Betrug und Fälschung in der Wissenschaft
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Betrug und Fälschung in der Wissenschaft sind unwahre Behauptungen oder gefälschte Messergebnisse, die vorsätzlich (Betrug) publiziert werden. Das Nicht-Wahrhaben-Wollen widersprüchlicher Messergebnisse und tendenziöse Berichterstattung sowie Weglassen von Ergebnissen stellen dagegen minder schwere, aber dennoch für den Wissenschaftsbetrieb sehr schädliche Verhaltensweisen dar. Als Betrug in der Wissenschaft zählt auch das Plagiat und die Veröffentlichung der Arbeit von Ghostwritern unter eigenem Namen. In diesen Fällen sind die vertretenen Informationen bis auf den Autor aber im Allgemeinen korrekt. Universitäten und Forschungseinrichtungen versuchen in den letzten Jahren, mit der Verabschiedung von „Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis“ und Maßnahmen zum „Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten“ gegen solche Vorkommnisse vorzugehen.
Sonderfälle und Quellen für Missverständnisse
Im Einzelfall mag dabei die Abgrenzung zwischen Fälschung und wissenschaftlichem Witz für Außenstehende nicht sofort erkennbar sein.
Ursachen und Motivation
Die Ursachen und Motivation für Betrug und Fälschung in der Wissenschaft werden in der Regel individuell zu suchen sein. Es ist aber nicht auszuschließen, dass ganze Institute, soweit ihre finanzielle Ausstattung davon abhängt, Ergebnisse, die dem Auftraggeber konträr laufen, zumindest nicht veröffentlichen. Dies ist allerdings lediglich ein Grenzfall zu Betrug und Fälschung.
In Betracht kommen dabei häufig Ruhm und Ehre, die Forscher mit der Publikation neuer und sensationeller Erkenntnisse zu gewinnen suchen. Auf der anderen Seite können auch ein Publikationszwang und der Bedarf an Fördermitteln dazu führen, dass Versuchsdaten und Ergebnisse erfunden oder geschönt werden.
Nach der Aufdeckung von Fälschungen steht oft die Frage im Raum, warum die Fehler so lange unentdeckt blieben. Dabei handelt es sich teilweise jedoch nicht einfach um ein blindes Vertrauen in die Wissenschaft und ihre Forschungsergebnisse. Manchmal stehen strukturelle Mängel des Forschungsbetriebs einer Aufdeckung von Missständen im Weg:
- Universitäten und Forschungseinrichtungen fürchten um ihren Ruf, wenn bekannt wird, dass wissenschaftliche Fehler in ihrem Haus gemacht werden.
- Fachbereiche und Kollegen fürchten das Ausbleiben von Forschungsgeldern, wenn sie keine positiven Ergebnisse im Sinne der Geldgeber vorweisen können (siehe auch Problematik von Gutachten)
- Falls es sich bei dem Fälscher um einen Professor oder eine einflussreiche Koryphäe des Fachs handelt, sind Mitarbeiter und Kollegen für die eigene Karriere auf ein gutes Einvernehmen mit dem Fälscher angewiesen.
- Insbesondere wenn es sich bei einer fälschenden Koryphäe um den Leiter einer auf Jahre angelegten Projektgruppe handelt, würde ein Auffliegen des Schwindels meist auch zum Ende des Projektes und somit zu einer ungewissen Zukunft für die nachgeordneten Projektmitarbeiter führen.
Im Falle des Anthropologie-Professors Reiner Protsch versuchte eine interne Universitätskommission zu ergründen, warum Protschs Umfeld sein Verhalten jahrzehntelang tolerierte. Eine Mischung aus Angst, Ignoranz und falsch verstandener Solidarität, so die Diagnose, habe ein konsequentes Vorgehen von Fachbereich und Hochschulleitung gegen den Professor verhindert. Der Kommissionsbericht kritisiert, „dass die fehlende Sensibilität und Entschiedenheit bei Mitarbeitern, Kollegen, Dekanen sowie bei Hochschulleitung und -verwaltung konsequentes Handeln zu einem früheren Zeitpunkt vereitelt" habe.[1] Zudem habe man „Ausmaß und Tragweite des Fehlverhaltens von Protsch offensichtlich falsch eingeschätzt und es deshalb nicht konsequent verfolgt." Dieses Versagen der Universitätsangehörigen habe dazu geführt, dass Protsch „das Amt eines Universitätsprofessors in hohem Maße missbraucht und sich fachlich wie durch seine Amtsführung hierfür disqualifiziert“ habe.[2]
Nach dem Experimentalphysiker H.-J. Queisser wirken persönliche Kontakte in der Forschung dem wissenschaftlichen Betrug entgegen.[3]
Auswirkungen
Die Auswirkungen wissenschaftlicher Fälschungen sind je nach Forschungsbereich unterschiedlich ausgeprägt. Während in den anwendungsnahen Wissenschaftszweigen der Praxistest die Wahrheit sehr bald an den Tag bringt, ist eine Aufdeckung in den Grundlagenforschungen eher langfristig oder gar nicht zu erwarten.
