Tragik der Allmende
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Unter der Tragik der Allmende, Allmendeklemme oder Allmendeproblematik versteht man in der Volkswirtschaftslehre die Beobachtung, dass Menschen unter bestimmten Bedingungen weniger leisten, wenn sie kollektiv tätig sind, der individuelle Ertrag jedoch nicht zurechenbar ist. Dieses Problem tritt in Allmenden auf.
Gegenmaßnahmen können Kontrolle oder Besitz sein.[1] Die Sozialpsychologie zeigt auch maximenbasiertes, also nicht zweckorientiertes Vertrauen als Lösungsmöglichkeit auf.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Beispiel
Angenommen, eine größere Gruppe bewirtschaftet gemeinsam ein Feld. Alle Gruppenmitglieder haben durch ihre Arbeit einen Aufwand, ziehen jedoch auch einen Ertrag aus der Ernte, die sie in gleichen Teilen erwirtschaften. Die "Tragik der Allmende" besteht nun darin, dass bei genügend großer Gruppengröße die Faulheit eines einzelnen Mitglieds die Ernte pro Gruppenmitglied nur noch unwesentlich verringert, der Aufwand für das faule Gruppenmitglied aber stark abnimmt. Der Nutzen des faulen Gruppenmitglieds steigt.
Konkretisieren wir das Beispiel für eine Gruppe aus 100 Mitgliedern. Ein Mitglied davon sei man selbst. Zunächst sei angenommen, dass man selbst genau denselben Aufwand hat wie die anderen, also nicht faul ist:
- n = 100: Anzahl der Mitglieder
- e = 100: Aufwand der anderen Mitglieder
- eeigen = 100: eigener Aufwand
: Gruppenertrag = Beitrag der anderen zum Gruppenertrag + eigener Beitrag zum Gruppenertrag
: eigene Kosten („Arbeitsleid“)
: eigener Nutzen
Wandeln wir uns nun zu einem faulen Gruppenmitglied und verringern unseren Aufwand auf eeigen = 50. Der Gruppenertrag verringert sich entsprechend auf . Die eigenen Kosten verringern sich ebenfalls auf
. Am Ende ergibt sich der neue eigene Nutzen
.
Obwohl man selbst nun also nur die Hälfte geleistet hat, hat man mit 87 einen größeren Nutzen als vorher (75).
Es lohnt sich also in einer Allmende, faul zu sein, sofern eine gewisse Anzahl an Mitgliedern es nicht ist. Es ist nun aber zu erwarten, dass jedes Gruppenmitglied sich faul verhält und der Gruppenertrag noch weiter sinken wird. Die "Tragik der Allmende" schaukelt sich also weiter hoch. Es liegt eine Rationalitätenfalle vor, in welcher die Kollektivrationalität mit der Individualrationalität in Konflikt gerät.
Konkret finden sich Auswirkungen in der Beschäftigung von "alimentierten" Teilnehmern einer Wirtschaft. Wer zum Beispiel schon aus dem Kreislauf der Werktätigen ausgeschieden ist und Transferleistungen für seine Arbeitslosigkeit erhält, muss sich persönlich ausrechnen, ob eine mögliche Beschäftigung Vorteile oder Nachteile erbringt.
Ein konkretes Beispiel:
Ein Arbeitnehmer arbeitete bislang 27 Stunden die Woche für einen Monatslohn von 1.090 Euro. Nach amtlicher Feststellung einer schon bei seiner Einstellung 3 Jahre zuvor bestehenden Schwerbehinderung wird eine Verrentung möglich. Eine Frührente (Alter 41 Jahre) in Höhe von 2.415 Euro wird gewährt. Der ehemalige Mitarbeiter erhält die Möglichkeit, 1/7 seines bisherigen Gehaltes unschädlich seiner Rente weiter zu beziehen. Die Beschäftigung wird daher in beiderseitigem Einvernehmen auf 8 Stunden die Woche für 345 Euro im Monat verringert. Der Mitarbeiter erhält nunmehr ein monatliches Bruotteinkommen von 2.415 + 345 = 2.760 Euro bei 8 Stunden. Für diesen Teilnehmer einer Gruppe von Millionen Beschäftigten stellt sich die Frage, ob er weiterhin 27 Stunden beschäftigt sein möchte. Diese Frage wird jedoch unabhängig von seiner körperlichen Leistung durch die "Alimentierung" verneint: eine Beschäftigung, die 1/7 der Rentenleistung übersteigt, wird nicht mehr honoriert. Andererseits wird die tatsächliche Leistungfähigkeit nicht berücksichtigt.
