Jahr Null
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Jahr Null gibt es im Christlichen Kalender und somit auch in unserer gegenwärtigen Zeitrechnung nicht. Dem 31. Dezember 1 v. Chr. folgt unmittelbar der 1. Januar 1. Zwei verschiedene Jahre Null wurden bisher definiert und vorgeschlagen. Derzeit wird aber nur das „julianische Schaltjahr Null“ tatsächlich angewendet.
Inhaltsverzeichnis |
Gründe für das Fehlen des Jahres Null
Die römischen Zahlen haben kein Symbol für die Null, die so genannten arabischen Ziffern hingegen schon. Letztere wurden gegen Ende des 5. Jahrhunderts in Indien entwickelt und somit etwa zeitgleich zu Dionysius Exiguus, der im Jahr 525 den Beginn der christlichen Ära für das Jahr 754 nach der Gründung Roms errechnete, dem vermeintlichen Jahr der Geburt Christi. Es dauerte aber etwa fünf Jahrhunderte (cf. Gerbert von Aurillac), bis man in Europa vom „Konzept der Ziffer Null“ überhaupt Kenntnis nahm – und erst in der Renaissance fanden die arabischen Ziffern in Europa allgemeine Anerkennung, Verbreitung und Verwendung. Überdies bezeichnet die Mengenangabe "Null" nicht das Vorhandensein einer Sache sondern eben gerade ihr Nichtvorhandensein. Daher ist es unüblich Dinge unter Verwendung der "Null" zu nummerieren. Ein Jahr mit der Nummer Null wäre somit also nicht vorhanden, ebenso wie es nach allgemeinem Verständnis in einem Korb mit durchnumerierten Äpfeln auch keinen Apfel mit der Nummer Null geben wird.
Deshalb gibt es in der Zeitrechnung der Historiker kein Jahr Null. Das hat zur Folge, dass zwischen dem 1. Juni 500 v. Chr. und dem 1. Juni 500 n. Chr. überraschenderweise nur 999 Jahre liegen. Dieses arithmetisch bedenkliche Ergebnis veranlasste die Astronomen des 18. Jahrhunderts zu einer eigenen, modifizierten Zeitrechnung. (Cf. Epochensprung.)
Mit Cassini ist sich die moderne Wissenschaft heute darin einig, dass eine korrekte Chronologie eigentlich eines Jahres Null bedarf. In den antiken Chroniken wurden aber traditionell die Herrscherjahre, z. B. der Caesaren gezählt, unter Verwendung von Ordinalzahlen. So begründen die Jahre der christlichen Ära, die Jahre nach Christus – logisch richtig ohne Jahr Null – eben auch die „christliche Chronik“; die Jahre vor Christus hingegen die „Chronik der vorchristlichen Zeit“. Beide zusammen ergeben aber keine Chronologie, sondern zwei getrennte Chroniken.
Das julianische Schaltjahr Null (= 1 v. Chr.)
Die Astronomen rechnen seit 1740 mit einem Schaltjahr Null (= 1 v. Chr.), dessen Definition gemeinhin Jacques Cassini zugeordnet wird; doch dürfte schon einige Jahrzehnte früher sein Kollege Philippe de la Hire in seinen astronomischen Tafeln mit einem Jahr Null gerechnet haben. Nun hatte man eine Chronologie, die auch ihren Namen verdient, mit einem logisch zwingenden Jahr Null. Dennoch ist diese astronomische Chronologie „kalendarisch unkorrekt“. Erstens definiert sie das Jahr Null als Schaltjahr, zweitens rechnet sie für die Zeit vor dem 15. Oktober 1582 in Julianischen Jahren, aber nach dem 4. Oktober 1582 in Gregorianischen Daten (cf. von Mädler). Dadurch kommt ein astronomischer Kalenderirrtum zustande, der für die ferne Vergangenheit einen ganzen Monat erreichen kann, und immerhin plus minus einen Tag für die jüngste Vergangenheit und die nahe Zukunft.
Vergleichstabelle zur Cassini-Chronologie
Die traditionelle geschichtliche Zeitrechnung entspricht dem römischen Kalender christlicher Zeitrechnung, benutzt aber trotz fehlendem Jahr Null das arabische Zahlensystem. Die traditionelle astronomische Chronologie besitzt dieses Jahr Null. Dem Jahr 1 v. Chr. entspricht das Jahr 753 seit der Gründung Roms.
