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Strategie der Spannung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Dieser Artikel behandelt die Strategie der Spannung als politischen Begriff. Zu den historischen Vorgängen in Italien, siehe Strategie der Spannung (Italien)

Die Strategie der Spannung (nachrichtendienstlicher bzw. politischer Begriff, vom ital. strategia della tensione) ist ein Oberbegriff für einen Komplex aus zielgerichteten, verdeckten Maßnahmen zur psychologischen, gesellschaftlichen oder politischen Destabilisierung oder Verunsicherung einer Bevölkerungsgruppe, einer Region oder eines Staates durch Mitglieder einer nationalen bzw. global agierenden Elite. Die Werkzeuge sind illegale, meist gewaltsame Mittel wie Terroranschläge, Morde, Entführungen, paramilitärische Operationen, ferner psychologische Kriegführung und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen, außerdem das Schüren von Unruhen und die zielgerichtete Eskalation von ursprünglich gewaltlosen Konflikten durch Agents provocateurs. Diese werden typischerweise in Kombination mit Mitteln zur Verbreitung von Falschinformationen angewendet. Charakteristischerweise wird die Strategie der Spannung unter strikter Geheimhaltung von Organen des betroffenen Staates selbst oder von mit diesen verbundenen Tarnorganisationen verfolgt (siehe Ziele, Akteure und Motivation). Daher müssen Aussagen darüber, ob eine kriminelle Tat auf eine Verschwörung im Sinne dieser Strategie zurückzuführen ist, oft Vermutungen bleiben. Von Skeptikern werden solche Vermutungen oft unter die Verschwörungstheorien eingereiht. Es gibt jedoch eine Anzahl von bewiesenen Fällen in der jüngeren Geschichte.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Herkunft des Begriffs

Der Begriff Strategie der Spannung wurde 1990 im Zusammenhang mit der gerichtlichen Aufklärung von zahlreichen terroristischen Verbrechen im Italien der 70er und 80er Jahre bekannt. Siehe Hauptartikel Strategie der Spannung (Italien).

[Bearbeiten] Ziele

Das hervorstechende Merkmal einer Strategie der Spannung ist die Schaffung eines Klimas der Verunsicherung und Angst in der Zielbevölkerung. Die Wahrnehmung der Schuld an absichtlich inszenierten oder indirekt geförderten Verbrechen wird durch geheimdienstliche oder konspirative Methoden wie Desinformation, Streuung entsprechender Gerüchte und Fälschung von Beweisen auf eine bestimmte politische oder ethnische Gruppe gelenkt. Deren Diskreditierung bzw. politische und moralische Schwächung stellt üblicherweise eines der Hauptziele der Strategie dar. Ein weiteres Ziel ist die Induzierung des Wunsches nach einer „starken Hand“ bzw. die Stärkung der Toleranz für repressive Maßnahmen des Staates (Einschränkung von Bürgerrechten, verstärkte Überwachung, Anti-Terror-Maßnahmen) in der Bevölkerung bis hin zur Ausrufung des Ausnahmezustands, um die vermeintlich gefährdete Sicherheit wiederherzustellen. Ein wesentliches Element der Strategie ist die Kriminalisierung der absichtlich als Täter beschuldigten gegnerischen Gruppe. Ihre Mitglieder können dann mit legalen Mitteln verfolgt und in den Untergrund gezwungen werden. Auf diese Weise lassen sich beliebige Gruppen oder Personen schnell und effizient von der Teilnahme am politischen Leben ausgrenzen. Von der gezielt in Angst versetzten und desinformierten Öffentlichkeit wird dies als vermeintliche Steigerung der inneren Sicherheit begrüßt und in der Regel bedingungslos unterstützt.

[Bearbeiten] Akteure

Die Akteure sind typischerweise Geheimdienste oder ihnen nahestehende Kreise, die wegen der impliziten Verstöße gegen nationales bzw. internationales Recht in der Regel ohne oder nur mit inoffizieller Genehmigung ihrer Regierung handeln (siehe auch Staatsterrorismus). Ausführende Organe sind häufig paramilitärische Gruppen, Kriminelle oder Extremisten, die über die wahren Hintergründe und Motive ihrer Auftraggeber entweder getäuscht oder im Unklaren gehalten werden, manchmal jedoch diese auch unterstützen und billigen. Je nach Motivation ihres Handelns können die Akteure aus dem von der Strategie betroffenen Staat selbst oder aus einem anderen Staat stammen, der bestimmte Ziele in dem betroffenen Staat verfolgt.

