Auslegung (Recht)
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Unter Auslegung oder Interpretation versteht man in der Rechtswissenschaft die Ermittlung und die Darlegung des Inhalts einer Rechtsnorm, des Inhalts eines Vertrags oder sonstiger individueller Willensäußerungen sowie Eingaben eines Bürgers an eine Behörde. Die Auslegung ist eine wesentliche Methode der Rechtswissenschaft und -praxis.
Gesetze sind abstrakt-generelle Normen. Das bedeutet, sie gelten für unbestimmt viele Fälle und legen nicht unmittelbar fest, was in einem konkreten Fall gilt (z. B. Hermann Müller muss 600 Euro zahlen). Daher bedürfen Gesetze der Auslegung, um festzustellen, ob ein bestimmter Fall erfasst ist (er also unter die Norm subsumiert werden kann) oder nicht und welche Folgen sich daraus ergeben.
In einer Rechtsordnung, die vor allem durch Kodifikationen und gesetztes Recht geprägt ist, bildet der Normtext - also der Wortlaut - das erste und grundlegendste Auslegungsmittel. Der konkrete Normtext ist jedoch nicht mit der zu ermittelnden Rechtsnorm als einem Bedeutungsinhalt gleichzusetzen; vielmehr sind weitere Auslegungsgesichtspunkte in Betracht zu ziehen.
Vornehmlich werden dafür der innere Zusammenhang der einzelnen Rechtsnormen (das „System“) und deren historische Entwicklung, insbesondere die Absichten des Gesetzgebers, herangezogen. Die juristischen Vertreter dieser Richtung knüpfen - mehr oder weniger weitgehend - an die historische Schule Savignys an.
Demgegenüber bezeichnet der Begriff der Rechtshermeneutik insbesondere neuere Richtungen der juristischen Methodenlehre. Die Rechtshermeneutik ist ein Bereich der angewandten Hermeneutik. Sie beschäftigt sich mit den Methoden der Auslegung von Gesetzestexten, der Erhellung von Rechtstermini oder der Klärung von sonstigen rechtserheblichen Umständen.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Auslegung in Anlehnung an Savigny
In Anlehnung an Savigny werden vier Auslegungsmethoden unterschieden:
[Bearbeiten] Grammatische Auslegung
Die grammatische Auslegung erfordert es, den Sinn einer Rechtsnorm möglichst nahe an ihrem Wortsinn festzusetzen. Dabei muss nicht der allgemeine Sprachgebrauch maßgeblich sein. Es kann also auch auf eine spezielle Fachsprache abgestellt werden. Eine besondere Rolle kommt der grammatikalischen Auslegung im Strafrecht zu. Hier ist es verfassungsrechtlich (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) unzulässig, den Anwendungsbereich einer Norm über ihren eigentlichen Wortsinn zu Lasten des Täters auszudehnen (Verbot strafbegründender und strafschärfender Analogie - kurz, aber ungenau: Analogieverbot). Gleiches gilt, wenn der Gesetzgeber durch eine enumerative Aufzählung zu erkennen gegeben hat, dass er eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf ähnliche, nicht genannte Fälle nicht zulässt (enumeratio ergo limitatio).
Beispiel: T schlägt den O mit der Faust in das Gesicht (einfache Körperverletzung, § 223 StGB). Darüber hinaus hat er auch den Tatbestand der Gefährlichen Körperverletzung, § 224 StGB, erfüllt, wenn er die Körperverletzung mittels eines „gefährlichen Werkzeugs“ begangen hat. Dazu müsste die Faust ein Werkzeug sein. Unter „Werkzeug“ versteht man aber nach allgemeinem Sprachgebrauch einen beweglichen Gegenstand, den ein Mensch verwendet, nicht jedoch ein Teil dieses Menschen. Demnach spricht die grammatische Auslegung dagegen, die Faust als Werkzeug anzusehen. Vertritt man darüber hinaus die Ansicht, die Faust werde selbst bei extensivster Auslegung des Wortes „Werkzeug“ nicht mehr erfasst, so bleibt wegen des strafrechtlichen Analogieverbotes kein Raum mehr für die Anwendung anderer Auslegungsmethoden. Demnach hätte T nur eine einfache, aber keine Gefährliche Körperverletzung begangen.
