Kleine Eiszeit
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
Die Kleine Eiszeit war eine Periode relativ kühlen Klimas von Anfang des 15. bis in das 19. Jahrhundert hinein. Sie gilt in der heutigen Klimadiskussion als das klassische Beispiel einer durch kurzfristige Schwankungen geprägten natürlichen Klimavariation. Doch auch während der Kleinen Eiszeit gab es erhebliche Klimaschwankungen. So stellen zum Beispiel die Zeiträume von 1570–1630 (vgl. LIATE 2) oder von 1675-1715 besonders kalte Zeitabschnitte dar (vgl. LMM).
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[Bearbeiten] Beobachtungen
Der Kleinen Eiszeit ging eine Periode voraus, die als Mittelalterliche Warmzeit oder Mittelalterliches Klimaoptimum bezeichnet wird. Regional und zeitlich unterschiedlich lagen die Temperaturen im Zeitraum zwischen 800/900 und 1200/1300 um ca. 1°C höher als während der Kleinen Eiszeit. Während des Mittelalterlichen Klimaoptimums zog sich das Packeis im nördlichen Atlantik nach Norden zurück und erlaubte es den Wikingern, Island (seit etwa 870) und Grönland (seit 986) zu besiedeln.
Während der Kleinen Eiszeit wurden in Europa und später auch Nordamerika häufig sehr kalte, lang andauernde Winter und niederschlagsreiche, kühle Sommer beobachtet. Mitte des 17. Jahrhunderts drangen Gletscher in den Alpen vor und zerstörten einige Gehöfte und Dörfer. Das Gletscherwachstum während der sogenannten "Kleinen Eiszeit" war übrigens das stärkste seit der letzten richtigen Eiszeit. Die Kanäle in den Niederlanden waren jeden Winter lange überfroren, in London fand mehrmals auf der zugefrorenen Themse ein „Frostjahrmarkt“ statt. Im Winter von 1780 konnte man den Hafen von New York auf dem Eis sicher überqueren. Auf den Großen Seen in Nordamerika blieb das Eis manchmal bis zum Juni.
[Bearbeiten] Klimazeugen
Die Kleine Eiszeit ist durch eine Reihe von Proxydaten (indirekten Klimadaten) nachgewiesen:
- zeitgenössische Berichte
- wissenschaftliche Aufzeichnungen (z. B. das "Calendarium" des Astronomen Johannes Fabricius)
- Sedimentproben (Warve)
- Wachstumsringe der Bäume (Dendrochronologie)
- Pollenanalyse erlaubt die Rekonstruktion der Vegetationsgrenzen der Vergangenheit
- das temperaturabhängige 18O/16O-Verhältnis in Eisbohrkernen und in den kalkhaltigen Gehäusen benthischer Foraminiferen, das sind Einzeller in Ablagerungen auf dem Meeresboden
Aber auch die zeitgenössischen Darstellungen der Malerei werden als Klimazeugen herangezogen. Bekannt sind beispielsweise die Darstellungen von Winterlandschaften Pieter Brueghels, Hendrick Avercamps und anderer niederländischer Meister aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Viele zeigen Szenen, in denen zugefrorene Kanäle zu sehen sind. Vivaldis Winter-Konzert mit dem dazugehörigen Sonett thematisiert das Schlittschuhlaufen auf der Lagune von Venedig. Heute liegen die Temperaturen höher und die Kanäle frieren nicht mehr zu.
Auch Gemälde der frühen mandschurischen Qing-Dynastie (ab 1644) zeigen Schneelandschaften. Der Zusammenbruch der vorausgehenden Ming-Dynastie wurde durch Missernten infolge einer Kaltperiode hervorgerufen, die in den Chroniken dokumentiert ist.
[Bearbeiten] Ursachen
Eine geringere Aktivität der Sonne sowie ein verstärkter Vulkanismus werden als Ursache der Kleinen Eiszeit angesehen.
