Einwanderung aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland
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Die vermehrte Einwanderung aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland setzte Anfang der 1960er Jahre zunächst als Arbeitsmigration mit offenem Zeithorizont ein. Begründet wurde sie durch die Unterzeichnung des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei am 30. Oktober 1961. Eine zweite Phase ist in der Zeit nach dem alle Vertragsländer betreffenden allgemeinen Anwerbestop am 23. November 1973 zu sehen, in der ein verstärkter Familiennachzug erfolgte. Die politische Lage in der Türkei Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre führte schließlich zu einer weiteren Einwanderung jetzt Asyl suchender Flüchtlinge, bisweilen begünstigt durch Bezüge zu der ersten Einwanderergeneration, deren endgültige Niederlassung in der Bundesrepublik um diese Zeit allmählich ihren Abschluss fand.
Heute leben Einwanderer aus der Türkei teils bereits in vierter Generation in der Bundesrepublik.
Die Türken haben sich (bis heute) in das Arbeitsleben voll integriert (...). Die rund sechzigtausend (mit steigender Tendenz!) Selbständigen schaffen für Hunderttausende Arbeitsplätze und tragen damit zum wirtschaftlichen Wohlstand bei. Im Bildungsbereich sind türkische Schüler und Studierende dabei, den Abstand zu ihren deutschen Altersgenossen zu verringern. Tausende türkische Akademiker sind in verschiedenen Berufen erfolgreich tätig. Zunehmend mehr Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Sportler türkischer Herkunft erbringen beachtliche Leistungen.[1] bilanzierte Prof. Dr. Hakki Keskin 2001 40 Jahre türkische Einwanderung. Keskin wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass für die überwiegende Mehrzahl türkischer Einwanderer neben ihrer familiären Verwurzelung in Deutschland die BRD längst auch von den verfassungsmäßigen Grundwerten her zu ihrer Heimat geworden sei.
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Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Vorgeschichte
1960 gab es nicht einmal 1500 Türken in der Bundesrepublik[2]. Traditionell hielten sich die meisten von ihnen als Studenten oder Kaufleute in Deutschland auf, weshalb viele keinen dauerhaften Aufenthalt im Sinn hatten. Dementsprechend und zusätzlich durch Kriegszeiten bedingt schwankend stellen sich auch die Zahlen zur türkischen Wohnbevölkerung Deutschlands in den Jahren zuvor dar[3]:
- 1878 - 41
- 1893 - 198
- 1917 - 2046
- 1925 - 1164
- 1933 - 585
- 1938 - 3310
- 1945 - 79
[Bearbeiten] Arbeitsmigration in den 60ern
Ab 1961 warben deutsche Unternehmen auf der Grundlage des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei 678 702 Männer und 146 681 Frauen, also insgesamt 825 383 Menschen[4], als so genannte türkische Gastarbeiter an. Bei der Interpretation dieser Zahlen muss jedoch berücksichtigt werden, dass auch zahlreiche Arbeitsplätze jenseits des Anwerbeabkommens vermittelt wurden.
[Bearbeiten] Anwerbungsprocedere
Das Anwerbungsprocedere ging vereinfacht beschrieben vor sich wie folgt. Arbeitgeber in der Bundesrepublik meldeten ihren Arbeiterbedarf als „Anforderungen“ über eine deutsche Verbindungsstelle in Istanbul an die Auslandsabteilung der türkischen Anstalt für Arbeit und Arbeitsvermittlung İİBK, die ihrerseits wiederum eine vorselektierte Auswahl an Arbeitern an die deutsche Verbindungsstelle zur weiteren Prüfung entsandte. Neben diesem Procedere gab es noch eine zweite Gruppe Anforderungen, personenbezogene nämlich, die ohne Prüfungen in der deutschen Verbindungsstelle vonstatten gingen.
