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Basilika Saint-Denis - Wikipedia

Basilika Saint-Denis

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Gotische Kathedrale von Saint-Denis
Gotische Kathedrale von Saint-Denis
Innenansicht
Innenansicht

Die Basilika Saint-Denis ist eine ehemalige Abteikirche in der Stadt Saint-Denis nördlich von Paris. Sie besitzt seit 1966 den Status einer Kathedrale und ist seit dem Ende des 10. Jahrhunderts, genauer seit Hugo Capet die Grabstätte fast aller französischen Könige und auch vieler Königinnen. Die Kirche ist von grosser kunsthistorischer Bedeutung, da in ihrem 1136 begonnenen Chor die ersten Spitzrippengewölbe gebaut wurden, so dass St. Denis als Wiege der Gotik gilt.

Sie ist dem heiligen Dionysius, dem Schutzpatron und ersten Bischof von Paris geweiht, der - gemäß der Legende - in der Zeit der Christenverfolgungen um das Jahr 250 nach Christi auf dem Montmartre enthauptet wurde, seinen Kopf aufnahm und bis zu dem Standort der heutigen Kirche wanderte, wo er tot zusammenbrach und bestattet wurde.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Geschichte

Die heutige Kirche erhebt sich an der Stelle mehrerer wenig bekannter Vorgängerbauten. Im 4. Jahrhundert entstand über dem Grab des Heiligen eine Grabkapelle, welche laut dem Zeugnis des Gregor von Tours (538-594) die heilige Genoveva im Jahr 475 durch eine grössere Kirche ersetzen liess. Ein Kloster, das sich bedingt durch die günstige Lage in dem fruchtbaren Pariser Becken und an der alten Handelsstrasse von Paris nach Rouen rasch entwickelte, ist um 625 nachgewiesen.

Die Merowinger widmeten diesem Kloster ihre ganze Aufmerksamkeit, insbesondere Chlothar I. (König des gesamten Frankenreiches von 558-561) - dessen Gattin Arnegunde († um 565) dort in einem überaus reichen Grab bestattet wurde, das erst 1959 wiederentdeckt wurde - Chlothar II. (König der Franken von 584-629) und Dagobert I. (König von 629-638). Letzterer beschenkte das Kloster so reich - unter anderem ließ er einen kostbaren neuen Schrein für die Reliquien schaffen - dass er von den Mönchen späterer Zeiten als Klostergründer angesehen wurde. Vor allem aber brach er mit der Tradition und bestimmte nicht die bisherigen königliche Nekropole, die Abtei Saint-Vincent-Saite-Croix (künftige Abtei Saint-Germain-des-Prés, zu seinem Bestattungsort, sondern die Abtei St. Denis. Seine Witwe Nanthild und sein Sohn Chlodwig II. († 657) taten es ihm gleich und ebenso der Hausmeier Karl Martell († 741), der dieserart seine Macht demonstrierte.

Der Bau eines neuen Altarraum (um 750-775), der es den Pilgern gestattete, die Gräber der Heiligen zu umrunden, begann unter dem ersten Karolinger, Karl Martells Sohn Pippin der Jüngere (König von 751-768). Pippin konnte sich Dank der Unterstützung des einflussreichen Abtes Fulrad von Saint-Denis, der sich in Rom für ihn eingesetzt hatte, im Chor der Abteikirche von Papst Stephan II. zum König krönen lassen. Dort wurde er auch bestattet, bevor die von ihm begonnenen Arbeiten unter Karl dem Grossen vollendet wurden. Dessen neue Hauptstadt wurde Aachen, die Abtei verlor ihren Einfluss und erst Karl der Kahle († 877) fand seine letzte Ruhestätte wieder in St. Denis.

Mit der Machtergreifung des Begründers der Dynastie der Kapetinger, Hugo Capet (König von Frankreich von 987-996), festigte Saint-Denis schliesslich endgültig seine Rolle als Grablege der französischen Herrscher, die - mit Ausnahme von Philipp I., Ludwig VII., Ludwig XI., Karl X. und Ludwig Philipp I. sowie der Napoleoniden - alle dort bestattet wurden.

