Alija Izetbegović
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Alija Izetbegović [izɛdˈbɛ̌ːgɔvitɕ] (* 8. August 1925 in Bosanski Šamac; † 19. Oktober 2003 in Sarajevo) war ein bosnischer Politiker und bosnischer Aktivist. Er war von 1990 bis 1992 Präsident der Republik Bosnien und Herzegovina und von 1992 bis 2000 führendes Mitglied des siebenköpfigen, kollektiven Staatspräsidiums Bosnien-Herzegowinas. 1992 erklärte er im Ergebnis eines international überwachten Referendums in Bosnien die Unabhängigkeit auch seines Landes.
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[Bearbeiten] Leben
Izetbegović wurde als Sohn eines Buchhalters in der nordbosnischen Stadt Bosanski Šamac geboren. In den 1930er Jahren übersiedelte die Familie nach Sarajevo. Dort wächst Alija Izetbegović unter traditionell liberal orientierten slawischen Muslimen auf.
Während des Zweiten Weltkriegs schloss er sich der Gruppe der Jungen Muslime (Mladi Muslimani), einer antikommunistischen Organisation, an. Wegen dieser Aktivitäten wurde er nach der Machtübernahme durch den KP-Chef Tito bereits unmittelbar nach Gründung der ersten jugoslawischen Nachkriegsregierung 1946 für drei Jahre ins Gefängnis verbannt. Nach seiner Freilassung studierte er in Sarajevo Jura und blieb weiter politisch aktiv. Keiner schloss das Studium der Rechtswissenschaften in Sarajevo schneller ab als Alija Izetbegovic
[Bearbeiten] Politische Karriere
1970 gab er das Manifest Die islamische Deklaration heraus, das später von seinen Gegnern als angeblicher Beweis seiner fundamentalistischen Anschauung angesehen wurde. 1980 erschien sein Buch Der Islam zwischen Ost und West, in dem er versuchte zu definieren, welchen Platz der Islam unter anderen großen Ideen einnimmt. Wegen der islamischen Deklaration, die von der kommunistischen Zensur verboten war und daher illegal kursierte, wurde er vom jugoslawischen Regime 1983 zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Die kommunistische Regierung warf ihm in einem politischen Schauprozess verschwörerische Pläne zur Errichtung eines islamischen Staates vor. Er wurde allerdings nach fünf Jahren 1988 nach Veränderungen im Machtsystem Jugoslawiens aus der politischen Haft entlassen.
1990 gründete er, u. a. gemeinsam mit dem bislang regimetreuen Geschäftsmann Fikret Abdić, der später zu einem Rivalen wird, die Partei der demokratischen Aktion (SDA). Obwohl die SDA als einzige größere Partei keine nationale Bezeichnung im Namen führt, ging sie – wie die national ausgerichteten Parteien der kroatischen Bevölkerung (HDZ) und der Serben (SDS) – aus der Wahl am 16. November als Sieger aus den Wahlen innerhalb der nach Volksgruppen organisierten Wahlen in Bosnien hervor. Obwohl bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Präsidenten Abdić die meisten Stimmen bekam, übernahm nach internen Diskussionen Izetbegović dieses Amt. In einer auf Ausgleich zwischen den Volksgruppen ausgerichteten Koalition aus den drei führenden nationalen Parteien wurde Izetbegović Präsident Bosnien-Herzogowinas; neben ihm stellte die nationalistische SDS des Serbenführers Radovan Karadžić den Präsidenten des Parlaments und die an der nationalistischen HDZ des kroatischen Präsidenten Tuđman ausgerichtete HDZ den Ministerpräsidenten der bosnischen Regierung.
[Bearbeiten] Krieg in Bosnien
Nachdem Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärt hatten, stand die Frage im Raum, wie sich Bosnien verhalten würde. Izetbegović war zunächst für den Verbleib Bosnien-Herzegowinas bei Restjugoslawien und sprach sich für eine „gesunde Föderation“ aus. Doch bald entwickelte sich die Lage so, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als die Unabhängigkeit anzustreben. Es bereitete die jugoslawische Volksarmee unter Kommando des bereits im Kroatien-Krieg hervorgetretenen Generals Mladić einen offenen Krieg für den Fall einer Unabhängigkeitserklärung Bosniens vor. Am 15. Januar 1992 erkannte die Europäische Union Slowenien und Kroatien als souveräne Staaten an und stellte auch Bosnien-Herzegowina die Anerkennung unter der Bedingung in Aussicht, dass die Bevölkerung in einem fairen Referendum für die Unabhängigkeit votieren würde. In dieser Phase unterzeichnete Izetbegović am 23. Februar 1992 ein Abkommen über die Bildung einer Konföderation mit den bosnischen Serben und Kroaten. Nachdem sich am 26. Februar Vertreter der nationalistischen bosnischen Parteien HDZ und SDS getroffen hatten, um über die Aufteilung des Territoriums zu verhandeln, revidierte er diese Position. Am 29. Februar ließ er das von der EU nahe gelegte Referendum abhalten. Die Volksgruppen der Kroaten und Bosniaken stimmten mit über 90 % dafür, die Serben boykottierten die Abstimmung, zu großem Teil unter massivem Druck der bereits militärisch organisierten serbischen Nationalisten.