Der Experimentalphysiker H.-J. Queisser dagegen vertritt z. B. die Auffassung, wissenschaftlicher Betrug wirke „längst nicht so dramatisch und nachhaltig wie Betrug in anderen Bereichen“[3]. Unentdeckte Fälschungen würden mit der Zeit vergessen und von der Bildfläche verschwinden.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft weist in ihrer Statistik über die Anrufung des Ombudsmannes zur Einhaltung ihrer Empfehlungen für gute wissenschaftliche Praxis eine jährliche Zunahme der Fälle unkorrekten Verhaltens aus und befürchtet einen Vertrauensschwund für die Wissenschaft.
Beispiele
Die folgenden Fälle von Betrug und Fälschung haben Aufsehen über ihr Fachgebiet hinaus erregt:
In den Geisteswissenschaften
- Die Sokal-Affäre: Im Mai 1996 veröffentlichte die Zeitschrift Social Text den Artikel „Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity” („Grenzen überschreiten: Unterwegs zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation“) des Physikers Alan Sokal. Kurz darauf gab Sokal in einer anderen Zeitschrift, Lingua Franca, bekannt, dass es sich bei dem Aufsatz um eine Parodie handele, die er verfasst habe, „um einen gegenwärtig modischen postmodernen/poststrukturalistischen/ gesellschaftskonstruktivistischen Diskurs und, allgemeiner, einen Hang zum Subjektivismus zu bekämpfen“. Er hatte die zusammengesuchten Zitate verschiedener postmoderner Denker mit dem typischen Jargon dieser Denkrichtung zu einem Text montiert, dessen unsinniger Inhalt bei Beachtung wissenschaftlicher Standards, so der Vorwurf an die Herausgeber von Social Text, als solcher hätte erkannt werden müssen.
Fälschungen von Geschichtsquellen
- Die Konstantinische Schenkung ist eine Fälschung, die den Herrschaftsanspruch des Papstes im Allgemeinen und über den Kirchenstaat im Besonderen legitimieren sollte.
- Der Kaplan Albert Wilkens fälschte eine Gründungsurkunde für das Stift Nottuln und erfand 250 Jahre Stiftsgeschichte, um als Heimatforscher anerkannt zu werden.
- Die Protokolle der Weisen von Zion sind ein antisemitisches Pamphlet, das die Existenz einer jüdischen Weltverschwörung untermauern sollten.
- Der ehemalige Nationalsozialist Hermann Rauschning veröffentlichte im Zürcher Exil ausführliche Aufzeichnungen seiner angeblichen Gespräche mit Hitler, die ein Bestseller wurden und lange Zeit als authentische Selbstaussagen Hitlers von der Forschung genutzt wurden. In Wirklichkeit hatte Rauschning Hitler nur selten persönlich getroffen, und auch dann nie unter vier Augen.
- Emil Lachout verfasste ein auf den 1. Oktober 1948 datiertes Rundschreiben, das den Einsatz von Giftgas in einigen Konzentrationslagern widerlegen sollte.
- Ein Brief, den der ehemalige General und rechtsextreme Verschwörungstheoretiker Erich Ludendorff 1933 an seinen ehemaligen Vorgesetzten, den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg geschrieben haben soll, um ihn davor zu warnen, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, wurde in den neunziger Jahren als Fälschung enttarnt.
- Das "Dossiers Secrets" in Bibliothèque Nationale in Paris, es sollte das Wirken der angeblich seit Jahrhunderten existierenden Prieuré de Sion nachweisen und Pierre Plantard, den Fälscher, zum rechtmäßigen Nachfolger der Merowinger erklären.
- Die Hitler-Tagebücher, die die Illustrierte Stern 1983 mit großem Aplomb veröffentlichte („Die Geschichte des Nationalsozialismus muss neu geschrieben werden!“), erwiesen sich rasch als Machwerk des geschickten Fälschers Konrad Kujau.
- 1987 wurde die Laichinger Hungerchronik als antijüdische Fälschung entlarvt.