Ihre heutiges Erscheinungsbild verdankt die Kirche einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des 12. Jahrhunderts, dem Abt Suger (1081-1151).

Während der Französischen Revolution wurden die Königsgrabmale schwer in Mitleidenschaft gezogen, die Fenster der Kirche wurden 1793 weitgehend zerstört. Einige davon wurden 1848 von Viollet-le-Duc restauriert, Bruchteile und vollständige Fenster finden sich in Kirchen und Sammlungen in ganz Europa.

Viollet-Le-Duc führte wie an viele Kathedralen Frankreichs Restaurierungsarbeiten durch, die aber, wie die Eingriffe des 19. Jh. so häufig, den Gesamteindruck eher enstellten.

[Bearbeiten] St-Denis und der Beginn der Gotik

Die Stadt St-Denis war einstmals ein selbständiger Ort direkt nördlich von Paris, ist aber heute durch das Wachstum der Hauptstadt zu einem Pariser Vorort geworden.

Der Beginn der Gotik ist in der Forschung genauso umstritten wie der anderer großer Phasen in der Entwicklung der Kunst. In der Fachliteratur existieren Datierungsunterschiede von rund 70 Jahren. Einige Autoren betrachten St-Denis 1140 und die Kathedrale von Laon als Vorstufen, manche sogar Chartres noch, und lassen die eigentliche Gotik erst entweder 1195 mit der Kathedrale von Bourges oder 1211 mit der von Reims beginnen. Eine andere Richtung kann mit „früheren“ Zahlen aufwarten. Demnach beginnt die Gotik in Frankreich in der Île-de-France zwischen 1130 und 1140.

Umstritten ist auch, mit welcher Kirche genau die Gotik begann, und zwar auch bei denjenigen Autoren, die die Gotik um 1130/40 einsetzen lassen. Es gibt eine Konkurrenzsituation zwischen mindestens drei Bauwerken. Traditionellerweise wird in der Forschung aber davon ausgegangen, dass St-Denis – hier - der Gründungsbau der Gotik ist.

Der Neubau von St-Denis, der ersten gotischen Kirche, beginnt mit deren Westbau 1130/35, also ungefähr 100 Jahre vor den ersten gotischen Bauwerken in Deutschland, der Liebfrauenkirche in Trier 1227/35 und der Elisabethkirche in Marburg 1235. Die erste vollständig nach französischem Vorbild errichtete gotische Kathedrale in Deutschland ist allerdings erst der Kölner Dom, der 1248 begonnen wurde.

Bei der französischen gotischen Architektur werden vier verschiedene Entwicklungsphasen unterschieden: Die Frühgotik wird in Frankreich von 1140-1200/10, die Hochgotik von 1210-1270, die sog. Reife Gotik von 1270-1370 und die Spätgotik von 1370-1520.

[Bearbeiten] Die Fassade von 1137

Die hl. Dreifaltigkeit, Detail des Portales
Die hl. Dreifaltigkeit, Detail des Portales

Die Grundsteinlegung der West-Fassade fand am 9. Juni 1137 unter Leitung des Abtes Suger statt, die Weihe am 9. Juni 1140, genau drei Jahre später.

Diese erste gotische Fassade ging über die normannische hinaus. Das Portal gleicht einer großen Toreinfahrt als Symbol des Eingangs ins himmlische Jerusalem, als das der ganze Kirchenbau aufgefasst wurde. Die Figurenplastiken an den Portalseiten zeigen deshalb auch die Könige Israels.

Es entsteht hier ein dynamisches Zentrum, das größer und höher ist als die Seitenteile, und das sorgt dafür, dass die Fensterzone darüber ebenfalls höher angebracht wurde. In die archaische Strenge der vorhergehenden normannischen Architektur ist bei St-Denis 1137 dynamische Bewegung gekommen, die schon hier an der ersten gotischen Fassade eine Tendenz zur Höhensteigerung in der Mitte zeigt. Es gibt keine durchgehende horizontale Geschosseinteilung mehr.

Die Mauerfläche werden durch Fenster und auf die Mauer „geklebte“ Dekorationsformen gegliedert. In den Fenstergeschossen werden die Fenster von ähnlichen, aber vorgeblendeten Bogenformen begleitet, die mit den Fenstern die ganze Wand überziehen.

