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Historismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Dieser Artikel handelt vom Historismus als Phänomen der Kunstgeschichte. Zum parallel laufenden historiographischen Phänomen siehe Historismus (Geschichtswissenschaft)

Der Ausdruck Historismus bezeichnet in der Stilgeschichte eine Stilrichtung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, bei der man auf ältere Stilrichtungen zurückgriff und diese nachahmte. Anders als im Klassizismus wurde nicht nur versucht, die Architektur der klassischen Antike (wie sie in Rom gefunden wurde) zu kopieren, sondern es wurden Architekturformen anderer Epochen, die nunmehr als gleichwertig anerkannt wurden, nachgeahmt. Einen großen Einfluss übte dabei die Romantik aus, die einen Sinn für das historisch Bedingte entwickeln half.

Gelegentlich wurden auch mehrere Stile in einem Gebäude gemischt, diese teilweise recht wahllosen Kombinationen nennt man Eklektizismus. Andere Bauwerke zitieren historische Motive, lassen sich aber keinem konkreten Stil zuordnen.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Bauten

Zu dieser Zeit stand die Architektur vor neuen Aufgaben: Die Industrielle Revolution erforderte den Bau von Bahnhöfen, Fabriken und Wassertürmen. Zur Linderung der Wohnungsnot mussten mehrstöckige Zinshäuser errichtet werden, das aufstrebende und zusehends wohlhabende Bürgertum verlangte nach Villen und großen Stadtwohnungen in repräsentativen Gebäuden.

Teilweise wurden verschiedenen Baustilen unterschiedliche Funktionen zugeschrieben: Kirchen wurden im Stil der Gotik oder der Romanik gebaut, Banken und Bürgerhäuser im Stil der Renaissance (der großen Zeit der Stadtkultur vor allem in Italien), Adelspalais und vor allem Theater im Barockstil, Fabrikhallen dagegen im „englischen Stil“ (meist mit unverputzten Backsteinfassaden).

Viel Wert wurde auf Repräsentation gelegt, wobei funktionale Aspekte gelegentlich untergeordnet wurden (siehe Universität Wien). Dies ist einer der Gründe, warum der Historismus vor allem Mitte des 20. Jahrhunderts häufig kritisiert wurde. Auch wurde kritisiert, dass architektonische Zutaten wie Säulen, Medusenköpfe und Akantusblätter rein dekorativ zur Erzeugung einer „historischen Atmosphäre“ seien.

Der Historismus kam mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Machtverlust der bis dahin stilbildenden Schichten des Adels und Großbürgertums zu einem abrupten Ende. Ab den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts dominierten zusehends weniger komplexe Baustile, die dem Geschmack breiterer Schichten entsprachen.

[Bearbeiten] Stilphasen

Stilgeschichtlich unterscheidet man zwischen romantischen Historismus (vor 1870), strengen Historismus (1870-1890) und Späthistorismus (nach 1890).

Der Romantische Historismus zeichnet sich durch eine langsame Ablösung vom Klassizismus aus. Bevorzugter Stil sind Neugotik und Neorenaissance, allerdings werden immer wieder „stilfremde“ Elemente kombiniert, so dass es sich um keine einfache Nachahmung der historischen Stile sondern um subjektive Interpretationen handelt. Auch Elemente aus nicht-westeuropäischen Stilen (etwa maurisch oder byzantinisch) werden kombiniert. Dies drückte sich auch in einem zeitgenössischen Spottgedicht gegen zwei prominente Architekten dieses Stils aus, deren Hofoper die Zeitgenossen enttäuscht hatte: Sicardsburg und van der Nüll / Haben beide keinen Stüll / Gotisch, Griechisch, Renaissance / Das ist ihnen alles aans.

Der Strenge Historismus dagegen versucht „reine Elemente“ des vergangenen Formvokabulars kunsthistorisch korrekt zu kombinieren. Der Subjektivismus des romantischen Historismus wird abgelehnt, versucht wird einen lehrbaren und objektiv richtigen Stil zu finden, der sich aus den Formendetails ableitet. Bevorzugter Stil ist die Neorenaissance.

Im Späthistorismus wird die Orientierung an die Renaissance durch eine Orientierung an den Barockstil (Neobarock) abgelöst. Die strenge Orthographie der vorhergehenden Phase löst sich zugunsten einer freieren Interpretation der Dekorelemente, die auch nicht mehr streng linear angeordnet werden. Ausbuchtende Erker, Risalite, Kuppeln und ausladende Balkone werden beliebt. Allgemein ist ein Zug zu übersteigerter Monumentalität zu beobachten. Einzelne Elemente (etwa die Blumendekors) weisen gelegentlich schon auf den Jugendstil.

Überspitzt könnte man also sagen, dass der Historismus mit seinen Anfängen in der Neugotik und seinem Ende im Neobarock die abendländische Baugeschichte der frühen Neuzeit noch einmal durchläuft.