Fälschungen in der Archäologie
- Nach dem spektakulären Fund der Mescha-Stele 1868 wurden um 1870 zahlreiche Inschriften und Artefakte gefälscht, die sogenannten Moabitica.
- Der Runenstein von Kensington galt jahrelang als Beweis dafür, dass die Wikinger in den USA bis an das Ende der Großen Seen in die Gegend um das heutige Duluth (Minnesota) vorgedrungen waren.
- Die gefälschte so genannte „Persische Mumie“ führte im Jahr 2000 zu Spannungen zwischen dem Iran und Pakistan.
- Die Arbeiten des verstorbenen "Moorleichen-Papstes" Alfred Dieck waren wichtige Grundlage für Vorstellungen über germanische Kultur und Bestattungsriten. Bei der Auswertung seines wissenschaftlichen Nachlasses 1993 durch Sabine Eisenbeiß im Rahmen ihrer Magisterarbeit stellten sich Diecks Werke teilweise als stark ausgeschmückt oder sogar frei erfunden dar.[4]
- Shinichi Fujimura war in den 1980er- und 1990er-Jahren in ganz Japan bekannt für seine "göttlichen Hände", Artefakte aus der Steinzeit zu entdecken, die zum Teil angeblich bis zu 700.000 Jahre alt waren. Im Jahr 2000 veröffentlichte dann die Zeitung Mainichi Shimbun Fotos, auf denen zu sehen war, wie der damals 50jährige Fujimura Steinwerkzeuge in zuvor von ihm ausgehobenen Löchern vergrub. Fujimura entschuldigte sich unter Tränen vor laufenden Fernsehkameras für sein Verhalten und gab zu, sämtliche Funde aus insgesamt 168 Grabungsstellen gefälscht zu haben. Dies hatte zur Folge, dass die Darstellung des Paläolithikum in japanischen Lehrbüchern umgeschrieben werden musste. Das Paläolithik-Institut von Tōhoku, dessen Vizepräsident er war, wurde 2004 aufgelöst, Fujimura kam zeitweise in eine Nervenklinik. [5]
Fälschungen in der Anthropologie
- Der ehemalige Frankfurter Anthropologe Reiner Protsch hat nach Angaben einer Untersuchungskommission Schädelfunde aus der menschlichen Vorgeschichte bewusst und systematisch rückdatiert, teilweise um Zehntausende von Jahren.
Fälschungen in der Paläontologie
- Würzburger Lügensteine: 1725 wurden dem Würzburger Wissenschaftler Johannes Bartholomäus Adam Beringer Kalksteine mit nachgebildeten, heute skurril anmutende „Fossilien“ untergeschoben.
- Der Goldschmied L. Barth aus Stein am Rhein handelte zwischen 1820 und 1870 erfolgreich mit jungtertiären Fossilien aus dem Fundort Öhningen, woher auch jener Riesensalamander stammt, der infolge einer Fehlinterpretation durch Johann Jakob Scheuchzer (er deutete ihn als während der Sintflut ertrunkenen Menschen) bekannt wurde. Barths Handel lief so gut, dass er schließlich die Nachfrage nicht mehr befriedigen konnte und gefälschte Stücke abgab. Als seine bekannteste Eigenproduktion gilt ein Vogel, den er mit großer Kunstfertigkeit aus Fischknochen zusammensetzte. [6]
- Thomas Henry Huxley veröffentlichte 1864 die „Rekonstruktion“ eines Belemniten aus der Ordnung Phragmoteuthida, die Jahrzehnte lang für andere Autoren als Vorlage beim Beschreiben neuer Funde diente. Wie sich schließlich herausstellte, hatte Huxley an den fossilen Weichteilabdruck eines Phragmoteuthida-Individuums das Rostrum eines Individuums aus einer anderen Ordnung geklebt. [7]
- Archaeoraptor, ein angeblicher Urvogel [8]
Fälschungen in der Biologie
- Ernst Haeckel publizierte erstmals 1868 im Buch „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ und dann erneut 1874 in „Anthropogenie und Entwicklungsgeschichte des Menschen“ Bildtafeln, auf denen Embryonen unterschiedlicher Tierarten und des Menschen dargestellt und mit einander verglichen wurden. Alle Embryonen waren gleich groß und stark stilisiert gezeichnet und sollten Haeckels so genanntes Biogenetisches Grundgesetz belegen, dem zufolge die Ontogenie die Phylogenie rekapituliert, oder anders formuliert: Die Embryonalentwicklung sei eine verkürzte Wiederholung der Stammesgeschichte. Der Würzburger Anatomieprofessor Carl Semper bezeichnete diese Abbildungen bereits 1875 in einer Publikation als „Fälschungen“, und zuletzt 1998 wies der britische Entwicklungsbiologe Michael Richardson anhand von Vergleichsfotos der von Haeckel ausgewählten Arten in der Fachzeitschrift Science[9] auf erhebliche Unterschiede zwischen Haeckels Zeichnungen und den tatsächlichen anatomischen Gegebenheiten der Embryonen hin und stellte seine Vergleichsstudie im Internet zum Download ein.