Entscheidend ist dabei, dass in St-Denis die Außenmauer als sichtbare Fläche zum ersten Mal hinter solchen „Dekorationsschichten“ allmählich zurücktritt. Die Kunstgeschichte spricht hier von einer „Auflösung“ und „Verschleierung“ der Wand. Solche Tendenzen zeigten sich allerdings schon in der Spätphase der Romanik und sind ein Grund, warum in Teilen der Forschung diese Formen in St-Denis noch nicht als „eigentlich gotisch“ gewertet werden.

Die ursprüngliche Planung von St-Denis sah zwei Türme vor. In dieser frühen Phase der Gotik sind die Türme auf einen eigenständigen, nahezu quadratischen Fassadenblock aufgesetzt, in diesem Fall sogar hinter der unteren Mauer zurückgesetzt. In der Hochgotik wird es zu einer durchgehenden Fassadengestaltung kommen, die von unten nach oben in einer gewaltigen Höhensteigerung ohne Unterbrechung durchgeht, wie wir das in Deutschland besonders vom Kölner Dom her kennen. In St-Denis wirkt im unteren Fassadenblock noch das antike Motiv eines eigenständigen Triumphbogens nach, daher die deutlich rechteckige Grundform.

Von der ursprünglichen Planung ist in St-Denis nur der südliche Turm vollendet worden. Der Nordturm wurde später nach dem Vorbild Caen nachgebaut. Dieser Turm wurde später wieder abgetragen. Die ganze Westfassade wird so zu einem Tor, das entsprechend den Worten der Liturgie als Tor des Himmels zu verstehen ist. Der Torcharakter wird durch den Zinnenkranz und die weiten Portale zusätzlich hervorgehoben.

Im Tympanon des Mittelportals thront Christus als Richter des Jüngsten Gerichts: Er entscheidet, wer in das Tor des Himmels eintritt. „Die Portale großer Kirchen dienten im Mittelalter als Gerichtsstätte, deswegen wurden die Bogenfelder oft mit Darstellungen des Jüngsten Gerichtes geschmückt [...] Aber auch die Deutung der Kirche als Abbild des Himmlischen Jerusalem erfordert das Durchschreiten des göttlichen Gerichts.“ [1]

Die Gewändefiguren, die ersten bekannten gotischen Säulenfiguren, sind in St-Denis 1771 herausgerissen worden, weitere Zerstörungen erfolgten während der Französischen Revolution. Die Restaurierungen von 1839/40, die nach dem Geschmack und dem Kenntnisstand der Zeit vorgenommen wurden, haben das ursprüngliche Bild leider verfälscht. Nur die formale Aufteilung der Flächen ist original.

[Bearbeiten] Der erste gotische Chor

 Der Chorumgang
Der Chorumgang

Anhand einer Grundrisszeichnung des Chores von St-Denis lässt sich ein entscheidendes Prinzip des gotischen Raumes zeigen, wie er hier 1140 zum ersten Mal auftritt. Der Chor hat einen sog. Chorumgang und einen Kapellenkranz. Zwischen den Kapellen stehen die Strebepfeiler, die das Gewölbe nach außen abstützen. Sowohl der Chorumgang als auch der Kapellenkranz sind in einzelne Kompartimente geteilt, die jedes für sich ein ein unregelmäßiges Kreuzrippengewölbe haben. Entscheidend ist dabei, dass die Gewölbe von Chorumgang und Kapellenkranz zu einem einheitlichen Raum verbunden sind, was mit den romanischen Gewölben nicht ermöglicht werden konnte. Diese Gewölbeform wird daher als eins der Hauptkennzeichen der gotischen Architektur angesehen.

