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Technischer Fortschritt

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Unter technischem Fortschritt versteht man eine Verbesserung der technischen Ausgangslage einer Volkswirtschaft oder die Gesamtheit aller technischen Innovationen einer Kultur. Durch technischen Fortschritt kann entweder eine gleiche Produktionsmenge (Output) mit einem geringeren Einsatz an Arbeit oder Produktionsmitteln (Inputs) erstellt werden oder eine höhere Menge mit dem gleichen Einsatz an Produktionsmitteln und Arbeit. Neben der quantitativen Verbesserung des Input-Output-Verhältnisses gibt es auch qualitative Verbesserungen wie neue Erzeugnisse (Technikgeschichte). Außer den ökonomischen hat der Technische Fortschritt auch kulturelle und soziale Auswirkungen und führt mit zu Strukturwandel.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Geschichte

Die Erfindung der Webmaschine löste zunächst Befürchtungen aus, dadurch käme es zu Massenarbeitslosigkeit.
Die Erfindung der Webmaschine löste zunächst Befürchtungen aus, dadurch käme es zu Massenarbeitslosigkeit.

In früheren Zeiten der Menschheitsgeschichte war die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts sehr langsam, auch wenn es in größeren Zeitabständen ebenfalls zu großen Umwälzungen kam, etwa die Neolithische Revolution.

Historisch hat es durchaus neben Zeiten mit technischem Fortschritt auch Zeiten mit technischem Rückschritt gegeben. Als klassisches Beispiel gilt der Untergang der antiken Kultur mit dem nachfolgenden Mittelalter. Allerdings streiten sich die Geschichtswissenschaftler in dieser Frage, inwieweit zum Beispiel in bestimmten Bereichen (Verbreitung der Wassermühle) der technische Fortschritt auch während des Mittelalters weiter ging.

[Bearbeiten] Technischer Fortschritt und Arbeitsplätze

In der neuesten Zeit stellte sich oft die Frage, ob technischer Fortschritt Arbeitsplätze schafft oder im Gegenteil Ursache für Arbeitslosigkeit sei. Diese Frage tauchte bereits 1821 bei David Ricardo und später in der Diskussion um Automatisierung und Rationalisierung wieder auf.

Dabei werden allerdings einige Annahmen gemacht. Es wird ein sinkendes Arbeitsvolumen zur Erzeugung des steigenden Güter- und Dienstleistungsangebots gebraucht, weil die Kaufkraft bzw. die Kaufwünsche langsamer als die Produktivität steigen, was sich in einer steigenden Sparquote ausdrückt. Außerdem wird eine marktwirtschaftliche oder kapitalistische Gesellschaft vorausgesetzt, bei der die Arbeitnehmer eine bestimmte Arbeitszeit abzuleisten haben, dass also sinkendes Arbeitsvolumen nicht in Arbeitszeit-Verkürzung umgesetzt wird. Unter diesen Annahmen entsteht ein Pessimismus-Problem. Unter diesen Bedingungen sieht es so aus, als ob technischer Fortschritt dazu führen muss, dass sich die Anzahl der Arbeitsplätze vermindert.

In der Tat kann es unter der Annahme von ganztägig beschäftigten Arbeitnehmern geschehen, dass menschliche Arbeitskräfte durch Maschinen im Zuge technischen Fortschritts ersetzt werden. Der klassische Wirtschaftswissenschaftler Ricardo gab zu, dass technischer Fortschritt Arbeitsplätze vernichten kann. Manchmal werden Karl Marx (Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate) ähnliche Auffassungen unterstellt, da er einen immer weiter steigenden Einsatz an Produktionsmitteln je Arbeitsplatz in der Produktion als Voraussetzung für technischen Fortschritt erwartete. Ersetzt eine Maschine zehn Arbeiter in der Stecknadelfabrik, so müssten zehn Arbeiter entlassen werden - wenn nicht die Nachfrage nach Stecknadeln zum Ausgleich entsprechend steigt oder entsprechend kürzer gearbeitet wird. So wurde um 1900 in Deutschland im Jahr ca. 3000 h gearbeitet, heute sind es durchschnittlich ca. 1500 h.