[Bearbeiten] Ursprung
Der Mikrobiologe und Umweltschutzexperte Garrett Hardin entwarf die Theorie 1968 in einem Essay für die Zeitschrift Science unter dem Titel The Tragedy of the Commons.
Die "Tragik der Allmende" sei ein unvermeidliches Schicksal der Menschheit, für das es keine technologische Lösung gebe. Hardin entwickelte seinen Beitrag aus seinem Nachdenken über die Folgen der Überbevölkerung.
Wenn ein öffentliches Gut uneingeschränkt allen Menschen zur Verfügung stehe, werde jeder versuchen, für sich soviel Ertrag wie möglich zu erwirtschaften. Das funktioniere, solange nur so viele Menschen das Gut (etwa eine Weide, auf der Hirten ihr Vieh grasen lassen) ausbeuten, dass das Gut nicht erschöpft wird.
Sobald jedoch die Zahl der Nutzer über ein bestimmtes Maß hinaus ansteigt, greife die "Tragik der Allmende": Jeder versuche nach wie vor, seinen Profit zu maximieren. Nun reiche das Gut aber nicht mehr für alle. Die Kosten, die durch den Raubbau entstehen, trage die Gemeinschaft. Für den Einzelnen sei der augenblickliche Gewinn wesentlich höher als die erst langfristig spürbaren Kosten.
Doch letztlich trage jeder sowohl zum eigenen als auch zum Ruin der Gemeinschaft bei, so Hardins Schlussfolgerung.
[Bearbeiten] Kritik
Die Neutralität dieses Artikels oder Absatzes ist umstritten. Die Gründe stehen auf der Diskussionsseite und auf der Seite für Neutralitätsprobleme. Entferne diesen Baustein erst, wenn er nicht mehr nötig ist, und gib gegebenenfalls das Ergebnis auf der Neutralitätsseite bekannt. |
Verwendet wurde Hardins Argumentation nicht erst zum Vorantreiben der Privatisierung u.a. in den osteuropäischen Transformationsstaaten nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Hardins Tragik der Allmende wird auch gerne von Befürwortern sog. Top-down-Regelungen in der Umweltpolitik herangezogen, nicht selten mit verheerenden Folgen für die betroffenen Menschen (z.B. der sog. Kirby Report, siehe unten). Sendungsbewußte Mitarbeiter von Behörden, aber auch radikale Umweltaktivisten[2] können zu den "Anhängern" dieser vereinfachenden Sicht- und Handlungsweise gezählt werden.
Hardin ging fälschlicherweise davon aus, dass es sich bei Allmenden um öffentliche Güter handele. Sie sind jedoch vielmehr Club-Güter, bei denen oftmals Management-Mechanismen existieren und funktionieren, eine Erkenntnis, die sich immer mehr durchsetzt. So werden Weide-Allmenden, wie die in Hardins Artikel Tragedy of the Commons, meist nur von einer fest umrissenen kleinen Gruppe genutzt, z.B. den Bauern eines Dorfes. Gerade auf dieser Ebene funktionieren Nutzungsabkommen und soziale Kontrollmechanismen oft sehr gut, und es liegen zahlreiche ethnographische Belege für langlebige Allmenden vor.[3]
Obwohl die Formulierung als Algorithmus eine unwiderlegbare Naturgesetzlichkeit suggeriert, finden sich in der Realität doch immer wieder Beispiele, in denen kollaboratives Handeln an gemeinsamen Projekten zum Ziel führt. Als Beispiel kann etwa die Wikipedia gelten. Abstrahiert man den Zugewinn an Wissen für den Einzelnen bei Nutzung als persönlichen Profit, und die notwendige Arbeit an Artikeln als entsprechenden Aufwand, so ergibt sich entgegen der obigen Beschreibung ein stetiger Zuwachs an Ertrag. Dass dies im Widerspruch zur Theorie steht, liegt einerseits an der Wikipedia als Wissens-Allmende mit hypothetisch unbegrenzt vielen Teilnehmern, und andererseits an der Tatsache, dass Information sowohl einen Wert darstellen kann als auch unendlich vervielfältigbar ist, solange sie keiner künstlichen Verknappung unterliegt (etwa durch Gesetze, siehe auch Urheberrecht, GNU). Andere Gegenbeispiele finden sich in den Tauschbörsen, die nach diesem Modell theoretisch bald versiegen müssten, da die vielen faulen Einzelteilnehmer keinen Anreiz haben dürften, selbst Tauschware anzubieten, womit das Gesamtangebot stetig abnehmen müsste. In der Realität ist dies trotz verschärfter Strafandrohung nicht der Fall.
