The Great Game
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Als Great Game (engl. für „Großes Spiel“) bezeichnet man den Konflikt zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien.
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[Bearbeiten] Begriff
Der Ausdruck wird gewöhnlich dem 1835 bis 1840 in Mittelasien eingesetzten britischen Geheimdienstoffizier Arthur Conolly (am 17. Juni 1842 in Afghanistan hingerichtet) zugeschrieben; größere Verbreitung fand er durch Rudyard Kiplings Erzählung Kim („Now I shall go far and far into the North, playing the Great Game...“). In Russland nennt man das Große Spiel in der Regel das Schattenturnier (Турниры теней).
[Bearbeiten] Historischer Hintergrund
Beim Großen Spiel ging es um die Vorherrschaft in Zentralasien. Die Russen versuchten über Turkestan zum Indischen Ozean vorzustoßen, um einen eisfreien Hafen bauen zu können. Dies war seit Peter dem Großen ein vorrangiges Ziel der russischen Außenpolitik. Schon 1807 hatten britische Agenten berichtet, Napoléon Bonaparte und Zar Alexander I. hätten sich verabredet, gemeinsam Indien anzugreifen und dem Empire den Subkontinent zu entreißen. Dieser Plan wurde zwar nie umgesetzt; die Briten unternahmen in der Folgezeit jedoch alles, um die Expansion des Zarenreichs in diesem Raum zu verhindern. Das historische Great Game dauerte von 1813 (nach dem Rückzug von Napoleons Grande Armée aus Russland) de facto bis 1947 - dem Jahr des britischen Rückzugs aus Indien - an, wenn auch nach der Oktoberrevolution von 1917 weit weniger intensiv.
Doch bereits vor dem Ersten Weltkrieg dominierten andere Prioritäten die Außenpolitik der Kontrahenten: Durch den Beitritt Russlands zur Entente cordiale 1907 wurde diese zur Triple Entente erweitert, die dezidiert gegen die weltpolitischen Ambitionen des Deutschen Kaiserreichs gerichtet war. Zudem war Japan zu einem neuen Gegner Russlands auf dem asiatischen Kontinent bzw. in Fernost avanciert (vgl. Russisch-Japanischer Krieg).
[Bearbeiten] Das „Große Spiel“ heute
Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979 belegt, dass Moskaus offen imperiale Bestrebungen in diesem Raum bis weit ins 20. Jahrhundert anhielten.
[Bearbeiten] USA vs. Russland
Neben dem historischen Great Game werden oftmals auch Konflikte der Gegenwart im kaukasischen und zentralasiatischen (oft als „postsowjetisch“ titulierten) Raum zusammenfassend so bezeichnet, wobei es hier besonders der Einfluss Russlands auf dortige Erdöl- und Erdgas-Reserven bzw. -Pipelines gemeint ist, der Moskau seit dem Zerfall der Sowjetunion 1989 bis 1991 von den Vereinigten Staaten streitig gemacht wird, die Großbritannien als Protagonist auf dieser weltpolitischen Bühne abgelöst haben. Gerade auch im Hinblick auf die aktuelle Seidenstraßenstrategie der USA im kaukasischen Raum und in Zentralasien wird das Schlagwort vermehrt wieder aufgegriffen, vgl. [2].
[Bearbeiten] Neue Mitspieler: China und Indien
Unterdessen trat mit dem erstarkten China eine weitere Großmacht auf den Plan, die im geostrategischen Kalkül Russlands - und natürlich auch dem der USA - sowohl als potentieller Partner als auch als Konkurrent betrachtet wird. Auch Indien, ursprünglicher Zankapfel des britisch-russischen „Schattenturniers“, gewinnt im Konzert der für Zentralasien relevanten Mächte immer größere Bedeutung ([3]).
[Bearbeiten] Die Bedeutung Zentralasiens für die Europäer
Schon vor dem 11. September 2001 erregte Achim Schmillen, damals Chef des Planungsstabs im Auswärtigen Amt und somit ein hochrangiger und enger Mitarbeiter des damaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer, mit einigen Thesen zur geopolitischen Bedeutung Zentralasiens Aufsehen (u. a. in „Neues 'great game' in Zentralasien?“ - FAZ, 15. Mai 2001):
- „Weil die europäischen Erdölfelder beinahe vollständig ausgebeutet sind, werden die Vorkommen in Kasachstan und Turkmenistan immer wichtiger. Die Pipelines, die vor wenigen Jahren fertiggestellt wurden, haben eine überragende Bedeutung für Europa.“ (vgl. [4])
Im Zusammenhang u. a. mit der aktuellen Debatte um die Versorgungssicherheit in der Energiepolitik, den Unruhen in Kirgisistan und Usbekistan im Jahr 2005, aber auch dem sich verschärfenden Streit um die Atompolitik des Iran geraten Zentralasien und der Kaukasus wieder stärker ins Blickfeld auch der europäischen Öffentlichkeit.