Solche vagen Überlegungen haben Philosophen wie Karl Popper oder die Wachstumstheorie der Wirtschaftswissenschaften systematischer darzustellen versucht (siehe untere Abschnitte).

[Bearbeiten] Erscheinungsformen

Die Dampfmaschine gilt als Symbol der Industriellen Revolution
Die Dampfmaschine gilt als Symbol der Industriellen Revolution

Technischer Fortschritt kann evolutionär oder revolutionär erfolgen.

Die drei Haupterscheinungsformen des technischen Fortschritts sind: Automatisierung, Rationalisierung und Synergieeffekte / positive Skaleneffekte

Es geht bei technischem Fortschritt aber nicht nur um die Steigerung der Arbeitsproduktivität, dass etwa eine bestimmte Anzahl Menschen immer mehr Autos herstellen können, sondern auch um qualitative Veränderungen, um Neuerungen, Innovationen bei den erzeugten Produkten für den Verbrauch der Menschen.

[Bearbeiten] Moderne Erklärungsansätze

Durch den technischen Fortschritt können heute auch Produkte gefertigt werden, deren Herstellung vorher nicht möglich war. Bereits vorhandene Produkte können kostengünstiger produziert werden, was den Konsumenten über niedrigere Preise oder den Unternehmen durch höhere Gewinne zugute kommt. Im letzteren Falle können die Unternehmen mehr investieren, wodurch die Arbeitsproduktivität erneut erhöht oder qualitativ verbessert werden kann.


Die Beobachtung früherer Jahrzehnte lehrt, dass durch technischen Fortschritt der Lohn steigen kann und auch die soziale Absicherung auch der freigesetzten Arbeitskräfte - und es können auch noch neue Arbeitsplätze entstehen. Zwar stiegen inflationsbedingt die Preise, die Einkommen stiegen jedoch stärker, die Realeinkommen der Arbeitnehmer und damit die Kaufkraft nahmen somit zu, trotz oder gerade wegen des technischen Fortschritts. Es lässt sich somit vermuten, dass bei zukünftigen technischen Fortschritten eine ähnliche Entwicklung erreicht werden kann.

Zudem werden Unternehmen in den Markt eintreten, die durch die Konzentration qualifizierten Personals in anderen Unternehmen zuvor keine Produktion starten konnten, weil sie dieses hochqualifizierte Personal nicht hatten. Jetzt kann aber dank technischen Fortschritt auch ohne viel hochqualifiziertem Personal wettbewerbsfähig produziert werden. Ähnlich ist es mit den neuen Maschinen, die die Produktion verbilligen und so Markteintritte neuer Unternehmen ermöglichen. In solchen Unternehmen entstehen dadurch möglicherweise wieder neue Arbeitsplätze, die es ohne technischen Fortschritt nicht gegeben hätte, weil das Unternehmen gar nicht gegründet worden wäre.

Letztlich werden auch zur nötigen Produktion und Wartung von gerade denjenigen Maschinen, die die Arbeitsplätze ersetzen, Arbeitsplätze benötigt.

[Bearbeiten] Bedenken

Im Rahmen der Globalisierungskritik wird erörtert, dass eine starke und starre, sich vernetzende Globalisierung von Techniken durchaus auch mit Gefahren verbunden sein kann. Vor allem entstehen neuartige, womöglich nachhaltige ("systemische") Katastrophengefahren (vgl. Charles Perrow, Normal accidents).

[Bearbeiten] Konzept von Karl Popper

Der Philosoph Karl Popper gibt in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, Band 2 „Hegel und Marx“ eine systematische Zusammenstellung, wie eine Gesellschaft auf eine Steigerung der Arbeitsproduktivität, die sich aus technischem Fortschritt ergibt, reagieren kann.

Die zur Verfügung stehende höhere Produktivkraft kann genutzt werden für:

  • Fall A: Investitionsgüter. Dann wird investiert, um mehr Investitionsgüter herzustellen, welche die Produktivität noch mehr steigern. Das Problem wird in die Zukunft verschoben. Popper hält dies daher für keine Dauerlösung.
  • Fall B: Konsumgüter
    • für die gesamte Bevölkerung
    • für einen Teil der Bevölkerung
  • Fall C: Arbeitszeit-Verkürzung
    • tägliche Arbeitszeit
    • die Anzahl der „unproduktiven“ Arbeiter steigt. Popper meint damit diejenigen außerhalb des produzierenden Gewerbes, insbesondere Wissenschaftler, Ärzte, Künstler, Geschäftsleute usw.

