Volksverhetzung
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Volksverhetzung ist in der Bundesrepublik Deutschland eine strafbare Handlung. Ihre Tatbestandsmerkmale definiert § 130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs:
- Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
- 1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder
- 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
- wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
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[Bearbeiten] Tatbestandsmerkmale
1960 wurde dieser Straftatbestand in das Strafgesetzbuch eingeführt. Davor stellte der § 130 StGB die „Anreizung zum Klassenkampf“ unter Strafe.
Absatz 2 bezieht alle möglichen öffentlichen Äußerungen in Wort, Schrift und Bild, die die in Absatz 1 genannten Tatbestandsmerkmale erfüllen, in die Strafandrohung ein. Als Personengruppen, die von Volksverhetzung betroffen sein können, werden Bevölkerungsteile (der BR Deutschland) oder eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe - also auch Personengruppen im Ausland - genannt.
Absatz 3 bezieht Personen in die Strafandrohung ein, die eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220a Abs. 1 bezeichneten Art - dies meint Verbrechen gegen die Menschlichkeit, vor allem Völkermord - in friedensstörender und menschenunwürdiger Weise billigen, leugnen oder verharmlosen.
Der § 130 StGB dient also in erster Linie dem Schutz des öffentlichen Friedens und der Menschenwürde, die durch Vollendung der beschriebenen Tatbestände verletzt wird. Er beruht auf der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus, der u.a. auch durch zu langes rechtliches Dulden von Hetzpropaganda in der Weimarer Republik ermöglicht wurde. Dahinter steht die Rechtsauffassung, dass eine direkt zu Hass, Gewalt oder Willkür aufstachelnde Äußerung keine vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckte Meinung, sondern eine Straftat darstellt, die weiteres illegales Handeln bewirken, dazu aufrufen und anstiften kann. Damit schränkt § 130 StGB die als Grundrecht garantierte Meinungsfreiheit für bestimmte Meinungsäußerungen ein. Dies ermöglichen die in Art. 5 Abs. 2 GG erwähnten Schranken (Schrankentrias).
[Bearbeiten] Ausschluss der Holocaustleugnung
Absatz 3 des Paragrafen 130 wurde 1994 eingeführt und bezieht sich vor allem auf die Holocaustleugnung bzw. die Auschwitzlüge, da der Holocaust nach § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) als Völkermord definiert ist.
Die Einfügung geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück. Dieses sieht Holocaustleugnung als „unwahre Tatsachenbehauptung“ nicht als vom Recht auf Meinungsfreiheit geschützt an, da sie nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen könne. Eine Mindermeinung hält dem entgegen, dass damit die Äußerung einer bestimmten Meinung unter Strafe gestellt werde, wobei fraglich bleibt, ob offenkundige Tatsachenleugnung eine Meinung sein kann. Der erwähnte Absatz sei damit rechtsdogmatisch kein „allgemeines Gesetz“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG, sondern ein speziell auf einen Einzelfall bezogenes und somit unwirksam bei der Einschränkung eines Grundrechtes. Die Mehrheit sah hier jedoch die Menschenwürde der durch solche Meinungsäußerungen verletzten Personen als das höhere zu schützende Rechtsgut an.
Bis dahin war die Holocaustleugnung bereits als einfache Beleidigung strafbar. Der Bundesgerichtshof hatte am 18. September 1979 (VI ZR 140/78) geurteilt, dass Menschen jüdischer Abstammung aufgrund ihres Persönlichkeitsrechts in der Bundesrepublik Anspruch auf Anerkennung des Verfolgungsschicksals der Juden unter dem Nationalsozialismus haben.
Vor allem Geschichtsrevisionisten aus dem rechtsextremen Lager bekämpfen die strafrechtliche Verfolgung der Leugnung des Holocaust als „Auschwitzgesetz“ oder auch „Lex Engelhard“. Auch der deutsche Historiker Ernst Nolte forderte schon vor der Neufassung, eine „Versachlichung der Geschichte herbeizuführen“ und lehnte vorgegebene „Dogmen“ oder „offenkundige Wahrheiten“ ab: Geschichte sei kein Rechtsgegenstand. In einem freien Land sei es weder Sache des Parlaments noch der Justiz, geschichtliche Wahrheiten zu definieren.
[Bearbeiten] Anwendung auf Auslandstaten
Vergehen, die gemäß § 130 StGB im Ausland begangen werden, gleich ob von deutschen Staatsangehörigen oder von Ausländern, können wie eine Inlandsstraftat verfolgt werden, wenn sie so wirken, als seien sie im Inland begangen worden, also den öffentlichen Frieden in Deutschland beeinträchtigen und die Menschenwürde von deutschen Bürgern verletzen. So reicht es z.B. aus, dass ein strafbarer Inhalt über das Internet, z.B. in Form einer HTML-Seite, von Deutschland aus abrufbar ist. Daraus ergibt sich z.B. die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Volksverhetzungsdelikte des Revisionisten Ernst Zündel, die dieser von Amerika aus im Internet begangen hat, für die er durch das Landgericht Mannheim verurteilt wurde.