Bewerber für die Arbeit in der Bundesrepublik unterlagen bei ihrer Registrierung bei der İİBK, wenn nicht ein offensichtlich schlechter Gesundheitszustand sie schon von vornherein von der Vermittlung ausschloss, bestimmten Altersgrenzen. Diese lagen für qualifizierte Kräfte zuletzt bei 40 Jahren, für weibliche Arbeiter bei 45, Bergmänner durften höchsten 35 Jahre alt sein und für unqualifizierte Kräfte war das 30. Lebensjahr die Grenze[5]. Für die Vorstellung zur Registrierung waren ein Lichtbild, ein Personalausweis, ein adressiertes und frankiertes Briefcouvert und möglichst Zeugnisse, Bescheinigungen sowie Angaben über die Berufsqualifikation mitzubringen. Insgesamt bewarben sich so zwischen 1961 und 1973 über 2,6 Millionen Menschen um einen Arbeitsplatz in der Bundesrepublik[6] Wer von der İİBK für die Vorstellung bei der deutschen Verbindungsstelle in Istanbul ausgewählt worden war, musste dort noch zwei Abteilungen und fünfzehn Prüfungen der deutschen Behörde durchlaufen. Die erste Abteilung überprüfte die Vermittlung durch das İİBK. Zunächst versuchte man die berufliche Eignung und Qualifikation genauer zu bewerteten: in diesem Zusammenhang gab es Lese- und Schreibtests, Abfrage beruflichen Wissenstandes mittels eines Dolmetschers bzw. wurde dieser bei Bedarf vor Ort bei der praktischen Arbeit in einem Unternehmen nachgewiesen. Nach dem erfolgreichem Absolvieren der ersten Verbindungsstellenabteilung, folgte eine umfangreiche Gesundheitsprüfung, bei der sich die künftigen „Gastarbeiter“ vor deutschen Ärzten und ihren Arzthelferinnen in Gruppen bis auf die Unterhose ausziehen mussten, um u.a. einfache Körperübungen wie Kniebeugen zu vollführen. Ebenfalls in der Gruppe wurde so eine eingehende Untersuchung der Geschlechtsorgane vollzogen, was man aufgrund des religiösen und kulturellen Hintergrundes der oft aus Anatolien stammenden künftigen Arbeiter in Deutschland als schwere Zumutung bezeichnen muss[7]. Bis heute ist es für viele der so vermittelten damaligen Gastarbeiter ein großes Tabu, über diesen Teil des Vorgehens der deutschen Behörden zu sprechen. „Diese Menschen wurden in Gruppen untersucht, selektiert und in ihrem Schamgefühl verletzt“ [8] bringt Hasan Cil, nachdem er doch einige für diesbezügliche Interviews gewinnen konnte, sicher nur unzureichend auf den Punkt, was die medizinischen Reihenuntersuchungen für die damals Betroffenen bedeutet haben mögen.
[Bearbeiten] Reise in die Bundesrepublik Deutschland
Die meisten Arbeitsmigranten wurden von Istanbul aus in Sonderzügen nach Deutschland gebracht. Die während der gesamten 60er Jahre zunächst über Griechenland führende Route bedeutete für die Arbeiter eine mindestens fünfzigstündige Fahrt. Ab den Siebzigern gab es dann eine direktere Einreisemöglichkeit über Bulgarien. Flüge waren zuletzt besonders für die weiblichen Arbeitsmigranten eine notwendige Entlastung.
Die Einreise per Sonderzug nach Deutschland erfolgte über München, wo einige der Arbeiter und Arbeiterinnen aufgrund der Reisestrapazen bereits ärztlich behandelt werden mussten. Die Versorgung mit muslimischen Gewohnheiten auch nur halbwegs angemessener Nahrung allerdings war in der schon Jahre zuvor für andere "Gastarbeiter"-Gruppen eingerichtete Weiterleitungstelle dabei anfänglich wohl nicht gewährleistet:
- In München gaben sie uns gekochtes Schwein[9]
singt Metin Türköz in seiner in den 1960er Jahren in türkischen Migrantenkreisen wohl aufgrund ihrer Authentizität äußerst beliebten Deutschlandballade über die Ankunft in der Weiterleitungsstelle.
[Bearbeiten] Ankunft am Bestimmungsort
Der Empfang am letztendlichen Bestimmungsort entsprach nach der Weiterleitung aus München vermutlich jedoch oft noch weniger den Erwartungen, die man bei den Arbeitsmigranten in der Türkei geweckt hatte − so stellt Türköz seine Ankunft in Köln realistisch dar:
- Es ist sechs, wir sind in Köln, sagten sie,
- immer sechs von uns gaben sie einen Schlafraum,
- statt Federn streuten sie Stroh auf den Boden,
- Bad und Toilette gibt's in der Fabrik, sagten sie.[10]
[Bearbeiten] Verstärkter Familiennachzug in den 70ern
Bereits Ende der 60er / Anfang der siebziger Jahre war bei türkischen genauso wie bei "Gastarbeitern" anderer Herkunft Familiennachzug zu beobachten. Hierdurch mehrten sich in der deutschen Diskussion die Zweifel an einer sinnvollen Kosten-Nutzen-Abwägung bezüglich der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer sowie die Angst vor sozialen Konflikten.[11],
Der als Reaktion darauf zu verstehende alle Anwerbeländer betreffende Anwerbestop am 23. November 1973 und die damit einhergehende Regelung, Einwanderung in die Bundesrepublik nur noch im Zusammenhang mit Eheschließung oder Familienzusammenführung zuzulassen, kam für die ausländischen Arbeitnehmer jedoch völlig überraschend und löst Ängste bezüglich eventuell folgender, noch strengerer Maßnahmen aus. Diese führten die beabsichtigte "Konsolidierung" der Ausländerzahlen ad absurdum und stattdessen zu einem deutlichen Anstieg insbesondere der türkischen Wohnbevölkerung in Deutschland.