[10] Auch die Embryologin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard sagte 2003 in einem Gespräch mit der „Zeit“: „Ernst Haeckel hat gefälscht. Viele seiner Bilder von Organismen sind schlicht erfunden, um seine Theorie zu bestätigen.“ [11] Dennoch werden die Haeckel'schen Vergleiche bis in die Gegenwart hinein in Fachbüchern unkritisch nachgedruckt, u.a. noch 2003 in Ernst Mayrs „Das ist Evolution“.[12]
- Lyssenko-Biologie. Mit Unterstützung der politischen Macht, vor allem Josef Stalins, wurde diese Lehre verbreitet, das Gedankengut der klassischen Genetik unterdrückt und Wissenschaftler mit anderer Auffassung bedroht, verbannt oder gar getötet. Die „Experimente“, mit denen er seine Theorien „belegte“, u. a. zur Umwandlung von Arten, konnten von anderen Forschern niemals reproduziert werden.
- Der Zoologe Paul Kammerer oder einer seiner Mitarbeiter fälschte in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts Experimente mit Geburtshelferkröten, um die Vererbung erworbener Eigenschaften (Lamarckismus) nachzuweisen. Nach der Aufdeckung der Fälschungen beging Kammerer Selbstmord.
- Franz Moewus und die „geschlechtliche Vermehrung“ von Algen.
- Emil Abderhaldens "Abwehrfermente".
- Im Jahr 2003 wurde Prof. Heinz Breer (Institut für Physiologie der Universität Hohenheim) und Dr. Johannes Noé (Universität Zürich) "wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens im Zusammenhang mit der Publikation 'Noé/Breer, Journal of Neurochemistry, Vol. 71, S. 2286-2293, 1998'" durch den Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Rüge erteilt. Die Rüge ist auf der Skala der DFG-Sanktionen die mildeste Form. Wörtlich hieß es in einer Stellungnahme der DFG: "Danach ist festzuhalten, dass den Abbildungen 6b und 8b der Publikation eine Datenmanipulation zugrunde liegt. Die DFG kommt zu der Überzeugung, dass die von Breer und Noé eingeräumte Ersetzung von Primer-Banden durch Hintergrund zwar nicht zu einer Änderung der mit der Abbildung verbundenen wissenschaftlichen Kernaussage führe, dennoch werde der Eindruck hervorgerufen, dass der dem Experiment zugrunde liegende Primer vollständig verbraucht worden sei. Auf das Entfernen hätte in der Publikation hingewiesen werden müssen. Dass dies nicht geschehen sei, wertet die DFG als wissenschaftliches Fehlverhalten. Da die Schönung der Daten die wissenschaftliche Aussage der Publikation nicht berühre, sei eine Rüge allerdings ausreichend."[13]
Fälschungen in der Medizin
- Dem Radiologen Robert Slutsky wurde Mitte der 1980er-Jahre von der University of California, San Diego, nachgewiesen, dass er wiederholt unkorrekte Daten in Fachzeitschriften veröffentlich hatte. Die Fachzeitschrift Science berichtete im April 2006, 18 seiner 60 Veröffentlichungen seien wegen gefälschter oder zumindest fragwürdiger Daten widerrufen worden.
- Der Biologe und Mediziner Karl Illmensee behauptete im Jahr 1981 drei Mäuse geklont zu haben. Seine Versuche hielten jedoch einer Überprüfung nicht stand.
- Friedhelm Herrmann und Marion Brach, Die bisher größte Affäre in der deutschen Krebsforschung (lt.: Betrug und Täuschung in den Sozial- und Kulturwissenschaften (pdf))
- Roland Mertelsmann, Wolfram Brugger und Lothar Kanz (Kommentar von Ulrich Schnabel in Die Zeit Nr. 20/2001); Mertelsmann und Kanz wurden schon 2002 wieder in das wissenschaftliche Komitee der Jahrestagung der Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie berufen.