[Bearbeiten] Stile des Historismus

Erfurter Rathaus, Neugotik aus dem 19. Jahrhundert
Erfurter Rathaus, Neugotik aus dem 19. Jahrhundert
Theater Gera, Neobarock (erbaut 1902)
Theater Gera, Neobarock (erbaut 1902)
Amtsgericht Ilmenau, Neoklassizismus (erbaut 1914)
Amtsgericht Ilmenau, Neoklassizismus (erbaut 1914)

siehe auch Unterartikel

[Bearbeiten] Neuromanik

Die Romanik galt vor allem in Deutschland als „Nationaler Baustil“, der neuromanische Stil war nach dem Wiesbadener Programm jahrzehntelang für evangelische Kirchenbauten verbindlich.

[Bearbeiten] Neugotik

Der (vor allem in Großbritannien) früheste und wichtigste historistische Stil ist die Neugotik. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts wurden gotische Formen wiederentdeckt, so beispielsweise bei der „Regotisierung“ Wiener Kirchen durch Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg um 1805, die allerdings noch einem klassizistischem Zeitgeschmack geschuldet war, so dass viel authentische Gotik verloren ging. In den 1840er Jahren wurde die Gotik immer mehr als Sinnbild einer Architektur der Bürgerfreiheit empfunden. Bedeutendster Vertreter in Österreich war Friedrich von Schmidt, in der Schweiz Ferdinand Stadler Der Neugotik verdanken wir die Fertigstellung einiger im Mittelalter unvollendeter gotischer Kathedralen, gerne auch für repräsentative bürgerliche Bauten (Rathäuser u.a.) verwendet, da man die Epoche der Gotik (Spätmittelalter) mit der Blütezeit der Stadtrepubliken assoziierte.

[Bearbeiten] Neorenaissance

Ein wichtiger historistischer Baustil ist die Neorenaissance in England und Frankreich, für die es auch in Deutschland (Leo von Klenzes Palais Leuchtenberg) und Österreich (Wiener Staatsoper) Beispiele gibt. Da man die Renaissance vor allem als eine Blütezeit der Künste ansah, war die Neurenaissance der bevorzugte Stil für Theater, Opernhäuser und Museen.

[Bearbeiten] Neobarock

Der Neobarock (in Deutschland auch Wilhelminischer Stil) ist ebenfalls ein wichtiger historistischer Baustil. Er findet in der Pariser Oper, dem Brüsseler Justizpalast und dem Berliner Reichstag sowie der Neuen Hofburg in Wien und Schloss Herrenchiemsee in Bayern seine Höhepunkte. Das Zeitalter des Barock (der Absolutismus) war der Höhepunkt weltlich-monarchischer Macht, weshalb man staatliche Bauten gerne in diesem Stil errichtete.

[Bearbeiten] Andere Stile

Nach 1870 kam in Deutschland der „französische“ Stil der Neugotik in Verruf und statt seiner wurde die Neoromanik propagiert. Einzelne romanische Elemente (etwa Säulenkapitelle) wurden aber darüber hinausgehend gern verwendet.

Neorokoko trat seltener im Bauwesen als in der Innenausstattung vor allem von Schlössern und Bürgerhäusern hervor. Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden etwa Schönbrunn und die Albertina mit einer dem Rokoko nachempfundenen Inneneinrichtung ausgestattet, wofür teilweise sogar authentisches Rokoko geopfert wurde.

[Bearbeiten] Neohistorismus

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommt es zu neohistoristischen Strömungen, die sich u.a. im Neoklassizismus ihren Ausdruck suchen.

[Bearbeiten] Historistische Architektur in ausgewählten Ländern

[Bearbeiten] Großbritannien

In Großbritannien setzte dies schon Ende des 18. Jahrhunderts ein, ein frühes Beispiel ist die Villa Strawberry Hill, die Horace Walpole um 1775 im neugotischen Stil errichten ließ. Als frühes Meisterwerk der Neugotik gilt auch das Parlamentsgebäude in London aus 1835.

[Bearbeiten] Deutschland

In Deutschland bildete sich mit Karl Friedrich Schinkel zunächst ein ausgeprägter Klassizismus aus. Mit den 1830er Jahren begannen stilistische Mischformen.

Nach 1870/71 breitet sich in Deutschland allgemein ein Eklektizismus genannter Stil aus. Als Initialbau des deutschen, „wilhelminischen“ Neobarock gilt eine Wohn- und Geschäftshaus-Bebauung am Beginn der ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Straße in Berlin-Mitte (1887 von Cremer & Wolffenstein).

