Sarazenen
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Sarazenen ist eine im Deutschen seit dem Mittelalter gebräuchliche, oft abwertend gebrauchte und in neuerer Zeit außer Gebrauch gekommene Bezeichnung für die Araber und andere islamische Völker.
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[Bearbeiten] Bedeutungsentwicklung
Griechisch Sarakenoi, syrisch Sarkaye und lateinisch Saraceni bezeichnet in der Spätantike (2. bis 4. Jahrhundert) zunächst einen oder mehrere Nomadenstämme auf der Sinaihalbinsel, und zwar nach der Darstellung von Ptolemaios im Gebiet von Nabatäa. Der Ausdruck wurde in der Bedeutung sukzessive erweitert, zuerst auf die übrigen arabischen Stämme der vorislamischen Zeit (Eusebius, Hieronymus), und dann im Laufe der islamischen Expansion auf die islamischen Völkerschaften schlechthin. In dieser erweiterten Bedeutung wurde das Wort seit der Zeit der Kreuzzüge aus dem Griechischen und Lateinischen auch in die europäischen Volkssprachen übernommen.
[Bearbeiten] Etymologie
Bereits bei Hieronymus und Sozomenos, also in vorislamischer Zeit, erscheint die Worterklärung, dass die Agarener (oder Hagarener), die Nachfahren der Hagar, der Sklavin und Nebenfrau Abrahams, sich fälschlich als 'Sarazenen' bezeichneten, um sich als Abkömmlinge der Sarah, der Freien und Ehefrau Abrahams auszugeben. Diese Worterklärung, bei der die Vorstellung von der heilsgeschichtlichen Verwerfung der Hagar im Hintergrund steht (Gal. 4,21-31), wurde bei den christlichen Autoren des Mittelalters seit dem Aufkommen des Islam zu einem anti-islamischen Topos, der in der christlichen Literatur über die Kreuzzüge und den Islam weiteste Verbreitung erlangte.
Die tatsächliche Herkunft des spätantiken Völker- oder Stammesnamens ist strittig und vermutlich nicht mehr sicher zu klären. Unter den zahlreichen Etymologien, die in moderner Zeit vorgeschlagen wurden, begegnet am häufigsten die seit dem 18. Jahrhundert aufgekommene Herleitung aus arabisch scharqi („östlich, orientalisch, Orientale“). Ebenfalls bedenkenswert erscheint als mögliche arabische Wurzel sariq, Plural sariqin („Plünderer“).
[Bearbeiten] Verwandte Wörter und Namen
Das Wort saracenus und seine volkssprachlichen Entsprechungen haben im Verlauf ihrer Bedeutungsentwicklung neben der primären ethnischen oder religiösen Bedeutung „islamischen Völkern zugehörig" zum Teil auch die weitere Bedeutung „heidnisch“ oder allgemein „fremdartig, alt“ angenommen (so bei Bauwerken oder Ruinen der römischen Antike), außerdem in bestimmten Zusammenhängen die übertragene Bedeutung „schwarz, dunkel“. Sprach- und sachgeschichtlich ist in der Regel schwer zu entscheiden, ob gegebene Verwendungsweisen auf der primären oder einer sekundären Bedeutung beruhen.