- Die Signifikanz der Hochdosis-Chemotherapie bei Brustkrebs wurde von Werner Bezwoda gefälscht; er gab dies später im Deutschen Ärzteblatt[14] offiziell zu.
- Die falschen Diagnosen eines Pathologen bei Brustkrebsverdacht; der „Essener Brustkrebsskandal“
- Der „Fall Gelsinger“: Gentherapie mit Todesfolge und Geheimniskrämerei Auflagen nach Tod durch Gentherapie – USA wollen kritische Experimente stärker kontrollieren
- Der kanadische Forscher Eric Poehlman vom Vermont College of Medicine forschte jahrelang auf dem Gebiet der Menopause, des Alterns und der Fettleibigkeit. Bereits im Jahr 2000 wurden Vorwürfe gegen die Glaubwürdigkeit seiner Studien laut, aber erst im Jahr 2005 wies ihm eine Untersuchungskommission der University of Vermont nach, dass 10 seiner Veröffentlichungen verfälschte Daten enthielten. Wegen unkorrekter Angaben in Anträgen auf Forschungsförderungen wurden juristische Schritte gegen ihn eingeleitet.
- „Impfung gegen Krebs“ (vermeintliche Therapie gegen Nierenzellkarzinom): Alexander Kugler, Urologe an der Universität Göttingen, und Gernot Stuhler von der Universität Tübingen wurden 2001 methodische Ungenauigkeiten vorgeworfen. Kuglers Vorgesetzter Rolf-Hermann Ringert wird 2005 von der DFG für acht Jahre von Drittmitteln und Gutachten ausgesperrt.[15]
- Dem koreanischen Stammzellforscher Hwang Woo-suk wurde Ende 2005 von einer Untersuchungskommission seiner Hochschule nachgewiesen, einen in der Zeitschrift Science veröffentlichten, spektakulären Forschungsbericht über die Kultivierung von elf geklonten humanen Stammzell-Linien vollständig gefälscht zu haben. Seinem zeitweiligen Mitarbeiter Park Jong-Hyuk wurde Anfang 2007 von der University of Pittsburgh bescheinigt, ebenfalls Daten gefälscht und die Untersuchungskommission der Universität belogen zu haben. Park hatte bis 2004 im Labor von Hwang gearbeitet und war danach nach Pittsburgh gewechselt. Im Januar 2006 waren einem US-Kollegen Unkorrektheiten in einer von Park für Nature geschriebenen Veröffentlichung aufgefallen. Park hatte die Fälschungen abgestritten, jedoch kurz nach Beginn der Untersuchungen die beweiskräftigen Daten vom Labor-Server gelöscht und war danach mit unbekanntem Ziel aus den USA abgereist. [16]
- Der norwegische Krebsforscher Jon Sudbø gab im Januar 2006 zu, mehrere hundert Patientendaten von Mundkrebskranken frei erfunden, sie zu einer Studie verarbeitet und diese in der angesehenen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht zu haben. Die Aussage dieser Fälschung war, dass das Risiko für Mundkrebs bei Rauchern angeblich auf die Hälfte gesenkt werden könne, wenn man über längere Zeit Paracetamol einnehme.
- Der japanische Biochemiker Kazunari Taira wurde Anfang 2006 von der Universität von Tokio vom Dienst suspendiert, nachdem er die Daten mehrerer, in hochrangigen Fachzeitschriften veröffentlichten Studien auf dem Gebiet der RNA-Interferenz nicht reproduzieren konnte. Auch konnte er weder die Rohdaten zu den Publikationen noch Labortagebücher vorweisen.[17]
- Leipziger Homöopathie-Studie: Eine Studie aus dem Jahr 2003, die angeblich einen empirischen Nachweis der Wirksamkeit hochpotenzierter Homöopathika geliefert hatte, wurde Ende 2005 zurückgezogen. Ein Forschungspreis, der den Forschern (der Apothekerin Franziska Schmidt und den Pharmakologen Prof. Dr. Karen Nieber und Prof. Dr. Wolfgang Süß) zugesprochen worden war, wurde zurückgegeben. Der Chemiker Dr. Klaus Keck (Konstanz), der Mathematiker Prof. Gerhard Bruhn (Darmstadt) und der Geophysiker Prof. Erhard Wielandt (Stuttgart) hatten zuvor öffentlich bemängelt, dass die Ergebnisse der Studie nicht auf objektiven Messungen, sondern auf "vorurteils- und methodisch bedingten Messfehlern" beruhten.
