Deutsche Frage
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Mit dem Begriff der „Deutschen Frage“ wurde in der Regel die staatliche Einheit der Deutschen behandelt. Im folgenden soll diese Frage in verschiedenen Zeitabschnitten kurz umrissen werden.
[Bearbeiten] Entstehung der „Deutschen Frage“ nach dem Zusammenbruch des Reiches (1806)
Auf dem Kerngebiet des heutigen Deutschland entstand als östliche Erbschaft des Frankenreichs Karls des Großen ein Reich, das mit seinem Titel Heiliges Römisches Reich den Konflikt mit dem Nachfolger des römischen Imperiums, dem byzantinischen Reich, herausforderte. Später wurde der Nachsatz deutscher Nation in den Reichstitel aufgenommen. In diesem vormals stammesbündlerischen, im Mittelalter Reich der Königs- und Fürstentümer, lebten verschiedene Völker, aus deren Sprache sich das Deutsche entwickelte.
Im 18. Jahrhundert entstand der preußisch-österreichische Dualismus im Reich, der zu kriegerischen Auseinandersetzungen dieser beiden Mächte führte (u.a. Siebenjähriger Krieg). Die Macht des deutschen Kaisers Franz II. über die nunmehr auch Staaten zu nennenden Reichsstände wurde indes immer geringer, und diese gerieten dann in den Einfluss des napoleonischen Frankreich.
Als Franz II. auf Druck Napoleons die Kaiserkrone niederlegen musste, und 16 süd- und westdeutsche Reichsstände sich 1806 vom Reich lossagen, um sich im von Napoleon protegierten deutschen Rheinbund zu formieren, war das Reich zerfallen ("Franzosenzeit"), wobei Franz II. jedoch Kaiser des von ihm 1804 gegründeten Kaisertums Österreich blieb.
Mit der Niederlegung der deutschen Kaiserkrone begann ab 1806 die „Deutsche Frage“ im eigentlichen Sinne.
[Bearbeiten] Die „Deutsche Frage“ während der Befreiungskriege (1813–1815)
Mit dem Beginn der Befreiungskriege gegen Frankreich, stellte das damalige Preußen als erster deutscher Staat die „Deutsche Frage“. Deren Königshaus, die Hohenzollern, forderten nun die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches.
Dieser Hauptforderung schlossen sich bis 1815 viele Deutsche an, während sie von den übrigen Herrscherhäusern Deutschlands abgelehnt wurde.
Aber der deutsche Adel musste sich ohnehin über die für seinen Stand katastrophalen Ergebnisse der französische Revolution empören, die politisch als Bestrebung zu „nationaler Einigung“ in vielen europäischen Ländern Anhänger fand. Der resultierende französische Einfluss aufgrund dessen Vorreiterrolle konnte in dem Deutschland, das sich gerade erst von Napoleon befreit hatte, aber nicht gedeihen und schlug in unverhohlenen Revanchismus gegenüber Frankreich um.
[Bearbeiten] Die „Deutsche Frage“ zur Zeit des Deutschen Bundes (1815–1866)
1815 kam es zur Gründung eines Deutschen Bundes, mit dem die „Deutsche Frage“ nach außen hin abgeschlossen wurde. Doch beim nationalliberal gesinnten Bürgertum bestand sie weiter, dieses forderte ein einheitliches Deutsches Reich und keinen losen Bund der deutschen Fürstenhäuser.
1848/49 kam es zu Revolutionen im Deutschen Bund. Und die „Deutsche Frage“ stand nun wieder auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Nach der Wahl einer deutschen Nationalversammlung als gesamtdeutsches Parlament sollte der Deutsche Bund nun in ein Deutsches Reich umgewandelt werden. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob das neu zu schaffende Deutsche Reich ein „Großdeutschland“ oder vielmehr ein „Kleindeutschland“ sein sollte. Beim ersteren wäre die Macht beim katholischen Süden unter der Führung Österreichs verblieben, beim letzteren wäre sie an den protestantischen Norden unter der Führung Preußens gefallen.
1866 kam es in der Frage um die Vorherrschaft in Deutschland zwischen Österreich und Preußen zum „Großen Krieg“, den Preußen für sich entscheiden konnte.
[Bearbeiten] Die „Deutsche Frage“ zur Zeit des Norddeutschen Bundes (1867–1871)
Mit der Beendigung des Deutschen Bruderkrieges wurde 1866/67 der Deutsche Bund aufgelöst. Die Mehrheit der Deutschen war nun im preußisch dominierten Norddeutschen Bund vereinigt.
Mit einer weiteren kriegerischen Auseinandersetzung, dem Deutsch-Französischen Krieg, kam es am 1. Januar 1871 zur Gründung des Deutschen Reiches.Bismarck überzeugte die süddeutschen Staaten zum Beitritt und das Deutsche Reich wurde mit der Kaiserkrönung am 18. Januar 1871 in Versailles proklamiert.