Hier zieht Popper eine Grenze. Bisher handelte es sich um für die Bevölkerung erfreuliche Wirkungen einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Es sind jedoch auch unerfreuliche Wirkungen denkbar:

  • Fall D: Die Anzahl der Güter, die produziert, aber weder konsumiert noch investiert werden, steigt
    • Konsumgüter werden zerstört
    • Kapitalgüter werden nicht genutzt, d.h. Betriebe liegen brach
    • es werden Güter, die weder Investitions- noch Konsumgüter sind, produziert, z. B. Waffen (siehe auch Rüstungskeynesianismus, Permanente Rüstungswirtschaft)
    • Arbeit wird eingesetzt, um Kapitalgüter zu zerstören und so die Produktivität wieder zu senken.

[Bearbeiten] Wachstumstheorie

Die Wachstumstheorie versucht mögliche Auswirkungen von technischem Fortschritt mathematisch abzugreifen.

[Bearbeiten] Harrod-Domar-Modell

Siehe ausführliche Diskussion unter Harrod-Domar-Modell.

Die folgenden Überlegungen setzen Marktwirtschaft oder Kapitalismus voraus. Es wird von Vollzeitarbeitskräften ausgegangen. Für diese muss das Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze schaffen. Wie das möglich ist bei einem in bestimmter Weise definierten technischen Fortschritt, das untersuchen in den Wirtschaftswissenschaften Wachstumsmodelle. Ein bekanntes und einfaches Wachstumsmodell ist das der Wirtschaftswissenschaftler Harrod und Domar.

Um abzugreifen, unter welchen Bedingungen technischer Fortschritt Arbeitsplätze schafft oder entbehrlich macht, kann man einfache Wachstumsmodelle der Wirtschaftswissenschaften zu Rate ziehen. Ein bekanntes Wachstumsmodell ist das Harrod-Domar-Modell, das die Bedingungen für ein gleichgewichtiges Wachstum herleitet und dabei auch technischen Fortschritt berücksichtigen kann. Das Modell geht vom Doppelcharakter der Investitionen aus, die zum einen ein Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage sind (der andere Teil sind die Konsumausgaben) und zum anderen den Kapitalstock und damit das potentielle Angebot erhöhen. Im gleichgewichtigen Wachstum soll Nachfrage gleich Angebot sein. Es ergibt sich folgende Gleichgewichtsbedingung:

g = {s \over v}

  • g: gleichgewichtige Wachstumsrate, die Angebot gleich Nachfrage herstellt.
  • s: Spar- gleich Investitionsquote, Anteil der Ersparnisse am Einkommen, das im Gleichgewicht als Nachfrage gleich dem volkswirtschaftlichen Angebot an Gütern ist. s ist damit auch der Anteil der Investitionen an der Gesamtproduktion.
  • v: Kapitalkoeffizient, er gibt an, wieviel Kapitalstock nötig ist, um eine bestimmte Produktionsmenge herstellen zu können.

Angebotsseitig: Das gleichgewichtige Wachstum ist umso höher, je größer der Teil des Angebots, das gleich der Nachfrage ist, für Investitionszwecke verwendet wird.

Nachfrageseitig: Das gleichgewichtige Wachstum ist umso höher, je größer der Teil des Einkommens, also der Nachfrage, gespart wird, um so Investitionen zu finanzieren.

Dieser Teil wird als s bezeichnet, die Sparquote, also der Teil der Produktion oder des Einkommens, der gespart wird, um Investitionen zu finanzieren.

Dazuhin gilt, dass das gleichgewichtige Wachstum umso niedriger ist, je höher der Kapitalkoeffizient v ist. Je mehr Kapital eingesetzt werden muss, um eine bestimmte Produktionsmenge zu erstellen, desto langsamer ist das gleichgewichtige Wachstum.