[Bearbeiten] Historische Auslegung
Die historische Auslegung zerfällt genau genommen in zwei Methoden. Die dogmengeschichtliche Auslegung erfordert, bei der Sinnfestsetzung übergeordnete Gedanken von Vorläufernormen zu berücksichtigen und Entwicklungslinien der bisherigen Regelungen nachzuzeichnen. Nach der genetischen Auslegung muss der Sinn der auszulegenden Norm möglichst nahe an dem vom Gesetzgeber tatsächlich Gewollten festgesetzt werden. Hierbei spielen die Gesetzesmaterialien (amtliche Begründungen, Parlamentsberatungen) eine wichtige Rolle. Problematisch ist allerdings, dass ein einheitlicher Gesetzgeberwille bloße Fiktion ist. Am Gesetzgebungsverfahren sind hunderte von Parlamentariern, verschiedene Parteien und Fraktionen, Ministerien, in einem föderalistischen Staat darüber hinaus auch noch Vertreter aller Bundesländer beteiligt. Allgemein lässt sich auch sagen, dass die historische Auslegung mit zunehmendem Alter einer Norm an Bedeutung verliert. Nach dem Bundesverfassungsgericht kommt ihr als Ausnahme zu diesem Grundsatz aber eine besondere Bedeutung bei der Auslegung der Kompetenztitel des Grundgesetzes zu. Allgemein lehnt man es heutzutage aber ab, als Ziel des gesamten Auslegungsvorgangs die Vorstellung des historischen Gesetzgebers zu reproduzieren (so genannte subjektive Auslegung).
Beispiel: Reiter R möchte im Wald umherreiten. Das wird ihm untersagt. Ist er in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt? Der Normtext lautet: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit [...].“ Nach dem Wortlaut könnte man vertreten, nur der Kern der Persönlichkeit sei geschützt („Persönlichkeitskerntheorie“). Das Umherreiten im Wald verletzt nicht den Kern der Persönlichkeit, R wäre demnach nicht in seinem Grundrecht verletzt. Das Bundesverfassungsgericht hat aber anders entschieden. Der Verfassungsgeber wollte dem Grundrecht ursprünglich den Wortlaut geben „Jeder kann tun und lassen, was er will [...]“, wählte dann aber die elegantere Formulierung des Art. 2 Abs. 1 GG. Inhaltlich wollte er aber dadurch nichts anderes aussagen. Also schützt das Grundrecht nicht den Kern der Persönlichkeit, sondern die Allgemeine Handlungsfreiheit, die immer eingreift, sofern kein spezielleres Grundrecht einschlägig ist. Also schützt das Grundrecht auch das Reiten im Wald. R war in seiner Grundrechtsausübung zwar beeinträchtigt, dieser Eingriff war aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da es für das Verbot eine gesetzliche und verfassungsgemäße Grundlage im nordrhein-westfälischen Landschaftsschutzgesetz gab.
[Bearbeiten] Systematische Auslegung
Die systematische Auslegung beruht auf dem Gedanken, dass die Rechtsordnung als Ganzes widerspruchsfrei aufgebaut sein muss und deshalb keine Norm in ihr einer anderen Norm widersprechen kann. In diesem Sinne ist die systematische Auslegung keine wirkliche Auslegungsmethode, sondern nur ein Konstruktionsprinzip. Teilweise wird der systematischen Auslegung noch der zusätzliche Aspekt zugemessen, dass eine Rechtsnorm nach der Systematik der mit ihr im Zusammenhang stehenden Regelungen auszulegen ist. Hier hat etwa die aufs römische Recht zurückgehende Auslegungsregel, dass Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind, ihre Heimat. Gegen die so verstandene systematische Auslegung wird häufig vorgebracht, dass es nicht der wesentliche Schritt ist, die Folge aus einer erkannten Systematik zu ziehen, sondern eine Systematik zu erkennen, was nur durch die anderen Auslegungsmethoden möglich ist.
Beispiel: Nach § 823 Abs. 1 BGB muss Schadensersatz zahlen, „wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt“. Ist eine Forderung, etwa die Gehaltsforderung des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, oder das Vermögen als Ganzes ein solches „sonstiges Recht“? Die aufgezählten Rechte und Rechtsgüter (Freiheit, Eigentum, ...) sind absolut geschützt und von jedermann zu beachten. Aus dieser Systematik folgt, dass „sonstiges Recht“ ein gleichermaßen absolut geschütztes Recht sein muss, wenn die genannten Einschränkungen nicht umgangen werden sollen. Folglich ist weder das Vermögen noch eine einzelne Forderung „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB.
