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Bundesverfassung (Österreich)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Bundesverfassung in Österreich ist die Sammlung aller Verfassungsgesetze und ist in vielen verschiedenen Rechtsquellen zu finden. Das Bundes-Verfassungsgesetz, kurz B-VG, enthält die wichtigsten Teile des Bundesverfassungsrechtes. Daneben bestehen zahlreiche andere Verfassungsgesetze, Verfassungsbestimmungen und Staatsverträge im Verfassungsrang in anderen Rechtsquellen, sodass das österreichische Bundesverfassungsrecht eine große Unübersichtlichkeit aufweist.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Geschichte

Das Bundes-Verfassungsgesetz wurde am 1. Oktober 1920 von einer Konstituierenden Nationalversammlung beschlossen, welche aus den ersten demokratischen Wahlen in Österreich hervorgegangen war. Die Entwürfe hierzu erstellten der Rechtsphilosoph und Staatsrechtler Hans Kelsen, der Christlichsoziale Politiker Michael Mayr und der damalige Staatskanzler Karl Renner. Das B-VG wurde im Staatsgesetzblatt unter Nr. 450 sowie im Bundesgesetzblatt (BGBl) unter Nr. 1 kundgemacht und trat in den wesentlichen Teilen am 10. November 1920 in Kraft.

Das B-VG war jedoch von Anbeginn ein „Torso“, da die Parteien der jungen Republik in einer Reihe von wichtigen Punkten keine Einigung erzielen konnten. Dies betraf insbesondere den Bereich der Grundrechte sowie die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in einigen besonders heiklen Materien. Um das Verfassungswerk nicht zu gefährden, wurden schließlich zahlreiche Gesetze aus der Österreichisch-Ungarischen Monarchie übernommen, so insbesondere das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867, welches bis heute als Teil der Bundesverfassung gilt.

In der Ersten Republik erfolgten zwei wesentliche Novellierungen des B-VG: Die Verfassungsnovelle 1925 war Teil einer umfassenden Verfassungs- und Verwaltungsreform, die durch die Verpflichtungen aus den Genfer Protokollen von 1922 notwendig geworden waren. Insbesondere wurde die definitive Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern festgelegt. Die Verfassungsnovelle 1929 beinhaltete eine Machtverschiebung vom Parlament zum Bundespräsidenten, der mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet wurde. Das B-VG wurde in der Folge erneut kundgemacht (BGBl 1930/1) und war bis zum 1. Juli 1934 wirksam, als es durch die rechtswidrig erlassene Maiverfassung des Dollfuß-Regimes ersetzt wurde.

Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 am Ende des 2. Weltkriegs und der Wiedererstehung der Republik Österreich setzte die Provisorische Staatsregierung unter Karl Renner das B-VG wieder in Wirksamkeit, wobei bis zum Zusammentritt des neu zu wählenden Nationalrates am 19. Dezember 1945 eine provisorische Verfassung galt. Der Titel lautete bis 1994 offiziell „Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929“.

Seitdem wurde das B-VG knapp hundert Mal novelliert und ist damit wohl die am häufigsten novellierte Verfassung der Welt. Eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung, welche gemäß Artikel 44 Absatz 3 nur im Wege einer Volksabstimmung erfolgen kann, erfolgte allerdings nur ein einziges Mal, und zwar anlässlich des Beitrittes Österreichs zur Europäischen Union (BGBl 1994/744). Aus demselben Anlass wurde das B-VG auch wieder in „Bundes-Verfassungsgesetz“ rückbenannt (BGBl 1994/1013).

[Bearbeiten] Baugesetze der Verfassung

Unter den Baugesetzen der Verfassung versteht man die leitenden Grundsätze der Verfassung. In der juristischen Diskussion stehen diese noch eine Rechtsstufe höher als die restlichen Verfassungsbestimmungen. Ihre Definition ist wichtig, um abschätzen zu können, was unter einer „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ zu verstehen ist. Für eine Gesamtänderung ist sowohl eine 2/3-Mehrheit im Parlament als auch eine Volksabstimmung verpflichtend (Obligatorische Volksabstimmung).


Die Baugesetze oder Leitenden Prinzipien der Bundesverfassung lauten:

[Bearbeiten] Das demokratische Prinzip

Das demokratische Prinzip betrifft die Frage der Herrschaftsform und der politischen Willensbildung. Die politische Macht in der Gesellschaft wird durch das Volk legitimiert. Dieser Grundsatz ist im Artikel 1 des B-VG verankert: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Besonders wichtig ist hier auch Art. 26 B-VG, er garantiert das allgemeine und geheime Wahlrecht. Österreich ist eine repräsentative Demokratie, deshalb gibt es eine Reihe von Instrumentarien: 1. der direkten Demokratie (= Selbstbestimmung durch Wahl), dazu gehören Volksbegehren, Volksbefragung und Volksabstimmung, 2. der indirekten Demokratie (= Wahl von Repräsentanten), welche durch die Art. 42–49 B-VG (Nationalrat ist zentrales Organ der Gesetzgebung) und durch Art. 140 B-VG (Verfassungsgerichtshof prüft Gesetze auf ihre demokratische Rechtmäßigkeit) garantiert sind.

