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Hanna Reitsch - Wikipedia

Hanna Reitsch

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Hanna Reitsch (* 29. März 1912 in Hirschberg im Riesengebirge, Schlesien; † 24. August 1979 in Frankfurt am Main) war eine der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Fliegerinnen des 20. Jahrhunderts. Reitsch flog über 40 Rekorde in allen Klassen und Flugzeugtypen.

 Der von Hanna Reitsch geflogene Focke-Wulf-Hubschrauber
Der von Hanna Reitsch geflogene Focke-Wulf-Hubschrauber

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Jugend

Hanna Reitsch kam als zweites von drei Kindern des Arztes Willy Reitsch, der eine Augenklinik leitete, und seiner Frau Emy zur Welt. Sie träumte bereits als Kind von der Fliegerei; die Jugendliche gab als Traumberuf „fliegende Missionsärztin“ an. Wenn sie schulfrei hatte, fuhr sie mit dem Rad nach Grunau zum Segelflugplatz. Dort lernte sie Anfang der 1930er Jahre auch den jungen Wernher von Braun kennen, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verband. 1931 absolvierte sie ihr Abitur, anschließend besuchte sie die „Koloniale Frauenschule“ in Rendsburg. Ab 1932 studierte sie Medizin in Berlin und Kiel.

[Bearbeiten] Erste fliegerische Erfolge

Neben ihrem Studium machte die nur 1,50 Meter große Frau 1932 den Segel- und den Motorflugschein in Berlin-Staaken. Noch im selben Jahr stellte sie ihren ersten Rekord auf: den Dauer-Segelflugrekord für Frauen (5,5 Stunden in der Luft). 1933 wurde Hanna Reitsch von Wolf Hirth gebeten, als Fluglehrerin an seiner neuen Segelfliegerschule auf dem Hornberg bei Schwäbisch Gmünd zu arbeiten. Von 1933-1934 nahm sie an einer Forschungsexpedition in Brasilien und Argentinien teil und brach ihr Studium nach vier Semestern zugunsten der Fliegerei ab. 1936 brach sie mit 305 Kilometern den Frauen-Streckenweltrekord im Segelflug. Weitere Rekorde folgten (s. Abschnitt: Fliegerische Leistungen).

[Bearbeiten] Als Versuchs- und Erprobungspilotin

Vom Juni 1934 an arbeitete Hanna Reitsch als Versuchspilotin für die „Deutsche Forschungsanstalt für Segelflug“ in Darmstadt. Als erste Frau der Welt wurde sie 1937 von Ernst Udet zum Flugkapitän ehrenhalber ernannt und im September 1937 als Versuchspilotin an die „Flugerprobungsstelle der Luftwaffe“ in Rechlin (an der südlichen Müritz) berufen. Dort erprobte sie Stukas, Bomber und Jäger. Von 1937 an flog sie den von Henrich Focke gebauten Hubschrauber Focke-Wulf Fw 61, mit dem sie im Oktober desselben Jahres mit 109 km einen Streckenweltrekord für Hubschrauber aufstellte und den sie 1938 in der Deutschlandhalle in Berlin beim ersten Hubschrauber-Hallenflug der Welt vorführte.

Als Versuchspilotin flog sie 1939 den für die deutschen Luftlandetruppen bestimmten Großsegler DFS 230 ein. Mit der Dornier Do 17 und der Heinkel He 111 führte sie Versuche durch, um herauszufinden, ob die Stahlseile britischer Ballonsperren mit einem vor dem Bug des Flugzeuges angebrachten Gerät zerschnitten werden konnten. 1942 flog Reitsch in Augsburg das Raketenflugzeug Messerschmitt Me 163 Komet, und nahm an Versuchen mit der bemannten Fieseler V1 teil. Bei ihrer Erprobungstätigkeit wurde Hanna Reitsch mehrmals schwer verletzt. Für ihren Einsatz erhielt sie unter anderem das Eiserne Kreuz zweiter und erster Klasse (das EK I als eine von nur zwei Frauen) und das „Flugzeugführer- und Beobachterabzeichen in Gold mit Brillanten“ (als einzige Frau).