Für Kritiker ist dies ein Beispiel für die mangelhafte Übertragbarkeit des kybernetischen Rechenmodells auf menschliches Verhalten. Zugrundegelegt wird hier einseitig ein ökonomisches Menschenbild, wonach das menschliche Handeln vom Streben nach rationaler Gewinnmaximierung geleitet ist. Dieses, von Ökonomen ironisch als Homo oeconomicus bezeichnete Modell ist aber nicht unumstritten. Es widerspricht in Teilen dem des Homo sociologicus oder auch des Homo ludens, da nur die ökonomischen und nicht z.B. die sozialen Aspekte menschlichen Handelns miteinbezogen werden.
Dennoch zeigt die Tragik der Allmende anschaulich, dass das Fehlen von Privateigentum, Kontrollmöglichkeiten und Vertrauen unter Umständen erhebliche Nachteile mit sich führen und zum Erliegen der Wirtschaftstätigkeit führen kann.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Arbeitsteilung, Drückebergerei, Trittbrettfahrerverhalten (Wirtschaft), Spieltheorie, Moral Hazard, Rationalitätenfalle
- Ringelmann-Effekt, Gruppenleistung
- Kollektive Erfindung
- Mancur Olson
[Bearbeiten] Literatur
- James M. Acheson: Management of Common-Property Resources. In: Stuart Plattner (Hrsg.): Economic Anthropology. Stanford University Press, Stanford 1989, S. 351-378
- C. Dustin Becker, Elinor Ostrom: Human Ecology and Resource Sustainability. The Importance of Institutional Diversity. In: Annual Review of Ecology and Systematics. 26/1995, S. 113-133
- Fikret Berkes (Hrsg.): Common property resources. Ecology and community-based sustainable development. Belhaven, London 1989 PDF (nur Texte des Autors)
- Andreas Diekmann, Carlo C. Jaeger (Hrsg.): Umweltsoziologie. Westdeutscher Verlag, Opladen 1996 (=Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft, 36) (Darin bes. empfehlenswert: Bonnie J. McCay, Svein Jentoft: Unvertrautes Gelände. Gemeineigentum unter der sozialwissenschaftlichen Lupe. S. 272-291)
- David Feeny, Fikret Berkes, Bonnie J. McCay, James M. Acheson: The tragedy of the commons. Twenty-Two Years Later. In: Human Ecology. 18/1/1990, S. 1-19 (PDF)
- Garret Hardin: The Tragedy of the Commons. In: Science. 162/1968. S. 1243-1248 (Deutsche Übersetzung in: Michael Lohmann (Hrsg.): Gefährdete Zukunft. München 1970, S. 30-48)
- Garret Hardin, John Baden (Hrsg.): Managing the Commons. W. H. Freeman, San Francisco 1977
- Arne Kalland: Religious Environmentalist Paradigm. In: Bron Taylor (Hrsg.): Encyclopedia of Religion and Nature. continuum, London/New York 2005, S. 1367-1371
- Bonnie J. McCay, James M. Acheson (Hrsg.): The question of the commons. The culture and ecology of communal resources. The University of Arizona Press, Tucson/Arizona 1987
- Margaret A. McKean: Success on the commons. A comparative examination of institutions for common property resource management. In: Journal of Theoretical Politics. 4/3/1992, S. 247-281
- National Research Council (Hrsg.): Proceedings of the Conference on Common Property Resource Management. National Academy Press, Washington (D.C.) 1986
- Mancur Olson: The logic of collective action. Public goods and the theory of groups. Harvard University Press, Cambridge/MA 1965
- Elinor Ostrom: Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt. Mohr Siebeck, Tübingen 1999 (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, 104) (Dt. Übersetzung von Ostrom: Governing the Commons. The evolution of institutions for collective action. Cambridge University Press, Cambridge/New York/Victoria 1990)
- Paul C. Stern, Thomas Dietz, Nives Dolšak, Elinor Ostrom, Susan Stonich: Knowledge and Questions After 15 Years of Research. In: Elinor Ostrom, Thomas Dietz, Nives Dolšak, Paul C. Stern, Susan Stonich, Elke U. Weber (Hrsg.): The Drama of the Commons. Natonal Academy Press, Washington (D.C.) 2002, S. 445-489
[Bearbeiten] Weblinks
- Originalbeitrag aus Science von 1968
- International Association for the Study of Common Property (IASCP)
- Feeny et al. (1990) (PDF): Eine zusammenfassende Kritik - vor allem der popularisierten Tragik der Allmende
- Top-Down im Umweltschutz als Folgerung aus der Tragik der Allmende
- Kirby-Report zu Top-down in der Umweltpolitik und den Folgen