Weitere historistische Bauwerke in Deutschland:

Der Historismus mit seinen vielen nachgemachten Stilrichtungen hatte nach dessen Ende nach dem Ersten Weltkrieg keine besondere Wertschätzung mehr, da man ihm gerade den Rückgriff auf alte Stile vorwarf, er also nicht eigenständig sei. Diese geringe Wertschätzung führte zu einem großen Verlust an Substanz in Deutschland während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Zahlreich Bauwerke gingen durch den Bombenkrieg verloren, aber durch die recht neue Bausubstanz und gute Ausführung waren auch viele beschädigte Gebäude reparabel. Dennoch wurden sie nicht wiederhergestellt, sondern bewusst abgebrochen und durch Neubauten ersetzt oder modernisiert, sprich ihrer Dekoration beraubt (Entstuckung). Später hat sich dies jedoch wieder geändert, wie die mit größtem Aufwand betriebene Restaurierung des Reichsgerichtes in Leipzig beweist.

Die aufwendige Innenausstattung vieler katholischer Kirchen der Neugotik wurde im Zuge der Umgestaltung gemäß dem zweiten Vatikanischen Konzil vielfach beseitigt und zerstört, weil man deren Stil als Schreinergotik abtat.

Eine Besonderheit stellen die gründerzeitlichen Villenkolonien dar, die ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts angelegt wurden. Während die Bauareale nach klassischen stadtplanerischen Gesichtspunkten durchgeplant und erschlossen wurden, wurden den einzelnen Bauherren lediglich wenige städtebauliche Vorgaben gemacht. Dementsprechend entstanden Gebiete mit vielfältigsten Spielformen der Architektur des Historismus, die auf die Repräsentationsansprüche des gründerzeitlichen Bürgertums abgestimmt waren. Herausragende Beispiele und Vorbild für viele spätere Anlagen waren die Villenkolonien in Lichterfelde bei Berlin, die ab etwa 1850 entstanden. Lichterfelde-West ist bis heute weitgehend erhalten und steht nach Jahren des Mietwohnungsbaus auf Grundstücken zerstörter Villen inzwischen großflächig unter Denkmalschutz. Auch in Hamburg-Marienburg oder München finden sich noch Elemente der alten Villenkolonien.

Auf dem Wohnungsmarkt sind heute die Wohnhäuser des späten Historismus (Gründerzeit) wieder sehr begehrt und werden von der Immobilienbranche gerne als Jugendstil-Haus vermarktet. In einigen deutschen Städten gibt es noch große geschlossene Gebiete dieser Art, zum Beispiel große und repräsentative Mietgebäude in Hamburg-Eppendorf und rund um die Aussenalster.

[Bearbeiten] Österreich und Länder der Donaumonarchie

Historistisches Gebäudeensemble im Stil der Renaissance in Linz.
Historistisches Gebäudeensemble im Stil der Renaissance in Linz.

In Österreich ist der Historismus nach wie vor der dominierende Stil der größeren Städte, vor allem in Wien, wo nach diesem Muster ganze Stadtviertel gebaut wurden. Es gab zwei Höhepunkte der Bautätigkeit: beim Bau der Ringstraße, der in den 1860er-Jahren begonnen wurde und bei der Regulierung des Wienflusses um 1900, bei der allerdings teilweise auch schon im Jugendstil gebaut wurde.

Der Historismus lebte in der Donaumonarchie, wo er sozusagen zum „Reichsstil“ wurde, bis 1914 weiter (Prag, Laibach, Zagreb, etc.). Um 1900 war Neobarock der häufigste Baustil, der auch „patriotisch“ konnotiert war: mit ihm knüpfte man vermeintlich an das 18. Jahrhundert und dessen Kulturblüte in Österreich an.

Die bedeutendsten Gebäude der Ringstraße sind:

Votivkirche in Wien, Neugotischer Stil
Votivkirche in Wien, Neugotischer Stil

[Bearbeiten] Schweiz

Auch in der Schweiz hat sich für einige Jahrzehnte der Historismus durchgesetzt, wofür insbesondere das Schweizerische Landesmuseum in Zürich steht. Im jungen Bundesstaat des ausgehenden 19. Jahrhunderts war die Rückbesinnung auf die eigene Geschichte von großer Bedeutung. Die Rückbesinnung auf die Geschichte führte in der Architektur zur Verwendung historischer Stilelemente und ihre Verschmelzung zu einem neuen Ganzen.

[Bearbeiten] Bedeutende historistische Architekten

[Bearbeiten] Historismus vor dem Historismus

In der Stilgeschichte werden des öfteren absichtsvolle Rückgriffe auf frühere Stilformen auch vor dem 19. Jahrhundert als Historismus bezeichnet. Ein Beispiel dafür ist die frühneuzeitliche Nachgotik, die gotische Formen noch verwendete, als diese längst von den herrschenden Renaissance- und Barockformen abgelöst waren. Zutreffender spricht man von retrospektiven Tendenzen.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Weblinks

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