[Bearbeiten] Das republikanische Prinzip

... betrifft die Organisation an der Staatsspitze und die Staatsform (so muss zum Beispiel an der Spitze des Staates ein gewähltes Staatsoberhaupt stehen; im Falle Österreichs ist das der Bundespräsident). Es dient zur Abgrenzung der Republik z. B. von einer Monarchie. Die Erblichkeit des Amtes des Bundespräsidenten in Österreich verhindert Art. 60 B-VG (Direktwahl des Bundespräsidenten).

[Bearbeiten] Das bundesstaatliche Prinzip

... betrifft den Föderalismus. Österreich ist weder ein Staatenbund, noch ein Einheitsstaat. Das Verhältnis zwischen den Bundesländern wird durch innerstaatliches Recht, nicht durch Völkerrecht geregelt. Dieses Prinzip findet man im Artikel 2 Absatz 1 des B-VG verankert: „Österreich ist ein Bundesstaat.“ Weiters sind Art. 10–15 B-VG besonders zu beachten, diese sogenannten „Kompetenzartikel“ regeln die Verteilung der Kompetenzen auf den verschiedenen Ebenen (Bund, Länder, Bezirke und Gemeinden). In Anbetracht der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ist jedoch anzumerken, dass das bundesstaatliche Prinzip in Österreich eher schwach ausgebildet ist.

[Bearbeiten] Das rechtsstaatliche Prinzip

Das rechtsstaatliche Prinzip betrifft die Herrschaft des Rechts, insbesondere das Legalitätsprinzip und das Prinzip der Gewaltentrennung. Das Legalitätsprinzip findet sich in Artikel 18 Absatz 1 und 2 B-VG: „Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden.“ Weiters garantiert der „Stufenbau der Rechtsordnung“ durch Erzeugungs- und Prüfverfahren, dass Gesetze rechtmäßig entstanden sind. Diese Gesetze werden nochmals durch den Verfassungsgerichtshof auf ihre Verfassungsmäßigkeit (einschließlich rechtmäßiges Entstehen) überprüft, dies allerdings nur dann, wenn er - etwa in einem Beschwerdeverfahren - seiner Entscheidung ein seiner Auffassung nach verfassungswidriges Gesetz zugrunde legen müsste.

[Bearbeiten] Das liberale Prinzip

Das liberale Prinzip besagt, dass dem staatlichen Handeln Grenzen gesetzt sind, um für die Bürger ein gewisses Ausmaß an Freiraum gewährleisten zu können. Dies garantiert der Grundrechtskatalog – die EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention). In ihm sind gewisse „Abwehrrechte“ verankert z. B. Schutz vor willkürlicher Festnahme, Schutz der Meinungsfreiheit.

[Bearbeiten] Das Prinzip der Gewaltentrennung

Das Prinzip der Gewaltentrennung (GT) besteht aus der GT im formellen, organisatorischen und im materiellen Sinn und wurde zur Prävention von Machtkonzentration und infolge derer von Korruption eingeführt. Im funktionellen Sinn bedeutet die GT, dass es eine Legislative (gesetzgebende Körperschaft), eine Judikative (richtende Körperschaft) und eine Exekutive (verwaltende und ausführende Körperschaft) gibt, denen bestimmte Aufgaben zugewiesen werden. Die GT im organisatorischen Sinn bestimmt, dass es bestimmte Organe innerhalb der einzelnen Körperschaften gibt, die von Personen besetzt werden (so besteht beispielsweise das Organ des Bundespräsidenten, das von einer vom Staatsvolk auf sechs Jahre gewählten Person bekleidet wird). Die GT im materiellen Sinn ist die Zuteilung von bestimmten Aufgaben und Kompetenzen auf bestimmte Organe. (So ernennt der Bundespräsident beispielsweise auf Vorschlag des National- und des Bundesrates die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs [VfGH].) Dennoch bestehen zwischen den „getrennten Gewalten“ zweifellos Verflechtungen durch Ernennungs- und Abberufungsrechte, Mitwirkungsrechte und Kontrollrechte. (Beispielsweise ernennt der Bundespräsident die Richter am VfGH und kann den Nationalrat auflösen, bedarf aber wiederum der Zustimmung des Nationalrats, um bestimmte Staatsverträge abschließen zu können und muss sich außerdem auch noch dem Staatsvolk verantworten und kann von diesem durch Volksabstimmung abgesetzt werden.).