- Der Strahlungsonkologe Steven Leadon von der University of North Carolina at Chapel Hill verlor seine Professur, nachdem ein Universitätsausschuss ihn schuldig gesprochen hatte, in einem 1997 in Science erschienenen Artikel gefälschte Daten veröffentlicht zu haben. Der Artikel, der zurückgezogen wurde, hatte den Einfluss des Brustkrebsgens BRCA-1 auf die zelleigenen DNA-Reparaturmechanismen zum Inhalt. Am 8. Juni 2006 sprach ihn auch das US Office of Research Integrity schuldig. Die Untersuchungen hätten zum Ergebnis geführt, dass insgesamt acht Publikationen von Datenmanipulationen betroffen gewesen seien. In einer Abmachung verpflichtete sich Leadon, drei weitere Publikationen zurückzuziehen und fünf Jahre lang keine staatlichen Forschungsgelder zu beantragen. Leadon bestritt auch nach dieser Abmachung jedes Fehlverhalten. Er habe der Abmachung nur zugestimmt, weil er die Kosten für den Klageweg nicht aufbringen könne. [18]
Fälschungen in der Physik
- Galileo Galilei wurde wiederholt vorgeworfen, einige der von ihm beschriebenen und als Beleg für die Korrektheit seiner Theorien ausgegebenen Experimente niemals selbst durchgeführt zu haben. Federico Di Trocchio etwa schrieb über das Experiment mit der schiefen Ebene:
-
- „Entweder hatte Galilei das Experiment nie durchgeführt, oder er hatte seine Ergebnisse nicht mit der nötigen Genauigkeit wiedergegeben.“ [19]
- Der Wissenschaftshistoriker Alexandre Koyré, der durch seine Études galiléennes als Galilei-Kenner ausgewiesen ist, hat behauptet, dass viele Experimente Galileis mit den Anfang des 17. Jahrhunderts verfügbaren Mitteln gar nicht zu realisieren gewesen seien. Er weist darauf hin, dass Galilei in seinen Schriften kaum jemals einen konkreten Wert angibt, und wenn doch – wie im Dialog – er jedes Mal völlig falsch liegt. So soll eine Kugel innerhalb einer Sekunde vier Ellen tief gefallen sein, das ist weniger als die Hälfte des Wertes, der nach dem Fallgesetz zu erwarten gewesen wäre. Koyré führt das Problem auf die Messmethoden zurück; um etwa die Zeit zu messen, wog Galilei die in einem bestimmten Zeitraum aus einem Gefäß abgeflossene Wassermenge mit einer Goldwaage (es gab noch keine mechanische Uhren, mit denen man Sekunden messen konnte). Nach Alexandre Koyré sind solche Messmethoden zu ungenau, um die gefundenen Gesetze abzuleiten:
- „So befindet sich die moderne Naturwissenschaft in ihren Anfängen in einer ziemlich seltsamen und sogar paradoxen Lage: Ihr Prinzip ist die Genauigkeit, sie behauptet, daß die Wirklichkeit in ihrem Wesen geometrisch und folglich Gegenstand strenger Determination und Messung ist [...]; sie entdeckt und formuliert (mathematisch) Gesetze, welche es erlauben, die Lage und die Geschwindigkeit eines Körpers an jedem Punkt seiner Flugbahn und in jedem Augenblick seiner Bewegung abzuleiten und zu berechnen, und ist außerstande, sie zu benutzen, weil sie keine Mittel hat, eine Zeitdauer zu bestimmen oder eine Geschwindigkeit zu messen.“[20]
- Dem hat Stillman Drake widersprochen.[21] Er hat handschriftliche Notizen analysiert, in denen Galilei zum Beispiel ein Experiment zur Flugbahn einer fallenden Kugel mit unterschiedlichen anfänglichen Horizontalgeschwindigkeiten aufgezeichnet hat. Dabei notiert Galilei den von ihm erwarteten Wert für die Flugweite der Kugel sowie den gemessenen Wert, wobei die größte Abweichung knapp vier Prozent beträgt. Zumindest in diesem Fall sieht alles danach aus, dass Galilei den Versuch tatsächlich durchgeführt hat. Der Eindruck der Fälschung mag auch damit zusammenhängen, dass Galilei später in den Discorsi nur noch die gefundenen Gesetze, aber nicht mehr die zugrunde liegenden Versuchsergebnisse veröffentlicht hat.
- Rene Blondlot, N-Strahlen, wahrscheinlich Selbsttäuschung.
- Jan Hendrik Schön, Nano-Physiker, fälschte Messdaten zum elektronischen Verhalten organischer Strukturen. Schön galt 2002 bereits als Nobelpreis-Anwärter, als der Betrug aufgedeckt wurde: Seine Messergebnisse konnten nicht reproduziert werden.