Modernes Datum | Geschichtliches Jahr | Astronomisches Jahr | Christum natum 1 | ab urbe condita 2 | Lateinisches Datum | |
---|---|---|---|---|---|---|
31. Dezember | 1 v. Chr. | 0 | = | I ante | DCC.LIII a.u.c | pridie Cal. Ian. |
1. Januar | 1 (n. Chr.) | 1 | = | I post | DCC.LIV a.u.c | Calendis Ianuariis |
|
Anmerkung: Die obenstehende Tabelle gibt den theoretischen, richtig angewendeten Julianischen Kalender wieder. Caesar führte seinen neuen Kalender am 1. Januar DCCIX |a.u.c. (709 = 45 v. Chr. ) ein. Dieses Jahr war gleich ein Schaltjahr. Das Jahr zuvor wird als Verworrenes Jahr bezeichnet (weil es 445 Tage hatte). Nach Caesars Tod wurde aber 36 Jahre lang ein falscher, missverstandener Schaltmodus angewendet. Das Jahr 709 a.u.c. wurde gleich wieder als erstes Jahr verstanden und im „vierten“ Jahr 712 abermals ein Schaltjahr eingelegt, also schon nach drei Jahren. So waren die römischen Jahre 715, 718, 721 etc. bis einschließlich 745 a.u.c. (IX v. Chr.) alle tatsächlich Schaltjahre. 36/3 = 12, aber 36/4 = 9.
Das Jahr 745 wäre auch bei richtig angewandten Schaltregeln römisches Schaltjahr gewesen. Die eigentlichen Schaltjahre 749 a.u.c. (= V v. Chr.), 753 a.u.c. (= I v. Chr.) und 757 a.u.c. (= IV n. Chr.) fielen aber aus – waren also Gemeinjahre – um den Kalender zu korrigieren.
Weiterhin sollte noch beachtet werden, dass, obwohl das Neujahr von Caesar eindeutig auf den 1. Januar festgelegt wurde, Datumsangaben wie „pridie Kal. Ian.“ mit folgender Jahreszahl verschieden interpretiert werden können, da die Römer ab dem 14. Dezember rückwärts zählten (XIX ante Kal. Ian.). Der 30. Dezember ist der dritte [sic] Tag vor den Calenden, während der 31. Dezember der Vortag (pridie Kal. Ian.) der Calenden des kommenden neuen Jahres ist.
Das gregorianische Schaltjahr Null (≈ 1 v. Chr.)
Eine umstrittene Festlegung schuf die Internationale Standard Organisation mit ihrer Norm ISO 8601:1988, übernommen 1992 von der EN 28 601. Diese weltweit gültige, aber – zumindest in diesem Teil – auch weltweit ignorierte Norm offizialisiert einen „proleptischen (rückwirkend gültigen) gregorianischen Kalender“, dem sie ein Schaltjahr Null zuordnet. Dieses Jahr Null beginnt am 3. Januar 1 vor und endet am 2. Januar 1 nach Christus. Der tatsächliche gregorianische Kalender versteht sich aber, im Gegensatz zum Julianischen, als ausdrücklich nicht proleptisch.
Auch die ISO 8601 in der Version aus dem Jahre 2000 sieht ein Jahr Null und Jahresangaben mit negativem Vorzeichen vor.
Kritik an der Norm ISO 8601
- Für Astronomen ist der gregorianische 400-Jahre-Zyklus ungünstig, innerhalb dessen die Jahrhunderte ungleiche Längen haben. Astronomische Berechnungen brauchen einen gleichförmigen Zeitablauf, weshalb Astronomen heute zuerst und stets in julianischen Jahrhunderten rechnen (siehe Julianisches Datum JD) und erst am Ende der Berechnungen alle Daten nach dem 4. Oktober 1582 in gregorianisches Datum korrigieren. Sie werden daher die Norm ISO 8601 = EN 28 601 auch künftig kaum anwenden.
- Die Geschichtswissenschaft hat das julianische Jahr Null nie verwendet. Sie benutzt für diese Zeit den altbekannten, proleptischen, julianischen Kalender der christlichen Ära, also ohne Jahr Null. Somit ist auch nicht zu erwarten, dass die Historiker die ISO Norm 8601 je umsetzen. Eine Umdatierung sämtlicher historischer Ereignisse, wonach etwa Gaius Julius Caesar statt am 15. März 44 v. Chr. jetzt plötzlich am 13. März des Jahres -43 (in ISO-Schreibweise: -0043-03-13) ermordet wurde, würde nur heillose Verwirrung stiften.
- Im Computerbereich werden Datums-Formate immer in Bezug auf einen bestimmten Zeitpunkt umgerechnet. Heute ist das zumeist der 1. Januar 1970, 00H00 UTC (siehe Unixzeit). Daher hat auch die Informatik keinen Bedarf an einem „proleptischen gregorianischen Kalender mit einem Jahr Null“.
Siehe auch:
- Stunde Null
- Millennium
- Jahreskalender: 1. Jhdt. v. Chr. und 1. Jhdt. n. Chr.
- Dekaden: 0er Jahre v. Chr. und 0er Jahre n. Chr.
- Jahre: Jahr 1 v. Chr. und Jahr 1 n. Chr.
- Epochensprung – Jahreszählung am Nullpunkt der Chronologie
- Zeitenwende – Ausgewählte Punkte der Chronologie
- Zaunpfahlproblem – Zu allgemeinen Problematiken mit Nullpunkten
- Kalender:
- Germania, anno zero