[Bearbeiten] Vergleichbare Gesetze in anderen Staaten
[Bearbeiten] Österreich
Die österreichische Gesetzgebung definiert in § 283 des Strafgesetzbuches (StGB) Verhetzung:
- (1) Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden, zu einer feindseligen Handlung gegen eine im Inland bestehende Kirche oder Religionsgesellschaft oder gegen eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft, zu einer Rasse, zu einem Volk, einem Volksstamm oder einem Staat bestimmte Gruppe auffordert oder aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.
- (2) Ebenso ist zu bestrafen, wer öffentlich gegen eine der im Abs. 1 bezeichneten Gruppen hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht.
Gemäß § 33 Z. 5 StGB gilt es in Strafrechtsfällen als besonderer Erschwerungsgrund, wenn jemand aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder anderen besonders verwerflichen Beweggründen gehandelt hat.
Weitere inhaltlich verwandte Regelungen sind in verschiedenen Verfassungsbestimmungen und Gesetzen enthalten.
Der Artikel 6 („Menschenrechte“) des Österreichischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 stellt fest:
- Österreich wird alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um allen unter österreichischer Staatshoheit lebenden Personen ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion den Genuß der Menschenrechte und der Grundfreiheiten einschließlich der Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse und Veröffentlichung, der Religionsausübung, der politischen Meinung und der öffentlichen Versammlung zu sichern.
In Artikel 7 („Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten“) ist festgehalten:
- Österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten, Burgenland und Steiermark genießen die selben Rechte auf Grund gleicher Bedingungen wie alle anderen österreichischen Staatsangehörigen.
- Die Tätigkeit von Organisationen, die darauf abzielen, der kroatischen oder slowenischen Bevölkerung ihre Eigenschaft und ihre Rechte als Minderheit zu nehmen, ist zu verbieten.
Das Verbotsgesetz 1947 enthält – neben den Bestimmungen zur Auflösung aller nationalsozialistischen Organisationen und der Registrierung österreichischer Mitglieder der NSDAP – in § 3 die Regelungen betreffend NS-Wiederbetätigung. Es ist demnach untersagt, sich, sei es auch außerhalb dieser Organisationen, für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen.
§ 3d bestimmt den Strafrahmen (5 bis 20 Jahre) für denjenigen, der die Ziele der NSDAP, ihre Einrichtungen oder Maßnahmen verherrlicht oder anpreist. Dieser ist auch gemäß § 3h auf denjenigen anzuwenden, der öffentlich auf eine Weise, daß es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht.
[Bearbeiten] Schweiz
Nach Artikel 261bis des schweizerischen Strafgesetzbuches, der sogenannten Rassismus-Strafnorm, wird "Rassendiskriminierung" mit Gefängnis oder Buße bestraft.
[Bearbeiten] EU-Recht
[Bearbeiten] USA
Das US-Bundesrecht kennt keinen vergleichbaren Straftatbestand. Jedoch wurden unter US-Präsident Bill Clinton die sogenannten Hate Crime Laws eingeführt, deren Ausgestaltung den einzelnen Bundesstaaten obliegt. Gemeint sind öffentliche Äußerungen, die zu Verbrechen mit ethnischem, kulturellem, sexistischen oder religiösen Hintergrund anstiften können.
Dabei wird jedoch das Grundrecht der Meinungsfreiheit in der Regel sehr weit ausgelegt. Diese ist in den USA nur durch Sondergesetzgebung im Bereich der Nationalen Sicherheit, zum Schutz der Würde des Präsidentenamtes und von ausgewählten staatlichen Symbolen der USA eingeschränkt. Somit ist auch eine Holocaustleugnung in den USA straffrei.
Gruppen wie die Anti-Defamation League versuchen dies zu ändern und drängen darauf, die Holocaustleugnung unter die Einschränkungen der Meinungs- und Redefreiheit in den USA aufzunehmen.
[Bearbeiten] Quellen
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Andreas Stegbauer: Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts. München 2000
[Bearbeiten] Weblinks
- § 130 StGB (D)
- § 6 VStGB (D)
- Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Holocaustleugnung: BVerfGE 90, 241.
- Methoden zur Rechtsdurchsetzung und Erfahrungen mit der strafrechtlichen Verfolgung antisemitischer und rechtsextremistischer Hetze im Internet: Artikel über parlamentarische Anfrage bei Hagalil, 22. März 2003
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