeit. Denn in der mit Verwaltungsaufgaben vergeudeten Zeit kann kein Honorar erwirtschaftet werden, und es erfolgt keinerlei finanzieller Ausgleich für die allein den Krankenkassen zugute kommende zusätzliche Verwaltungsbelastung. Durch die direkte Kassierung der Praxisgebühr gelangt ein Teil des ärztlichen Honorars zeitlich direkt zum Arzt und vermindert die Zinsbelastung des Arztes, da das Honorar durch die Krankenkasse (nach Abzug der Praxisgebühr) erst nach Abrechnungsfrist bezahlt wird.
[Bearbeiten] Ambulanzgebühr (Österreich)
In Österreich wurde am 19. April 2001 eine der Praxisgebühr ähnliche Ambulanzgebühr eingeführt. Als Starttermin war zunächst der 1. Januar 2001 geplant. Diese wird seit 1. Mai 2003 nicht mehr erhoben. Die Aufhebung erfolgte unter anderem wegen der ihr zugeschriebenen Wirkung, sozial schwache Patienten von notwendigen Arztbesuchen abzuschrecken. Weitere Probleme waren der hohe Verwaltungsaufwand und die vielen notwendigen und unhandlichen Ausnahmen.
[Bearbeiten] Siehe auch
Selbstbehalt, Gesundheitsreform
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Ärztezeitung, 10./11.11.2006, S. 1: "16 Arztbesuche pro Jahr"
- ↑ Bei Arztbesuchen sind die Deutschen Weltmeister, Ärztliche Praxis, 21.11.2006, S. 18
- ↑ MMW - Fortschr. Med., Nr. 46 / 2006 (148. Jg), S. 3: "Deutsche gehen besonders oft zum Arzt"
- ↑ Zitiert nach: Medical Tribune Nr. 47, 24.11.2006, S. 27
[Bearbeiten] Weblinks
- www.die-gesundheitsreform.de - Fragen & Antworten: Praxisgebühr
- www.die-gesundheitsreform.de - Neue Zuzahlungs- und Finanzierungsregelungen
- § 28 SGB 5
- § 61 SGB 5
- Nachrichten und Kommentare zur Praxisgebühr
- Leitfaden der Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe zur Praxisgebühr
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