[Bearbeiten] Teleologische Auslegung
Die teleologische Auslegung wird heutzutage häufig als das Kernstück der Auslegungsmethoden angesehen, die im Zweifel den Ausschlag gebe. Sie erfordert, den Sinn des Gesetzes danach festzusetzen, was für ein Ziel (also Sinn und Zweck) mit der Norm erreicht werden soll. Dabei meint sie aber nicht den Willen des Gesetzgebers im Sinne der subjektiven Auslegung, sondern den objektiv in der Norm zum Ausdruck kommenden Zweck, der sich bei älteren Normen im Laufe der Zeit auch geändert haben kann. Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass kein Gesetz in seinem Anwendungsbereich auf die vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Fälle begrenzt ist, „denn es ist nicht toter Buchstabe, sondern lebendig sich entwickelnder Geist, der mit den Lebensverhältnissen fortschreiten und ihnen sinnvoll angepasst weitergelten will, solange dies nicht die Form sprengt, in die er gegossen ist“ (BGHSt 10, 157, 159 f.). Gegen die teleologische Auslegung wird häufig vorgebracht, die Festsetzung des objektivierten Zwecks erfolge mehr oder weniger willkürlich vom Gesetzesanwender; nur was dieser zunächst durch die Zweckfestsetzung in das Gesetz hineingelesen habe, könne er im Rahmen der teleologischen Auslegung auch wieder heraus lesen.
Beispiel: A stiftet den T an, den O zusammenzuschlagen. Hat T neben der zweifellos erfüllten Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) auch eine Gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) begangen, weil er „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich gehandelt hat“? Wortlaut und Systematik helfen nicht weiter, führen sogar zu widersprüchlichen Ergebnissen: unter „gemeinschaftlich“ versteht das Gesetz nur Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), „Beteiligte“ sind dagegen auch so genannte Teilnehmer, also Anstifter und Gehilfen (§ 28 Abs. 2 StGB). Was der Gesetzgeber sich dabei gedacht hat, lässt sich nicht mehr aufklären. Sinn und Zweck des Delikts Gefährliche Körperverletzung ist es aber, die erhöhte Gefährlichkeit härter zu bestrafen. Durch einen Anstifter, der nicht am Tatort in Erscheinung tritt, wird die Körperverletzung um nichts gefährlicher. Demnach genügt sie nach Sinn und Zweck nicht. T hat also keine Gefährliche Körperverletzung begangen.
[Bearbeiten] Rechtsvergleichung
Häberle propagierte neben diesen klassischen vier Auslegungsmethoden die Rechtsvergleichung als fünfte Methode. Sie gehört allerdings nicht zum etablierten Kanon (anerkannte, abschließende Aufzählung).
[Bearbeiten] Verhältnis der Auslegungsmethoden
Das Verhältnis der Auslegungsmethoden untereinander ist nicht endgültig geklärt. Hinzufügen könnte man noch verfassungskonforme Auslegung (Übereinstimmung mit der Verfassung), obwohl es sich dabei nicht um besondere Methoden handelt, sondern eher um eine ergebnisorientierte Anwendung des Gesetzes. Man kann nämlich davon ausgehen, dass der Gesetzgeber keine verfassungswidrigen Gesetze erlassen will. Wenn ein Gesetz daher so ausgelegt werden kann, dass es mit der Verfassung übereinstimmt, kommt nur diese Auslegung in Betracht, wenn alle anderen Auslegungsergebnisse zu einem Verstoß gegen die Verfassung führen würden.
Mit der Wahl der Auslegungsmethode kann das Auslegungsergebnis vorbestimmt werden. Sie legt zugleich den Umfang und die Grenzen der verfassungsrechtlichen Gesetzesbindung der Rechsanwender fest. Auslegungsfragen sind also Verfassungsfragen. Das hat sich in Deutschland vor allem nach den Verfassungswechseln 1919, 1933, 1945/49 und 1989/90 gezeigt. Die großen Kodifikationen (BGB, HGB, StGB, GewO, ZPO, StPO u. a.) haben, weitgehend unverändert, in den unterschiedlichen politischen Systemen zu oft entggegengesetzten Auslegungsergebnissen durch Justiz und Jurisprudenz geführt. Werkzeuge der Umdeutung der gesamten Rechtsordnung waren jeweils die Verkündung neuer Rechtsideen, neuer Rechtsquellen, neuer Rechtsgrundbegriffe und neuer Auslegungsmethoden (vgl. Rüthers: Entartetes Recht. dtv-wissenschaft, 1994, S. 22).