Im nachhinein ist es recht schwierig zu verstehen, welche Revolution dieses Neuerung von 1140 in der sakralen Baukunst ausgelöst hat. Erst durch die Erfindung und geniale Verbindung neuer Bauformen und Bautechniken, wie Spitzbogen, Kreuzrippengewölbe, Bündel- und Strebepfeiler, war es technisch möglich, die erwünschte Durchlichtung des Innenraums mit Hilfe größerer Fenster und den Wunsch nach höheren Wänden, Türmen etc. in der Praxis zu verwirklichen. Der Druck des Gewölbes, der Gewölbeschub, wurde nicht mehr allein von den massiven Säulen und Wänden aufgefangen, sondern über das Pfeilersystem nach außen abgeleitet. Gleichzeitig konnte das Gewicht eines Gewölbes durch die Skelettbauweise der Spitzbogentechnik wesentlich verringert werde. Die Fenster konnten man fast beliebig vergrößern und verbreitern, ohne dass die Tragkraft und Stabilität der Mauer Schaden genommen hätte.

Wie das Kreuzrippengewölbes im einzelnen funktioniert hat, ist in der Wissenschaft umstritten, bzw. nicht plausibel geklärt. Durch die Bombenschäden des Zweiten Weltkrieges ergaben sich häufig Situationen, die man experimentell nicht herbeiführen kann: Man konnte in vielen Kirchen prüfen, wie die Gewölbe die Schäden überstanden hatten und es ergaben sich paradoxerweise zwei unterschiedliche Varianten: Es gab Kreuzrippen-Gewölbe, bei denen die Rippen abgefallen waren, die aber trotzdem stabil blieben, gleichsam als Kreuzgratgewölbe. Andererseits gab es Fälle, bei denen nur die Rippen stehen geblieben sind, die Gewölbewangen jedoch heruntergefallen waren. Angesichts dessen könnte man annehmen, dass es sich hier um zwei verschiedene Gewölbeformen handelt, die lediglich kombiniert worden sind.

Nach heutigem Wissensstand nimmt man an, dass die Rippen das Tragverhalten des Kreuzgewölbes objektiv nicht wesentlich verbessern. Es bleibt aber immer noch die Frage, ob die Rippengewölbe in St-Denis 1140 in erster Linie aus ästhetischen Gründen gebaut worden oder um die Konstruktion der Gewölbe zu vereinfachen, also nur für die reine Bauphase interessant waren.

Eine Hypothese ist, dass bei einem Kreuzrippengewölbe die lastenden Kräfte des Steingewölbes auf die Rippen konzentriert werden, die das Gewicht im Innenraum an die Pfeiler - und außen an das Strebewerk weitergeben, so dass insgesamt das entsteht, was die Kunstwissenschaft ein lineares Stützsystem nennt: ein System, bei dem die lastenden Kräfte entlang von Linien abgeleitet werden - über die Rippen auf die Pfeiler innen und außen.

Entscheidend für die Weiterentwicklung der gotischen Architektur ist, dass in den Kreuzrippen zwei unterschiedliche Prinzipien vereint werden: Sie haben eine bestimmte Funktion und sie drücken diese auch deutlich aus, unterstrichen durch eine farbliche Gestaltung bzw. Betonung der Kraftlinien.

[Bearbeiten] Das Licht

Die Chorfenster
Die Chorfenster

Durch das neue gotische Stützsystem ergaben sich auch in Bodenhöhe große Fenster. Die Innensäulen des Chores sind so angeordnet, dass sie das Licht möglichst ungehindert einströmen lassen und sich auf den Mittelpunkt des Chores ausrichten, wo der Altar steht. Hier war das Zentrum der christlichen Liturgie und hier konzentrierte sich auch das einströmende Licht, Symbol für die erwartete die Wiederkunft Christi. [3] Das Licht galt in der damaligen Theologie als die unmittelbare Erscheinung des Göttlichen - daher auch die reichhaltige Verwendung von lichtbrechenden Edelsteinen bei den liturgischen Gerätschaften. In der gotischen Architektur wird das Licht zum wesentlichen Konstruktionsprinzip der ganzen Kathedrale. Es kommt nicht später hinzu, es bestimmt die Konzeption des Bauwerks von vornherein. Das gotische Fenster ersetzt das romanische Fenster und zugleich die romanische Wand.

Technische Erfindungen spielen ebenfalls eine Rolle: Im 10. Jh. hatte man die Technik erfunden, Glasteile in Bleistege zu fassen. Dadurch wurde das Gewicht geringer, die dünnen Bleiruten konnten beliebig gebogen werden und erlaubten eine freiere Gestaltung der Glasfenster.