- Victor Ninov, fälschte Messdaten über die angebliche Erzeugung von zwei neuen chemischen Elementen (Schwerionen).
- Stanley Pons und Martin Fleischmann mit der vermeintlich von ihnen entdeckten kalten Fusion.
- Rusi P. Taleyarkhan von der Purdue University wird seit mehreren Jahren vorgehalten, seine Experimente zur Bläschenfusion seien nicht reproduzierbar. Dies veranlasste im Frühjahr 2007 schließlich den Ausschuss für Wissenschaft und Technologie des US-Repräsentantenhauses zu einer eigenen Untersuchung, [22] nachdem eine Überprüfung des möglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens durch die Heimatuniversität u.a. in der Fachzeitschrift Nature als undurchsichtig kritisiert worden war. [23]
Fälschungen im Gebiet der Mikroelektronik
Der vormalige Starforscher und Dekan des Instituts für Mikroelektronik der Jiaotong-Universität von Shanghai, Chen Jin, wurde im Mai 2006 entlassen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der von ihm angeblich im Jahr 2003 entwickelter Hanxin-Mikrochip in Wirklichkeit ein bloß äußerlich veränderter Chip des US-Herstellers Freescale Semiconductor war. In chinesischen Presseberichten hieß es, Chen habe Wanderarbeiter damit beauftragt, den US-Firmennamen von den Chips zu kratzen und mit dem Hanxin-Logo zu beschriften.
Wegen seiner angeblichen Erfindung war Chen seit 2003 vom chinesischen Staat wiederholt mit offiziellen Anerkennungen ausgezeichnet und mit – selbst für europäische Verhältnisse – imposanten Forschungsgeldern belohnt worden.[24]
Umstrittenes
- In der Reichstagsbrand-Kontroverse griffen Historiker um Walter Hofer die Alleintäterschaftsthese an und warfen namentlich Fritz Tobias und Hans Mommsen vor, Gutachten verfälscht und unglaubwürdige Zeugenaussagen verwendet zu haben. Diese konterten mit dem Vorwurf, Hofer und der 2003 verstorbene kroatische Publizist Edouard Calic hätten in ihren beiden Dokumentationen von 1972 und 1978 gefälschte Quellen eingesetzt. Calic hatte erklärt, dass er die Originale der Dokumente nicht mehr besitze und nicht herbeischaffen könne, so dass die ehrenrührigen Fälschungsvorwürfe weiter im Raum standen.
- Die Vinland-Karte ist eine Weltkarte, deren Echtheit umstritten ist. Sollte sie echt sein, so wäre sie die früheste Karte, die die Küste Nordamerikas kartiert.
- Cyril Burt war bis zu seinem Tod ein hochgeachteter Zwillingsforscher, dessen Nachlass jedoch Zweifel an der Seriosität seiner Studien aufkommen ließ.
Siehe auch
Literatur
- William Broad, Nicholas Wade: Betrug und Täuschung in der Wissenschaft., ISBN 3764315601
- Karl Corino (Hrsg.): Gefälscht! Betrug in Politik, Literatur, Wissenschaft, Kunst und Musik, Eichborn Verlag Frankfurt 1990, ISBN 3821811315
- Federico Di Trocchio: Der große Schwindel. Betrug und Fälschung in der Wissenschaft. Campus Verlag, 1994, ISBN 3-593-35116-1
- Marco Finetti, Armin Himmelrath: Der Sündenfall, ISBN 3-88649-351-2
- Junge, Torsten und Ohlhoff. Dörthe: Wahnsinnig genial. Der Mad Scientist Reader, ISBN 3932710797, Alibri Verlag Aschaffenburg.
- Heinrich Zankl: Fälscher, Schwindler, Scharlatane. Betrug in Forschung und Wissenschaft. Wiley-VCH-Verlag, 2003, ISBN 3-527-30710-9
- Peter Haffner, Hania Luczak: Fälschungen in der Forschung. In: Geo 03/März 2003, Seiten 120-138.
