Paul-Hertz-Siedlung
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Die Paul-Hertz-Siedlung ist ein Stadtteil im Norden des Berliner Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf mit ca. 6.000 Einwohnern in rund 3.200 Wohnungen.
Die Siedlung wurde im November 1962 nach dem ehemaligen Wirtschaftssenator Paul Hertz benannt. Die Straßen erhielten die Namen von Widerstandskämpfern gegen die NS-Gewaltherrschaft.
Die Paul-Hertz-Siedlung ist östlich durch ein Kleingartengelände (Kolonien Zukunft, Heimat und Frischer Wind), nördlich durch den viel befahrenen Heckerdamm, sowie südlich und westlich durch die Bundesautobahnen A 100 (Goerdeler Damm) und A 111 (Kurt-Schumacher-Damm) streng von benachbarten Stadtteilen abgegrenzt. Durch diese Barrieren befindet sie sich in einer stadträumlichen Insellage.
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[Bearbeiten] Geschichte
Die Planung der zunächst als Charlottenburg-Nord II bezeichneten Siedlung geht - sieht man von der durch die Kriegswirtschaft verhinderten Planung Bauten nach den Führerplänen ab - in die 1950er Jahre zurück. Der Bezirk Charlottenburg sah sich damals gezwungen, Baulandreserven zur „Minderung des dringenden Wohnungsbedarfs (ca. 17.000 Wohnungssuchende)“ heranzuziehen. In Betracht kam eine Fläche im Norden des Bezirks, die bis dahin von Kleingärtnern und Gewerbe genutzt wurde. Das Melderegister weist für das Gebiet im Jahr 1961 noch 775 Einwohner aus, bei denen es sich wohl zumeist um ‚Dauernutzer‘ in Kleingartenanlagen gehandelt hat.
Im Jahr 1959 erwarb die später auch bauausführende Gemeinnützige Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Groß-Berlin (GEWOBAG) die Grundstücke. Sie führte im August 1959 einen Architektenwettbewerb durch, wobei als Ziel eine Neubebauung für 7.000 Bewohner angestrebt wurde. Etwa zur gleichen Zeit wurden bereits in der westlich angrenzenden Wohnbebauung Charlottenburg-Nord zwei Bauabschnitte der GEWOBAG mit 1.400 Wohneinheiten fertig gestellt.
Über das Gebiet der künftigen Siedlung führten zu jener Zeit noch der Alte Tegeler Weg und der Holtzdamm, die nach der Fertigstellung des Westhafenkanals ihre Bedeutung verloren hatten und durch eine neue Straßenführung über den Jakob-Kaiser-Platz ersetzt worden waren. Gleichzeitig waren die Stadtautobahn-Abschnitte Goerdelerdamm, Kurt-Schumacher-Damm und die 930 m weit spannende Rudolf-Wissell-Brücke im Bau.
Die Bauausführung der Siedlung sollte 1961 nach Plänen der Architekten Prof. Wils Ebert, Prof. Werner Weber und Dipl.-Ing. Fritz Gaulke beginnen. Der Widerstand der Kleingärtner und Dauernutzer gegen eine Räumung des Areals führte allerdings zunächst zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, in denen die Pächter jedoch unterlagen. Bis 1964 wurden daraufhin in drei Bauabschnitten 2.616 Wohnungen im Sozialen Wohnungsbau fertig gestellt. Überwiegend befinden diese sich in viergeschossigen Gebäudezeilen, zum kleineren Teil in neun achtgeschossigen „Punkthäusern“. Eine zunächst geplante Bebauung mit bis zu zwölf Geschossen musste zwischenzeitlich, nach dem Einspruch der alliierten Flugsicherheitsbehörde wegen der Nähe zum Flughafen Tegel, aufgegeben werden.
Die Siedlung wurde 1965 durch fünf zweigeschossige Zeilen mit 70 Seniorenwohnungen auf dem zentralen Nord-Süd-Grünzug ergänzt.