Die heute vielfach als „die“ Methodenlehre angesehene vierfache Einteilung der Auslegung wurde vor allem von Larenz (Methodenlehre der Rechtswissenschaft) geprägt. Larenz blendet die rechtpolitische Funktion der von ihm vertretenen Auslegungsmethode in den Systemwechseln des 20. Jahrhunderts konsequent aus (vgl. dazu Larenz: Über Gegenstand und Methode völkischen Rechtsdenkens. 1938). Die Grundpositionen seiner ungeschichtlichen und unpolitischen Methodenlehre sind von obersten Gerichten des Bundes (Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof, Bundesarbeitsgericht) unreflektiert übernommen worden. Die oft notwendige, aber verdeckte richterliche Ersatzgesetzgebung („Rechtsfortbildung“) der letzten Instanzen wird so fälschlich als „Gesetzesauslegung“ etikettiert.
Nach Savigny selbst (System des heutigen Römischen Rechts, Band 1, 1840) sind die vier Elemente oder Canones der Auslegung: das grammatische, das logische, das systematische und das historische. Den Zweck des Gesetzes wollte Savigny grundsätzlich nicht als Auslegungsgesichtspunkt anerkennen, sofern er - wie es die heutige teleologische Auslegung annimmt - durch andere Gesichtspunkte als die vier von ihm anerkannten bestimmt wird (bspw. die Lebensverhältnisse). Demgegenüber fühlte sich Savigny an das Gesetz selbst gebunden; er befürchtete sonst Willkür des Auslegers. Das heute vielfach diskutierte Verhältnis des Auslegungsmethoden zueinander konnte sich für Savigny nicht als Problem darstellen: Es handelt sich bei den vier Elementen ihm zufolge nicht um verschiedene Methoden oder verschiedene Auslegungen, sondern um Elemente der einen Methode, von denen bei dem einzelnen Auslegungsproblem das eine oder andere größeren Erkenntniswert haben kann.
[Bearbeiten] Europarecht
Nach der Ansicht des Europäischen Gerichtshofs gelten für das Gemeinschaftsrecht autonome Auslegungsgrundsätze, die im wesentlichen mit den oben genannten übereinstimmen.
Allgemein sorgt die europarechtskonforme Auslegung (auch: integrationsfreundliche Auslegung) für Übereinstimmung der nationalen Normen mit dem Europarecht. Speziell ist dabei die richtlinienkonforme Auslegung zu nennen, die die Übereinstimmung von nationalen Normen mit dem Inhalt der (europarechtlichen) Richtlinien, auf denen sie beruhen, sichert. Die richtlinienkonforme Auslegung ist problematisch, da Richtlinien nicht unmittelbar wirken, sondern nur die Mitgliedsstaaten binden und von diesen in nationales Recht transformiert werden müssen. Durch diese Transformation wird der Regelungskomplex in die nationale Rechtsordnung eingepasst. Dieser Transformationsakt wird aber nahezu überflüssig, wenn bei jeder Abweichung zwischen nationalem Recht und Richtlinienrecht auf die Richtlinie zurückgegriffen wird. Durch die richtlinienkonforme Auslegung kann es zu einer quasi-unmittelbaren Wirkung von Richtlinien kommen, die im Hinblick auf das Demokratiedefizit bei Normerlass verfassungsrechtlich bedenklich ist. (Grundlegend dazu diFabio NJW 1990, 947 ff.) - Zu den üblichen Auslegungsmethoden kommen noch die Auslegung im Hinblick auf den effet utile (die tatsächliche Durchsetzung von Normen) und auf die Einheitlichkeit des Europarechts in allen Mitgliedsstaaten hinzu.
[Bearbeiten] Ergänzende Auslegung
Die einfache Auslegung einer Norm wird zumeist unterschieden von ihrer analogen Anwendung und ihrer teleologischen Reduktion (die aber zur Auslegung im weiteren Sinne, der „Darlegung des Inhalts des Rechts“ (Windscheid), gehören). Insoweit spricht man von ergänzender Auslegung. Hierbei geht es um die Korrektur von nicht gerechtfertigten Ungleichheiten im Gesetz, die dadurch entstehen, dass der Gesetzgeber bestimmte Fallgruppen nicht bedacht hat und seine Regelung deshalb unvollständig wurde. Man unterscheidet zwischen primären und sekundären Lücken. Im ersten Fall hat der Gesetzgeber den fraglichen Fall von vornherein nicht bedacht, im zweiten hat er ihn zwar bedacht, doch haben sich in Zwischenzeit die tatsächlichen (z.B. Entstehung des Straßenverkehrs, Entwicklung von Rundfunk und Fernsehen) oder rechtlichen (z.B. Inkrafttreten des Grundgesetzes) Rahmenbedingungen so verändert, dass inzwischen eine Lücke „entstanden ist“.