Wenn es keinen technischen Fortschritt gibt, dann sollte das gleichgewichtige Wachstum dem “natürlichen”, dem demografisch gegebenen Wachstum des Arbeitsangebots entsprechen, sonst reicht entweder das Arbeitsangebot nicht aus oder es entsteht immer größer werdende Arbeitslosigkeit.

{s \over v} = n

  • n: Bevölkerungswachstum

Der technische Fortschritt wird in das Modell so eingeführt, dass angenommen wird, dass der Kapitalaufwand je Arbeiter (oder je Arbeitsplatz), die Kapitalintensität, mit einer bestimmten Rate (m) wächst und dass dadurch die Arbeitsproduktivität ebenfalls mit dieser Rate wächst. Außerdem wird angenommen, dass der Lohn ebenfalls je Arbeiter mit dieser Rate wächst.

Diese Wachstumsrate m der Arbeitsproduktivität und der Kapitalintensität wird als Wachstumsrate des technischen Fortschritts verstanden. Wäre die Produktion konstant, dann könnten in jedem Jahr gemäß dieser Rate (-m) Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, die Beschäftigung schrumpfte also. Soll also keine Arbeitslosigkeit entstehen, muss das gleichgewichtige Wachstum jetzt betragen:

{s \over v} = m + n

  • m: Wachstumsrate des technischen Fortschritts, definiert als Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität und der Kapitalintensität.
  • n: demografisch, also exogen gegebenes Bevölkerungswachstum, das gleich dem Wachstum des Arbeitsangebotes ist.

Ein solches Wachstum kann – laut diesem Modell - erreicht werden, indem die Spar- und Investitionsquote s erforderlichenfalls erhöht wird. Da Investitionen in erster Linie aus den Gewinn- und nicht aus den Lohneinkommen finanziert werden, fordert die Wirtschaftspolitik denn auch häufig bei anhaltender Arbeitslosigkeit gemäßg der G-I-B-Formel mäßige Lohnpolitik und höhere Gewinneinkommen, um so mehr Investitionen, Wachstum und Beschäftigung auszulösen. Freilich kann eine solche Politik auch zu Verteilungskonflikten führen, da ja die Gewinneinkommen zu Lasten der Lohneinkommen ausgeweitet werden sollen.

Technischer Fortschritt führt also dazu, dass im Vergleich zur Gesamtproduktion mehr Investitionsgüter benötigt werden, als ohne technischen Fortschritt, soll Vollbeschäftigung erzielt werden. Allerdings handelt es sich um ein einmaliges Opfer, ist die Sparquote s groß genug, dann kann von da an der Lohn je Arbeiter gemäß der Wachstumsrate des technischen Fortschritts, also wie die Arbeitsproduktivität, wachsen.

[Bearbeiten] Produktionsfunktion

Technischer Fortschritt kann auf verschiedene Arten in eine Produktionsfunktion eingebaut werden, zum Beispiel:

Eine Produktionsfunktion gibt an, wieviel produziert werden kann (Y), wenn eine bestimmte Menge an Arbeit A und an „Kapital“, Kapitalstock oder Produktionsmitteln K eingesetzt wird:

Y = f(K,A)

Von arbeitssparendem, arbeitsvermehrendem oder Harrod-neutralem technischen Fortschritt spricht man, wenn gilt:

Y = f(K, a(t) \cdot A)

  • a(t) ist ein mit der Zeit t größer werdender Faktor, der die wegen des technischen Fortschritts allmählich steigende Arbeitsproduktivität abbildet.

Weniger gebräuchlich ist der Hicks-neutrale technische Fortschritt

Y = a(t) \cdot f(K, A)

und der Solow-neutrale, kapitalvermehrende oder kapitalsparende technische Fortschritt

Y = f(a(t) \cdot K, A).

Ein früher Versuch, technischen Fortschritt endogen zu erklären ist die Technische Fortschrittsfunktion von Nicholas Kaldor. Inzwischen gibt es die Endogene Wachstumstheorie.

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] Zitate

  • "Eine Entwicklung der Produktivkräfte, welche die absolute Anzahl der Arbeiter verminderte, … würde Revolution herbeiführen, weil sie die Mehrzahl der Bevölkerung außer Kurs setzen würde." - Karl Marx, MEW 25, Das Kapital III, S. 274

[Bearbeiten] Siehe auch

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