[Bearbeiten] Die Zahlenverhältnisse

Zahlenverhältnisse repräsentieren die göttliche Ordnung . Das Langhaus ist unterteilt in eine gleichförmige Abfolge von Jochen mit jeweils einem Kreuzrippengewölbe. Zu jedem Mittelschifffeld gehören ein südliches und ein nördliches Seitenschifffeld. Die Maßeinheit für den gesamten Bau ist das Vierungsquadrat im Seitenverhältnis von 1:1. Jeweils zwei Mittelschiffjoche bilden ein Vierungsquadrat, jedes Mittelschiffjoch ist doppelt so groß wie ein Seitenschiffjoch, beide stehen also im Verhältnis 1:2. Auch im Wandaufbau lassen sich solche einfachen geometrischen Verhältnisse nachweisen. Das Quadrat mit seinem vollkommenen Zahlenverhältnis von 1:1 war im 12. Jh. das geometrische Abbild der Gottheit.[2]

Solche geometrischen Maßverhältnisse wurden ganz allgemein als solche Abbilder des Gottesreiches auf Erden angesehen, wie man es sich damals vorstellte. Nicht umsonst waren im frühen Mittelalter die Baumeister meistens Theologen, die bautechnisch wenig gebildet waren. Das änderte sich erst ab ca. 1250, als geschulte Fachleute die Bauführung übernahmen.

Im Bauhüttenbuch des picardischen Architekten Villard de Honnecourt von 1225-35 sind geometrische Maßverhältnisse als Grundlage der Konstruktion gotischer Kathedralen niedergelegt. Man stellte sich die göttliche Schöpfung nach den Verhältnissen der Geometrie vor und der mittelalterliche Architekt unterwarf sich diesem Prinzip seines vermeintlichen göttlichen Lehrmeisters.

In Villards Musterbuch werden nicht nur die geometrischen Regeln der gotischen Architektur dargelegt, sondern auch die Ästhetik der ‚musikalischen‘ Verhältnisse, die den Intervallen der vollkommenen Akkorde entsprechen.

So verhalten sich die Länge der Kirche zum Querhaus wie die Quinte (2:3). Die Oktave (1:2) bestimmt das Verhältnis zwischen Haupt- und Seitenschiff, Länge und Breite des Querhauses und des Aufrisses. Das Verhältnis 3:4 im Chor lässt die Quarte anklingen, das Verhältnis 4:5 von Hauptschiff und Seitenschiffen zusammengenommen entspricht der Terz, während die Vierung, liturgisch und ästhetisch das Zentrum der Kirche, auf dem Verhältnis des Einklangs, 1:1, beruht, dem vollkommensten der Akkorde.“ [3]

Die Zahlenverhältnisse von 1:1, der Oktave 1:2, der Quinte 2:3 und der Quarte 3:4 bestimmten den Aufbau der Kathedrale innen und außen und waren auch die Grundlage der damaligen Musik. In solchen Verhältnissen sah man die geordnete göttliche Welt realisiert. Der heilige Augustin stellte Musik und Architektur als „Schwestern der Zahl“ zusammen über die anderen Künste [4].

Durch das Triforium und den Lichtgaden einfallendes Licht.
Durch das Triforium und den Lichtgaden einfallendes Licht.
Triforium
Triforium

[Bearbeiten] Das durchlichtete Triforium (1231- 1281)

In St-Denis gibt es bezüglich des Lichteinfalls noch eine weitere architektonische Neuerung von grosser Bedeutung, die allerdings nicht aus der früh-, sondern aus der hochgotischen Zeit stammt: das sogenannte durchlichtete Triforium. Die Entwicklung verlief folgendermaßen: Der frühgotische Chor wurde in nur dreijähriger Bauzeit vollendet und am 11. Juli 1144 geweiht. Nach dem Tod Sugers 1151 trat der von ihm immer schon befürchtete Stillstand in der Bautätigkeit ein, so dass das Langhaus und der obere Teil des Chores erst einhundert Jahre später in Angriff genommen wurden. Von 1231-1281 wurde es errichtet und stellt nun eines der schönsten Beispiele der Hochgotik dar.