Diese ohne Österreich zustandengekommene sogenannte kleindeutsche Lösung war allerdings noch nicht der Idealzustand der deutschen Nationalbewegung, aus Sicht Preußens und Bismarcks jedoch die aus politischen Gründen zu bevorzugende.
Maximalforderungen, wie die des Alldeutschen Verbandes, der sogar den Anschluss einstiger deutscher Reichsgebiete wie Niederlande, Belgien und der Schweiz forderte, fanden nach der Reichsgründung immer weniger Gehör.
Die „Deutsche Frage“ galt nach der Einigung der Deutschen im Deutschen Reich als erledigt.
[Bearbeiten] Die „Deutsche Frage“ nach Ende des Ersten Weltkrieges (1918–1933)
Nach dem Zusammenbruch der Monarchien stellte sich 1918/19 in Europa erneut die „Deutsche Frage“. Dabei zeigte es sich, dass diese im Volke überlebt hatte: Die Deutschen in Österreich schlossen sich nun zur Republik Deutschösterreich zusammen, viele von ihnen forderten den Beitritt ihrer Gebiete zum Deutschen Reich.
Mit der Vereinigung dieser beiden deutschsprachigen Staaten wäre in der Tat die „deutsche Frage“ endgültig (und im Sinne vieler Zeitgenossen) gelöst gewesen. Aber mit der Vereinigung von fast 73 Millionen Deutschen in einen Staat wären die Deutschen zum mächtigsten Volk in Europa aufgestiegen. Deshalb wurde die Vereinigung von den Siegermächten verboten, und die „Deutsche Frage“ blieb weiterhin offen.
1932 wurde vom Deutschen Reich und Österreich versucht, die „Deutsche Frage“ über eine Wirtschaftsunion zu lösen – auch diese wurde von der Völkerbundseite untersagt.
[Bearbeiten] Die „Deutsche Frage“ während des Nationalsozialismus (1933–1945)
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde die „Deutsche Frage“ zum Instrument und Träger einer zerstörerisch-aggressiven Expansionspolitik: Bereits das „Parteiprogramm der NSDAP“ – Adolf Hitlers berühmte 25-Punkte-Rede von 1920 – begann schon mit den Worten: Erstens: Wir fordern den Zusammenschluss aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland.
Am 13. März 1938 marschierten reichsdeutsche Truppen ins benachbarte Österreich ein. Die Wehrmachtstruppen stießen auf keinerlei Widerstand, sondern wurden von der Bevölkerung Österreichs willkommen geheißen und es wurde ihnen zugejubelt unter dem Motto: Ein Volk, ein Reich, ein Führer!. Allerdings hatten sich die Menschen durch den seit langem ersehnten Anschluss ein besseres Leben in Österreich vorgestellt. Aber ihr Landsmann Hitler ließ seinen Unterdrückungsapparat jetzt auch in seiner früheren Heimat wüten. In den ersten Tagen nach der Machtübernahme ließen die neuen Machthaber etwa 72.000 Menschen verhaften, insbesondere in Wien, darunter viele Politiker und Intellektuelle der ersten Republik. Die Polizei, die jetzt Heinrich Himmler unterstellt war, unterband jeden nachhaltigen Widerstand. Am Brenner trafen sich schließlich deutsche und italienische Truppeneinheiten zu freundschaftlichen Zeremonien.
In der Folge wurden das deutsch-tschechische Sudetenland und das Memelland, im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs auch Danzig und der Polnische Korridor dem Reich einverleibt, und 1940 wurde das deutschfranzösische Elsass-Lothringen und Eupen-Malmedy angeschlossen.
Im Jahre 1943 erreichte das deutsche Machtgebiet seine größte Ausdehnung, als Südtirol einer deutschen Zivilverwaltung unterstellt wurde: Mit Ausnahme Nordschleswigs, der Schweiz und Liechtenstein war das gesamte deutsche Sprachgebiet im Großdeutschen Reich Adolf Hitlers vereinigt – es umfasste nun rund 650.000 km².
Die „Deutsche Frage“ war zu diesem Zeitpunkt längst zu einer unheilvollen und maßlosen Selbstglorifikation umgedeutet, dessen düsterer Hintergrund die „Lebensraumschaffung“ durch den Vernichtungskrieg in Osteuropa und das unablässige Arbeiten am europäischen Holocaust wurde.
[Bearbeiten] Die „Deutsche Frage“ nach Ende des Zweiten Weltkrieges (1945 bis in die 1980er Jahre)
Mit der Niederwerfung des Deutschen Reiches und der Aufteilung in Besatzungszonen sowie der Unterstellung der Ostgebiete unter polnische Verwaltung stellte sich 1945 die „Deutsche Frage“ neu.
Bereits Ende 1945 wurden die Ostgebiete von der Sowjetunion Polen als Ersatz für die von der Sowjetunion annektierten polnischen Ostgebiete übereignet und bis 1950 wurde von dort die deutsche Bevölkerung vertrieben. Damit war für die ostdeutschen Gebietsteile die „Deutsche Frage“ geklärt.