Ab dem Winter 1943/44 setzte sie sich für die Entwicklung der Selbstopfer-Flugzeuge ein. Dieses Projekt, das sie am 28. Februar 1944 Hitler vorschlug, sah bemannte Bomben vor, bei denen der Tod des Piloten in Kauf genommen wurde, ähnlich dem japanischen Tokkōtai („Kamikaze“). Das Projekt stieß in der Luftwaffenführung auf erheblichen Widerstand und wurde nicht realisiert. Am 26. April 1945 flog sie mit dem Generaloberst Robert Ritter von Greim mit einem Fieseler Storch in das von den Russen bereits eingeschlossene Berlin, wo Hitler von Greim bei gleichzeitiger Beförderung zum Generalfeldmarschall zum Nachfolger Görings als Oberbefehlshaber der Luftwaffe ernannte. Reitsch wollte Hitler überreden, sich ausfliegen zu lassen. Er lehnte aber ab und gab ihr Gift, falls ihr Versuch, Berlin zu verlassen, scheitern sollte. Nur mit Mühe konnte Hanna Reitsch, zusammen mit dem schon beim Anflug verwundeten von Greim, mit einer Arado Ar 96 aus Berlin herausfliegen, geriet jedoch im Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

[Bearbeiten] Verhältnis zur NS-Ideologie

Hanna Reitsch wuchs in einem deutschnationalen Klima auf, wie es damals bei vielen deutschen Bewohnern Schlesiens aufgrund der Folgen des Ersten Weltkrieges weit verbreitet war. Die Reitschs wandten sich früh den Nationalsozialisten zu, da diese eine Revision des Versailler Vertrags und der daraufhin erfolgten Teilung Oberschlesiens versprachen.[1] Hanna Reitsch selbst war eine begeisterte persönliche Anhängerin Hitlers, dem sie bis zuletzt die Treue hielt: „Es mag eine Führung richtig oder falsch gewesen sein - das zu beurteilen ist nicht an mir. Wenn man aber zu dieser Führung hauptverantwortlich gehört, muss man bereit sein, mit ihr unterzugehen.“[2]

Dennoch war Reitsch keine „klassische Nationalsozialistin“. Grundlage ihrer politischen Überzeugung waren vielmehr leicht missbrauchbare Begriffe wie „Treue“ und „Vaterlandsliebe“. Sie war weder Mitglied der NSDAP noch einer anderen NS-Organisation. Auch eine „Ehrenmitgliedschaft“ beim Bund deutscher Mädel (BdM) nahm sie nicht an. Die NS-Rassenpolitik lehnte Reitsch ausdrücklich ab und unterstützte mit ihrer Familie die ablehnende Haltung der schlesischen evangelischen Kirche. Als sie Gerüchte über die Vernichtungslager hörte, sprach sie ausgerechnet Heinrich Himmler auf den Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen an.[3] Dies gibt einen Hinweis auf die von Zeitzeugen wiederholt geschilderte private und politische „Naivität“ von Hanna Reitsch.

Auch Reitsch bekam das latent frauenfeindliche Klima des Dritten Reichs zu spüren: 1936 verweigerte man ihr als Frau zunächst die Teilnahme am Rhön-Flugwettbewerb, in das NS-Fliegerkorps wurde sie nicht aufgenommen. Dennoch ließ sie sich vom NS-Regime instrumentalisieren. Nach Kriegsausbruch berichtete die populäre Fliegerin auf zahlreichen Vortragsreisen durch ganz Deutschland von ihrer Arbeit als Testpilotin und rief die Jugend zum Einsatz für das Vaterland auf. Zur „Hebung der Moral der Truppe“ besuchte sie Ende 1943 zudem die Ostfront.[4]