Auch im Langhaus erfüllt intensives Licht den knapp 30 Meter hohen Raum. Und für diesen Eindruck von großer Bedeutung ist neben der oberen Fensterzone das durchlichtete Triforium, das 1231 hier zum ersten Mal – zusammen mit Amiens - auftritt [5]. Der Begriff „Triforium“ kommt aus dem Altfranzösischen und bedeutet eigentlich „durchbrochene Arbeit“. Es ist dient als Laufgang in der Mauer zwischen dem unteren Arkadengeschoss und dem oberen Lichtgaden.

Nach einem langen Entwicklungsgang hat die Hochgotik eine raffinierte Idee entwickelt. Lange Zeit hatte das Triforium keine Fenster nach außen, nur Bogenöffnungen nach innen zum Hauptschiff hin, weil an der Außenseite das Dach des Seitenschiffes anlehnte. Jetzt, um 1231, kam man auf die Idee, aus dem traditionellen Pultdach des Seitenschiffes ein Satteldach zu machen, dessen Innenseite zur Hauptschiffmauer hin gesenkt ist und das dadurch auch in dieser Zone den Durchtritt von Licht ermöglichte.

Die Lichtregie, die die Baumeister der Gotik virtuos beherrschten, zielte nicht in erster Linie auf die Helligkeit im Kirchenraum, die immer abhängig ist vom Sonnenstand und vom Wetter, als Symbol für die Ewigkeit also ungeeignet. Es kam ihnen vielmehr an auf die magische Wirkung von farbigem Lichtes, auf das überirdische Erscheinungsbild einer durchleuteten Wand, auf ein überirdisch wirkendes Licht als Symbol für das Himmlische Jerusalem und das Paradies [6].

[Bearbeiten] Hans Jantzen und die „diaphane Struktur“

Hans Jantzen hat 1927 für dieses Phänomen den in der Kunstgeschichte bekannt gewordenen Begriff einer „diaphanen Struktur“ geprägt [7]. Er verwies darauf, dass es in der gotischen Lichtführung und auch in der Konstruktion der Wand darauf ankam, gleichsam zwei Schichten hintereinander zu setzen: eine sehr plastisch geformte, bedeutungsgeladene vordere Schicht und eine optische Raumschale dahinter, die wie eine Grundfläche wirkte, vor der die vordere Schicht sich abhebt. Und diesem Prinzip entsprachen auch die immer größer werdenden Fenster. Bei ihnen war das „Durchscheinende“ allein schon durch das Licht gegeben, bei der Wand musste dieser Effekt durch die Raumschale dahinter erst konstruiert werden.

Jantzen sieht „das Verhältnis der körperplastisch geformten Wand zu den dahinterliegenden Raumteilen als Verhältnis zwischen Körper und Grund. Das heißt: die Wand als Begrenzung des gesamten Langhausinnern ist nicht ohne den Raumgrund faßbar [...] Der Raumgrund selbst zeigt sich als optische Zone, die der Wand gleichsam hinterlegt ist. Im Terminus ‚Hinterlegung‘ spricht sich der Charakter der Bezogenheit vom Wandkörper zum Raumgrund aus. So will also der Begriff der diaphanen Struktur besagen, dass verschiedenartige Raumteile, die hinter dem Wandkörper (als Grenze des Hochschiffs) liegen, in ihrer Funktion als pure optische Erscheinung in die Stilbildung der Hochschiffwand eingreifen.“

Nach seiner Theorie ist das Mittelschiff in seiner ganzen Höhe von einer Raumschale mit verschiedener Tiefenschichtung umgeben, bei basilikalem Querschnitt in jedem Geschoss anders, doch werde jeweils das Prinzip der Zweischaligkeit gewahrt.

Es ging nicht um Helligkeit allein, sondern darum, eine gestaltete Fläche durchscheinend zu machen. Und genau dieser Funktion dienen nach Jantzens Auffassung auch das Triforium und die Empore. Beide sorgen dafür, dass sich ein Zwei-Schalen-System in der gotischen Mauer entwickelt. Eine vordere Wand wird wie ein Dia auf dem Hintergrund einer hinteren Raumschale transparent gemacht. Das Prinzip dieses „Diaphanen“ ist aus dem Kern des kultischen Vorgangs selbst zu deuten, der sich in der Kathedrale während des Gottesdienstes abspielt. In einem Paradox wird der Raum zum Symbol eines raumlosen, eines geistigen Zustandes.