- Jennifer Couzin, Katherine Unger: Cleaning up the paper trail. In: Science Band 312 vom 7. April 2006, S. 38 - 43 (ein Artikel über die - geringen - Folgen nachgewiesenen Betrugs für die Betrüger)
- Gerhard Fröhlich: Betrug und Täuschung in den Sozial- und Kulturwissenschaften, in: Hug, T. (Hg.), Wie kommt die Wissenschaft zu ihrem Wissen? Hohengehren / Baltmannsweiler: Schneider Verlag, S. 261-273; online: http://www.iwp.uni-linz.ac.at/lxe/wt2k/pdf/BetrugWissenschaft.pdf
Quellen
- ↑ [1] Pressemitteilung Nr. 37/2005 der Universität Frankfurt vom 17. Februar 2005
- ↑ Pressemitteilung Nr. 38/2005 der Universität Frankfurt vom 17. Februar 2005
- ↑ a b * Hans-Joachim Queisser: Veröffentliche oder verende! Was uns der Betrugsfall Jan Hendrik Schön über die moderne Wissenschaftskultur lehrt / Von Hans-Joachim Queisser. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 229, 2. Oktober 2002, S. 50
- ↑ [2] Bericht des Wissenschaftsmagazins nano vom Juni 2006 über den Schwindel mit Moorleichen
- ↑ Where are they now? Eine Nachschau zu wissenschaftlichen Fälschungen in: Nature Band 445 vom 18. Januar 2007, S. 244-245
- ↑ Manfred Deckers: Die Würzburger Lügensteine und andere Fälschungen von Fossilien. In: Zum Thema Fälschungen. "DIAGONAL - Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule-Siegen", 1994 (Heft 2), S. 69, ISSN 0938-7161
- ↑ Manfred Deckers: Die Würzburger Lügensteine und andere Fälschungen von Fossilien. In: Zum Thema Fälschungen. "DIAGONAL - Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule-Siegen", 1994 (Heft 2), S. 69, ISSN 0938-7161
- ↑ Wie der Archaeoraptor gefälscht wurde, Das gefälschte Fossil
- ↑ Richardson, M. K. u.a.: Haeckel, Embryos and Evolution. Science, Band 280 (1998), S. 983-986
- ↑ http://www.mk-richardson.com/images.htm
- ↑ www.zeit.de DIE ZEIT 22/2003
- ↑ Julia Voss: Biologie in schneidigem Kreuzritterton. Täuschende Bilder der Evolutionsgeschichte.FAZ vom 3. Januar 2007, S. N3
- ↑ www.dfg.de Pressemitteilung der DFG Nr. 48 vom 23. Oktober 2003; siehe auch www.zeit.de: Müde Schnüffler im Labor, Die Zeit vom 15.05.2003 und science.orf.at: Datenmanipulation und Betrug in den Wissenschaften
- ↑ (Nr. 7., 18. Februar 2000, S. 336)
- ↑ Harro Albrecht: „Das Ende der Nachsicht“ in: Die Zeit Nr. 29/2005, S. 36
- ↑ Korean stem-cell fraud claims another victim. "Nature", Band 445 vom 18. Januar 2007, S. 247
- ↑ Science Band 311 vom 3. Februar 2006, S. 595; vergl. a.a.O. vom 23. September 2005, S. 1973; Nature 439 vom 2. Februar 2006, S. 514
- ↑ "Nature" Band. 441 vom 22. Juni 2006, S. 920 f.
- ↑ So u.a. Federico Di Trocchio in Der große Schwindel (Campus Verlag, 1994, S. 16 ff.)
- ↑ zitiert nach: Alexandre Koyré: Leonardo, Galilei, Pascal: Die Anfänge der neuzeitlichen Naturwissenschaft. (Frankfurt: Fischer, 1998), S. 157f.
- ↑ (auf Deutsch dargestellt in: Enrico Bellone: Galilei: Leben und Werk eines unruhigen Geistes. (Heidelberg: Spektrum der Wissenschaft, 1998), S. 45-48)
- ↑ Süddeutsche Zeitung vom 27. März 2007, S. 18
- ↑ Nature Band 445 vom 15. Februar 2007, S. 890 f.
- ↑ Süddeutsche Zeitung Nr. 112 vom 16. Mai 2006, S. 22
Weblinks
- Zeitschrift heureka! 4/99 Diverse Texte zum Thema Betrug in den Wissenschaften
- Deutschlandfunk: Wahrheitssucher auf Abwegen Mogelnde Forscher und ihre Motive
- Archæological Forgeries (diverse archäologische Fallbeispiele, auf Englisch)
- Ein Scharlatan der Evolutionsbiologie Ein weiteres Beispiel zum Thema Lyssenkoismus
- FAZ vom 17.Februar 2005 zum Fall Protsch
- Regeln guter wissenschaftlicher Praxis der DFG (pdf)
- Webseite des Ombudsmanns des DFG für Fragen des wissenschaftliche Fehlverhaltens