Türkengefahr
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Der Ausdruck Türkengefahr bezeichnet das während des 15. – 17. Jahrhundert in den europäischen Medien verbreitete Schreckbild des expandierenden Osmanischen Reiches.
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[Bearbeiten] Hintergründe
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Den historischen Auslöser der programmatischen antitürkischen Propaganda bildete der Fall Konstantinopels im Jahr 1453 und der türkische Vorstoß nach Otranto in Süditalien. Verstärkt instrumentalisiert wurde sie aber erst nach dem Zusammenbruch Ungarns in der Schlacht von Mohacs 1526 und dem türkischen Angriff auf Wien 1529.
Die osmanische Expansion erfolgte unter den gleichen schrecklichen Umständen, die zur damaligen Zeit auf allen kriegführenden Seiten üblich waren. Dennoch nahm man im Abendland im allgemeinen keine Notiz von den sich abzeichnenden politischen Veränderungen. So erfolgte zunächst ein nahezu unbemerktes Einsickern der osmanischen Herrschaft in die europäische Herrschaftssphäre. Christen (und Juden) erfuhren unter osmanischer Herrschaft anfangs eine weitgehende Toleranz, die sich jedoch rasch in Verknechtung änderte. Die steuerliche Finanzlast der christlichen Landbevölkerung an den Sultan war zunächst deutlich niedriger als der vergleichsweise hohe – und materiell zu entrichtende - Tribut an den christlichen Adel. Diese günstigen osmanischen Verhältnisse sowie eine offenkundig lose Verbindung zum Christentum bewirkten anfänglich scharenweise Abwanderungen in den osmanischen Herrschaftsbereich und Konversionen christlicher Bevölkerungsteile zum Islam. Kriegsgefangene schworen dem christlichen Glauben ab und begannen Karrieren im Islam. Ganze zur Verteidigung gegen die Osmanen eingesetzte Festungsmannschaften desertierten und selbst Mönche wurden zu „Abtrünnigen“. Jedoch gab es auch die Zwangsbekehrungen und Unterdrückung Andersgläubiger, um diese zu "bekehren".
Mittels einer geschickten Nationalitätenpolitik vermochte der Sultan durch die Integration konvertierter Beamter seine Herrschaft in den vormals christlichen Gebieten zu etablieren und auszubauen. 1453-1623 regierten unter den 48 Großwesiren mindestens 33 Konvertiten
- Von Korsika, Sardinien, Sizilien, Kalabrien, Genua, Venedig, Spanien, von allen Gegenden des Mittelmeerraumes sind Renegaten dem Islam zugelaufen. Umgekehrt nichts dergleichen. Vielleicht unbewußt öffnet der Türke seine Tore und der Christ verschließt die seinen. Die christliche Intoleranz, aus der Überzahl geboren, spricht die Menschen nicht an; sie stößt sie ab (...). Alles bricht auf zum Islam, wo Stellungen und Gewinne warten. (Atkinson, Nouveaux horizons, 243-245 ).
Die Einstellung der Venezianer gegenüber den Osmanen war zwiespältig. Die mit der Renaissance einher gehende Horizonterweiterung weckte das Interesse an den fernen Ländern, das sich vielfach in künstlerischen Produktionen niederschlug (siehe Orientalismus). Die beginnende ethnografische Reiseliteratur zeichnet ein vergleichsweise objektives von Achtung geprägtes Bild der osmanischen Kultur. „Sultan Soliman sei der Großzügigkeit und der Religion zugetan“ (Paolo Giovi), „was burgerliche Gerechtigkeit antrifft/soltu wissen das sie streng sind, etliche Laster zu strafen“ (Münsters Cosmographia) „friedliche Menschen“ (Pierre Belon).