[Bearbeiten] Motivation

Die Motivation der Akteure ergibt sich meist aus einer Bedrohung durch gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Umwälzungen, die zum Machtverlust führen könnten bzw. aus fiktiven oder geringen Bedrohungen, die von Teilen der Elite eines Landes als real und relevant wahrgenommen werden (Bsp. Demokratisierung, Kommunismus, Kapitalismus, ethnische Spannungen, religiöser Fundamentalismus). Häufig steht auch die Ablenkung von akuten oder strukturellen Problemen eines Staatswesens oder einer Regierung am Anfang einer Strategie der Spannung (Bsp. korrupte Eliten, abgewirtschaftete oder erschöpfte politische Klasse oder Regierung, Endphase einer Diktatur).

[Bearbeiten] Notwendigkeit der absoluten Geheimhaltung

Ein wesentliches Merkmal einer Strategie der Spannung ist die unbedingte Verhinderung der Untersuchung und Veröffentlichung der wahren Hintergründe der Verbrechen, da dies wegen der Duldung oder Inszenierung von Kapitalverbrechen drastische strafrechtliche Konsequenzen für die beteiligten Personen hätte. Außerdem würde das Vertrauen der zuvor gezielt desinformierten Bevölkerung in die Institutionen und Organe ihres Staates bzw. in die Institution des Staates selbst empfindlich geschwächt (siehe Staatsräson). Daher ist das konspirative Vorgehen elementares Merkmal einer Strategie der Spannung, wodurch die spätere Aufklärung der Vorgänge (parlamentarisch oder gerichtlich) durch das Fehlen von Dokumenten sowie den Willen und die Fähigkeit der Beteiligten zur Verschleierung in den meisten Fällen äußerst lückenhaft gerät. Die durch gerichtliche bzw. parlamentarische Untersuchungen bekannt gewordenen Fälle wurden meist nach einem grundlegenden Wechsel der politischen Verhältnisse aufgedeckt (siehe Beispiele) oder ließen sich durch ihren außerordentlichen Umfang nicht auf Dauer komplett geheimhalten.

[Bearbeiten] Beispiele

Beispiele für Anwendung einer Strategie der Spannung in der jüngeren Geschichte:

  • Südafrika – Südafrikanischen (weißen) Sicherheitsdiensten nahestehende Kräfte verübten in den 1980er und 1990er Jahren Terroranschläge und Morde an weißen Zivilisten, die der schwarzen Widerstandsbewegung African National Congress (ANC) in die Schuhe geschoben wurden, um deren Einfluss zu schmälern. Der ANC dementierte, dass er für die Anschläge verantwortlich sei. Er führte an, dass für die Taten eine dritte Kraft (Third Force) verantwortlich sei, was nach dem Ende der Apartheid auch bestätigt wurde (Bericht der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission, wichtigste Punkte in Paragraph 3 und 5 der ersten Seite zusammengefasst). Da zur Zeit der Anschläge eine Beteiligung von regierungsnahen, weißen Kräften an den Terroranschlägen unvorstellbar war, litt das Ansehen des ANC unter der weißen Bevölkerung genau wie von den Urhebern beabsichtigt.
  • Chile – vor und während der Regierungszeit des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende führte die CIA mehrere verdeckte Operationen zusammen mit Teilen des chilenischen Geheimdienstes DINA durch. Ziel war der Sturz der gewählten Regierung, unter anderem wurden landesweite Streiks in wichtigen Industriezweigen organisiert (Transport) und die resultierende Schwächung der Wirtschaft Allende zugeschrieben. Nach dem Putsch in Chile gegen Allende 1973 begann die systematische Verfolgung, Folterung und Ermordung von Sozialisten und Gewerkschaftern unter dem Deckmantel der Bekämpfung von „Subversiven“ und „Terroristen“ (siehe auch Operation Condor, Französische Doktrin).
  • Algerien – während des blutigen Bürgerkriegs der 1990er Jahre wurden zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung unter Umständen begangen, die eine Beteiligung von staatlichen Stellen wahrscheinlich erscheinen ließen[1]. Mittlerweile wurde dieser schon früh geäußerte und begründete Verdacht[2] durch die Aussagen von Zeugen und ehemaligen Angehörigen algerischer Sicherheitskräfte bestätigt[3]. Als erster beschrieb der ehemalige Fallschirmjäger und Mitglied einer „Antiterroreinheit“ Habib Souaidia, dass das Militär an Massakern gegen die Zivilbevölkerung beteiligt war, die dann islamistischen Gruppen in die Schuhe geschoben wurden. Außerdem berichtete er, dass die Sicherheitskräfte äußerst grausame Formen von Folter angewendet hätten und dass er persönlich Zeuge von Hunderten von Morden an inhaftierten Zivilisten gewesen sei.[4][5].