[Bearbeiten] Analogie
Als Analogie bezeichnet man die Erstreckung der Rechtsfolge einer Norm auf einen Sachverhalt, der von ihrem Tatbestand vom Wortsinn her nicht mehr erfasst wird. Die Analogie setzt voraus, dass das Gesetz nach seinem denkbar weitesten sprachlichen Verständnis den in Rede stehenden Sachverhalt nicht erfasst (Lückenhaftigkeit), dass diese Lücke planwidrig ist, der Gesetzgeber also, wenn ihm der Fall vor Augen gestanden hätte, ihn geregelt hätte und dass die Ähnlichkeit der Interessenlage die Anwendung der Rechtsfolge der analog anzuwendenden Norm gebietet.
- Beispielsweise kann man bei drohender Beeinträchtigung des Eigentums nach § 1004 BGB den Störer auf Unterlassung verklagen. Auch wenn man „Eigentum“ noch so weit versteht, wird man die körperliche Unversehrtheit nicht mehr darunter fassen können. Leib und Leben ist aber ebenso wie das Eigentum absolut geschützt (§ 823 Abs. 1 BGB). Demnach wird man § 1004 BGB auf diesen Fall analog anwenden. Teilweise wird der Fachausdruck Lücke auch so verwendet, dass er von vorneherein nur planwidrige Unvollständigkeiten erfasst.
[Bearbeiten] Teleologische Reduktion
→ Oberbegriff: Geltungserhaltende Reduktion
Als teleologische Reduktion bezeichnet man das Gegenteil der Analogie. Hier wird - ebenfalls aus dem Gedanken heraus, dass das Gesetz mit einer Regelung einen bestimmten Zweck verfolgt - die Rechtsfolge einer Norm nicht angewendet, obwohl der Wortsinn der Norm den Sachverhalt unzweifelhaft erfassen würde (verdeckte Lücke). Der Gesetzestext ist nicht zu eng, sondern planwidrig zu weit geraten.
- Beispielsweise wird nach § 212 StGB bestraft, „wer einen Menschen tötet“. Auch wenn man den Begriff des „Menschen“ noch so eng auslegt, fällt, wer sich selbst tötet, stets noch unter den Wortlaut. Die (versuchte) Selbsttötung soll aber nach Sinn und Zweck des § 212 StGB nicht strafbar sein - daher ist die Norm insoweit teleologisch zu reduzieren, dass nur das Töten eines anderen Menschen erfasst wird.
Beides - Analogie und teleologische Reduktion - haben mit der Auslegung im engeren Sinne gemein, dass sie auf dem Kernstück der Auslegungsmethoden, der Erkenntnis des mit dem Gesetz verfolgten Ziels (teleologische Auslegung), beruhen. Allerdings gehen sie dabei entweder über das weiteste noch denkbare sprachliche Verständnis hinaus (Analogie) oder bleiben hinter dem engsten möglichen Wortsinn zurück (teleologische Reduktion). Diese Lückenfüllung ist aber keine schöpferische, freie Rechtsetzung durch den Rechtsanwender. Vielmehr ist über das Erfordernis der Planwidrigkeit gesichert, dass der historische Gesetzgeberwille (Demokratieprinzip) beachtet wird. Die Lücke wird auch nicht durch irgendeine Regelung gefüllt, die dem Anwender günstig erscheint, sondern durch entsprechend angewandte gesetzliche Regelungen - auch insoweit ist Grundlage also immer noch das Gesetz.
[Bearbeiten] Anwendungsbereiche
Vor allem ein unbestimmter Rechtsbegriff ist der Auslegung zugänglich. Sein Inhalt kann und muss vom Richter durch ordnungsgemäße Anwendung der Regeln korrekter Auslegung festgesetzt werden; weitere Grenzen sind dem Gericht nicht auferlegt. Das Gericht darf und muss insbesondere bei der Überprüfung behördlichen Handelns einen unbestimmten Rechtsbegriff selbst konkretisieren und darf - im Gegensatz zum Ermessen - der Behörde keinen Ermessensspielraum zubilligen. Nur ausnahmsweise gewährt das Gesetz der Verwaltung einen - nur auf Willkür überprüfbaren - Beurteilungsspielraum.