Mit dem durchlichteten Triforium konnte endlich fast die gesamte Außenwand des Raumes gleichsam in Licht und Farbe aufgelöst werden. Es entstand dadurch eine ausdrucksstarke, expressive durchleuchtete Bildwand - denn zwischen das obere Fenstergeschoss und das unteren Arkadengeschoss, das von den Seitenschiffwänden her Licht einströmen ließ, kam jetzt als letztes, als drittes Glied das durchlichtete Triforium. Die gotische Tendenz zur Auflösung der Mauer und ihre Verwandlung in einen Lichtträger haben hier einen ersten Höhepunkt gefunden. Die Fenster der Kirche wurden allerdings 1793 weitgehend zerstört. Einige davon wurden 1848 von Viollet-le-Duc restauriert, Bruchteile und vollständige Fenster finden sich in Kirchen und Sammlungen in ganz Europa [8]

Die trägen Mauermassen der Romanik sind belebt worden, die Spannung des Raumes gesteigert und der gesamte Bau in ein System intensiver Bildwelten verwandelt. [9].

[Bearbeiten] Die Grablege der Könige

Die Königsgräber wurden während der Französischen Revolution im Jahr 1793 geschändet und die sterblichen Überreste unter einem Tumulus verscharrt. Während der Restauration wurden sie in ein Ossarium in der Krypta beigesetzt. Viollet-le-Duc restaurierte die Gräber und die Kirche.

Die Reste von fast 160 Königen, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen sowie zehn königliche Granden wurden aus ihren wertvollen Särgen und Sarkophagen gerissen und in nahe gelegenen Gruben verscharrt. 1817 ließ der wieder eingesetzte König Ludwig XVIII. die gemischten Gebeine ausgraben und in zwei unscheinbaren gemauerten Knochenschreinen in einem Seitenraum der Krypta beisetzen. Zum 200. Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI. am 21. Januar 1993 ist alles wieder richtig angeordnet worden.

[Bearbeiten] In Saint-Denis begrabene Herrscher

Grabmal von Ludwig XII. und Anne de Bretagne, Gemälde von 1867
Grabmal von Ludwig XII. und Anne de Bretagne, Gemälde von 1867
Grabmal von Franz I. in Saint-Denis
Grabmal von Franz I. in Saint-Denis
Grabmal in Saint-Denis
Grabmal in Saint-Denis
Grabmal in Saint-Denis
Grabmal in Saint-Denis
Grabmal in Saint-Denis
Grabmal in Saint-Denis
Doppelgrabmal von Ludwig XVI. und Marie-Antoinette
Doppelgrabmal von Ludwig XVI. und Marie-Antoinette
  • Arnegunde († um 565), Ehefrau Chlothars I. (ihr Grab wurde 1959 wiederentdeckt)

Ludwig der Heilige verweigerte die Beerdigung von Ingeborg von Dänemark, der Ehefrau Philipp Augusts.

[Bearbeiten] Weitere in der Basilika beerdigte Personen

  • Bertrand du Guesclin
  • Arnaud Guillaume de Barbazan
  • Karl II. von Alençon (im 19. Jahrhundert umgebettet)
  • NN von Artois (1776–1783), Petite-fille de France, Mademoiselle, erste Tochter Karls X.
  • NN von Artois (1783–1783), Petite-fille de France, Mademoiselle d'Angoulême, zweite Tochter Karls X.
  • Sophie von Frankreich (1786–1787), Fille de France, Madame Sophie, zweite Tochter Ludwigs XVI.
  • Ludwig von Frankreich (1781–1789), Dauphin de France, ältester Sohn Ludwigs XVI.
  • Louise Isabelle d'Artois (1817–1817), tituliert Petite-fille de France, Mademoiselle, älteste Tochter von Karl Ferdinand von Artois
  • Louis Joseph de Bourbon (1736–1818), Prince de Condé, duc de Bourbon, d'Enghien et de Guise
  • Louis d'Artois (1818–1818), tituliert Petit-fils de France, erster Sohn von Karl Ferdinand von Artois
  • Karl Ferdinand von Artois (1778–1820), Petit-fils de France, duc de Berry, zweiter Sohn Karls X.
  • Louis Henri Joseph de Bourbon (1756–1830), Prince de Condé, duc de Bourbon, d'Enghien et de Guise

