Warenfetischismus
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Mit Warenfetischismus bezeichnet Karl Marx in seinem Hauptwerk Das Kapital (1867) einen bestimmten ideologischen Zustand gesellschaftlicher Beziehungen im Kapitalismus. Die Produkte menschlicher Arbeit entwickeln für die Menschen unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise ein scheinbares „Eigenleben“. Dieses Eigenleben vergleicht Marx mit der Zauberkraft, die in archaischen Gesellschaften dem Fetisch zugesprochen wird.
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[Bearbeiten] Das Eigenleben der Ware
Das Eigenleben der Waren, ihr „Fetischcharakter“, geht auf den kapitalistischen Tausch zurück, durch den einem hergestellten Produkt nicht mehr nur Gebrauchswert, sondern auch Tauschwert zukommt. Dieser Tauschwert verselbständigt sich nach Marx gegenüber dem Gebrauchswert (vgl. auch den Artikel Das Kapital). Die Produktion im Kapitalismus wird nicht im Interesse der Schaffung von Gebrauchswerten, sondern im Interesse der Schaffung von Tauschwerten bzw. zur Erzielung von Profit betrieben. Der Tauschwert der Ware ist insofern das eigentliche Ziel der Arbeit und wird dadurch zur scheinbaren Ursache der Entstehung von Wert. Die den Wert schaffenden Arbeiter werden zum scheinbaren „Objekt“ Arbeitskraft degradiert, die für das „Subjekt“ Ware produzieren. Die Warenproduzenten werden von ihren Produkten beherrscht: „Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, anstatt sie zu kontrollieren.” (MEW 23:89)
Marx bezeichnet den Warenfetischismus deshalb auch als scheinbare Vertauschung von Subjekt und Objekt, als „Quid pro quo“. Durch die weiteren Entwicklungsstufen der Warenform, das Geld und das Kapital, wird diese Verkehrung noch verstärkt. Das Kapital erscheint beispielsweise als „Geld heckendes Geld“ und „automatisches Subjekt“, das sich in der Form des Zinses scheinbar wie von selbst vermehrt.
[Bearbeiten] Fetischismus und Ideologie
Der Begriff wird im Eröffnungskapitel des Kapitals unter der Überschrift Der Fetischcharakter der Ware und ihr Geheimnis eingeführt. Die Theorie des Warenfetischismus knüpft an Marx' Theorie der Entfremdung aus seinen Frühschriften an. Der Gebrauch des Begriffs „Fetischismus“ kann als ironische Anspielung auf die nach Marx nur scheinbar „rationale“, „wissenschaftliche“ Denkweise in industriell-kapitalistischen Gesellschaften verstanden werden. Zu Marx' Zeiten wurde das Wort „Fetischismus“ in erster Linie als Begriff zum Studium „primitiver“ Religionen genutzt, der „Fetischismus der Warenwirtschaft“ kann daher ironisch als das Glaubenssystem „kapitalistischer Gesellschaften“ verstanden werden. Die ideologische Illusion einer scheinbaren Verselbständigung der Waren gegenüber ihren Produzenten ist jedoch kein bloßer Aberglaube, sondern geht auf die reale Teilung der Arbeit und das Privateigentum an Produktionsmitteln zurück, auf dem die kapitalistische Lohnarbeit beruht. Die Aufhebung des Warenfetischismus setzt also für Marx, wie die Aufhebung der Religion im Allgemeinen, die Aufhebung der kapitalistischen Lohnarbeit selbst voraus. Indem der Warenfetischismus die tatsächlichen sozialen Beziehungen der Gesellschaftsmitglieder verschleiert und „fetischisiert“, erschwert er diese Aufhebung bzw. die Entstehung von Klassenbewusstsein jedoch.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Sachzwang
- Entfremdung / Entäußerung
- Verdinglichung / Vergegenständlichung
- Pars pro toto
- Verehrung von Waren allgemein: Kult
- Personifizierung von Waren: Marke, Markenbewusstsein
- Waren als Fetische: Geltungskonsum, Kaufsucht