[Bearbeiten] Verringerte Sonneneinstrahlung
Der Zeitraum von 1645 bis 1715 markiert einen der Höhepunkte der Abkühlung innerhalb der Kleinen Eiszeit. Parallel dazu zeigte die Sonne ein Minimum an Sonnenflecken, das Maunderminimum, mit dem eine verringerte Strahlungsintensität einherging. Schon eine geringfügige Abschwächung kann auf der Erde zu signifikanten Abkühlungserscheinungen führen, die durch Messung des radioaktiven 14C-Anteils auch für die Vergangenheit nachweisbar sind. Diese Atomkernvariante (Isotop) des Kohlenstoffs bildet sich durch Kernreaktionen der Kosmischen Strahlung mit Atomen der oberen Atmosphäre. Mit dem Sonnenwind werden auch magnetische Felder in das Sonnensystem getragen, die die geladenen Teilchen der Kosmischen Strahlung ablenken. In Zeiten hoher Sonnenaktivität, also hoher Sonnenfleckenzahl, gelangen weniger Teilchen der kosmischen Strahlung in die Erdatmosphäre und es entsteht weniger 14C. Ein Minimum an Aktivität der Sonne dagegen bewirkt ein Produktionsmaximum an 14C, das mit Hilfe der Radiokarbonmethode nachgewiesen werden kann. Ähnlich schwankt auch der Anteil des 10Be-Isotops mit der Sonnenaktivität. Ein möglicher Mechanismus besteht darin, dass die geladenen Teilchen der Kosmischen Strahlung wie in einer Nebelkammer Kondensationskeime produzieren, an die sich Wassermoleküle anlagern können. Die so gebildeten Wolken schwächen dann das Sonnenlicht ab.
[Bearbeiten] Gesteigerte vulkanische Aktivität
In die Kleine Eiszeit fiel eine Reihe starker Vulkanausbrüche, Plinianische Eruptionen, die Staub und Asche sowie Gase, u. a. Schwefeldioxid (SO2), hoch in die Erdatmosphäre schleuderten.
Durch Untersuchungen heutiger Vulkaneruptionen sind die in der höheren Atmosphäre, der Stratosphäre, ablaufenden Prozesse bekannt. Dort können vulkanische Feststoffe und Gase für einige Jahre bleiben und sich auf das Klima auswirken. Das Schwefeldioxid wird in einer photochemischen Reaktion zu Schwefelsäure (H2SO4) umgewandelt. Die Säure wird in der Stratosphäre zu einer Wolke aus Aerosol, in der Luft schwebenden Tröpfchen, die die Sonnenstrahlung absorbiert und die Insolation verringert. Im Schatten der Aerosolwolke kühlt sich die untere Atmosphäre, die Troposphäre, ab.
Der bekannteste dieser Ausbrüche war der des Tambora auf der Insel Sumbawa (Indonesien) im Jahre 1815. Im darauffolgenden Jahr 1816, dem „Jahr ohne Sommer“, wurden in Nordeuropa und im Osten Nordamerikas Schnee und Frost im Juni und Juli beobachtet.
[Bearbeiten] Neubewertungen
Als die ersten Hinweise auf die Kleine Eiszeit offensichtlich wurden, ging man von einem weltweiten Klimaphänomen aus. Heute wird dies teilweise anders gesehen. Auch eine Rekonstruktion der Temperaturen auf der Nordhalbkugel ist nicht schlüssig, so dass man nur noch von einer moderaten Abkühlung auf der Nordhalbkugel von weniger als 1 °C spricht. Nach aktuellem Kenntnisstand war die Kleine Eiszeit ein auf den Nordatlantikraum und benachbarte Regionen begrenztes Phänomen. Für die Zeit um 1650 zumindest ist jedoch auch ein Kälteeinbruch in China dokumentiert (Übergang Ming- zu Qing-Dynastie). Für eine abschließende Beantwortung dieser Frage sind noch Quellenstudien in weiten Teilen der Nordhalbkugel erforderlich.