[Bearbeiten] Äbte von Saint-Denis

Abt Suger von Saint-Denis
Abt Suger von Saint-Denis

[Bearbeiten] Besichtigung

Das Monument ist in zwei Teilen der Öffentlichkeit zugänglich:

  • Das Hauptschiff und die Seitenschiffe dienen weiterhin als katholische Kirche,
  • Das Querschiff, der Chor, der Chorumgang und die Krypta enthalten das Museum, in dem die Grabmäler der Herrscher Frankreichs sowie vieler ihrer Diener ausgestellt werden. Das Museum ist während der Messen geschlossen.

[Bearbeiten] Literatur

  • Abt Suger von Saint-Denis: Ausgewählte Schriften: Ordinatio, De consecratione, De administratione. Hrsg. von Günther Binding unter Mitarbeit von G. Annas, S. Linscheid-Burdich und M. Pickavé. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000.
  • Binding, Günther: Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140 – 1350. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000.
  • Mâle, Émile: Die Gotik. Die französische Kathedrale als Gesamtkunstwerk. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994.
  • Meulen, Jan van der; Speer, Andreas: Die Fränkische Königsabtei Saint-Denis: Ostanlage und Kultgeschichte, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1988.
  • Speer, Andreas: Abt Sugers Schriften zur fränkischen Königsabtei Saint-Denis, in: Speer, Andreas; Binding, Günther (Hrsg.): Abt Suger von Saint-Denis ausgwählte Schriften: Ordinatio, De consecratione, De administratione, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2000.
  • Wessel, Ruth: Die Sainte-Chapelle in Frankreich Genese, Funktion und Wandel eines sakralen Raumtyps: Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) durch die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Düsseldorf, 2003.
  • Winterfeld, Dethard von: Gedanken zu Sugers Bau in Saint-Denis, in: Engel, Ute; Kappel, Kai; Meier, Annette (Hrsg.) Dethard von Winterfeld: Meisterwerke mittelalterlicher Architektur: Beiträge und Biographie eines Bauforschers, Festgabe für Dethard von Winterfeld zum 65. Geburtstag, 1. Aufl., Regensburg: Schnell + Steiner, 2003.

[Bearbeiten] Einzelnachweise

  1. Binding, Günther: Architektonische Formenlehre. Darmstadt 1980, S. 101. Deswegen wurden sie auch mit erhöhenden Baugliedern wie Säulen, Giebeln und Portallöwen besetzt.
  2. Simson, Otto von: Die gotische Kathedrale. Darmstadt [1956] 3. Auflage 1979, S. 77
  3. Simson, Otto von: Die gotische Kathedrale. Darmstadt [1956] 3. Auflage 1979, S. 276-279
  4. Brooke, Christopher: Die Kathedrale in der mittelalterlichen Gesellschaft. In: Swaan, Wim: Die großen Kathedralen. Köln 1969, S. 51
  5. Binding, Günther: Architektonische Formenlehre. Darmstadt 1980, S. 132: erst seit 1260
  6. Simson, Otto von: Die gotische Kathedrale. Darmstadt [1956] 3. Auflage 1979, S. 14
  7. Jantzen, Hans: Über den gotischen Innenraum und andere Aufsätze. Berlin 1951. S. 7-20
  8. Lee, Lawrence / George Seddor / Francis Stephens: Die Welt der Glasfenster. Zwölf Jahrhunderte abendländischer Glasmalerei in über 500 Farbbildern. Farbbilder von Sonia Halliday und Laura Lushington. Freiburg/Breisgau 1977, S. 68
  9. Pevsner, Nikolaus: Europäische Architektur von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 3. Auflage 1973, S. 145

[Bearbeiten] Weblinks

commons:Hauptseite
Commons
Commons: Saint-Denis – Bilder, Videos und/oder Audiodateien

Koordinaten: 48° 56′ 7" n. Br., 2° 21′ 34" ö. L.

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