Während des Krieges, der von den zwischenzeitlich dafür als Kriegsverbrecher angeklagten SDS-Vorsitzenden Karadžić mit Hilfe des serbischen Präsidenten Miloševićs und des serbischen Generals Mladić bereits vor dem Referendum vorbereitet worden war, und mit der Anerkennung Bosnien-Herzegowinas durch die EU am 6. April 1992 nun auch in voller Breite durchgeführt wurde, zeigte Izetbegović sich nicht bereit, die Souveränität Bosniens oder die ethnische Aufteilung des Landes nach den Plänen der serbischen und kroatischen Nationalisten zuzulassen, zumal seine Seite – auch durch eine massive internationale Unterstützung – immer mehr an Stärke gewann. Da der Westen Bosnien jahrelang die Hilfe verweigerte und nationalistische Serben und Kroaten ihre Besitzansprüche auf das Land mit militärischen Mitteln geltend machten, sahen sich Izetbegović und die bosniakisch dominierte multiethnische Führung in Sarajevo gezwungen, sich umso mehr von der islamischen Welt unterstützen zu lassen.
Der Bosnienkrieg 1992–95 kostete mehrere hunderttausend Menschen das Leben und machte Millionen zu Flüchtlingen.
Nach anfänglich halbherzigen Zusagen und Hilfsmaßnahmen der UN und der internationalen Gemeinschaft, verschärften die USA unter Bill Clinton und die internationale Staatengemeinschaft ihren Druck nach dem Massaker von Srebrenica im Juli 1995 ihren militärischen Druck auf Milošević und Karadžić und setzten auch Izetbegović unter politischen Druck. Auf einer Militärbasis in Dayton wurde 1995 in wochenlangen Verhandlungen das Dayton-Abkommen ausgehandelt, in dem US-Unterhändler Holbrooke Izetbegović unter Druck setzte, den nationalistischen Interessen des serbischen und des kroatischen Präsidenten teilweise nachzugeben. Am Ende fand sich die multiethnische bosnische Führung unter Izetbegović zum Unterzeichnen des Friedensvertrages in Paris gemeinsam mit dem kroatischen Staatspräsidenten Tuđman und dem serbischen Staatspräsidenten Milošević bereit.
Alija Izetbegović wurde durch die ersten Nachkriegswahlen 1996 wieder bestätigt und vertrat als Präsident Bosniens seine Partei SDA im kollektiven Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina, das er gemeinsam mit den nationalen Repräsentanten Zubak HDZ und Krajsnik SDS wahrnahm, bis er sich 2000 aus gesundheitlichen Gründen zurückzog. Izetbegović wurde Ehrenvorsitzender seiner Partei SDA, was er bis zu seinem Tode blieb.
Am 10. September 2003 erlitt der 78-jährige Izetbegović nach einem Sturz in seinem Haus einen Ohnmachtsanfall und dabei vier Rippenbrüche sowie innere Blutungen. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich am 16. Oktober 2003, und er wurde auf die Intensivstation eines Krankenhauses verlegt. Am Vortag seines Todes schien er zu ahnen, dass er nicht mehr genesen werde. Der amtierende türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan reiste nach Sarajevo, um noch einmal mit ihm zu sprechen. Izetbegović rief an diesem Tag in einem telefonischen Interview mit dem privaten TV-Sender Hayat in Sarajevo nochmals zur Versöhnung auf und mahnte, dass die Republik Bosnien-Herzegowina nur überleben würde, wenn der Hass zwischen den Völkern überwunden werde. Gleichzeitig mahnte Izetbegović die Einheit des Staates Bosnien-Herzegowina an: Serben, Kroaten und Bosniaken sollten ihrer nationalen Identität treu bleiben, aber „sie sollten alle Bosnier sein“.
Der nach dem Dayton-Abkommen von der UN eingesetzte internationale „Hohe Repräsentant“, der ehemalige Vorsitzender der britischen Liberalen, Paddy Ashdown, würdigte Izetbegovićs politische Arbeit unter Verweis auf dessen Kosenamen Dedo (Großvater), den Izetbegović unter seinen Anhängern hatte: „Er war im wahrsten Sinne der Vater seines Volkes, ohne ihn würde Bosnien-Herzegowina vermutlich nicht existieren.“ Zugleich rief Ashdown die Bosnier auf, als Vermächtnis Izetbegovićs weiterhin an der Zukunft ihres Landes zu arbeiten.
[Bearbeiten] Auszeichnungen
Alija Izetbegovic wurde 1996 von einer spanischen Zeitung zur Persönlichkeit des Jahres ernannt. Im Jahr 2001 wurde Izetbegovic für den Friedensnobelpreis nominiert, den dann, aber der damalige UN-Generalsekräter Kofi Annan erhielt. Izetbegovic wurde auch noch im Jahr 2003, zur muslimischen Persönlichkeit des Jahres ernannt. Weiters erhielt Izetbegovic noch zahlreiche Auszeichnungen für seine Bemühungen, Frieden am Balkan zu schaffen.
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Alija Izetbegović im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Englische Übersetzung der Islamischen Deklaration
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Personendaten | |
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NAME | Izetbegović, Alija |
KURZBESCHREIBUNG | bosnischer Politiker und islamischer Aktivist |
GEBURTSDATUM | 8. August 1925 |
GEBURTSORT | Bosanski Samac |
STERBEDATUM | 19. Oktober 2003 |
STERBEORT | Sarajewo |