[Bearbeiten] Personennamen
Besonders in Frankreich und der Schweiz ist noch heute der Familienname Sar(r)asin bzw. Sar(r)azin verbreitet, in der deutschsprachigen Schweiz auch Saratz, in Italien und der italienischsprachingen Schweiz Sar(r)aceno, Sar(r)acino, im Englischen die aus dem Französischen bzw. Anglonormannischen noch weiterentwickelte Form Sarson. Entstanden sind diese Namen aus einem auch in den lateinischen Quellen seit dem 11. Jh. vielfach dokumentierten Namen oder Beinamen Saracenus, der in vielen Fällen wegen einer „sarazenischen" Herkunft des Trägers, in anderen Fällen aber auch nur wegen eines zeitweisen Aufenthaltes bei den „Sarazenen“ oder, wie lat. Maurus, nordfrz. Moreau, engl. Moore, zur Hervorhebung einer besonders dunklen Haut- oder Haarfarbe entstand. Historisch namhafte mittelalterliche Träger waren u.a.:
- Johannes Afflacius Saracenus, übersetzte im 11. Jh. in Monte Cassino medizinische Schriften aus dem Arabischen ins Lateinische
- Sarrasine, Ehefrau des Kreuzfahrers Hugo VII. von Lusignan († 1151), deren in den Quellen nicht dokumentierte Herkunft man als arabisch, armenisch oder französisch zu deuten versucht hat
- Johannes Sar(r)acenus, übersetzte 1166/67 die Werke des Pseudo-Dionysius aus dem Griechischen ins Lateinische
- Jean Sarrazin, Pariser Kammerherr Ludwigs IX. und 1218 Teilnehmer an der ägyptischen Expedition des Kreuzzuges von Damiette, zu dem er eine Chronik verfasste
- Petrus Saracenus, römischer Bürger, im ersten Drittel des 13. Jh. als Diplomat in Diensten der englischen Krone an der päpstlichen Kurie und in Frankreich tätig
[Bearbeiten] Schweizer Ortsnamen
Da „Sarazenen“ (d.h. Mauren überwiegend berberischer Herkunft) von der spanischen Halbinsel während des 9. und 10. Jhs. vereinzelt auch Züge über die Alpen in die Schweiz unternahmen, wo sie u.a. bis nach Chur und Sankt Gallen kamen, hat man in späterer Zeit einige Schweizer Ortsnamen mit solchen Eindringlingen in Verbindung bringen wollen. Auch in denjenigen Fällen, in denen sich ein solches Toponym sprachlich tatsächlich aus dem Namen der Sarazenen herleiten lässt - wie speziell im Fall von Pontresina (1137-39 als pons sarasina, 1303 als ponte sarracino belegt) und der Wasserleitung Bisse de Sarrazin im wallisischen Vercorin - ist jedoch zu bedenken, dass im Hintergrund auch ein nicht oder nicht mehr ethnisch bedingter Personenname des namengebenden Erbauers oder Besitzers stehen kann, oder eine allgemeinere Bedeutung wie „fremdartig, alt“.
[Bearbeiten] Buchweizen
Der aus China stammende Buchweizen, der als Nutzpflanze zuerst von den Tataren kultiviert und seit dem 13. Jh. dann auch in Europa angebaut wurde, wird seit dem ausgehenden Mittelalter in den romanischen Sprachen als "sarazenisches Korn" bezeichnet (frz. blé sarrasin, ital. grano saraceno, span. trigo sarraceno). In diesem Fall ist der Name primär auf die Herkunft zu beziehen, als Korn "der Sarazenen", wie auch der älteste lateinische Beleg bezeugt (frumenta sarracenorum, 1460), und wie vergleichbare Bezeichnungen im Deutschen (mittelhochd. heidenkorn) und in ost- und nordeuropäischen Sprachen (böhm. tatarka oder pohánka von lat. paganus, estn. tatar, finn. tattarwehna), es nahelegen. Lediglich sekundär kann dieser Name dann zusätzlich auch durch die dunkle Farbe der Früchte des Buchweizens motiviert sein (vgl. frz. blé noir, ital. grano nero, deutsch Schwarzes Welschkorn).
[Bearbeiten] Weitere Pflanzennamen
In der Entstehung ungeklärt ist die im Französischen seit dem frühen 17. Jh. belegte Bezeichnung sarrasine (1611 mit der engl. Übersetzung „Heatwort, or Birthwort“) für Pflanzen aus der Familie der Aristolochiaceae. Von dem Namen des französischen Botanikers Michel Sarrazin (1659-1736) leitet sich die lateinische Bezeichnung Sarraceniaceae für die in Amerika verbreitete Familie der Schlauchpflanzengewächse und der Gattungsname Sarracenia (Schlauchpflanzen) für eine der zu dieser Familie gehörenden Gattungen ab.
[Bearbeiten] Literatur
- Sven Dörper: Zum Problem der Herkunft des Völkernamens Saraceni. In: Berliner Romanistische Studien, für Horst Ochse, ed. Christian Foltys und Thomas Kotschi, Berlin 1993 (= Neue Romania, Sonderheft, 14), p.91-107
- John S. Moore: Who was Mahumet? Arabs in Angevin England. In: Prosopon 11 (July 2000), Online-Version: PDF, 98 Kb
[Bearbeiten] Siehe auch
Kategorien: Alter Orient | Mittelalter | Araber | Islam | Ethnonym