- Der Anwerbestop forderte den Familiennachzug (...) geradezu heraus. Das gilt auch für eine Maßnahme aus dem Jahre 1975, als die Kindergeldsätze für ausländische Kinder, die im Heimatland geblieben waren, gekürzt wurden. Die Statistik zeigt deutlich, wie die Zahl der Zuzüge durch diese beiden Maßnahmen angestiegen ist[12],
bemerkt der Migrationswissenschaftler Karl-Heinz Meier-Braun hierzu.
[Bearbeiten] Politische Flüchtlinge von den 80ern bis heute
Ein Militärputsch in der Türkei am 12. September 1980 bewirkte eine neue Einwanderungswelle, die sich wiederum stark auf die demographische Struktur der in Deutschland lebenden Türken auswirkte. Während die türkische Einwanderergesellschaft bis dahin bedingt durch die starke Arbeitsmigration der 60er und frühen 70er Jahre mit Ausnahme einer Anzahl miteingewanderter Künstler und Intellektueller im Wesentlichen doch eine Arbeitergesellschaft geblieben war, führten die politischen Verhältnisse in der Türkei nun auch zur vestärkten Einwanderung Angehöriger der intellektuellen Schicht als politische Flüchtlinge[13].
Bis in die letzten Jahre hinein sind aus multiplen Gründen weitere Flüchtlinge und Asylsuchende hinzugekommen.
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Hakki Keskin: „Zum 40. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei“, D.I.R. / TGB, 29. Oktober 2001
- ↑ Theo Sommer: „Leben in Deutschland (26) - Wie man in Deutschland fremd ist“, DIE ZEIT, 25. März 2004
- ↑ Ingeborg Böer: Türken in Berlin 1871-1945. Buch, de Grutyer, Erstausgabe 2001,
- ↑ Ferda Ataman: „Türkische Frauen: Die Opferrolle hat ausgedient“, Der Spiegel, 11. März 2007
- ↑ Türkische Anstalt für Arbeit und Arbeitsvermittlung: „Rundschreiben Nr. 3./7“, İİBK, 15. April 1966
- ↑ Aytaç Eryılmaz: „Wie geht man als Arbeiter nach Deutschland?“ In: Aytaç Eryılmaz/Mathilde Jamin (Hg.), Fremde Heimat: Eine Geschichte der Einwanderung; Essen, Klartext / DOMiT, Februar 1998
- ↑ Aytaç Eryılmaz: „Wie geht man als Arbeiter nach Deutschland?“ In: Aytaç Eryılmaz/Mathilde Jamin (Hg.), Fremde Heimat: Eine Geschichte der Einwanderung; Essen, Klartext / DOMiT, Februar 1998
- ↑ Ali Sirin: „Gastarbeiter erzählen ihre Geschichte“, AID – Integration in Deutschland, 4/2006
- ↑ Metin Türköz: Deutschlandballade, aus dem Türkischen von Carl Koß, entstanden um 1963
- ↑ Metin Türköz: Deutschlandballade, aus dem Türkischen von Carl Koß, entstanden um 1963
- ↑ Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun: „40 Jahre "Gastarbeiter" und Ausländerpolitik in Deutschland“, SWR, 22. Dezember 1995
- ↑ Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun: „40 Jahre "Gastarbeiter" und Ausländerpolitik in Deutschland“, SWR, 22. Dezember 1995
- ↑ Nedim Hazar: „Die Seiten der Saz in Deutschland“ In: Aytaç Eryılmaz/Mathilde Jamin (Hg.), Fremde Heimat: Eine Geschichte der Einwanderung; Essen, Klartext / DOMiT, Februar 1998
[Bearbeiten] Siehe auch
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