Beispiele für Vermutungen über die Anwendung einer Strategie der Spannung:

  • DeutschlandPeter Urbach, ein V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes, lieferte Ende der 1960er Jahre Molotowcocktails, Bomben und Waffen an Personen aus der Berliner APO, die später zu den Gründungsmitgliedern der Rote Armee Fraktion gehörten. In diesem Zusammenhang wurde spekuliert, ob die Behörden das Abgleiten von Teilen der Studentenbewegung in den Terrorismus bewusst förderten, um damit die Bewegung als Ganzes zu diskreditieren.
  • Deutschland – 1975 fanden in den Städten Hamburg (13. September 1975), Nürnberg (6. Oktober 1975), Köln (12. November 1975) und Bremen (Dezember 1975) Bombenanschläge auf die Hauptbahnhöfe statt, deren Urheberschaft nie geklärt wurde. Die RAF und die Revolutionären Zellen distanzierten sich ausdrücklich in offenen Briefen[6] von den Anschlägen und benannten staatliche Stellen als die eigentlich Verantwortlichen. Entgegen der damals üblichen energischen Verfolgung vermeintlich linksextremer Straftäter wurde zumindest in den Fällen Hamburg und Bremen nur mit geringem Eifer ermittelt. Es kam nicht zur Benennung Verdächtiger, und die Fälle gerieten bald in Vergessenheit. (Quelle: Homepage Hans-Christian Ströbele MdB). Der bekannteste aufgeklärte Fall der Vortäuschung einer terroristischen Straftat war das sogenannte „Celler Loch“, bei dem Verfassungsschützer in Celle die Mauer eines Gefängnisses sprengten.
  • Russland – Die Sprengstoffanschläge auf Moskauer Wohnhäuser waren eine Serie von Bombenanschlägen im Jahr 1999 in Russland, bei denen über 300 Menschen ums Leben kamen. Die Terroranschläge erstreckten sich über einen Zeitraum von zwei Monaten und versetzten ganz Moskau und Russland in Angst und Schrecken. Die offizielle Untersuchung der Behörden nannte tschetschenische Terroristen als Täter, die Anschläge gelten als Anlass für den Zweiten Tschetschenienkrieg. Das russische Parlament Duma hat zwei Anträge auf eine parlamentarische Untersuchungskommission zur Untersuchung von Vorgängen abgewiesen, die auf eine Verwicklung des russischen Geheimdiensts FSB hinwiesen[7][8]. Eine unabhängige Untersuchungskommission (vier Abgeordnete) unter Vorsitz des Dumaabgeordneten Sergej Kowaljow zur Untersuchung der Explosionen erwies sich als ineffektiv, weil die Regierung es ablehnte, auf entsprechende Anfragen Auskünfte zu erteilen[9][10]. Zwei führende Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses, die Dumaabgeordneten Sergei Juschenkow und Juri Schekotschikin, starben später bei Mordanschlägen. Sie hatten die These vertreten, dass der FSB in die Anschläge verwickelt war[11][12]. Der Anwalt der unabhängigen Untersuchungskommission, Michail Iwanowitsch Trepaschkin, wurde im Oktober 2003 verhaftet und ist gegenwärtig (2006) einer der bekanntesten politischen Gefangenen Russlands. Einer der bekanntesten Verfechter der FSB-These war der 2006 vergiftete Ex-FSB-Agent Alexander Litwinenko.