[Bearbeiten] Bauliches und städtebauliches Konzept
Bei der Planung und Realisierung des Bauvorhabens wurden, z.T. erstmals in Berlin, neue Konzepte verfolgt:
- Fernwärmeversorgung durch ein eigens errichtetes Heizwerk der GASAG,
- Verwendung industriell vorgefertigter Bauelemente beim Bau der Hochhäuser,
- Winterbau von 750 Wohneinheiten unter geheizten, wetterfesten Hallen,
- Hausmüllentsorgung durch 23 Müllverbrennungsöfen; zunächst als ‚wegweisend‘ gefeiert („völlig rauchlos“) und mit Bundesmitteln gefördert, wenige Jahre später wegen enormer Emissionen stillgelegt,
- Fernsehverkabelung der Siedlung unter Verwendung von drei zentralen Hochantennen.
Das städtebauliche Konzept der Paul-Hertz-Siedlung gilt als beispielhaft für die frühen 1960er Jahre. Typisch sind z.B. die offene und durchgrünte Bauweise und die verkehrliche Erschließung der Siedlung durch einen Sammelstraßenring mit radialen Stichstraßen und Wendeplatten an deren Endpunkten.
Daneben war auch die Schaffung der erforderlichen Wohnfolgeeinrichtungen Gegenstand der städtebaulichen Planung. In deren Rahmen wurden eine Schule, eine Kindertagesstätte und zwei kleinere Einkaufszentren vorgesehen, sowie, ganz im Geist der Zeit, eine Tankstelle am südlichen Siedlungsrand. Wesentliche Bestandteile dieser Infrastruktureinrichtungen wurden jedoch erst 1966, also einige Jahre nach dem vollständigen Bezug der Siedlung, fertig gestellt. Die Schule erhielt bei ihrer Einweihung im März 1966 den Namen Helmuth-James-von-Moltke-Schule nach dem Mitgründer des Kreisauer Kreises.
Sieben Arztpraxen wurden in dafür freigestellte Wohnungen angesiedelt. Den Mietern wurden in Flachbauten zwei Waschmaschinenhäuser zur Verfügung gestellt, diese jedoch später zu einem Nachbarschaftstreff, zu Gästewohnungen bzw. zu einem Kinderclub umgenutzt.
Die Paul-Hertz-Siedlung war schon bei ihrem Bezug mit mehreren Bus- und Straßenbahnlinien günstig an die westliche City, aber auch an Siemensstadt und Spandau angeschlossen. 1980 wurde sie mit dem Bahnhof Jakob-Kaiser-Platz zudem an die U-Bahn-Linie 7 angebunden.
Im Süden der Siedlung endet ein vom S- und U-Bahnhof Jungfernheide kommender ‚toter Tunnel‘, über den ursprünglich der 3 km entfernte Flughafen Berlin-Tegel an das Netz angeschlossen werden sollte (siehe auch U-Bahnlinie 5). Der zentrale Grünzug der Siedlung musste aus diesem Grund von Baulasten freigehalten werden.
[Bearbeiten] Jüngere Geschichte
Bis 1988 hatte sich die Siedlungsbevölkerung durch Alterungsprozesse von ursprünglich 6.800 auf 5.100 Einwohner verringert. Angesichts der neuen Wohnungsnot in der Stadt, ausgelöst u.a. durch Zuwanderungen aus Osteuropa, Übersiedler aus der DDR und durch Flüchtlinge aus Asien, trieben die Senatsverwaltung und die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Planungen voran, zusätzlichen Wohnraum im vorhandenen Siedlungsbestand zu schaffen. Ausgangspunkt dieser Überlegungen war, citynah auf vorhandene Infrastrukturen zurückzugreifen, statt kostenintensiv und unter Verbrauch wertvoller Flächen neue Stadtrand-Siedlungen zu errichten. Im Jahr 1989 erfuhren die Mieter in der Paul-Hertz-Siedlung allerdings erst nachträglich davon, dass auch ihre Siedlung Gegenstand nahezu ausführungsreifer Bauabsichten geworden war und reagierten darauf mit großer Empörung. Sie befürchteten nicht nur eine jahrelange Beeinträchtigung der Wohnsituation durch Bauarbeiten, sondern auch eine soziale Verschlechterung der Nachbarschaft durch den weiteren Zuzug von ausländischen Mietern. Zudem waren sie von dem Versprechen einer raschen Durchführbarkeit der Planungsabsichten nicht zu überzeugen, da sich bereits seit geraumer Zeit Bauarbeiten in der Siedlung (Dach- und Fassadenerneuerung, Wärmedämmung) hinschleppten und für Unzufriedenheit sorgten.
