Lebenskunst
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Lebenskunst ist ein in vielen Facetten schillernder und anscheinend so schwer zu fassender Begriff, dass z. B. der Duden zwar den „Lebenskünstler“ als Wort führt, nicht aber die „Lebenskunst“. Die unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen Lebenskunst gleichwohl reflektiert und sprachlich verwendet wird, haben als gemeinsames Thema die Daseinsbewältigung des Individuums. Als Extrem fiele darunter auch die Überlebenskunst (mit der Kunst zur vollständigen Improvisation, Anpassung und Selbstbeherrschung) in schwierigen, kritischen und existenziellen Lebenssituationen.
Das Spektrum an Vorstellungen zur Lebenskunst reicht von unbeschwertem Lebensgenuss, dem französischen Savoir-vivre, über den gelassenen Umgang mit allen Anforderungen und Verwicklungen, die das Leben mit sich bringt, bis hin zu dem Anspruch, das eigene Leben als Kunstwerk zu gestalten (bzw. zu stilisieren), wie es etwa Goethe und Thomas Mann intendieren mochten. Immer gehört zur Lebenskunst aber eine mehr oder minder große Portion persönlicher Gestaltungsfähigkeit in Bezug auf die Wahrnehmung und Verarbeitung der eigenen Lebensumstände. Insofern mag gelten, dass in diesem "Handwerk" das Leben selbst geschmiedet wird; es dient der Verwirklichung, Wahrung und Erfahrbarkeit des Selbst im Sein – eine ständige Herausforderung an die Persönlichkeit mit Wirkung auf den Lebensstil. Lebenskunst bringt es als vorwiegend innerer Ausdruck individueller mentaler Dispositionen und Prozesse mit sich, dass sie selten allgemein sichtbar und nachweisbar in Erscheinung tritt.
Bereits in der Antike taucht der Begriff der Lebenskunst als ars vivendi auf, wobei die lateinische Formel an Konzepte anknüpft, die zunächst von den Sophisten, dann von Plato und Aristoteles sowie von den hellenistischen Schulen der Epikureer und der Stoiker entwickelt worden sind. Dazu gehörten körperliche Übungen, die u.a. der Abhärtung dienten, und Meditationen, die die situationsbezogene Aktivierung und Einbeziehung philosophischer Leitvorstellungen in die Lebenspraxis gewährleisten sollten. Als literarische Übungen dieser Art können die Selbstbetrachtungen Marc Aurels angesehen werden. Lebenskunst ist die Kunst, die eigene Unvollkommenheit als kreative Quelle zu erkennen und zu nutzen. „Wenn Wunden zu Perlen werden und Krankheiten und Schicksalsschläge eine Chance haben, den Menschen aufzuwecken und zu wandeln, dann geschieht Heilung. Dieser Wandlungsprozess, der mit dem Ja zum Nein beginnt, also mit dem Annehmen und Einverstandensein der eigenen Unvollkommenheit als Mensch, öffnet Tore zu einer höheren kreativen Intelligenz, einer Schöpferkraft, die kraftvoll und höchst kreativ wird, wenn sie authentisch ausgedrückt wird . Authentischer kreativer Selbstausdruck, sei es im Wort, der Bewegung, beim Malen, Singen, Lieben und Leben hat ein Potential, das sich auf allen Ebenen im Beruf und im persönlichen Bereich heilend auswirken kann. Diese Kreativität ermöglicht den eigenen Code wieder zu finden, den Schlüssel zur eigenen Wahrheit, dem „ich bin“. Der kreative Prozess ist ohne jegliche Wertung und nicht auf Perfektion, sondern auf Heilung und Liebe und Freude ausgerichtet. So frei fließend, können sich alte Muster der Angst und Scham nicht länger halten. Fülle und Kreativität sind die Quelle, nicht mehr Angst, Neid, Konkurrenz, Geldgier oder andere Mangelerscheinungen Der kreative Mensch, der Lebenskünstler/In, weiß was er will und warum er es will. Er ist prozess- und zielorientiert zugleich, so entfaltet sich seine synergetische Kraft, aus der wunderbare Ideen, Erfindungen und Kunstwerke entstehen können
In neuerer Zeit stehen Vorstellungen von Lebenskunst in engem Zusammenhang mit Humanismus und Aufklärung. Ausgehend von einer differenzierten Betrachtung antiker Lebenskunst-Vorstellungen gelangt Horn zu dem Ergebnis, dass diese Konzepte trotz der Epochendifferenz, die den antiken Ansatz der individuellen ethischen Beratung und Handlungsanleitung vom modernen systematisch-wissenschaftlich ausgerichteten Philosophiemodell abheben, neuerdings wieder mehr Beachtung finden und als „anschlussfähig“ gelten.
[Bearbeiten] Weiterführende Literatur
- Gerd B. Achenbach: Das kleine Buch der inneren Ruhe
- Gerd B. Achenbach: Lebenskönnerschaft
- Christoph Horn: Antike Lebenskunst. Glück und Moral von Sokrates bis zu den Neuplatonikern
- Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch
- Michel de Montaigne: Essais
- Wilhelm Schmid: Philosophie der Lebenskunst
- Wilhelm Schmid: Mit sich selbst befreundet sein
- Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit
- Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft
- Josef M. Werle: Klassiker der philosophischen Lebenskunst
- Andreas Brenner/Jörg Zirfas: Lexikon der Lebenskunst
- Eberhard Straub: Vom Nichtstun, wjs-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-937989-02-1
[Bearbeiten] Siehe auch
- Aristippos von Kyrene
- Diogenes von Sinope (Diogenes in der Tonne)
- Epikur