[Bearbeiten] Literatur

  • Andreas von Bülow: Im Namen des Staates. CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste. 11. Auflage, Piper Verlag, München 2000, ISBN 3-49223-050-4
  • Gerhard Feldbauer: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA. Papy Rossa Verlag Köln 2000, ISBN 3-89438-207-4.
  • Daniele Ganser: Nato's Secret Armies: Operation Gladio and Terrorism in Western Europe. Frank Cass, London 2005, ISBN 0714685003
  • Regine Igel: Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in Italien. Herbig, München 2006, ISBN 3-77662-465-5
  • Luciano Lanza: Bomben und Geheimnisse. Geschichte des Massakers von der Piazza Fontana. [1] Edition Nautilus, Hamburg 1999. ISBN 389401332X
  • Alexander Litwinenko, Juri Felschtinski: Blowing Up Russia. Gibson Square, 2007, ISBN 1903933951
  • Habib Souaïdia: Schmutziger Krieg in Algerien. Bericht eines Ex-Offiziers der Spezialkräfte der Armee (1992–2000). Chronos-Verlag, Zürich 2001, ISBN 3034005377
  • Corrado Stajano: Der Staatsfeind. Leben und Tod des Anarchisten Franco Serantini. Wagenbach Verlag, Berlin 1976, ISBN 3803120268
  • Youcef Bedjaoui, Abbas Aroua und Meziane Ait-Larbi (Hg.): An Inquiry into the Algerian Massacres. Verlag Hoggar, Genf 1999, ISBN 2-94013008-6
  • J. Patrice McSherry: Predatory States: Operation Condor and Covert War in Latin America. Rowman & Littlefield Publishers, 2005, ISBN 0742536874
  • Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber, Ekkehard Sieker: Das RAF-Phantom. Wozu Politik und Wirtschaft Terroristen brauchen. Droemer Knaur, München Februar 1992, ISBN 3-426-80010-1

[Bearbeiten] Zitate

„Man musste Zivilisten angreifen, Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Spiel waren. (...) Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten das italienische Volk dazu bringen, den Staat um grössere Sicherheit zu bitten. Diese politische Logik liegt all den Massakern und Terroranschlägen zu Grunde, welche ohne richterliches Urteil bleiben, weil der Staat sich ja nicht selber verurteilen kann.“

Vincenzo Vinciguerra, 1990 wegen Mordes an drei Carabinieri verurteilter Rechtsextremist und Mitglied der Geheimorganisation Gladio, Quelle: Schweizer Zeitung Der Bund

„Terror eignet sich mehr als irgendeine andere militärische Strategie dazu, die Bevölkerung zu manipulieren.“

Dr. Daniele Ganser, Historiker und Gladio-Forscher (Quelle: Der Europäer, Jg. 9 / Nr. 6 / April 2005)

[Bearbeiten] Quellen

  1. Ali Al-Nasani: Das alltägliche Massaker – Algerien wird von Terror und Repression verwüstet. Europa darf nicht länger wegsehen. Die Zeit, 40/2002
  2. Eine Untersuchung zu den Massakern in Algerien. www.algeria-watch.de
  3. Algerien – Die Mordmaschine. Bericht über Folter, geheime Haftzentren und die Organisation der Mordmaschine. www.algeria-watch.de, Januar 2004
  4. Der schmutzige Krieg. Ein algerischer Offizier packt aus. 3sat Kulturzeit
  5. Habib Souaïdia: Schmutziger Krieg in Algerien. Bericht eines Ex-Offiziers der Spezialkräfte der Armee (1992–2000). Chronos-Verlag, Zürich 2001, ISBN 3034005377
  6. Offener Brief der RAF aus dem Archiv von nadir.org
  7. www.eng.terror99.ru/publications/049.htm (auf Englisch)
  8. www.eng.terror99.ru/publications/042.htm (auf Englisch)
  9. www.eng.terror99.ru/publications/107.htm (auf Englisch)
  10. www.eng.terror99.ru/publications/087.htm (auf Englisch)
  11. www.nupi.no/cgi-win/Russland/krono.exe?6200 (auf Englisch)
  12. www.eng.terror99.ru/publications/118.htm (auf Englisch)

[Bearbeiten] Weblinks

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