Die österreichische Bundesverfassung ist von den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltentrennung geprägt. Das föderalistische Prinzip ist (im Vergleich etwa zu Deutschland oder zur Schweiz), relativ schwach ausgebildet. Die einzelnen Bundesländer verfügen über keine Kompetenzen im Bereich der Judikative. Auch im Bereich der Gesetzgebung hat der Bund ein deutliches Übergewicht.

[Bearbeiten] Grundrechte

Das B-VG enthält keinen umfassenden Katalog der Grundrechte. Stattdessen finden sich nur einzelne Grundrechte im B-VG, wie etwa das Recht auf den gesetzlichen Richter und die Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz. Viele Grundrechte sind im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 normiert, zum Beispiel die Gleichheit vor dem Gesetz, die Unverletzlichkeit des Eigentums, die Freizügigkeit und die Erwerbsfreiheit, Brief- und Fernmeldegeheimnis, Versammlungs- und Vereinsfreiheit, das Recht der freien Meinungsäußerung und die Pressefreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Freiheit der Wissenschaft und Lehre sowie der Kunst und andere. Das Grundrecht auf Freiheit ist im Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit von 1988 geregelt. Darüber hinaus steht die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) im Verfassungsrang.

[Bearbeiten] Kreation von Verfassungsbestimmungen

Verfassungsgesetze können nur mit qualifizierter Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten des Nationalrats bei Anwesenheit mindestens der Hälfte der Abgeordneten beschlossen und geändert werden. Tief greifende Änderungen der Verfassung, die die Grundprinzipien maßgeblich berühren („Gesamtänderung“) müssen außerdem durch eine Volksabstimmung bestätigt werden. Bislang gab es nur eine „Gesamtänderung“ der Bundesverfassung, die einer Volksabstimmung unterzogen werden musste: Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union stellte aus mehreren Gründen eine tief greifende Änderung der Bundesverfassung dar, daher wurde ein eigenes Beitrittsverfassungsgesetz beschlossen; dieses fand in einer Volksabstimmung die Zustimmung der österreichischen Wahlberechtigten.

[Bearbeiten] Verfassung und Tagespolitik

In Österreich können auch einfache Gesetzesmaterien in den Verfassungsrang gehoben werden. In einem solchen Fall müssen die entsprechenden Paragraphen ausdrücklich als Verfassungsbestimmung bezeichnet sein und mit Zweidrittelmehrheit wie ein Verfassungsgesetz beschlossen werden. Von dieser Möglichkeit wurde in der Zweiten Republik oft Gebrauch gemacht, vor allem um Gesetze dem Zugriff des Verfassungsgerichtshofs zu entziehen.

[Bearbeiten] Reform der Verfassung

2003 wurde von der Regierung (Kabinett Schüssel II) der so genannte Verfassungskonvent oder „Österreich-Konvent“ (offizielle Bezeichnung) unter der Leitung des damaligen Rechnungshof-Präsidenten Franz Fiedler eingesetzt, der die gültige Verfassung entrümpeln soll. Der Konvent hatte den Auftrag, die Bundesverfassung den neuen Gegebenheiten, die sich im Laufe der Jahrzehnte - vor allem seit dem Beitritt zur EU - ergeben haben, anzupassen und Vorschläge für eine neue Verfassung zu erarbeiten. Er endete am 31. Jänner 2005, ohne formal das gesteckte Ziel erreicht zu haben. Es liegt zwar ein Verfassungsentwurf vor, doch wurde dieser von Franz Fiedler anhand der Ergebnisse der Konventsarbeit verfasst, vom Plenum des Konvents jedoch nicht konsentiert. Vor allem von Seiten der ÖVP wird dieser Entwurf als geeigneter Ausgangspunkt für weitere Bemühungen angesehen, im österreichischen Parlament (wie verfassungsrechtlich vorgesehen) eine neue Verfassung (oder auch nur eine „große Verfassungsnovelle“) zu erarbeiten.

[Bearbeiten] Siehe auch

s:
Wikisource
Wikisource: Bundes-Verfassungsgesetz der Republik Österreich – Quellentexte

[Bearbeiten] Literatur

  • Bernd-Christian Funk: Einführung in das österreichische Verfassungsrecht. neu bearbeitete Aufl. Leykam, Graz, 2003. ISBN 3701191018
  • Wilhelm Brauneder: Österreichische Verfassungsgeschichte, 10. Aufl., Wien 2005. ISBN 3-214-14875-3
  • Oskar Lehner: Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Mit Grundzügen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 3. Aufl., Linz 2002. ISBN 3-85487-339-5
  • Klaus Berchtold: Verfassungsgeschichte der Republik Österreich, Wien 1998. ISBN 3-211-83188-6
  • Ernst C. Hellbling: Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 2. Aufl., Wien 1974. ISBN 3-211-81256-3

[Bearbeiten] Weblinks

Andere Sprachen
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