Trotz anhaltend wütender Proteste der Bewohner und erst nach gerichtlichen Auseinandersetzungen wurde ab 1992 dennoch eine „Nachverdichtung“ der Siedlung durchgeführt, zum Teil sogar gegen die Empfehlungen aus einem zwischenzeitlich eingeleiteten Beiratsverfahren. Sie erfolgte zunächst durch Dachaufbauten in Staffelbauweise auf den Flachdächern der viergeschossigen Gebäude, in denen sich 493 zusätzliche Wohnungen befinden. Durch Ergänzungsbauten auf dem zentralen Grünzug der Siedlung bzw. an dessen Rand wurden weitere 90 Wohnungen in Form von Wohneigentum geschaffen. Zuvor wurden dazu die 1965 errichteten Seniorenwohnungen abgerissen, die aufgrund von Ausstattungsmängeln und beengten Wohnverhältnissen schon längere Zeit als unattraktiv und schwer vermietbar galten. Der Wohnungsbestand vergrößerte sich durch diese Maßnahmen auf rund 3.200 Wohneinheiten.
Durch das zusätzliche Wohnungsangebot hat sich auch die Einwohnerzahl der Paul-Hertz-Siedlung wieder erhöht. Im Jahr 2005 hatte die Siedlung 5.972 Bewohner. Von diesen waren 1.473 im Seniorenalter und 981 Kinder und Jugendliche. Für den erhöhten Bedarf an Kinderbetreuungsmöglichkeiten wurde im Jahr 1997 eine zusätzliche Kindertagesstätte am Heckerdamm 235, Ecke Bernhard-Lichtenberg-Straße, errichtet.
[Bearbeiten] Gedenkstätten
Die Siedlung befindet sich in der Nähe des ehemaligen Strafgefängnis Plötzensee, in dem während der Nazi-Diktatur fast 3.000 Menschen hingerichtet wurden. In Erinnerung an die dort inhaftierten und ermordeten Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, darunter neben Beteiligten des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 auch viele Angehörige kirchlicher Widerstandsbewegungen, errichteten die beiden christlichen Kirchen zwei Gedenkstätten nördlich der Paul-Hertz-Siedlung:
- die katholische Kirche Maria Regina Martyrum, 1960-63 von Hans Schädel und Friedrich Ebert mit dem Karmel Regina Martyrum, einem Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen;
- das Evangelische Gemeindezentrum Plötzensee, 1968-70 von Dietmar Grötzebach, Gerd Neumann und Günter Plessow; mit dem Plötzenseer Totentanz von Alfred Hrdlicka.
In der Siedlung selbst (Bernhard-Lichtenberg-Straße, Ecke Heckerdamm) erinnert eine Büste an den Namensgeber Paul Hertz.
[Bearbeiten] Straßennamen in der Paul-Hertz-Siedlung
Kurzbiografien der Personen, nach denen die Straßen in der Paul-Hertz-Siedlung benannt sind:
- Bernhard-Lichtenberg-Straße: Bernhard Lichtenberg, * 3. Dezember 1875, Theologe und Dompropst, predigte gegen den Nationalsozialismus, rettete Verfolgte vor der Gestapo, † 5. November 1943 in Hof auf dem Transport ins KZ Dachau
- Delpzeile: Alfred Friedrich Delp, * 15. September 1907, Jesuit und Mitglied des Kreisauer Kreises, † 2. Februar 1945, hingerichtet in Plötzensee
- Gloedenpfad: Elisabeth Charlotte Gloeden, * 9. Dezember 1903, † 30. November 1944, Gerichtsreferendarin, versteckte einen Beteiligten des Attentats auf Hitler, wurde mit ihrem Ehemann Erich Gloeden und ihrer Mutter Elisabeth Kuznitzky hingerichtet in Plötzensee
- Kirchnerpfad: Johanna Kirchner, * 24. April 1889, Journalistin, Sozialfürsorgerin, nach 1933 illegal aktiv für die SPD, † 9. Juni 1944, hingerichtet in Plötzensee
- Klausingring: Friedrich Karl Klausing, * 24. Mai 1920, Offizier, koordinierte von Berlin aus das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, † 8. August 1944, hingerichtet in Plötzensee