Mit Gründung der BRD und der DDR wurde ab 1949 die „deutsche Frage“ erheblich verkompliziert, da nun zwei offizielle Sichtweisen einander gegenüberstanden: Während die DDR eine Sichtweise von zwei deutschen Staaten und ehemaligen deutschen Gebieten in Polen und der Sowjetunion betonte, bestand die Bundesrepublik lange Zeit auf einem Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland, das die „Zone“ (DDR) und „Deutsche Gebiete unter vorübergehender polnischer bzw. sowjetischer Verwaltung“ umfasste. Mit dem sich immer mehr festigenden Systemgegensatz rückte die Hoffnung auf eine praktische Umsetzung dieser theoretischen Sicht aber in weite Ferne, bis es sich schließlich mehr um Lippenbekenntnisse und vage Hoffnungen als um tatsächliche praktische Handlungsrichtlinien handelte.
Mit dem Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR in den 1970er Jahren wurden Voraussetzungen für deutsch-deutsche Kontakte auf politischer Ebene geschaffen. Die Teilung wurde faktisch als nicht zu ändern angesehen. Das Grundgesetz behielt den Anspruch auf Wiedervereinigung allerdings bei. Treffend bemerkte der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu Zeiten des Kalten Krieges hierzu: „Solange das Brandenburger Tor geschlossen ist, ist die Deutsche Frage offen“.
[Bearbeiten] Die „Deutsche Frage“ zur Zeit der Wende (1988–1990)
Die Öffnung Osteuropas und der rasche Niedergang der SED-Herrschaft in der DDR überraschte alle westdeutschen Experten und Politiker. Es gab keinerlei Planungen für einen solchen Fall.
In weiten Teilen der westdeutschen Öffentlichkeit wurden Forderungen nach einer Einigung der beiden deutschen Staaten als reaktionär angesehen. Die CDU/CSU-Bundesregierung forderte zwar offiziell noch eine deutsche Wiedervereinigung, faktisch aber akzeptierten die Führungsgremien die deutsche Teilung als Realität.
Bei den Politikern persönlich war die Haltung verschieden. Während ältere und/oder östlich der alten Bundesrepublik aufgewachsene Politiker wie Willy Brandt oder Hans-Dietrich Genscher eine deutsche Einigung für erstrebenswert, aber realpolitisch undurchführbar hielten, empfanden jüngere (z.B. Oskar Lafontaine) diese Vision als ein Relikt der Vergangenheit.
Weitgehend unklar war die Haltung der Alliierten und insbesondere der Sowjetunion, ohne deren Zustimmung die deutsche Einheit nicht denkbar war.
Innerhalb der DDR war die Meinung zur „Deutschen Frage“ zunächst unklar. Die regierende SED war strikt dagegen, viele bedeutende Bürgerrechtler unterschrieben noch am 28. November 1989 die Erklärung Für unser Land, in der sie eine eigenständige Entwicklung der DDR unabhängig von der Bundesrepublik forderten.
Erst ab dem 11. Dezember 1989, als erstmals die Rufe „Wir sind EIN Volk“ auf den Montagsdemonstrationen erklangen, schien eine Hinwendung zur deutschen Einheit klarer.
Helmut Kohl stellte am 28. November 1989 ohne Rücksprache mit Koalitionspartnern oder Verbündeten seinen Zehn-Punkte-Plan vor, der selbst die Begriffe „Vertragsgemeinschaft“ und „Konföderation“ benutzt, diese aber nicht weiter konkretisiert.
Nach der positiven Reaktion der Amerikaner und Michail Gorbatschows Zustimmung zu einer deutschen Wiedervereinigung am 11. Februar 1990 begannen CDU/CSU und FDP immer offener die deutsche Einheit zu fordern. Spätestens seit der Volkskammerwahl 1990 galt die Vereinigung von alter Bundesrepublik und DDR als sicher; die sich nun stellende Frage war nicht mehr ob, sondern wann ein neuer deutscher Staat entstehen würde.
Es begannen Beitrittsverhandlungen, die mit dem dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik abgeschlossen wurden. Der zwischen den zwei deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs geschlossene Zwei-plus-Vier-Vertrag gilt im Allgemeinen als Friedensvertrag. Dabei bezieht sich dieser Vertrag für die deutschen Ostgrenzen auf das Görlitzer Abkommen von 1950 und seine Oder-Neiße-Grenze und legt fest, dass Deutschland auf weitere Gebietsansprüche verzichtet. Die Bundesrepublik hat die Endgültigkeit der Grenzen als wesentlichen Bestandteil der europäischen Friedensordnung (Zitat aus der Schlusserklärung) anerkannt.
Der Artikel 23 Grundgesetz (sogenannter „Beitrittsartikel“) wurde nach der Wiedervereinigung gestrichen und durch den sogenannten „Europa-Artikel“ ersetzt, Präambel und Artikel 146 wurden modifiziert. Damit waren für die deutsche Bundesregierung, aber auch für die breite Öffentlichkeit, die Nationalstaatsbildung in Deutschland und die „deutsche Frage“ abgeschlossen.