Reitsch befürwortete die Wiederaufrüstung als Bestandteil der Bestrebungen, Deutschlands alte Weltgeltung wieder herzustellen. Als Testpilotin gelang ihr die Erfüllung ihres Wunsches, sich persönlich daran zu beteiligen und „als verkappte Militärfliegerin mich fürs Vaterland ein[zu]setzen“[5]. Ihr Vorschlag eines militärisch völlig unsinnigen Selbstmordkommandos „von Menschen, die bereit waren, sich selbst zu opfern, in der klaren Überzeugung, dass kein anderes Mittel mehr Rettung bringen konnte“[6], zeigt, wie weit sie sich vom Fanatismus der Zeit mitreißen liess und zunehmend irrational handelte. So berichtet Joseph Goebbels in seinen Tagebüchern von „Hanna Reitsch, die auch unter der Wucht der Ereignisse völlig die Nerven verloren hat.“[7]

[Bearbeiten] Haltung nach Kriegsende

Reitsch verbrachte insgesamt 18 Monate in verschiedenen Internierungslagern. Ausführlich wurde sie dabei über ihren Aufenthalt im Führerbunker vernommen. Die Protokolle der Vernehmungen gelangten an die Öffentlichkeit und wurden vom späteren Professor Hugh Trevor-Roper frei bearbeitet und in seinem Buch The Last Days of Hitler (London 1946) verwandt.[8] Reitsch wandte sich energisch gegen die ihr zugeschriebenen Äußerungen und bezeichnete sie als Fälschungen. Im Dezember 1947 wurde Reitsch als „Nichtbetroffene“ entnazifiziert, da sie keiner NS-Organisation angehört hatte.

In ihren nach Kriegsende veröffentlichten Büchern findet man keine Ansätze zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Zwar geht sie auf ihre zahlreichen Begegnungen mit NS-Führern wie Hitler, Göring und Himmler ein, vermeidet aber jede Wertung. Reitsch habe die Vergangenheit geleugnet, so der psychologische Erklärungsversuch des „Spiegel“ 1979, „aus einem Schamgefühl heraus, das die Wahrheit über das gläubig verehrte Reich und seinen ‚tragischen’ Führer nicht ertragen konnte, nicht hätte aushalten können.“[9] 1974 gab Reitsch ihre deutsche Staatsangehörigkeit auf und wurde Österreicherin, aus Verärgerung darüber, dass man ihr in der Bundesrepublik - bei aller ihr zugestandenen Naivität - eine „Glorifizierung des NS-Regimes“ vorwarf.[10]

[Bearbeiten] Weiterer Berufsweg

Ab 1954 arbeitete Reitsch erneut als Testpilotin in Darmstadt, diesmal bei der wieder gegründeten Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL). Im Jahr 1959 reiste sie auf Einladung von Premierminister Jawaharlal Nehru nach Indien, um dort ein Leistungssegelflugnetz aufzubauen. 1961 wurde sie von Präsident John F. Kennedy zu einem Besuch im Weißen Haus eingeladen und traf in Amerika auch ihren Jugendfreund Wernher von Braun wieder. Von 1962 bis 1966 weilte Reitsch in Ghana, wo sie eine Segelflugschule aufbaute und leitete. In den 1970er Jahren errang sie weitere Rekorde in verschiedenen Flugkategorien. Sie wurde „Pilot des Jahres 1971“ beim International Order of Characters, 1972 Ehrenmitglied (Honorary Fellow) der Society of Experimental Test Pilots in Kalifornien, als dritte Frau nach Jacqueline Auriol und Jacqueline Cochran, welche ein Jahr zuvor diese Ehrung erfahren hatten, und erhielt 1975 die Internationale Kette der „Windrose“.

Reitsch flog bis zu ihrem Lebensende. Sie starb 1979 67jährig in Frankfurt am Main an akutem Herzversagen. Auf dem Kommunalfriedhof Salzburg ist sie im Grab ihrer Familienangehörigen beigesetzt. Der Spiegel schrieb in seinem Nachruf: „Hanna Reitsch ... verkörperte aufs äußerste zugespitzt die deutsch-nationale Schizophrenie zwischen äußerer Modernität und innerem Mittelalter, zwischen technisch-wissenschaftlicher Intelligenz und verblendeter ‚Gläubigkeit’, zwischen persönlichem Anstand und kollektiver Barberei.“