- Leuningerpfad: Franz Leuninger, * 28. Dezember 1898 in Mengerskirchen, Funktionär in christlichen Gewerkschaften, Geschäftsführer der gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft „Deutsches Heim“, seit 1933 illegale Gewerkschaftsarbeit und Kontakt zu christlichen Widerstandsgruppen, am 26. September 1944 verhaftet, am 28. Februar 1945 zum Tode verurteilt, † 1. März 1945, in Plötzensee hingerichtet
- Reichweindamm: Adolf Reichwein, * 3. Oktober 1898, Pädagoge und Kulturpolitiker, Kontakte zum Kreisauer Kreis und zu kommunistischen Widerstandsorganisationen, † 20. Oktober 1944, in Plötzensee hingerichtet
- Schwambzeile: Ludwig Schwamb, * 30. Juli 1890, Rechtsanwalt, in seiner Wohnung illegale Treffen des Widerstands, † 23. Januar 1945, in Plötzensee hingerichtet
- Strünckweg: Theodor Strünck, * 5. April 1895 in Kiel, Jurist, beteiligte sich bereits an den Umsturzplanungen des Jahres 1938. Nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944 nutzt Theodor Strünck die sich ihm bietenden Fluchtmöglichkeiten in die Schweiz nicht, um seine Angehörigen nicht der „Sippenhaft“ auszusetzen. † 9. April 1945, im KZ Flossenbürg erschossen
- Teichgräberzeile: Richard Teichgräber, * 5. August 1884 in Dahlen, Schlosser, illegale Gewerkschaftsarbeit, am 15. Dezember 1934 verhaftet, am 6. Oktober 1937 wegen Hochverrats zu Zuchthaus verurteilt, KZ Buchenwald, KZ Lublin, KZ Auschwitz, † 25. Februar 1945 im KZ Mauthausen
- Terwielsteig: Rosemarie (Maria) Terwiel, * 7. Juni 1910, Juristin, Widerstandsgruppe Rote Kapelle, † 5. August 1943, in Plötzensee hingerichtet
- Wiersichweg: Oswald Wiersich, * 1. September 1882 in Breslau, Maschinenbauer, als aktiver Gewerkschafter schon 1933 inhaftiert, nach seiner Entlassung unter Polizeiaufsicht, 1935 Verbindung zu Widerstandsgruppen, † 1. März 1945, in Plötzensee hingerichtet
- Wirmerzeile: Josef Wirmer, * 19. März 1901, Rechtsanwalt und Politiker, Widerstandsgruppe um Carl Friedrich Goerdeler, † 8. September 1944, in Plötzensee hingerichtet
[Bearbeiten] Quellen und Literatur
- Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf (Hrsg.): 300 Jahre Charlottenburg. Berlin 2005
- Girra, Dagmar und Sylvia Lais: Wegweiser zu Berlins Straßennamen - Charlottenburg. Berlin 1996
- Heimatmuseum Charlottenburg-Wilmersdorf (Hrsg.): Leben in der Paul-Hertz-Siedlung. Berlin 2001
- Jauch, Joachim: Paul-Hertz-Siedlung – ein Charlottenburger Wohngebiet. in: Berlinische Monatsschrift, Heft 7/1994
- Steinkampf, Heinz-Kurt: Die neue Paul-Hertz-Siedlung in Berlin. in: Die Demokratische Gemeinde, 1963, H. 6
- Neue Wohnstadt Charlottenburg Nordost. in: Der Tagesspiegel vom 22. Februar 1962 (Zeitungsartikel)
- Neue Stadt für 9.000 Berliner. in: Telegraf vom 29. November 1962 (Zeitungsartikel)
Kartengrundlage: Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin: Bezirkskarte Charlottenburg-Wilmersdorf 2005, 1:10.000
[Bearbeiten] Weblinks
- Paul-Hertz-Siedlung im Bezirkslexikon von Charlottenburg-Wilmersdorf
- Luftbild der Siedlung und Wohnzeile mit Dachaufbau
- Informationen zum Ev. Gemeindezentrum Plötzensee‚ zum ‚Plötzenseer Totentanz‘ von Alfred Hrdlicka und zu den Straßennamen der Siedlung
- Informationen zur Kirche Maria Regina Martyrum und zum Karmel-Kloster
- Das Gebiet im Stadtplan von 1932
Koordinaten: 52° 32' 14" N, 13° 17' 58" O
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