[Bearbeiten] Zitate
- Ein postimperiales und auf Europa orientiertes Russland sollte Bemühungen Amerikas in dieser Richtung als hilfreich für die Festigung regionaler Stabilität und die Verringerung von Konfliktmöglichkeiten entlang seiner neuen, potentiell instabilen südlichen Grenzen begrüßen. Aber die Politik der Konsolidierung eines geopolitischen Pluralismus sollte keineswegs von einem guten Verhältnis zu Russland abhängig gemacht werden. Sie ist vielmehr eine wichtige Versicherung für den umgekehrten Fall, daß sich ein solches gutes Verhältnis nicht entwickelt, da sie dem Wiederaufleben jeder wirklich bedrohlichen Großmachtpolitik von seiten Russlands Hindernisse in den Weg legt. - Folgerichtig ist die politische und wirtschaftliche Unterstützung der neuen unabhängigen Schlüsselstaaten ein fester Bestandteil einer umfassenderen Strategie für Eurasien. (Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, 1997)
- Insgesamt gesehen zeichnet sich ab, dass je mehr Erdöl und –gas im kaspischen Raum entdeckt wird bzw. je früher die Investitionen für den Ausbau und den Bau von Pipelines zur Verfügung stehen, desto eher wird das Rennen um die Ressourcen in Zentralasien zu einem offenen Kampf. Zusammen mit den stationierten ausländischen Truppen in der Region entsteht ein Konfliktpotenzial enormen Ausmaßes, das diese Region mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Zbigniew Brzezinskis „Eurasian Balkans“ werden lässt. (Philipp Frener, Andrew J. Hoschstedler, a.a.O. - s. Weblinks)
- In den kommenden Jahrzehnten werden sich die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen der EU immer weiter nach Eurasien verlagern. Das Schwarze Meer könnte zu einem Binnenmeer der EU avancieren. Der postsowjetische Raum würde seine politische und historische Bedeutung verlieren, der Kaspische Raum sich entweder in ein östliches Europa verwandeln oder mit dem Mittleren Osten verschmelzen. (Alexander Rahr, DGAP; zitiert nach [5]; Karte)
- Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt. - (Der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck in einer Regierungserklärung, Berlin, 11. März 2004)
- Wir betrachten China nicht als strategischen Wettbewerber, sondern als strategischen Partner. (Mani Shankar Aiyar, bis zu dieser Bemerkung indischer Öl-Minister, während eines Besuchs in Peking Mitte Januar 2006 - vgl. [6])
- Das alles erinnert mich an das Great Game, das imperialistische Gezerre zwischen Russland und England im späten 19. Jahrhundert, als es um die Vorherrschaft in Zentralasien ging. Heute spielen China und die USA das Great Game. Und dieses Mal, in diesem Jahrhundert, sind die Energieressourcen der Hauptpreis. (Ray Carbone, Broker an der NYMEX, zitiert nach [7])
[Bearbeiten] Siehe auch
Imperialismus, Anglo-Afghanische Kriege, Energiepolitik, Gemeinschaft unabhängiger Staaten, Shanghai Cooperation Organization, GUAM, Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline, Kaspisches Meer, Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Pipeline, United States Central Command, US-Streitkräfte
[Bearbeiten] Literatur
- Pepe Escobar: Globalistan: How the Globalized World Is Dissolving Into Liquid War. Ann Arbor, Michigan: Nimble Books, Januar 2007. - ISBN 0-97881-382-0 (10); ISBN 978-0978813826 (13) (eine Zusammenschau der aktuellen Krisen und Konflikte mit Schwerpunkt auf Eurasien; Rezension der Asia Times Online: [8])
- Murat Altuglu: The New Great Game. Energiepolitik im kaspischen Raum. Bouvier, August 2006. - ISBN 3-41603-119-9