Ein allgemeines Bewusstsein um eine türkische Bedrohung in Gestalt einer "Türkenfurcht" existierte also zunächst nicht. Selbst der französische König Franz I. verständigte sich mit den Osmanen in der Absicht, die Habsburger anzugreifen. Allein die römische Kirche sah sich in ihren vitalen Interessen bedroht. Doch ihre Forderungen nach einer Kreuzzugssteuer gegen die Türken stießen zunächst auf weitgehende Ablehnung . Hilfeersuchen der von osmanischen Übergriffen christlichen Nationen wie Ungarn wurden ignoriert. ‚‘Wer in Europa nicht direkt von der Türkengefahr betroffen war, blieb unbeeindruckt . Besonders Pius II. beklagte resigniert das Bild der europäischen Zerrissenheit angesichts der wachsenden osmanischen Macht:
- Wir aber liegen in tiefem Schlafe....unter uns selbst können wir kämpfen, nur die Türken lassen wir schalten und walten. Um kleiner Ursachen willen ergreifen Christen die Waffen und schlagen blutige Schlachten, gegen die Türken, die unseren Gott lästern, unsere Kirchen zerstören, den christlichen Namen ganz auszurotten trachten, will niemand die Hand erheben.
[Bearbeiten] Gesellschaftspolitische Auswirkungen
Angesichts des französisch-türkischen Bündnisses war die römisch-katholische Welt geschwächt und gespalten in einer Zeit, als gerade die aufkommende Reformation ihre Macht und die de des katholischen Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in Frage stellte. Wenn auch Frankreich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in dieser Bündnisfrage isoliert war, so verweigerten jedoch auch die protestantischen Reichsfürsten dem Kaiser die Reichstürkenhilfe und verbündeten sich mit Frankreich, während die Türken in Ungarn, aber auch in Siebenbürgen und der Slowakei die Protestanten gegen die katholischen Habsburger unterstützten.
Selbst Luther forderte zwar schon 1529 defensive Einheit des Christentums, fürchtete aber einen Sieg der Türken über den Kaiser weniger als den eigenen Abfall vom rechten (protestantischen) Glauben. Agricola bezichtigte 1538 die "unwissenden und dummen Bauern, die den Türken als ihren Herrn ersehnten" verdächtiger "Sympathien für den Reichsfeind", und auch Georgewitsch (Türcken-Büchlin, 1558) kritisierte jene christlichen "Leute, die lieber unter den Türken denn unter dem Kaiser leben wollen". Zu den sozialen Hoffnungen der gerade erst im Bauernkrieg blutig unterworfenen Bauern gefährdete auch die religiöse Toleranz bzw. relative Religionsfreiheit der Türken die katholische Ordnung sowie den Universalanspruch von Papst bzw. Kaiser und stellte somit die Einheit der Christenheit in Frage. Wolder (New Türckenbüchlin, 1558) befürchtete deshalb, "daß der Türke uns damit am meisten schaden wird, daß er jederman glauben läßt, was er will, wenn er nur seinen Tribut zahlt". [1]
Obwohl siebenbürgische Angriffe auf Österreich und Böhmen sowie Kuruzen-Aufstände erst im 17. Jahrhundert erfolgten, so war bei der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken 1683 die Situation bereits anders als zur Zeit der ersten Belagerung 1529. Die Türken hatten mit ihrer ziel- und sinnlosen Grausamkeit gegenüber der nichtmuslimischen Zivilbevölkerung in Österreich und Deutschland alle früheren Sympathien verspielt, und die Gegenreformation hatte sich in Österreich, Bayern und Böhmen inzwischen durchgesetzt bzw. die Macht der Habsburger zumindest in diesen Regionen wieder gefestigt.
- ↑ Burchard Brentjes: Chane, Sultane, Emire. S.49f und S.98 Leipzig 1974
[Bearbeiten] Die Kirchen
Allmählich sahen führende abendländische geistige Kräfte das Osmanische Reich als eine ernsthafte Bedrohung, gegen die Persönlichkeiten wie Montaigne warnend die Stimme erhoben. Diese Erwägungen blieben freilich akademisch; die Bevölkerung wurde durch sie nicht erreicht.