Nach Untersuchungen von Jean Lynch-Stiglitz und ihren Kollegen war der Golfstrom zur Zeit der Kleinen Eiszeit etwa 10% schwächer als gewöhnlich. Grundlage für die Berechnung waren die 18O/16O-Verhältnisse in Muschelschalen, die aus der Floridastraße stammen. Experten gehen davon aus, dass dieses Phänomen durchaus für die Abkühlung im Nordatlantikraum verantwortlich sein kann [1]
[Bearbeiten] Folgen für die Menschen
Durch die schweren und langen Winter war die Vegetationsperiode reduziert. Die Sommer waren nasskalt, so dass beispielsweise Weizen auf den Halmen verfaulte. Eine Folge war eine geringere Produktion an Nahrungsmitteln, die sich in Hungersnöten niederschlug, die erstmals seit dem 9. Jahrhundert die europäischen Bevölkerungszahlen wieder schrumpfen ließen. Die große Hexenverfolgung in Mitteleuropa fällt in diese Zeit und wird oft mit den Hungersnöten und dem durch die kaltfeuchte Witterung begünstigten Einschleppen von Halluzinogenen, wie z. B. Mutterkorn, in Verbindung gebracht.
Infolge der Abkühlung rückte die Packeisgrenze wieder nach Süden vor, und Island wurde teilweise derart eingeschlossen, dass ein Kontakt mit der Außenwelt unmöglich wurde, was die Bevölkerungszahlen dramatisch schrumpfen ließ. Die Klimaverschlechterung war auch der Grund, warum im 16. Jahrhundert die Wikingerkolonie auf Grönland erlosch, der noch um 1300 etwa 3000 Personen angehört hatten. Seit etwa 1850 wurde es in Europa wieder wärmer.
Als in Frankreich im Jahre 1788 der größte Teil der Aussaat durch schwere Unwetter vernichtet wurde, wurde das Brot knapp und die Preise stiegen enorm an. Der dritte Stand, der weitaus größte, aber unterprivilegierte Teil der Bevölkerung, musste hungern. Der folgende Winter 1788/89 war der kälteste Winter der letzten 300 Jahre, zumindest in Mittel- und Westeuropa. In dem Jahr kam es dann zum Ausbruch der Französischen Revolution.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Wolfgang Behringer: Kulturelle Konsequenzen der "Kleinen Eiszeit" (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 212), Göttingen 2005. ISBN 3-525-35864-4
- Brian Fagan, The Little Ice Age. New York 2000.
- Rüdiger Glaser: Klimageschichte Mitteleuropas. 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen, Darmstadt 2001. ISBN 3-89678-405-6
- Stefan Winkler: Von der "Kleinen Eiszeit" zum "globalen Gletscherrückzug", Stuttgart 2002. ISBN 3-515-08287-5
- Jan Buisman: Duizend jaar wer, wind en water in de Lage Landen (in 8 Bänden, erschienen bis heute - März 2006 - Band 1 - 5) Uitgeverij van Wijnen, Franeker, NL ISBN (Gesamtwerk) 90 5194 136 6 (niederländisch)
- Raymond S. Bradley und Philip D. Jones: Climate since A.D. 1500, London 1995. ISBN 0-415-12030-6 (engl.)
- Willie Wei-Hock Soon and Steven H. Yaskell: The Maunder Minimum and the Variable Sun-Earth Connection, World Scientific, 2003, ISBN 981-238-274-7
- Jean M. Grove: Little ice ages. Ancient and modern, London 22004. ISBN 0-415-09948-X (engl.)
[Bearbeiten] Weblinks
Commons: Kleine Eiszeit – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |
- „Weather, Hunger and Fear: Origins of the European Witch-Hunts in Climate, Society and Mentality“. Artikel von Wolfgang Behringer über Klimawechsel im 16. Jahrhundert und Auswirkungen auf die Mentalität und die Entstehung der Hexenhysterie
- Wissenschaft.de
- Auswirkungen auf Grönland
- Klimageschichte
- Malerei und Kleine Eiszeit
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