- Peter Hopkirk: The Great Game. On Secret Service in High Asia. John Murray, März 2006. - ISBN 0-71956-447-6
- Peter Böhm: Tamerlans Erben. Zentralasiatische Annäherungen. Picus Verlag, August 2005. - ISBN 3-85452-910-4
- Jeremy Allouche, Water nationalism - an explanation of the past and present conflicts in Central Asia, the Middle East and the Indian subcontinent (Universität Genf, 2004 - Doktorarbeit; PDF-Download möglich: 404 S., 2,51 MB)
- Lutz Kleveman: The New Great Game: Blood and Oil in Central Asia. Atlantic Monthly Press, 2003. - ISBN 0-87113-906-5
- Sherman W. Garnett, Alexander Rahr, Koji Watanabe: Der Kaspische Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung. Opladen: Leske + Budrich Verlag, 2001. - 1. Auflage. - ISBN 3-81003-187-9
- Peter Scholl-Latour: Das Schlachtfeld der Zukunft. Zwischen Kaukasus und Pamir. München: Goldmann, 1998. - ISBN 3-44212-768-8
- Peter Hopkirk: The Great Game: The Struggle for Empire in Central Asia. - Reprint edition. - Kodansha Globe, 1994. - ISBN 1-56836-022-3
[Bearbeiten] Weblinks
- "Indien hat im Vergleich mit China eine ernste Schwäche" - Interview mit Barun Mitra, Direktor des Liberty Institute in Delhi (FAZ, 28. Februar 2007)
- Michael J. Green, America's Quiet Victories in Asia ("Washington Post", 13. Februar 2007)
- Martine Bulard, India’s boundless ambitions ("Le Monde diplomatique", Januar 2007 - deutsch: Großmachtträume in Delhi)
- Marcel de Haas, Russia-China Security Cooperation (Power and Interest News Report, 27. November 2006)
- F. William Engdahl, The Emerging Russian Giant Plays its Cards Strategically (Homepage des Autors, 20. Oktober 2006)
- Dario Cristiani, China and Iran Strengthen their Bilateral Relationship (PINR, 6. Oktober 2006)
- Olaf Ihlau, Indien vs. China - Aufholjagd des Elefanten (Spiegel Online, 15. Oktober 2006)
- The 'CHINDIA Connection' and its implications for the transatlantic partnership (Center for Applied Policy Research, C·A·P - 14th Transatlantic Roundtable in Munich, 1. April 2006 - Papier von Thomas Bauer zum Thema, August 2006, PDF, 80 S., 80 kB: [9])
- Weltpolitik - Spezialthema: Die Energiepolitik Chinas in Zentralasien (DGAP, 6. März 2006)
- Wolfgang Pomrehn, Neue Allianzen und verstärktes Säbelrasseln (Telepolis, 16. Januar 2006)
- Ulugbek Djuraev, Under the Sign of Andijan: Chinese-Russian Repartition of Asia (Axis, 3. Januar 2006 - Teil 2: [10]; vorangegangener Beitrag des Autors: [11])
- S. Frederick Starr, Zentralasien: Angst vor Demokratie ("Rheinischer Merkur", 25.08.2005 - Ursprüngl. erschienen in "Foreign Affairs". Der Autor ist Leiter des Zentralasien-Kaukasus-Instituts an der Paul-H.-Nitze-Schule für Internationale Studien der Johns-Hopkins-Universität; siehe auch: [12])
- Alexander Rahr, In Zentralasien läuft China Rußland den Rang ab ("Die Welt", 02.08.2005)
- Aschot Manutscharjan, Zentralasien - Spielfeld der Mächte (Y. - Magazin der Bundeswehr, Januar 2005)
- Philipp Frener, Andrew J. Hoschstedler, Russland und Zentralasien - The "Great Game" Revisited
(Universität Innsbruck, WS 2003/2004 - PDF, 71 S.) - U.S. Military Engagement With Transcaucasia and Central Asia (Strategic Studies Institute, U.S. Army, 2004 - PDF, 48 S.)
- Stephen Blank, US Strategic Priorities Shifting in Central Asia (Eurasia Insight, 25.03.2004)
- Michael Lüders: Macht und Glauben in Zentralasien ("Aus Politik und Zeitgeschichte" Nr. 37, 08.09.2003)
- Ahmed Rashid, Das neue „Große Spiel“ um Zentralasien (Südasien Info, 2002)
- Sipan Sedeek, Great Game ums Erdöl und Erdgas in Zentralasien (Akademisches Forum für Außenpolitik, Juni 2000)