Insofern bildete die Kirche das den Umständen der Zeit angemessene und obendrein einzige Medium, effektiv die Massen zu erreichen und ein Bedrohungsgefühl vor den Türken zu erzeugen. Visuell in Gestalt von Bildern oder Karikaturen, akustisch im Glockengeläut und ideologisch durch Predigten, Gebete, Messen „contra turcos“, Flugschriften etc. Mittels des neu entstandenen Buchdrucks wurden den Schrecken ausmalende Türkenschriften in weiten Kreisen verbreitet, wobei man die türkischen Gräueltaten zu apokalyptischer Größe als Geißel Gottes oder zum Vorzeichen des Weltendes emporstilisierte. Bei der antitürkischen Propaganda taten sich besonders Jesuiten und Kapuziner hervor. Damit suchte man die Bevölkerung aus ihrer „Trägheit“ (Delumeau) zu reißen, moralisch mobil zu machen und somit die Bereitschaft zu finanziellen Opfern wie auch zur persönlichen Beteiligung am Glaubenskrieg zu wecken.
Dabei nutzte man auch Mittel bewusster Täuschung. In den Absagebriefen schuf man fingierte Kriegserklärungen des Sultans gegen die Christen, die von allen Kanzeln verlesen wurden. (Siehe Medienmanipulation)
Papst Calixt II. verordnete ein allgemeines tägliches Angelusgebet gegen die Türken. In Deutschland alarmierten auf Geheiß Karl V. allmittäglich zu läutenden Türkenglocken gleichermaßen Katholiken wie Protestanten. 1571 erließ Pius V. ein Ablassjahr zur Unterstützung der christlichen Flotte gegen den Sultan. Nach dem Sieg bei Lepanto setzte er das Fest Unserer Heiligen Frau der Siege (Rosenkranzfest) ein, das den Marienkult in besonderer Weise begründete. Eine besondere antitürkische Note verliehen dabei die symbolisch die Mondsichel zertretenden Mondsichelmadonnen. Zahlreiche triumphale Epinikien (Siegeslieder) wurden verbreitet. Architektonisch fand der Triumph in der Errichtung von Türkentoren Niederschlag.
Auf protestantischer Seite erkannte man wohl weiterhin die Hauptgefahr in der Papstkirche. Luther sah ein Leben unter dem Sultan erträglicher an als eines unter dem Papst. Dennoch unterschätzte man das türkische Drohpotenzial nicht.
Luther erregte mit seinen Türkenschriften Aufsehen. In seiner Vermahnung zum Gebet wider den Türcken ruft er zur allgemeine Buße: es stehet und geht fast wie fur der Sintflut. Gene 6. „Gott sahe auff Erden und siehe, sie war verderbet. Er sieht Türke, Papst und Teufel als eine die Christenheit bedrohende höllische Vereinigung.
- Und wenn ir nun wider den Türcken zihet, so seid ja gewis und zweivelt nichts daran, das ir nicht wider fleisch und blut, das ist wider Menschen streitet... Sondern seid gewis, das ir wider ein groos heer Teuffel streitet .
Die Türken sind, gleich den Juden, halsstarrig und verstockt... das türkische Reich, so groß es immer sein kann, ist nichts, denn nur allein Brocken Brodes... die Christen... haben...die Verheißung Gottes, so uns im Sohne Gottes geoffenbaret ist, da die Türken iren stinkenden Alkoran, ire Siege und zeitliche Gewalt haben, worauf sie sich verlassen .
Eine Beteiligung an einem geplanten Kreuzzug gegen die Türken lehnte Luther als „Bereicherungsstreben“ ab.
Mit dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts erlosch das öffentliche Bewusstsein von einer quasi globalen Türkengefahr und machte dem Gedanken des abzuschüttelnden Türkenjochs Platz. Ehemalige osmanisch besetzte Länder besannen sich auf ihre eigene nationale Identität und setzten auf den Befreiungskampf, vom verfallenden Osmanenreich sprach man nur mehr abfällig als von Kranken Mann am Bosporus.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Orient und Okzident
- Schwabenstreiche
- Türkei
- Dollingerlied
[Bearbeiten] Literatur
- Jean Delumeau: Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts. Rowohlt, Reinbek 1989. ISBN 3-499-55503-4 (französische Originalausgabe: La peur en occident, XIVe - XVIIIe siècles)