[Bearbeiten] Fliegerische Leistungen

  • 1932: Dauer-Segelflugrekord für Frauen (5,5 h)
  • 1936: Frauen-Streckenweltrekord im Segelflug (305 km)
  • 1937: erste Alpenüberquerung im Segelflug durch eine Frau
  • 1937: Streckenweltrekord für Hubschrauber (109 km)
  • 1938: erste Frau der Welt, die einen Hubschrauber in der Halle fliegt
  • 1938: Siegerin im „Deutschen Segelflug-Strecken-Wettbewerb“ Sylt-Breslau (Schlesien)
  • 1939: Frauen-Segelflugweltrekord im Zielflug
  • 1952: Dritter Rang an den Segelflugweltmeisterschaften in Spanien
  • 1955: Deutscher Segelflugmeister
  • 1956: Deutscher Frauen-Segelflug-Streckenrekord (370 km)
  • 1957: Deutscher Frauen-Höhensegelflugrekord (6.848 m) (1. Diamant zur Gold-C)
  • 1960: 300km-Dreiecksflug (2. Diamant zur Gold-C)
  • 1970: Deutscher Frauen-Segelflugrekord über 500 km (3. Diamant zur Gold-C), sowie Deutsche Meisterin im Deutschen Segelflug-Wettbewerb (Damenklasse)
  • 1971: Weltmeisterin an der Hubschrauber-Weltmeisterschaft (Damenklasse)
  • 1972: Deutscher Frauen-Segelflugrekord im Geschwindigkeitsflug über die 300 Kilometer-Dreiecksstrecke
  • 1977: Deutscher Frauen-Segelflugrekord im Ziel-Rückkehr-Flug über 644 km
  • 1978: Frauen-Segelflugweltrekord

[Bearbeiten] Bücher

  • Fliegen - Mein Leben (1951)
  • Ich flog für Kwame Nkrumah (1968)
  • Das Unzerstörbare in meinem Leben (1975)
  • Höhen und Tiefen - 1945 bis zur Gegenwart (1978)

[Bearbeiten] Anmerkungen

  1. s. Sigmund, S. 182
  2. Hanna Reitsch: Höhen und Tiefen, 1945-1977. München 1977, S. 75
  3. Sigmund, S. 194 u. 202
  4. a.a.O., S. 192 ff. u. S. 200 ff.
  5. Brief vom 19.6.1932, zit. in a.a.O., S. 188; s.a. Hanna Reitsch: Fliegen mein Leben. München 1979, S. 200
  6. Reitsch: Fliegen, S. 312
  7. Joseph Goebbels: Tagebücher, Eintrag v. 7.12.1944
  8. Vernehmungsunterlagen Reitsch in der Hoover Library (Nachlass Lerner, B. 21); Unterlagen Trevor-Roper im IfZ München (Sammlung Irving, DI-39); s.a. Sigmunds Darstellung, S. 219 ff.
  9. Hanna Reitsch †, in: Der Spiegel Nr. 36 v. 03.09.1979, S. 268
  10. s. Sigmund, S. 224 f.

[Bearbeiten] Literatur

  • Rolf Italiaander: Drei deutsche Fliegerinnen: Elly Beinhorn, Thea Rasche, Hanna Reitsch; 3 Lebensbilder. Berlin: G. Weise 1940
  • Bertold K. Jochim: Hanna Reitsch. Die erste Testpilotin der Welt. Rastatt in Bade : Pabel 1960
  • Robert H. Drechsler: Hanna Reitsch. Des Ikarus' deutsche Schwester. Wien: Verein zur Förderung Volkstreuen Schrifttums in Österreich 1980
  • Dennis Piszkiewicz: From Nazi test pilot to Hitler's bunker. The fantastic flights of Hanna Reitsch. Westport (Con.) / London: Praeger 1997, ISBN 0-275-95456-0
  • Anna Maria Sigmund: Hanna Reitsch: Sie flog für das Dritte Reich, in: Dies.: Die Frauen der Nazis. II. München: Heyne 2002, S. 179 – 225, ISBN 3453211723
  • Hanna Reitsch †, in: Der Spiegel Nr. 36 v. 03.09.1979, S. 268

[Bearbeiten] Weblinks

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Biografie auf Hargrave – the Pioneers (Monash University Australien, englisch, viele Bilder und Links)

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