Im deutschen Strafrecht sind Analogie und teleologische Reduktion zu Lasten des Täters verboten: nullum crimen sine lege (Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, wortlautgleich § 1 StGB).
[Bearbeiten] Auslegung von Rechtsgeschäften
Rechtsgeschäfte, genauer: die in ihnen enthaltenen Willenserklärungen, sind auslegungsfähig wenn sie mehrdeutig sind und auslegungsbedürftig, wenn die Erklärenden unterschiedliche Verständnisse für sich beanspruchen. Bei einem eindeutigen Sinn oder bei einem übereinstimmenden Vertragsverständnis bleibt kein Raum für eine Auslegung. Das BGB regelt die Auslegung vor allem in:
- § 133 Auslegung einer Willenserklärung
- Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
- § 157 Auslegung von Verträgen
- Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Es zeigen sich zwei - mitunter gegenläufige - Maxime: Die Auslegung nach dem wirklichen Willen (natürliche Auslegung), wie in § 133 BGB beschrieben, verwirklicht die Privatautonomie. Die Auslegung danach, wie der erklärte Wille allgemein verstanden werden muss (normative Auslegung), § 157 BGB, schützt dagegen den Rechtsverkehr. Die Willenserklärung ist dann so zu verstehen, wie sie ein objektiver Dritter in der Position des Empfängers (objektiver Empfängerhorizont) verstehen müsste. Wann der Rechtsverkehr solcherart schützenswert ist, gibt das BGB in § 157 mit Verträgen an: dort sind zwei Parteien beteiligt, die sich auf das vom Gegenüber Erklärte verlassen. Eine vergleichbare Interessenlage besteht aber auch bei vielen einseitigen Rechtsgeschäften, nämlich dann, wenn die Willenserklärung einem anderen gegenüber abzugeben ist, also gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BGB empfangsbedürftig ist und zugehen muss. Das ist bei allen Gestaltungsrechten der Fall: etwa bei der Erklärung einer Kündigung, der Anfechtung usw.
Demnach ergibt sich folgendes Schema:
- nicht-empfangsbedürftige Willenserklärungen (etwa im Testament, des Stiftungsgeschäfts, der Auslobung) sind gem. § 133 BGB nach dem wirklichen Willen (natürliche Auslegung) zu verstehen, mag auch etwas ganz anderes erklärt worden sein.
- empfangsbedürftige Willenserklärungen, insbesondere Gestaltungserklärungen sowie Antrag und Annahme, sind gem. §§ 133, 157 BGB normativ auszulegen. Ausnahme: die Parteien haben übereinstimmend etwas anderes gemeint, als sie erklärt haben. Dann ist keiner schützenswert, es gilt das wirklich Gewollte (falsa demonstratio non nocet – die (übereinstimmende) Falschbezeichnung schadet nicht). Paradebeispiel einer solchen unbeachtlichen falsa demonstratio ist der Haakjöringsköd-Fall.
[Bearbeiten] Beispiel
(Beispiel:) "Ich setze meine Nachkommen zu Erben ein." (oder: "Meine Nachkommen sollen mich beerben.")
Für die Rechtshermeneutik stellt sich die Frage: Wer ist mit "Nachkommen" gemeint?
Ein Rechtsbegriff kann "unmittelbar", also gemäß dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, verstanden werden (deklaratorische Auslegung):
- (Beispiel) Es sind die ehelichen und nichtehelichen Abkömmlinge gemeint.
Die Auslegung kann erweiternd (extensive Auslegung) erfolgen:
- (Beispiel) Es sind auch die Enkel und Urenkel gemeint.
Oder sie kann einschränkend erfolgen (restriktive Auslegung):
- (Beispiel) Es sind lediglich eheliche Nachkommen gemeint.
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] auf der modernen formalen Logik aufbauend
- Robert Alexy: Theorie der juristischen Argumentation, 3. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1996
- Hans-Joachim Koch, Helmut Rüßmann: Juristische Begründungslehre, München 1982
[Bearbeiten] auf der traditionellen Logik aufbauend
- Claus-Wilhelm Canaris, Karl Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 3. Auflage, Springer, Berlin 1999, ISBN 3-540-59086-2
- Hans Kudlich, Ralph Christensen: Die Kanones der Auslegung als Hilfsmittel für die Entscheidung von Bedeutungskonflikten, in: Juristische Arbeitsblätter (JA) 2004, 74-83
- Winfried Brugger: Konkretisierung des Rechts und Auslegung der Gesetze, AöR 119 (1994), S. 1 ff.
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